Liste von Reserveantibiotika veröffentlicht
Ärzte und Umweltorganisationen drängen auf Ende des Antibiotikamissbrauchs in der Massentierhaltung
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat kurz vor dem G20-Gipfel in Hamburg eine Liste der für Menschen allerwichtigsten Reserveantibiotika veröffentlicht, die in der Humanmedizin benötigt werden, weil viele andere Antibiotika bereits versagen. Die WHO warnte zugleich davor, dass deren Einsatz in der Tierhaltung Resistenzen gegen diese Reserveantibiotika hervorrufen könne, die über die Lebensmittelkette und die Umwelt auch bis zum Menschen gelangten.
Ärzte- und Umweltorganisationen sehen die Bundesregierung in der Pflicht, sich beim G20-Gipfel in Hamburg dafür stark zu machen, Reserveantibiotika aus Tierfabriken zu verbannen. Die bisherigen G20-Beschlüsse reichten nicht aus, um diese Antibiotikawirkstoffe für die menschliche Gesundheit zu sichern und ihre Wirksamkeit zu erhalten.
Bislang beschlossen die G20-Agrarminister nur das Ende antibiotischer Wachstumsförderer in der Tierhaltung, wie es in der EU schon seit über zehn Jahren gilt, und eine Verschreibungspflicht für Human- und Tier-Antibiotika.
„Antibiotikaresistenzen sind eine ernstzunehmende Gefahr für Menschen, Tiere und die Umwelt. Es ist dringend erforderlich, dass die G20-Staaten ergänzend beschließen, Reserveantibiotika aus der Intensivtierhaltung zu verbannen, sowie alle Ziele mit Zeit- und Finanzplänen zu konkretisieren", fordert Susan Haffmans vom Pestizid Aktions-Netzwerk, PAN Germany.
"Aus Gesundheitssicht wäre der G20-Gipfel nicht mehr als ein Placebo, wenn die G20-Regierungen versäumen, Reserveantibiotika künftig ausschließlich der Humanmedizin vorzubehalten, wie von der Weltgesundheitsorganisation gefordert", mahnt Reinhild Benning von Germanwatch. "Weltweit droht der Antibiotikaeinsatz in Tierhaltungen um fast 70 Prozent zu steigen, wenn es keine wirksamen Beschlüsse und Maßnahmen dagegen gibt." In Tierfabriken in Deutschland und Europa würden immer mehr von denjenigen Antibiotika eingesetzt, die laut der WHO-Liste zu den letzten noch wirksamen Mitteln gehören, wenn es um lebensbedrohliche Infektionen bei Menschen geht. Der steigende Einsatz der Reserveantibiotika und der globale Fleischhandel erhöhten das Resistenzrisiko. Benning: "Lassen Regierungen die Ausbreitung resistenter Keime zu, dann tragen sie Mitverantwortung dafür, dass sich der Werkzeugkasten der Medizin zusehends leert."
"Auf der WHO-Liste stehen u.a. die auch in der Tierhaltung tonnenweise eingesetzten Cephalosporine der 3. und 4. Generation, Chinolone und Colistin. Für die Tierhalter ist es am besten, wenn alle G20-Regierungen gleichzeitig das Ende der Reserveantibiotika im Stall bis 2020 beschließen", sagt Dr. Peter Sauer, Sprecher der Ärzte gegen Massentierhaltung. Ein Großteil der Antibiotika im Tierstall komme nur zur Anwendung, weil die Zucht auf Höchstleistungen die Tiere krankheitsanfällig mache und damit schlechte Haltungsbedingungen kompensiert würden oder aus Gründen der Arbeitskraftersparnis in großen Tierhaltungen. „Leidtragende dieser Entwicklung sind die Tiere und der Mensch", so Dr. Sauer.
"In Regionen mit hoher Viehdichte sind nicht nur die Menschen stärker mit resistenten Keimen aus der Tierhaltung belastet, sondern auch die Umwelt. Die G20 muss unter Beweis stellen, dass sie dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung und nicht nur der Pharma- und Fleischindustrie dient. Nur ein Ende der Reserveantibiotika in Tierhaltungen dient dem Gesundheitsschutz", sagt Jens Wegener, von der Coordination gegen BAYER-Gefahren.
„Den Antibiotikaeinsatz in der industriellen Tiermast zu reduzieren und auf Reserveantibiotika ganz zu verzichten wird nur gelingen, wenn Politik und Lebensmittelbranche endlich einsehen, dass die extremen Mengen an billigem Fleisch bei derzeitigen Zuchtzielen und Haltungsbedingungen ohne Medikamenteneinsatz nicht erzeugt werden können" mahnt Dr. Claudia Preuß-Ueberschär vom Verein Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft. „Es kann aber nicht sein, dass Antibiotika als wichtigste Waffe gegen Infektionskrankheiten bei Mensch und Tier und damit die menschliche und tierliche Gesundheit aufs Spiel gesetzt werden, dass Tiere gequält, Tierschutz-Gesetze missachtet werden und die Kosten für die verursachten Umweltschäden der Allgemeinheit aufgedrückt werden" so Dr. Preuß-Ueberschär weiter.
Zur Umsetzung ambitionierter Ziele bei der Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen hierzulande fordern die Organisationen von der Bundesregierung, bei der Novelle des deutschen Arzneimittelgesetzes und der anstehenden EU-Tierarzneimittelnovelle dafür Sorge zu tragen, dass die Reserveantibiotika der WHO-Liste ab 2020 nicht mehr in Intensivtierhaltungen eingesetzt werden dürfen. Weitere Forderungen finden sich in einem gemeinsamen offenen Brief an Landwirtschaftsminister Schmidt vom September 2016.
Weitere Informationen
PAN Germany (2017): Antibiotika in der Tierhaltung. Wie lassen sich Umweltbelastungen reduzieren und Resistenzen vermeiden?
Kontakt: Reinhild Benning, Germanwatch | benning@germanwatch.org | www.germanwatch.org
Lifestyle | Gesundheit & Wellness, 05.07.2017
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