Kein Radtourismus ohne intelligente Mobilität
Neue Konzepte für den Alpenraum
Radfahren ist ein Megatrend und das Potenzial für den Radtourismus noch wenig erschlossen. Dennoch, der Boom allein ist noch kein Garant für den touristischen Erfolg.
Spätestens seit dem Winter 2016/2017 läuten in einigen Ferienregionen in den Alpen die Alarmglocken. Der unzuverlässige Winter, das sich ändernde Konsumentenverhalten und die neuen Wettbewerber im Osten machen aus der einstigen ‚Cashcow‘ Wintersport ein bestenfalls stagnierendes Geschäft. Die fieberhafte Suche nach Alternativen hat begonnen. Das Fahrrad scheint eine der naheliegenden Antworten zu geben, um die Zukunftsfähigkeit des Tourismus in den Alpen zu sichern.
Die perfekte Welle
Radtourismus hat durchaus das Potenzial, den Sommertourismus in den Alpen zu stärken. So zeigt die Hochrechnung einer Studie des Instituts für Regionalentwicklung der EURAC aus Bozen (2015) ein Marktpotenzial an Radurlaubern von etwa 70 Mio. Gästen aus den relevanten Kernmärkten.
Der Boom rund um das Thema Radfahren bewegt sich dabei an der Schnittmenge zu vier globalen Megatrends: Radfahren ist praktisch, stylish, gesund und ökologisch und gewinnt deshalb auch im Urlaub zunehmend an Beliebtheit. Es verbindet Sport und Freizeit, aber auch Mobilität und Genuss – ein geradezu perfekter Mix für ein gelungenes Ferienerlebnis. Infolge dessen setzen alpine Destinationen vermehrt auf das Pferd Radtourismus und Produktmanager sowie Marketingabteilungen sind intensiv damit beschäftigt, die eigene Ferienregion für die neue Zielgruppe attraktiv zu machen.
Boom mit Gefahren
Leider erweitern viele Touristiker ihren Blickwinkel noch zu wenig, um die Marktentwicklungen rund um das Thema Fahrrad richtig einzuschätzen. Sie landen mit ihren Konzepten relativ schnell in alten Denkmustern, die der aktuellen Marktdynamik nicht Rechnung tragen. Eine starre Einteilung in Rennrad, Mountainbike und Trekkingrad trägt beispielsweise nicht dazu bei, die Vielfalt der neuen Radtypen zu berücksichtigen und die entsprechenden Communitys anzusprechen. Gerade Innovationen und Subkulturen haben aber das Potenzial, in den sozialen Netzen für Viralität zu sorgen und so als Multiplikatoren das Eigenmarketing zu unterstützen.
Eine touristische Produktentwicklung und Marketingkommunikation, die sich ausschließlich am technisch definierten Einsatzbereich und austauschbaren Klischees bestimmter Fahrradkategorien orientiert – Mountainbiker sind die jungen Wilden, Rennradler die Ausdauertiere, Trekking-Biker die Senioren – läuft jedoch Gefahr, am Bedarf der Gäste vorbeizuplanen. So können millionenschwere Investitionen zum Beispiel in austauschbare Fun Parks schnell zu einem finanziellen Fiasko führen.
Innovationen kommen aus der Stadt
Für ein besseres Verständnis der Bike-Trends ist ein Blick über den alpinen Tellerrand hinaus hilfreich. Denn das Metronom der Marktentwicklung schlägt in den urbanen Ballungsräumen von San Francisco bis Tokyo, von Athen bis Oslo. Die traditionellen Kategorien lösen sich auf und der Markt wird zunehmend hybridisiert. Das Fahrrad ist nicht nur Freizeit- bzw. Sportgerät, sondern auch Mobilitätslösung und Lifestyle-Objekt. Die in den Alpen vorherrschende Interpretation des Fahrrads als reines Sportgerät blockiert die Entwicklung und Nutzung des Fahrrads als Teil des Mobilitätsangebotes in der Ferienregion. Und gerade hier gilt es anzusetzen. Das würde vielen Destinationen auch eine wertvolle Hilfestellung hin zur Verkehrsverlagerung bzw. Verkehrsvermeidung geben, denn Staus im Urlaub sind alles andere als ein positiver Beitrag zu einem gelungenen Erholungserlebnis.
Ganzheitliche Konzepte sind gefragt
Strategien für die Entwicklung des Radtourismus sollten auch die Anreise sowie die oben genannten Aspekte einer neuen Radkultur berücksichtigen. Ein Wachstum des Radtourismus ohne flankierende Maßnahmen zur Verbesserung der allgemeinen Radmobilität und der lokal verwurzelten Radkultur versprechen keinen nachhaltigen Erfolg. Erst durch die gekonnte Kombination von verschiedenen Maßnahmen kann sich eine Destination als erfolgreicher Vorreiter positionieren.
Dazu gehören eine attraktive Routenführung für Fahrradurlauber – eben nicht am Stadtrand in der Nähe des Gewerbegebietes – die Einbindung von wenig befahrenen Sekundärstraßen oder sichere und überdachte Parkboxen für Rad und Gepäck. Weitere wichtige Voraussetzungen für den Erfolg sind kombinierte Angebote für Bahn und Rad, Integration der Radmobilität in den regionalen ÖPNV, eine durchdachte Navigation und Beschilderung und die Sensibilisierung des motorisierten Verkehrs für Radfahrer. All das sind wichtige strategische Aktionsfelder, die für alle Radkategorien gleichermaßen Bedeutung haben. Ein Masterplan für die allgemeine und touristische Radentwicklung, für dessen Erfolg ein Schulterschluss zwischen Politik und Tourismus unabdingbare Voraussetzung ist, sollte als Grundlage für eine nachhaltige Tourismusstrategie entwickelt werden.
Neue Zielgruppen durch neue Technik
Mit Pedelecs und E-Bikes kann mancher alpiner Topografie ein Schnippchen geschlagen werden. Diverse Studien zeigen auf, dass damit neue Zielgruppen zum Radfahren motiviert werden können. Für die alpinen Regionen ein wahrer Segen, denn somit können potenzielle Radurlauber, die bislang nur an den Flussradwegen anzutreffen waren, möglicherweise auch für einen Aufenthalt in den Bergen begeistert werden. Bei einer Wachstumsrate in den vergangenen Jahren von fast 20 Prozent p.a. (Daten VDZ 2015) kann man davon ausgehen, dass E-Biker Teil der alpinen Gästestruktur werden. Es wäre aber sehr kurzsichtig, sich nur auf den Boom der wachsenden E-Bike-Community zu konzentrieren. Viele weitere Innovationen und Trends in den Rad-Communitys bieten interessante Ansätze, die eigene Region zu differenzieren, für den Sommertourismus zu internationalisieren und die Gästestruktur zu verjüngen. Fernrouten, Randonneur, Gravel Bikes, Bikepacking, self-supported Events, kommentierte Naturerlebnisrouten, solare Ladestationen und nachhaltige Gesamtgebote sind nur einige der Trends, um neue Impulse zu setzen.
Schulterschluss diverser Branchen ist gefragt
Aufgrund der erforderlichen infrastrukturellen Investitionen und des größeren Aktionsradius des Gastes und der Fragmentierung von Zielgruppen gilt es, die Kooperationskultur für erfolgreichen Radtourismus in der Destination zu verbessern. Die Zusammenarbeit der Tourismusakteure mit den übergeordneten politischen Entscheidungsträgern, mit den benachbarten Ferienregionen, mit Fachmedien, mit der Radindustrie und mit angrenzenden Branchen wie etwa den Energieversorgern, Transportanbietern und auch Naturschutzorganisationen ist entscheidend. Dabei sollte niemals vergessen, werden, dass die alpine Natur der eigentliche Grund ist, warum Gäste zum Radfahren in die Alpen kommen. Dieses Naturerbe darf nicht zugunsten kurzlebiger Strategien aufs Spiel gesetzt werden – vor allem nicht, wenn es um das Radfahren in (intakter) Natur geht.
Manuel Demetz ist leidenschaftlicher Radfahrer und Senior Consultant bei Helios, einer Agentur für nachhaltige Entwicklung und Kommunikation mit Büros in Bozen und München. Als Senior Researcher bei der EURAC Bozen hat er an verschiedenen Studien und Produktentwicklungen für Radtourismus in den Alpen mitgearbeitet.
Lifestyle | Sport & Freizeit, Reisen, 30.09.2017
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2017 - Tierische Geschäfte erschienen.
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