Von der Macht zum Mitgefühl

Führung im Geist des Franz von Assisi

Der Abgasskandal bei VW wurde von der internationalen Presse genüsslich ausgekostet: Hier ist eine Firma, deren Management ganz auf Logik und Macht baut und das Unternehmen preußisch streng hierarchisch führt. Es gibt klare Vorgaben „von oben" und die Ingenieure setzen sie um. „Geht nicht, gibt´s nicht" und wer widerspricht, verspielt seine Chancen im Unternehmen. Der Rest ist bekannt: So entstand der illegale Ausweg, mittels Software besonders niedrige Abgaswerte zu „messen" oder besser gesagt „produzieren" zu lassen. Das klappte jahrelang weltweit bei Millionen von Fahrzeugen, bis der Betrug aufflog. Dies führte zu den voraussichtlich weltweit höchsten Strafzahlungen, Umsatzeinbußen und einem dramatischen Vertrauensverlust. Statt wie bisher die Nummer Eins weltweit ist der Konzern nun Prügelknabe weltweit. Ich bin sicher: Ein anderer Managementstil hätte diesen Skandal und Verlust verhindern können. Franz von Assisi wäre das nicht passiert.

Macht und Mitgefühl
Macht in Unternehmen beruht auf verschiedenen Faktoren: Einer davon beruht auf der Autorität, strategische Entscheidungen festlegen und dabei Ressourcen, Gehälter, Beförderungen, Weisungsrechte und Budgets vergeben und kontrollieren zu können. Macht durch Ressourcenkontrolle unterstreicht die Unterschiede zwischen Menschen. Das begünstigt die Angst, zu kurz zu kommen oder ausgeschlossen zu werden. Das fördert unter Mitarbeitern Unsicherheit, Neid, Misstrauen und in letzter Konsequenz illegales Handeln.

Erst wenn sich Macht mit Persönlichkeit verbindet, entsteht natürliche Autorität und Vertrauen. Doch wie erwirbt man eine entsprechende Persönlichkeit? Für mich ist der entscheidende Faktor das Mitgefühl. Man kann hier drei Stufen unterscheiden:
  • Abwesenheit von Mitgefühl. Starke gedankliche Konzentration auf eigene Ego-Ziele, kein Zugang zum Herzen. Das Management läuft über strenge Zielvorgaben und Ressourcenkontrolle.
  • Intellektuelles Mitgefühl. Hier ist die Konzentration auf eigene Ego-Ziele geringer, so dass innere Ressourcen vorhanden sind, sich gedanklich in die Position eines anderen zu versetzen. Etwa nach dem Motto: Wie wird es einem Kunden gehen, der unser Produkt kauft? Wie wird es einem Mitarbeiter nach einer Managemententscheidung ergehen? Doch das ist noch kein echtes Mitgefühl, nur eine intellektuelle Annäherung. Man fühlt noch nicht, man denkt nur über mögliche Gefühle nach. Das Herz ist noch nicht aktiviert.
  • Franziskanisches Mitgefühl. Voraussetzung ist hier, dass man sein Ego loslassen kann. Es geht um die Bereitschaft, dass der eigene, tiefe Wesenskern angerührt und das Herz aktiviert wird. Eine solche Erfahrung erfordert jedoch die Verbundenheit mit allem Sein und eine intensive innere Auseinandersetzung. Das Ergebnis entspricht dem, was Franz von Assisi in seinem Sonnengesang ausdrückt, wo er Gott in allen Geschöpfen preist und damit sagen will, dass wir alle verbunden sind. Aus dieser franziskanischen Erfahrung heraus wird niemand mehr als Fremder empfunden, sondern als potentieller Partner. Entsprechend erlebte Franziskus auch den gefürchteten Wolf, vor dem ihn die Bewohner von Gubbio gewarnt hatten, als Bruder, und es gelang ihm eine Win-Win-Lösung: Der Wolf versprach, keine Menschen oder Tiere der Gegend mehr zu reißen, und die Stadtbewohner versprachen, ihn zu ernähren – so die Legende. Die Botschaft ist, dass durch franziskanisches Mitgefühl auch in aussichtslosen Konflikten Win-Win-Lösungen möglich sind. Dieses Mitgefühl bedeutet ein echtes Fühlen von Verbundenheit, das Missachten von Trennendem und das Bewusstsein im Herzen statt im Kopf. Es bedeutet auch Selbsterkenntnis jenseits der Egostruktur.
Wenigstens ein bisschen dieses franziskanischen Mitgefühls ist erforderlich, um Macht durch Persönlichkeit auszuüben. Hier kann man viel durch die Entwicklung und das Wirken des Franz von Assisi kennen lernen. Seine ungeheuer erfolgreiche und bis heute wirkende Führungskunst kann wertvolle Inspirationen geben. Es dürfte kein Zufall sein, dass der aktuelle Papst den Namen Franziskus gewählt hat. Sein neuer Führungsstil erweckt weltweit Anerkennung und Bewunderung und beruht auf Demut und Bescheidenheit. Aber er strahlt Kraft, Verantwortungsbewusstsein und Weitsicht aus. Was für ein Unterschied zur aktuellen Führungsriege in Politik und Wirtschaft!

Mitgefühl ist machtvoll
Mitgefühl hat im materialistischen Gedankengut den Ruf ineffektiver Sentimentalität – doch erfolgreiche Führer belegen das genaue Gegenteil. So zum Beispiel Dag Hammarskjöld, der als UN-Generalsekretär außergewöhnliche Krisenlösungen zustande brachte. Auch der ehemalige Ministerpräsident der Niederlande, Ruud Lubbers, findet, dass „mitfühlende Führung nicht kraftlos, sondern sehr effektiv ist." Über Mitgefühl und Führung sagt er: „Ich denke, dass jeder Mensch im Prinzip Mitgefühl für andere kennt. Das Konzept wurde nur in der Zeit der Aufklärung abgewertet. Mit dem enormen Wachstum von Wissenschaft und Technik und dem damit verbundenen Wohlstand entstand als neue Leitidee, die Erde und auch seine Mitmenschen optimal auszubeuten, mit den heute bekannten Folgen." Ruud Lubbers gehört zu den Initiatoren der Erd-Charta für Nachhaltigkeit, die von der UNESCO unterstützt wird. In dieser Charta werden die Prinzipien der Nachhaltigkeit dargelegt, die inzwischen auch von Teilen der Wirtschaft als wichtig angesehen werden und nunmehr in den sogenannten SDGs (Sustainable Development Goals) als weltweites Ziel verankert und beschlossen wurden.

Die Kraft des Vorbildes
Führungskräfte haben einen großen Einfluss auf die Art, wie Menschen innerhalb des Unternehmens miteinander umgehen. Dies hat auch außerhalb des Unternehmens einen Einfluss auf die Gesellschaft an sich. Wen wundert es, wenn unsere westliche Gesellschaft sich trotz hohem Wohlstand und sozialer Absicherung ausgepresst und sinnentleert fühlt. Wenn man aktuelle Leadership-Strategien betrachtet, sieht man, wie sich Führungskräfte ehrgeizige Pläne ausdenken, diese Pläne in Strukturen quetschen und die festgelegten Ziele um jeden Preis ansteuern. Sie verlassen sich dabei auf ihren Intellekt und ihr analytisches Denken und schalten ihr Herz aus. Doch gerade die leisen, subtilen Herzsignale sind bei Entscheidungsfindungen für die Zukunft so wichtig. Viele Führungskräfte nehmen sich nicht die Zeit, auf ihr Herz zu hören. Die Zeit, um eine ausgewogene Entscheidung reifen zu lassen, ist nicht vorgesehen. „Time is money" und stetiges Wachstum oberstes Ziel. Doch auch ein Apfel braucht Zeit, um zu reifen. Wird er zu früh gepflückt, schmeckt er nicht. Mitfühlende Führungskräfte verstehen das und geben sich selbst und anderen Zeit und Raum sich zu entfalten.

Leadership bedeutet Dienen und Hören
In meiner Beratungsarbeit ist es mir immer wichtig, leitenden Managern die Weisheit ihres Teams nahe zu bringen. Diese ist größer als die Weisheit eines Einzelnen. Durch das Gefühl der Verbundenheit im Team werden Möglichkeiten erschlossen, die aus der Perspektive eines Einzelnen nicht sichtbar sind. Und es geht mir darum zu verdeutlichen, dass echtes Leadership bedeutet, seinen Kollegen zu dienen. Das ist einer der wichtigen Aspekte Franziskanischen Leaderships. Franz sah sich als Dienenden und hat in dieser Weise geführt. Aus der Einstellung des Dieners erkennt man Talente seiner Mitarbeiter, die man vorher übersehen hatte – eine wichtige Erkenntnis für jeden Leiter. Dienendes Leadership erweckt das Potenzial jedes Einzelnen innerhalb des Teams. Franz von Assisi hat damit eine weltweite Organisation aufgebaut, die bis heute existiert, und höchste Bewunderung und Anerkennung erfährt. Von welcher heutigen Führungskraft wird man das in 500 Jahren sagen können?

Doch diese Art der Führung erfordert Mut, die ausgetretenen Pfade hierarchischen Handelns zu verlassen. Man muss Kritik einstecken und mit offenem Herzen und offenen Ohren wahrnehmen können. Solange in Politik und Wirtschaft das Erreichen von Quartalszielen und kurzfristigen Umfragewerten noch immer das Maß der Dinge ist, bleiben Eigennutz und selektiver Umgang mit der Wahrheit die Strategie des vermeintlichen Erfolges.

Persönlichkeit und Authentizität
Die größere Entfernung ist nicht der Weg von New York nach Neu-Delhi, sondern der von unserem Kopf zu unserem Herzen. Ohne diesen Abstand zu überbrücken, bleiben wir in den Beschränkungen unserer Gedanken gefangen. Um das Herz zu erleben, sollte man häufig die Stille aufsuchen. In der Stille zeigt sich auch, dass zwischen einem selbst, seinen Mitmenschen und der Erde eigentlich keine Trennung besteht. Diese Erkenntnis des Herzens schafft Raum im Kopf und damit Kraft für ein klares und weitsichtiges Management. Franz von Assisi wusste, wie wichtig die Stille und das Lauschen nach dem Herzen ist, denn der damit erfahrbare Innenraum gewährt neue Erkenntnisse und Zugang zur kreativen Weisheit. Besinnung und Selbsterkenntnis führen zu Authentizität und einem ganz persönlichen Führungsstil. Ein Leader, dessen Persönlichkeit dies ausstrahlt, hilft auch anderen, ihre Authentizität zu entwickeln. Die Gesellschaft hat einen Bedarf an dieser Art von Leadership. Mehr denn je. 

Brigitte van Baren studierte niederländisches Recht und gründete 1992 die Beratungsgesellschaft Inner Sense. Als Trainerin für Teamentwicklung erschuf sie eine Methode, wie Führungskräfte auf spielerische Weise ihre Management-Fähigkeiten verbessern können. Als Zen-Lehrerin konzentriert sie sich auf Fragen der Führung und der mentalen Fitness. Sie ist Autorin mehrerer Bücher, darunter „Die Kraft des Mitgefühls – Leadership im Geist des Franz von Assisi", das soeben in deutscher Sprache erschien.


Wirtschaft | Führung & Personal, 01.02.2017
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2017 - And the winner is... erschienen.
     
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