Zukunftsmarkt und erfolgreiche Fairgangenheit

40 Jahre fairer Handel

Im Mai 2010 konnte der Faire Handel auf eine 40-jährige Geschichte zurückblicken. Aus Aktionen wie "Jute statt Plastik" und dem ersten fair gehandelten Nicaragua-Kaffee profilierte sich eine intensive Solidaritätsbewegung mit immer mehr Weltläden und Produkten, die schließlich die Supermärkte eroberten. Inzwischen hat sich der Faire Handel als eine starke Marktbranche etabliert - mit Zuwachsraten im zweistelligen Bereich.

Mit der Aktion "Indio-Kaffee" aus Guatemala und dem Verkauf eines weltmarktrelevanten Verbrauchsprodukts konnte die junge Fair-Handels-Bewegung ab 1973 politischer werden und mehr Menschen erreichen.
Foto: © GEPA
Ausgangspunkt dieser Erfolgsgeschichte wirtschaftlich orientierter globaler Solidarität waren die Hungermärsche der Jugendverbände am 23. und 24. Mai 1970. Die katholischen und evangelischen Jugendverbände wollten die damalige entwicklungspolitische Begeisterung der jungen Generation weiter befördern und riefen die "Aktion Dritte Welt Handel" ins Leben. Jugendgruppen organisierten Verkaufsaktionen und informierten dabei über die Entwicklungsprobleme der Dritten Welt. Mit der Aktion "Indio-Kaffee" aus Guatemala und dem Verkauf eines weltmarktrelevanten Verbrauchsprodukts gelang es den Gruppen ab 1973, politischer zu werden und mehr Menschen zu erreichen. Bald darauf entstanden mit GEPA (1975) und El Puente (1978) die ersten Importunternehmen, die als "wirtschaftlicher Arm der Aktion" die wachsende Zahl an Gruppen und die ersten Weltläden mit Waren versorgten.

"Aktion Dritte Welt Handel"
Öffentliche Aufmerksamkeit größeren Ausmaßes wurde mit der Aktion "Jute statt Plastik" 1978 erreicht: Jutetaschen - später auch Alpaka-Textilien - wurden zum Inbegriff eines alternativen Lebensstils. Entwicklungspolitik und ökologische Herausforderungen wurden in Beziehung gesetzt. Und durch die linksgerichtete Revolution der Sandinisten entwickelte sich der Nicaragua-Kaffee zu einem politischen Bekenntnis und zum Symbol einer neuen Gesellschaftsordnung. Der nun so genannte "Alternative Handel" wuchs sprunghaft und neue Organisationen wie die heutige dwp eG in Oberschwaben wurden gegründet.

Hatte man bislang darauf gesetzt, alternative Parallelstrukturen zum kommerziellen Handel aufzubauen, so kam Ende der 1980er Jahre eine neue Idee auf: Könnten nicht viel mehr Menschen erreicht werden, wenn man mit dem "normalen" Handel zusammenarbeiten würde? Einzelne Testverkäufe in Lebensmittelmärkten fanden sehr große Resonanz und führten 1992 zur Gründung des TransFair-Siegels (heute: Fairtrade-Siegel). Fortan bekam das Kind den Namen "Fairer Handel".

"Jute statt Plastik" war der Slogan einer ganzen Generation engagierter Jugendlicher und Studenten. Heute erfreuen sich langlebige Tragetaschen selbst in Discountern großer Beliebtheit.
Foto: © GEPA
Fair-Handels-Bewegung
Dank des überwältigenden Presseechos für TransFair wuchsen auch die Umsätze der Weltläden. Zugleich spornte die neue Konkurrenz zur Profilierung an. Mit einer Professionalisierungsstrategie arbeiteten die ehrenamtlich geführten Weltläden kontinuierlich an ihrem Image und ihrem Service. Ihnen war klar geworden: Nur wenn Menschen gerne die Weltläden aufsuchen, wird man ihnen dort entwicklungspolitische Themen näher bringen können.

Ab Mitte der 1990er Jahre wurde vor allem das Produktsortiment weiterentwickelt: Weiterverarbeitete Produkte wie Schokolade boten zusätzliche Absatzchancen und halbindustrielle Waren (z.B. Bälle) ermöglichten die Teilhabe neuer Produzentengruppen. Zahlreiche politische Kampagnen wurden lanciert: Ob Bananenkampagne gegen die EU-Verordnung, "Made in Dignity" zugunsten menschenwürdiger Arbeitsbedingungen oder die Ernährungssouveränität der Entwicklungsländer - kein entwicklungspolitisches Thema war den Weltläden zu kompliziert, um es auf die Straße zu tragen oder ins Schaufenster zu stellen.

Fair im Supermarkt
Mitte des zurückliegenden Jahrzehnts erhielt der Faire Handel erneut Aufschwung durch Supermarktketten und sogar Discounter. Zuerst rief Lidl mit der Eigenmarke "Fairglobe" kontroverse Debatten hervor. Danach folgten andere, die Fairtrade-Produkte einlisteten oder Einzelartikel ihrer Bio-Eigenmarken auf "fair" umstellten.

Zudem konnte TransFair seine Siegelvergabe auf neue Produktgruppen wie Wein und Baumwolle ausdehnen und kontinuierlich neue Lizenznehmer gewinnen. Besonders im Bio-Handel findet der Faire Handel viel Beachtung. Jährliche Zuwachsraten im (teils mittleren) zweistelligen Bereich kennzeichneten die vergangenen fünf Jahre. Und in den nächsten Jahren ist damit zu rechnen, dass - wie bereits in anderen Ländern - große weltbekannte Kaffeeröstereien und Süßigkeitenhersteller Produkte mit dem Fairtrade-Siegel anbieten werden.

Seit 40 Jahren werden gerechte Handelsbeziehungen gefordert. Dazu zählen menschenwürdige und ökologisch verträgliche Arbeitsbedingungen, sowie existenzsichernde Preise und Löhne.
Foto: © Misereor
Kehrseiten der Entwicklung
Diese Entwicklung ist erfreulich und kritisch zugleich. Fair-Handels-Organisationen stehen für einen partnerschaftlichen Handel und langfristige Entwicklungsförderung. Sie sind nicht nur am Verkauf der Produkte, sondern auch an Entwicklung und Veränderung bei ihren Partnern interessiert. Flexibilität im Sinne der Entwicklungsförderung statt strikter Erfüllung von Siegelkriterien kann also eine Stärke sein - auch wenn das Fairtrade-Siegel zu den höchsten Standards in Sachen Sozialzertifizierung zählt und durch ein eigenes ISO-Zertifikat hohe Verlässlichkeit garantiert.

Auf der anderen Seite ist es die Siegelorganisation TransFair e.V., die wichtige Wirtschaftsakteure ins Boot holt und damit den Fairen Handel in die Breite der Gesellschaft und des Markts hineinträgt. Dass mit Siegelmarketing eine gesellschaftliche Basisalphabetisierung in Sachen fairen Wirtschaftens gelingen kann, mag zwar für politisch orientierte Aktivisten zu kurz greifen, zeigt aber die realistischen Möglichkeiten im Massenmarkt.

Kritisch zu begleiten ist besonders der Einstieg von globalen Konzernen in den Fairen Handel. Dies nicht aus konzernkritischen Motiven heraus, sondern weil kleine, "benachteiligte" Produzentenorganisationen in der Gefahr stehen, von den Bedürfnissen eines Fairtrade-Massenmarktes verdrängt zu werden. Fairer Handel wurde ins Leben gerufen, um gerade benachteiligten Kleinproduzenten am Markt eine Chance zu geben. Dafür muss er auch mit der Auswahl seiner Produzenten einstehen.

Langes Haar und einen langen Atem brauchten die Pioniere des gerechten Handels, die sich kontinuierlich die Märkte eroberten. Kunsthandwerk ist traditioneller Bestandteil des
fairen Produktangebots.
Foto: © Misereor
Mehrwert für die Produzenten
Wirksamkeit und Verlässlichkeit der Leistungen für die Produzenten sind das höchste Gut des Fairen Handels. Und es kommt darauf an, dass diese im Dienst von Entwicklungsförderung stehen und Selbsthilfekräfte stärken.
  • Fairer Handel unterstützt dies insbesondere durch
  • die Sicherstellung menschenwürdiger und ökologisch verträglicher Arbeitsbedingungen,
  • die Bezahlung gerechter und stabiler Preise, die die Produktionskosten decken und Investitionen ermöglichen,
  • die Bezahlung von Zuschlägen für soziale Entwicklung, so dass das Gemeinwohl gefördert und Wohlstandsinseln begrenzt werden,
  • langfristige, verlässliche und möglichst direkte Handelsbeziehungen, welche ausbeuterische und spekulative Strukturen umgehen,
  • Beratung, um die Marktfähigkeit der Produkte zu gewährleisten,
  • die Erschließung von Vermarktungswegen, um einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden, sowie
  • die Teilvorfinanzierung der Lieferungen, um die Last mangelnder Kapitalausstattung nicht einseitig den benachteiligten Produzenten aufzubürden.

Mit diesen Grundsätzen verfügt Fairer Handel über ein enormes marktkritisches Potential, durch das sich viele Akteure in Wirtschaft und Politik hinterfragen lassen müssen. Für diese Hinterfragung sorgen auch Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich beim Einkaufen am Projekt Fairer Handel aktiv beteiligen. Dass deren Zahl und der faire Konsum wachsen, ist das Ergebnis eines 40-jährigen (vielfach ehrenamtlichem) Einsatzes für weltweit partnerschaftliche Handelsbeziehungen und für die Änderung weltwirtschaftlicher Verhältnisse zugunsten benachteiligter Kleinproduzenten und Arbeiter.
 
 
Von Dr. Markus Raschke

Dr. Markus Raschke ist Bildungsreferent, Fair-Handels-Berater und Autor der Studie "Fairer Handel. Engagement für eine gerechte Weltwirtschaft" (2. Aufl., Matthias-Grünewald-Verlag, 2009).
markusraschke@hotmail.com






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Quelle:
Lifestyle | LOHAS & Ethischer Konsum, 16.08.2010

     
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