Lebenslänglich für Delphine - oder Rettung durch Zoohaltung?
Ein Interview mit Jürgen Ortmüller vom Wal- und Delfinschutz-Forum
Keine andere Tierart bewegt die Menschen so sehr wie Delphine. Seien es die Fernsehserie Flipper aus den 60er-Jahren, Begegnungen in Delphinarien oder beim Dolphin-Watching oder aber Berichte von Delphinen als Beifang riesiger Fischfänger. Doch wo sind die ethischen Grenzen im Umgang mit diesen faszinierenden Tieren? Die Ansichten darüber gehen zum Teil weit auseinander.
Nachfolgend lesen Sie das vollständige Interview mit Jürgen Ortmüller vom Wal- und Delfinschutz-Forum (WDSF).
Der in den meisten Delfinarien gehaltene Delfin ist der Große Tümmler, der laut der IUCN (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources) noch nicht vom Aussterben bedroht ist. Zum Schutz der Delfine tragen Delfinarien aufgrund der katastrophalen Haltungsbedingungen in den kleinen Betonbecken und Gehegen definitiv nichts bei. Lediglich durch den fragwürdigen Bildungsauftrag der Zoos, der in der Europäischen Zoorichtlinie für die EU vorgegeben ist, gibt es noch die beiden Delfinarien in Deutschland im Nürnberger Tiergarten und im Duisburger Zoo. Alternativ sieht die Zoorichtlinie das Auswildern von Exemplaren vor, welches bisher in der Europäischen Union noch bei keinem Tier realisiert wurde.
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Delphinen zu bieten, haben wir mehrere Interviews mit identischen Fragen geführt. Lesen Sie dazu die Interviews mit Dr. Dag Encke vom Nürnberger
Tiergarten sowie mit Ulrich Karlowski von der Gesellschaft zur Rettung der
Delphine und Wolfgang Rades von Loro Parque, Teneriffa. |
Als ich im Duisburger Delfinarium einen Delfintrainer fragte, warum er während der halbstündigen Show jeweils nur einen geringen Teil mit Erläuterungen über das natürliche Verhalten der Delfine in freier Wildbahn verwenden würde, sagte er mir lapidar, dass die Besucher das nicht hören wollten. In allen Delfinarien werden den Besuchern antrainierte Showkunststücke der Delfine gezeigt. In Freiheit würden Delfine zum Beispiel nicht über Hindernisse wie gespannte Seile und auch nicht über Fangnetze springen. Nur das Meer ist barrierefrei aber nicht die beengte Haltung in Delfinarien mit unnatürlichem antrainiertem Artverhalten. Dass in Duisburg bei fast jeder Show ein kleines Kind in einem Boot bei hoher Geschwindigkeit von einem Delfin durch das Becken gezogen wird, hat mit einem Bildungsauftrag nichts zu tun. Das gilt auch für das Nürnberger Delfinarien, wo sich Tierpfleger an den Flossen der Delfine durch das Becken ziehen lassen. Dies alles erinnert stark an die Shows in ausländischen Vergnügungsparks mit Delfinen.
Wie artgerecht kann die Haltung von Delphinen gestaltet werden?
Eine Gefangenschaftssituation kann niemals ein Habitat wie in der Freiheit der Meere simulieren, dort können die Delfine täglich bis zu 100 Kilometer schwimmen und erreichen Tauchtiefen von mehreren hundert Metern. In einem Delfinarium stehen ihnen in den Betonbecken oder Gehegen bestenfalls bis zu zwölf Meter Tauchtiefe zur Verfügung. Darüber hinaus sind Delfine während der meist mehrfach täglichen Shows einer Lärmkulisse oft durch Musikbeschallung und auch durch das Klatschen des Publikums ausgesetzt. Das Argument der beiden Zoodirektoren der Delfinarien in Nürnberg und Duisburg, dass die Tiere aus küstennahen Populationen stammen und nur einen geringen Platzbedarf hätten und nicht tief tauchen könnten, haben wir widerlegt.
Die ursprünglichen Fanggebiete der noch lebenden Wildfänge in den beiden deutschen Delfinarien in Kuba, Mexiko und Florida sind sehr unterschiedliche Lebensräume der Großen Tümmler.
Selbst die Flachwasserbereiche haben dort eine Tiefe von bis zu 40 Metern. Die Gesamtoberfläche des Golfs von Mexiko beträgt etwa 1.550.000 km², von denen das südliche Drittel in den Tropen liegt. Das Mexikanische Becken im Zentrum erreicht eine Tiefe von 4375 Meter. Dass die Duisburger Delfine, wie Zoodirektor Achim Winkler stereotyp behauptet, von Natur aus nicht tiefer als wenige Meter tauchen könnten, ist völlig unwissenschaftlich und soll offenbar lediglich eine Rechtfertigung für die kleinen und flachen Betonbecken sein.
Wie gut funktioniert die Nachzucht in Gefangenschaft?
In West-Europa ist es bis heute nicht gelungen, Delfine in der dritten Generation zu züchten. Die Sterberate in Gefangenschaft ist außergewöhnlich hoch und nicht nachhaltig. Von 29 Nachzuchten in Duisburg haben bisher seit 1978 lediglich acht Tiere überlebt, wobei fünf Fehlgeburten zu verzeichnen waren. Seit Beginn der Haltung von Walen und Delfinen im Jahr 1965 sind in Duisburg insgesamt mindestens 67 Tiere verstorben. Fast sämtliche 17 Nachzuchten des Nürnberger Tiergarten sind kurze Zeit nach der Geburt gestorben oder waren Totgeburten. Zehn Delfinbabys von Nürnberger Delfinweibchen überlebten seit 2004 nicht; inklusive drei verstorbener Nachzuchten von Delfinmüttern die aufgrund der Umbauarbeiten der "Delfinlagune" zu Zuchtzwecken in das holländische Delfinarium in Harderwijk transferiert wurden. Von einer erfolgreichen Nachzucht kann also keine Rede sein.
Unterscheidet sich die Lebenserwartung von Delphinen in Gefangenschaft und in der Wildnis?
Die Todesquote bei den Nachzuchten inklusive der Fehlgeburten liegt in Duisburg bei über 70 Prozent. und in Nürnberg bei rund 90 Prozent. Die Nachzuchtbemühungen sind daher definitiv nicht nachhaltig und können nicht mit der Wildnis verglichen werden, denn bei solch hohen Todesraten wären die Großen Tümmler im Meer bereits vom Aussterben bedroht. Delfine haben in freier Wildbahn eine Lebenserwartung von rund 40-50 Jahren (Quelle: NOAA's National Marine Fisheries Service), die im Durchschnitt in keinem Delfinarium weltweit erreicht wird.
Im Rahmen der Proteste gegen Delphinarien wird unter anderem die Gabe von Beruhigungsmitteln kritisiert – wie ist hier die Faktenlage?
Aufgrund von Gerichtsverfahren über zwei Instanzen durch das Wal- und Delfinschutz-Forum (WDSF) wurde der Zoo Duisburg letztendlich durch Gerichtsbeschlüsse mit vollständiger Kostenübernahme der Verfahren verurteilt, Akteneinsichten zur Delfinhaltung durch Internetveröffentlichtungen zu gewähren. Dadurch konnten wir feststellen, dass im Duisburger Zoo den Delfinen das Psychopharmaka Diazepam (Valium) und über 20 andere Medikamente und Mittel verabreicht wurden. Ebenso konnte die außergewöhnliche hohe Zahl an verstorbenen Meeressäugern nachgewiesen werden.
Im Tiergarten Nürnberg konnten wir durch Akteneinsichten aufdecken, dass fast alle Delfine fortlaufend Psychopharmaka, Antibiotika und zusätzlich über 30 andere Medikament erhalten haben.
In einem Zeitraum von weniger als fünf Jahren wurden insgesamt über 10.000 Milligramm Diazepam und zusätzlich über 1.000 Kapseln des Beruhigungsmittel Serenin verabreicht. Schwerpunktmäßig wurden dort zwei Delfine aus der ehemaligen Haltung des Heidepark Soltau behandelt, die sich nicht in die Hauptgruppe der Delfine in Nürnberg integrieren ließen.
Wir haben festgestellt, dass Delfine in Delfinarien regelmäßig mit Medikamenten am Leben erhalten werden.
Welche ethischen oder moralischen Prinzipien sollten Ihrer Meinung nach die Grundlage für die Haltung von Delphinen sein?
Es gibt für die Gefangenschaftshaltung von Delfinen keine ethischen oder moralische Prinzipien. Wir alle müssen uns heute die Frage stellen, ob Zoos und insbesondere die Delfinhaltung noch dem Zeitgeist entsprechen. Die Wissenschaft hat festgestellt, dass insbesondere Delfine in Freiheit über ein außergewöhnlich hohes Sozialverhalten und offenbar auch über eigene Kommunikationsmittel verfügen. In Delfinarien gibt es regelmäßig Rangkämpfe insbesondere zwischen Delfinmännchen. Im geschlechtsreifen Alter von etwa sieben Jahren werden nachgezüchtete Delfinmännchen regelmäßig in andere Delfinarien transferiert und das bestehende Sozialgefüge wird auseinandergerissen. In freier Wildbahn können Delfine in Spannungssituationen ausweichen, nicht jedoch in der beengten Betonbeckenhaltung.
Weltweit werden nach Angaben der Tierschutzorganisation „Born Free" in über 60 Ländern in 343 Einrichtungen mehr als 2.000 Delfine, 227 Beluga-Wale, 52 Orcas, 17 Schwertwale (Kleine Schwertwale) und 37 Schweinswale in Gefangenschaft gehalten. Seit das erste Delfinarium 1938 in den Marine Studios in Florida gegründet wurde, starben weltweit Tausende der Meeressäuger in Gefangenschaft. Immer wieder werden Todesfälle weltweit durch neue Wildfänge ersetzt. Die meisten der Tiere leiden an der Vereinsamung in Gefangenschaft. Durch die psychische Labilität, die nachweislich in den Zoos von Nürnberg und Duisburg mit Psychopharmaka behandelt wird, können Krankheiten aufgrund von Immunschwächen entstehen. Todesursachen sind meist Lungenentzündung, Magengeschwüre und Blutvergiftung; aber auch Fälle von Selbstmord sind bei Delfinen bekannt, indem sie bewusst ihre Atmung einstellen.
Delfine und Orcas sind und bleiben Wildtiere, auch in Gefangenschaft. Es sind weltweit etliche Fälle von Verletzungen durch die Meeressäuger in Gefangenschaft bei Menschen bekannt. Im Oktober 2007 und im Dezember 2009 beispielsweise wurde im Loro Parque auf Teneriffa eine Trainerin und ein Trainer durch einen Orca-Angriff schwer verletzt. Der Trainer starb später an den Verletzungen.
Im SeaWorld Orlando in Florida starb eine Trainerin im Jahr 2010, nachdem ein Orca sie unter Wasser gezogen hatte. Sämtliche Verletzungs- und Todesfälle von Trainern sind auf die unbändige Aggression der Wildtiere zurückzuführen, die sich erst in der trostlosen Gefangenschaft durch die beengte Becken- beziehungsweise Gehegehaltung entwickelt. In freier Wildbahn sind keine vergleichbaren Angriffe von Orcas auf Menschen bekannt.
Die meisten Delfine in Gefangenschaft müssen aufgrund von Nierenproblemen durch Magensonden künstlich mit Süßwasser versorgt werden, wie wir aktuell durch die Analyse der tiermedizinischen Berichte der Delfinarien in Nürnberg und Duisburg nachweisen konnten.
Einer der Hauptlieferanten von Delfinen ist das Walmuseum in Taiji (Japan). Dort werden jährlich Hunderte von Delfinen bei grausamen und blutigen Treibjagden getötet. Die schönsten Tiere werden vorab aussortiert und für bis zu 150.000 US-Dollar weltweit verkauft. Der Rest landet in japanischen Restaurants und Schulkantinen oder wird als Dosenfutter verwertet. Auch in Deutschland gab es in der Vergangenheit bereits Delfine aus den japanischen Treibjagden
In Deutschland gab es ursprünglich sechs Zoos, in Berlin, Gelsenkirchen, Hamburg, Landau, Neunkirchen und Münster und sechs Vergnügungsparks – Brühl, Groß-Gerau, Hassloch, Rust, Sierksdorf und Soltau – in denen Delfine gehalten wurden. Die Delfinanlagen wurden dort aufgrund hoher Todeszahlen und nach Tierschützerprotesten geschlossen.
Die verbliebenen Zoos in Nürnberg und Duisburg mit Delfinarien befürchten ganz offensichtlich Besucherrückgänge, wenn sie die Delfinhaltung beenden. So steht es ausdrücklich im Risikobericht der Duisburger Wirtschaftsprüfer. Allerdings war im Allwetterzoo in Münster nach der Schließung des Delfinariums im Jahr 2013, nachdem wir dort Mängel in den maroden Hallen aufgedeckt hatten, deren Behebung über 20 Millionen Euro gekostet hätte, eine steigende Besucherzahl festzustellen.
Delfinarien sind Auslaufmodelle. Das steigende Bewusstsein in der Bevölkerung insbesondere durch die Aufklärung in den letzten Jahren über die Umstände der katastrophalen Delfinhaltung wird letztendlich dazu führen, dass auch die beiden letzten deutschen Delfinarien schließen werden. Wir empfehlen, solche Zoos nicht mehr zu besuchen.
Herr Ortmüller, wir
bedanken uns für das Gespräch.
Jürgen Ortmüller ist alleiniger Gründer, Gesellschafter und
Geschäftsführer der seit 2008 als gemeinnützig registrierten
Tierschutzorganisation WDSF. Das WDSF wird von einem
wissenschaftlichen Beirat mit zwei Diplom-(Meeres-)Biologen und einem
habilitierten Hochschullehrer der Ruhr-Universität Bochum
(praktizierender Gymnasial-Biologielehrer) unterstützt.
Umwelt | Naturschutz, 01.08.2017
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2017 - Tierische Geschäfte erschienen.
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