Chemieindustrie - quo vadis?

REACH - Klimaschutz - Nachwachsende Rohstoffe


Fotolia © Jürgen Feldhaus
Von Erik Ammann

Zwei Drittel der Deutschen bewerten laut der jüngsten Studie des Verbandes der Europäischen chemischen Industrie (Cefic) von 2008 den Stellenwert der Branche positiv. Bekannt sind der Bevölkerung überwiegend die großen Marken der Weltkonzerne, obwohl diese gerade mal sieben Prozent der Chemiefirmen ausmachen. Über 90 Prozent der 2.000 deutschen Chemieunternehmen haben weniger als 500 Mitarbeiter. Diese Unternehmen beschäftigen ein Drittel der Chemiearbeitnehmer und erwirtschaften über ein Viertel des Umsatzes der deutschen Chemieindustrie. Da jedoch die Branchenschwergewichte eine Vorreiterrolle in Sachen Klima- und Umweltschutz einnehmen, befragte forum führende Branchenrepräsentanten zum Status quo ihrer Nachhaltigkeitsanstrengungen.


Fakten: Die Chemieindustrie
  • ist die viertwichtigste Branche in Deutschland und viertgrößter Chemieproduzent weltweit.
  • macht mit über 170 Milliarden Euro zehn Prozent des Umsatzes des verarbeitenden Gewerbes, nach der Automobilindustrie, dem Maschinenbau und der Metall- und Elektroindustrie.
  • ist ein wichtiger Arbeitgeber mit rund 440.000 Angestellten und Arbeitern, beschäftigt nachgelagert bei Zulieferern und Dienstleistern nochmals 500.000 Menschen.
  • exportiert jährlich Waren im Wert von rund 130 Milliarden Euro.
  • importiert Waren im Wert von rund 94 Milliarden Euro.
  • investiert in Sachanlagen jährlich bis zu sechs Milliarden Euro sowie in Forschung und Entwicklung über neun Milliarden Euro.
  • unterhält mehr als 40 Chemieparks, über zehn davon in Nordrhein-Westfalen, die größten in Frankfurt-Höchst und Leverkusen.
  • gab von 1995 bis 2004 26,4 Milliarden Euro für den Betrieb von Umweltschutzanlagen aus. Weitere vier Milliarden Euro investierte die chemische Industrie bis zum Jahr 2005 in den nachsorgenden Umweltschutz, beispielsweise in neue Filter oder Kläranlagen.
  • reduzierte ihre Treibhausgas-Emissionen zwischen 1990 und 2006 um rund 45 Prozent.
  • setzt mit zehn Prozent aller verbrauchten Rohstoffe auf nachwachsende Rohstoffe.

Quelle: VCI




Koordiniert werden die Aktivitäten seitens des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) im Rahmen der Responsible-Care-Initiative. Neben einer Verbesserung des Umweltschutzes und der Sicherheit von Chemieanlagen steht der verantwortliche Umgang mit Chemikalien angesichts globaler Handelsströme an erster Stelle.
Responsible-Care-Initiative:

Die weltweite Initiative der chemischen Industrie zum verantwortlichen Handeln wurde 1985 in Kanada gestartet. Sie steht für die beständige Verbesserung des Schutzes von Gesundheit und Umwelt sowie der Sicherheit von Mitarbeitern und Anwohnern unabhängig von gesetzlichen Vorgaben. Mittlerweile beteiligen sich Mitarbeiter und Unternehmen der Chemie weltweit in 53 Programmen an "Responsible Care".
Die europäische Chemikalienverordnung REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) und das "Global Harmonisierte System zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien" (GHS) der Vereinten Nationen bilden die Grundlage einer europäischen beziehungsweise weltweiten Vereinheitlichung bestehender nationaler Systeme. Das bringt die Branche in Zugzwang, Giftstoffe besser zu deklarieren. Fragen zur Sicherheit von Chemieprodukten bleiben damit nicht mehr auf das Herkunftsland beschränkt.

"Deshalb engagieren wir uns in der sogenannten Global Product Strategy (GPS), einer Initiative des Weltchemieverbandes ICCA, mit der sich die Unternehmen der chemischen Industrie weltweit zu einer vergleichbaren und umfassenden Produktverantwortung verpflichten", so VCI-Hauptgeschäftsführer Dr. Utz Tillmann. "Mit GPS werden wir das Niveau der Produktsicherheit weltweit verbessern und angleichen. Wir verringern auf diese Weise die beträchtlichen Unterschiede zwischen Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländern, was zu mehr Sicherheit und einem faireren Wettbewerb führt und so ein wichtiger Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit ist", führt Tillmann weiter aus.

REACH

Die europäische Chemikalienverordnung REACH wird die Branche noch bis ins Jahr 2018 beschäftigen. Ziel der Verordnung ist es, Verbraucher und Arbeitnehmer vor der Einwirkung von Giftstoffen besser zu schützen (s. Kasten). Nach jetzigem EU-Recht gibt es 15 Gefahrenmerkmale, wie etwa ätzend, sehr giftig oder leichtentzündlich. Die europäische Chemikalienagentur (ECHA) hat im vergangenen Jahr in der ersten Phase mehr als 2,75 Millionen Vorregistrierungen von ungefähr 145.000 Rechtspersonen empfangen. So hat allein die BASF, als eines der am stärksten von REACH betroffenen Unternehmen, 40.000 Vorregistrierungen eingereicht. Ohne die Meldung in das REACH-IT-System der ECHA hätten viele Chemiefirmen wie die BASF ihre Stoffe mit dem Jahreswechsel nicht mehr in den Verkehr bringen dürfen. Das bestätigt auch die Bayer AG. "Durch die fristgemäße und vollständige Vorregistrierung der Produkte haben wir deren Vermarktung gesichert", erklärt Dr. Wolfgang Große Entrup, Leiter des Konzernbereichs "Umwelt & Nachhaltigkeit" der Bayer AG. Den Stellenwert von REACH für die Branche bekräftigt auch Dr. Uwe Wolfmeier, zuständig für Produktsicherheit beim Spezialchemikalienhersteller Clariant: "Wir verfügen über ein breites Produktportfolio, wobei Produkte aus Zubereitungen bestehen, die wiederum aus mehreren oder sogar dutzenden von Stoffen zusammengesetzt sind. Dies allein ist für eine Erhebung eine Herausforderung. Hinzu kommt, dass wir jede in REACH vorgesehene Rolle spielen: Hersteller, Importeur, Alleinvertreter und nachgeschalteter Anwender. Überdies sind wir weltweit aktiv mit einer entsprechenden Anzahl an Niederlassungen und Repräsentanzen. Aus diesem Grund war die Datenerhebung zur Stoffinventarliste nicht trivial. Mit Hilfe einer extrem umfangreichen "Environment, Health and Safety"-Datenbank verfügt Clariant allerdings über eine sehr gute Basis, die Konformität mit GHS und REACH sicherzustellen", so Dr. Wolfmeier. Ergänzend fügt Dr. Große Entrup zur REACH-Strategie von Bayer hinzu: "Zukünftig wird sich Bayer mit seinen Wettbewerbern in verschiedenen Fachgruppen über die vorhandenen Daten austauschen und Konsortien gründen, um die Einreichung der Registrierungsunterlagen zum 1. Februar 2010 zu gewährleisten."

REACH-Basics

"REACH - was geht uns das an? Wir stellen doch keine Chemikalien her." oder "Metalle sind doch bei REACH nicht dabei..." hört man noch immer vielerorts. REACH wurde lange Zeit rein als Chemikalienverordnung betrachtet. Doch weit gefehlt. REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) ist zwar eine Verordnung, die Stoffe, Zubereitungen und Erzeugnisse betrifft, jedoch:

Letztlich ist alles Chemie
Dies ist der Punkt, an dem REACH alle Unternehmen einholt. Gleich welche Stoffe oder Zubereitungen als Produkte, Hilfs- oder Betriebsstoffe genutzt werden - bei Kühlschmierstoffen, dem Einsatz von Reinigungsmitteln oder Säuren, Laugen und Legierungen oder komplizierten organischen Molekülen gilt stets die europäische Chemikalienverordnung.
Registrierungspflichtig ist, wer herstellt oder importiert. Mit Import ist gemäß REACH nicht die Einfuhr aus Frankreich oder den Niederlanden gemeint, sondern aus "Nicht-EU-Ländern", wie beispielsweise der Schweiz.

Registrierungspflicht oft unbekannt
Sind Sie sich Ihrer Rollen unter REACH in jedem Fall sicher? Je nachdem, wie der Händler agiert, von dem man kauft, kann man selbst schnell zum Importeur werden, ohne es bisher mitbekommen zu haben.

Folgen bei Nichtbeachtung - schon der Versuch ist strafbar
Auch in der Rolle des normalerweise nicht registrierungspflichtigen "nachgeschalteten Anwenders" darf man keine Substanzen in den Verkehr bringen, die nicht vorregistriert wurden. Die Vorregistrierung lief vom 1. Juni bis zum 1. Dezember 2008. Hintergrund dafür ist der Grundsatz "Keine Daten - kein Markt". Ein Verstoß dagegen wird sehr scharf geahndet. Bereits der Versuch ist strafbar. Das kann bis zu zwei Jahre Haft und 50.000 Euro Geldbuße bedeuten.
Es ist also ratsam, sich rechtzeitig und gründlich um REACH zu kümmern, um die Markt- und Lieferfähigkeit des eigenen Betriebs zu erhalten und damit die Zukunft des Unternehmens zu sichern.

Ziele von REACH
Mit Hilfe von REACH soll ein erhöhter Gesundheits- und Umweltschutz über eine Verbesserung der Datenlage in den Sicherheitsdatenblättern erreicht werden. Ungefähr 80 Prozent der Sicherheitsdatenblätter auf dem Markt sind mangelhaft. Aufgrund der nicht vorhandenen Daten kann derzeit niemand ausreichend seine Pflicht zur Erstellung von Gefährdungsbeurteilungen erfüllen, beispielsweise in der Produktion, während der Mitarbeiter mit gefährlichen Stoffen in Berührung kommen. Zu einer Gefährdungsbeurteilung sind jedoch Unternehmer unter anderem gemäß Arbeitsschutzgesetz, Betriebssicherheitsverordnung verpflichtet.


Reach-Basics erstellt mit freundlicher Unterstützung durch:
Dipl.-Wirtsch.-Ing. Marion Stühler,
Gründerin des Beratungshauses Stuecon

Sie ist seit über zehn Jahren als Beraterin, Referentin und Coach aktiv und verfügt über ausgezeichnete Netzwerke in den Bereichen REACH, GHS, Arbeitssicherheit, Elektrosicherheit, Umweltschutz und Unternehmenssicherheit. 

Weitere Termine und maßgeschneiderte Inhouse-Workshops auf Anfrage und unter www.stuecon.de




Klimaschutz

Die Reduzierung von CO2 steht für die Branche an vorderster Stelle und wird auf europäischer Ebene vom Branchenverband Cefic vorangetrieben. "Unser Ziel ist es, bei Produkten und Anwendungen über den gesamten Lebenszyklus hinweg mehr Energie einzusparen als bei der Produktion dafür aufgewendet wurde", erklärt Dr. Joachim Krüger, Koordinator des Cefic-Klimaprogrammes. Jedoch ist die Einsparung von Energie auch ganz im Eigeninteresse der Chemieunternehmen. Mit zehn Prozent einer der Hauptverbraucher des deutschen Industriestroms ist die Branche auf günstige Strompreise angewiesen.

Der Handel mit Verschmutzungsrechten wird hingegen Extrakosten verursachen. Ab 2012 wird es für eigene Emissionen, die im Wege der Chemikalienproduktion entstehen, keine Gratiszertifikate mehr geben. "Der Klimawandel ist eine der zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen", betont deshalb Dr. Ulrich von Deessen, Klimaschutzbeauftragter der BASF. Die Ludwigshafener haben über das unternehmensweite Strategieprogramm "BASF 2015" das Thema Nachhaltigkeit verankert, 2008 legten sie die weltweit erste umfassende CO2-Bilanz eines Industrieunternehmens vor. Untersucht wurden darin die Lebenswege von 90 repräsentativen Produkten, durch deren Einsatz in Endprodukten der Ausstoß von CO2 verringert wird. Weiterer Bestandteil des Konzepts ist die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in alle Stufen der Wertschöpfungskette, beispielsweise mithilfe der Ökoeffizienzanalyse von Produkten und Prozessen.

Ähnlich ambitionierte Ziele verfolgt man bei Bayer in Leverkusen. Eine Milliarde Euro investiert man dort bis 2010, um den Klimaschutz konzernintern weiterzuentwickeln und entsprechende Projekte voranzutreiben. "Die Optimierung der eigenen Produktionsanlagen erfolgt über den 'Bayer Climate Check'. Dabei handelt es sich um eine von Bayer entwickelte Methodik, mit der wir aktuell weltweit 100 Produktionsanlagen auf Potenziale zur Energieeffizienz prüfen. Wir entwickeln zudem neue Produktionsverfahren, mit denen bis zu 60 Prozent weniger Energie verbraucht wird. Erste Ergebnisse belegen, dass trotz unseres hohen technischen Standards Emissionsminderungen von fünf bis zehn Prozent möglich sind", resümiert Dr. Große Entrup. Noch nicht ausgereizt sind beispielsweise die Möglichkeiten bei Elektrolyseverfahren wie der Salzsäure- oder Chloralkalieelektrolyse, mit der in Deutschland allein 4,5 Millionen Tonnen Chlor pro Jahr hergestellt werden. Die dazu benötigte Energie erzeugt CO2-Emissionen von rund zehn Millionen Tonnen. Eine bei Bayer entwickelte Sauerstoffverzehrkathode optimiert gleich beide Verfahren. Durch den Einsatz der innovativen Technologie sind Energieeinsparungen von circa 30 Prozent möglich.

Auch bei LANXESS arbeitet man daran, die Energie- und Stoffstrombilanz laufend zu optimieren. Wie sich das in Produkten niederschlägt, illustriert die Entwicklung des "Grünen Reifens": "Als einer der weltweit führenden Hersteller von Synthesekautschuken liefern wir Produkte für High-Performance-Reifen, die einen deutlich geringeren Rollwiderstand aufweisen. Dies ist ein bedeutsamer Beitrag zur Verringerung von Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen", betont Dr. Paul Wagner, Leiter der Group Function Innovation der LANXESS AG. Am brasilianischen LANXESS-Standort Porto Feliz zeigt sich, wie sich Stoffstrommanagement auszahlt. Aus einem bisherigen Abfallstoff der Zuckerherstellung, der sogenannten Bagasse, wird mittels Kraft-Wärme-Kopplung Dampf und Elektrizität CO2-neutral produziert. Das heißt, es wird nur soviel CO2 frei gesetzt, wie die Zuckerrohrpflanzen zuvor beim Heranwachsen aufgenommen haben. Ein weiteres Kernprojekt der LANXESS AG ist die neue Lachgasreduktionsanlage am Standort Krefeld-Uerdingen. Damit will man das im Produktionsprozess anfallende äußerst schädliche Lachgas vollständig neutralisieren. "Zusammen mit einer bereits vorhandenen Anlage werden je nach Auslastung der Produktion fünf bis zehn Millionen Tonnen CO2-Äquivalente jährlich zersetzt", ergänzt Dr. Wagner.

Auch DuPont sorgt sich um das Klima und setzt daher konsequent auf den Einsatz von Erneuerbaren Energien. "Bis 2010 wollen wir zehn Prozent unseres weltweiten Energiebedarfs mittels Windenergie, Photovoltaik und Biomasse zu wettbewerbsfähigen Preisen decken", erklärt Hans-Jürgen Huber, Geschäftsführer der DuPont in Deutschland. Ende 2007 lag der Anteil Erneuerbarer Energien beim US-Konzern bei 5,9 Prozent. In Deutschland bezieht DuPont am Standort Hamm-Uentrop Strom aus einem Biomassekraftwerk und setzt in Neu-Isenburg auf Contracting-Modelle, wodurch der Energieverbrauch um ein Drittel gesenkt werden konnte.

"Sustainable Chemistry ist für Dow ein zentraler Bestandteil der Unternehmensstrategie", erläutert Dr. Ingrid Herzog, Director Government Affairs bei Dow Deutschland. Im Rahmen seiner Nachhaltigkeitsziele hat sich der US-Konzern vorgenommen, bis 2015 technologische Durchbrüche auf Gebieten wie Klimawandel, Wasser- und Nahrungsmittelversorgung, Wohnraum oder Gesundheit zu erzielen. Das Unternehmen hat einen Sustainable Chemistry Index entwickelt, der Produkte danach klassifiziert, wie hoch ihr Gehalt an erneuerbaren oder recycelten Materialien ist. Ebenfalls relevant sind Kriterien wie die Verfügbarkeit und das effiziente Management von Rohstoffen, Produktions- und Vertriebssicherheit, Anwendung und Entsorgung. "Wir arbeiten daran, unsere Produkte und Produktionsverfahren immer energie- und ressourceneffizienter zu gestalten", erklärt Dr. Herzog. "Energie sparen wir beispielsweise, indem wir Haushaltsabwässer aus Nachbargemeinden beziehen, um sie für die Dampferzeugung aufzubereiten."

Nachwachsende Rohstoffe statt Erdöl

Öl ist infolge der drohenden Rezession mit einem Preis von 45 US-Dollar pro 155-Liter-Fass Nordseeöl günstig wie nie zuvor, allerdings mit steigender Tendenz. Angesichts eines Investitionsaufwandes von rund 350 Milliarden US-Dollar jährlich in Exploration und Infrastruktur und einer Verfügbarkeit des Rohstoffes von maximal noch 45 Jahren, wie die Wiener Internationale Energieagentur schätzt, ist jedoch die phasenweise Umstellung der Branche auf postfossile Chemie eine Notwendigkeit.

Atomic's Renu ist der erste Skischuh
aus nachwachsenden Rohstoffen. Er wird aus
Biokunststoff, Baumwolle und Bambusfasern hergestellt.
© Atomic Austria GmbH
Schließlich ist die erdölbasierte Produktion von Chemikalien energieintensiv und die Beimischung von nachwachsenden Rohstoffen bei der Herstellung von Basischemikalien bei einem anziehenden Ölpreis bald wettbewerbsentscheidend. Laut Daten der Cefic verbraucht die Petrochemie 30 Prozent der weltweiten Energie, wobei mehr als die Hälfte davon durch den Einsatz des Rohstoffes Erdöl gewonnen wird. Besonders weit ist man bereits bei Kunststoffen auf Basis von Stärke, Zucker, Cellulose und pflanzlichen Ölen mit denen Bio-Matratzen, Bio-Fußbodenbeläge oder "grüne" Turnschuhe hergestellt werden. Allerdings ist der weltweite Marktanteil von nicht einmal drei Prozent noch verschwindend gering.

Stellvertretend für die neuen "grünen Kunststoffe" steht beispielsweise das Produkt NatureWorks, das von Cargill und Teijin aus pflanzlichen Rohstoffen produziert wird. Die Besonderheit daran: Der Biokunststoff lässt sich breit einsetzen. Vom Kleidungsstück bis zum Teppich, von der Windel bis zu Klarsichtfolien und Verpackungen können unterschiedlichste Produkte aus NatureWorks hergestellt werden. In Deutschland werden damit auch Kopfkissen befüllt. Das Material ist kompostierbar, allerdings nur unter besonderen Bedingungen wie großer Hitze und Feuchtigkeit. Umweltaktivisten kritisieren allerdings, dass man bei der Produktion gentechnisch veränderten Mais einsetzt und sich dank des modernen Ablasshandels die CO2-Emissionen schön gerechnet hat, um NatureWorks als CO2-frei zu kennzeichnen.

Handyschale aus Bioplastik:
Nokia Handy 3110 Evolve
© Nokia AG

Da die Biopoly- und Monomere in Konkurrenz zu den petrochemischen Kunststoffen stehen, die viel kostengünstiger hergestellt werden können, müssen die neuen Werkstoffe hinsichtlich ihrer Vermarktbarkeit durch zusätzliche Besonderheiten punkten, wie der biologischen Abbaubarkeit oder der maßgeschneiderten Einsetzbarkeit der Produkte. So beruht das Polyamid 6.10 der BASF zum Teil auf nachwachsenden Rohstoffen und ist im Vergleich zum klassischen Polyamid 6 dimensionsstabiler sowie chemikalienresistenter. Daher ist es ein interessantes Material zum Beispiel für Automobilsensoren, die sich im Bereich des Spritzwassers befinden. "Als Kunststoff-Spezialität ist es aber teurer als Polyamid 6", so Dr. Arnold Schneller, der bei der BASF zu Biopolymeren forscht.

Bei Bayer Material Sciences haben Forscher Polyurethane auf Basis pflanzlicher Ausgangsprodukte wie Glyzerin, Zucker oder Rizinusöl entwickelt. Auf Grundlage des Öls aus dem Samen des afrikanischen Wunderbaumes produziert Bayer seit einiger Zeit Polyurethane für Autositze, Fußböden oder Matratzen. Darüber hinaus haben die Experten von Bayer einen Prozess entwickelt, um auch andere Pflanzenöle wie Raps- oder Sojaöl zu Kunststoffkomponenten mit maßgeschneiderten Eigenschaften zu verarbeiten. Das "grüne" Material wird unter anderem in Schaumstoffen zur Gebäudeisolierung verwendet, die so bereits einen Anteil von zehn bis 15 Prozent an nachwachsenden Rohstoffen enthalten. Neben den bereits erwähnten haben die Bayer-Chemiker noch andere Bio-Ausgangsstoffe im Blickfeld. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei dem Lignin, einem weitgehend ungenutzten Abfallprodukt in der Papierindustrie. Dieses Biopolymer macht etwa 20 bis 30 Prozent der nicht-fossilen Kohlenstoffverbindungen auf der Erde aus und wäre somit eine fast unerschöpfliche Rohstoffquelle. Die Forschungen dazu befinden sich jedoch noch in den Anfängen.

Fazit: Die Branche hat ihre Hausaufgaben und die ersten Schritte in Sachen Klimaschutz gemacht. Das in der Verpflichtungserklärung des VCI formulierte Ziel, die relevanten Treibhausgase bis 2012 um 45 bis 50 Prozent gegenüber 1990 zu senken, wurde 2006 mit einem Emissionsrückgang von 46 Prozent erfüllt.

Dennoch bleibt viel zu tun, denn gerade in der Entwicklung von Biopolymeren aus nachwachsenden Rohstoffen steckt ein enormes Potenzial.

Mehr Infos zu Biopolymeren unter:

www.nachwachsende-rohstoffe.info
www.wip-kunststoffe.de
www.faktor-x.info
www.european-bioplastics.org

Quelle:
Wirtschaft | Branchen & Verbände, 08.04.2009
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2009 - Unternehmen im Gesundheitscheck erschienen.
     
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