Eine gefährliche Kennzahl

Die Fokussierung auf die Eigenkapitalrendite schadet der Bankbranche mehr als sie ihr nützt

Aus der Finanzbranche waren in den letzten Wochen und Monaten selten erfreuliche Neuigkeiten zu vernehmen. Fast alle größeren Institute in Europa und den USA müssen Abschreibungen auf Schrotthypotheken amerikanischer Provenienz in noch vor kurzem undenkbarer Höhe vornehmen. Vielen Instituten hat dieser Umstand die Jahresbilanz 2007 ordentlich verhagelt, bei einigen führten die Abschreibungen sogar zu beträchtlichen Verlusten. Auch die UBS, das Flaggschiff des Finanzplatzes Schweiz, hatte schon einmal bessere Nachrichten zu verkündigen: Ein Jahresverlust von 4,4 Milliarden Schweizer Franken - umgerechnet 3 Milliarden EUR, ein Aktienkurs im freien Fall und der geplante Einstieg ausländischer Staatsfonds sorgen für Gesprächsstoff.

Dabei stellt sich die zentrale Frage: Wie kann es passieren, dass nicht einmal 10 Jahre nach dem Zusammenbruch der New Economy bereits die zweite Blase platzt, deren nahe liegendes Bersten bei nüchterner Betrachtung absehbar war? Beiden Blasen liegt ein banales Schneeballsystem zugrunde, das sich vom altbekannten Kettenbrief nur durch seine Tragweite unterscheidet. In der so genannten Dotcom-Ära um die Jahrtausendwende wurden Firmen mit klingenden Namen, die noch nie Gewinn abgeworfen hatten und über kein tragfähiges Geschäftsmodell verfügten, an der Börse plötzlich höher bewertet als solide und seit Jahrzehnten erfolgreiche Unternehmen mit mehreren tausend Beschäftigten.
Auch der aktuellen, so genannten Subprime-Krise, liegt ein vergleichbar unseriöses und durchschaubares Konzept zugrunde: Die massenweise Hypothekarkreditvergabe an von vornherein zahlungsunfähige Schuldner. Man muss kein Finanzmathematiker sein um zu erahnen, dass ein solches Verhalten über kurz oder lang schief gehen muss. Es funktioniert genauso lange, wie sich genügend Mitspieler finden, getrieben von der Gier nach schnellen und immer höheren Profiten.

Man kann sich auch fragen, wieso sich eine Bank wie die IKB, deren Geschäftszweck eigentlich in der Mittelstandsfinanzierung liegt, an verbrieften Forderungen gegenüber zahlungsunfähigen amerikanischen Häuslebauern verschluckt und nun mit Steuergeldern saniert werden muss? Oder wieso ein angeblich allein agierender Händler bei der Société Générale in der Lage war, einen Verlust von 5 Mrd. Euro einzufahren? Spontan mag einem dabei nur die Bemerkung "Gier frisst Hirn" einfallen!

Dies führt zu einer tiefer liegenden Fragestellung: Nach welchen Handlungsmaximen werden Finanzinstitute heute geführt? Und wie wird ihr Erfolg definiert und gemessen? Hier hat in jüngster Vergangenheit eine Kennzahl Karriere gemacht, deren isolierte Betrachtung gerade in der Bankbranche sehr gefährlich ist: die Eigenkapitalrendite. Sie setzt den erzielten Gewinn ins Verhältnis zum eingesetzten Eigenkapital und bemisst somit dessen Verzinsung.
Diese Kennziffer hat einige entscheidende Vorteile. Sie ist leicht verständlich, gut nachvollziehbar und einfach zu kommunizieren. Ausserdem suggeriert sie dem Investor, er könne den Erfolg seiner Investitionen - unabhängig vom gewählten Anlageobjekt - sehr einfach miteinander vergleichen. Dem stehen aber gerade in der Finanzbranche gravierende Nachteile gegenüber, insbesondere wenn die Erfolgsmessung auf die Eigenkapitalrendite verkürzt wird.

Deren Tragweite wird in der gegenwärtigen Krise deutlich sichtbar. Zum einen kann man jeden Quotienten von zwei Seiten her beeinflussen. Man erhöht das Ergebnis indem man entweder den Zähler vergrössert oder den Nenner verkleinert. Sprich man steigert den Gewinn oder verringert das Eigenkapital. Beides erhöht die Eigenkapitalrentabilität und beides haben Großbanken in den vergangenen Jahren getan. Die UBS hat durch den Rückkauf eigener Aktien zwischen März 2001 und September 2007 ihr Eigenkapital um fast 25 Milliarden Schweizer Franken verringert. Ohne diese Verringerung wären die traumhaften Eigenkapitalrenditen der vergangenen Jahre nicht möglich gewesen, wäre doch die Berechnungsbasis deutlich grösser ausgefallen. Ohne die massiven Rückkaufprogramme wäre aber auch der Einstieg ausländischer Staatsfonds in der gegenwärtigen Situation nicht nötig.

Zum Vergleich: Diese bringen 13 Milliarden CHF mit. Bei diesem Einstieg werden nicht nur Eidgenossen von einem unguten Gefühl beschlichen. Der Investor ist ein Staatsfonds aus dem Finanzzentrum Singapur, welches mit dem Finanzplatz Schweiz in direkter Konkurrenz steht. Ein Schelm, der Böses dabei denkt und dem Investor aus Fernost strategische Absichten unterstellt, wenn er sich einen bedeutenden Anteil am grössten Schweizer Finanzinstitut sichert. Der nach wie vor unbekannte zweite Investor aus dem arabischen Raum wirkt nicht gerade vertrauenserweckender. Wer würde wohl in seinem Haus einen Untermieter akzeptieren, der beharrlich die Preisgabe seiner Identität verweigert? Diese Unannehmlichkeiten hätte man sich ersparen können. Eigenkapital hat in einer Bank vor allem die wichtige Funktion des Risikopuffers zu erfüllen. Dies darf bei aller Renditeorientierung nicht vergessen werden.

Man mag nun einwenden, die Aktionäre hätten doch vom Rückkaufprogramm profitiert. Erstens sei dadurch der Aktienkurs deutlich gestiegen und zweitens hat sich so die Zahl der Dividendenempfänger verringert. Das stimmt nur auf den ersten Blick, denn seit vergangenem Sommer hat sich der Aktienkurs mehr als halbiert und der Einstieg neuer Investoren erhöht auch wieder die Zahl der Dividendenempfänger.

Eine Rendite, welche den so genannten risikolosen Zinssatz, also jenen für Staatspapiere höchster Bonität, übersteigt, ist immer auch mit einem höheren Risiko verbunden. Wer also eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent oder mehr propagiert, muss sich bewusst sein, dass eine solche nur über die Inkaufnahme höherer Risiken erreicht werden kann. Und so kommt es, dass ein angeblich allein agierender Händler durch das Eingehen immer waghalsigerer Wetten Milliardenverluste verursachen kann oder sich bei der IKB, weil die Mittelstandsförderung weniger margenträchtig ist, plötzlich amerikanische Schrotthypotheken im Portfolio finden.

Ein dritter Punkt ist der seit einigen Jahren stark zunehmende Trend zur Verbriefung. Dieses Vorgehen soll in der Theorie der Risikodiversifikation dienen. Doch es hat in der Praxis einen entscheidenden Nachteil: Insofern eine Bank vergebene Kredite nicht mehr in die eigenen Bücher nimmt, sondern in Paketen unterschiedlicher Grösse und Konsistenz zügig weiterverkauft, sinkt naturgemäss ihr Anreiz, die enthaltenen Risiken intensiv zu prüfen. Die Käufer dieser Pakete verliessen sich auf die Ratingagenturen, welche die Pakete beurteilten. Die Hoffnung, diese würden ihr Geschäft schon verstehen, hat sich mittlerweile als Trugschluss erwiesen. Ein wichtiger Anreiz, die eigene Bankbilanz möglichst schlank zu halten, liegt wiederum darin begründet, dass bilanzielle Aktiva aus Gründen der Risikovorsorge mit einer Mindestmenge an Eigenkapital unterlegt sein müssen. Jeder Mehrbedarf an Eigenkapital vermindert aber - und damit schliesst sich der Kreis - erst einmal die Eigenkapitalrentabilität. Die Risiken verschwinden dank ausgeklügelter vertraglicher Verpflichtungen durch ein solches Verhalten jedoch nicht automatisch. Sie sind nur weit weniger gut erkennbar, wie die aktuellen Vorfälle deutlich zeigen.

Es ist höchste Zeit, die Definition von Erfolg und die dazugehörigen Kennzahlen der Erfolgsmessung für die Finanzbranche zu hinterfragen. Ein erster Schritt wäre, die Eigenkapitelrendite zur "numerus non gratus" zu erklären. Andernfalls lässt die nächste - vorhersehbare - Krise nicht lange auf sich warten und Staatsfonds können sich ruhig zurücklehnen und auf weitere günstige Einstiegsgelegenheiten bei den Filetstücken der Finanzbranche hoffen.
 
 
Von Mathias Weis
 
 
 
Mathias Weis ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaft und Ökologie der Universität St. Gallen.

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Quelle:
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