Schlau vernetzt

Die Chancen des Smart Grid

Von Tina Teucher

Die Energiewelt ist im Wandel: Bestehende Akteure transformieren sich, neue Player kommen auf den Markt - und die Verbraucher wachen auf. Plötzlich sind Energieversorger nicht mehr nur Energieversorger. Autobauer nicht mehr nur Autobauer. Auch Telekommunikationsanbieter bieten mehr. Und Architekten und Hausbauer blicken über den Tellerrand. Und da gibt's viel zu sehen - und viele Herausforderungen.

Foto: © Agentur für Erneuerbare Energie

Wer rastet der rostet. Veränderungen lässt man auf sich zukommen oder gestaltet sie aktiv mit. 2011 sehen wir uns einer veralteten Energie-Infrastruktur gegenüber. Gleichzeitig steigt der Strombedarf. Nützliche Innovationen wie Erneuerbare Energien und Elektroautos wollen ins System integriert werden - natürlich ohne dass das Netz instabil wird. Nebenbei will man die Versorgungssicherheit verbessern und den Kohlendioxidausstoß senken, um das Klima in Balance zu halten. Für all diese Anforderungen braucht es schlaue Köpfe - und ein intelligentes Umfeld.

Mit der Energie ist das so eine Sache: Sie ist selten dort, wo man sie gerade braucht. Wo wir die Sonne für Strom und Wärme am meisten brauchen, haben wir sie nicht, nämlich im Norden, und auch nicht an kalten nebligen Tagen im Süden. Die meiste Windenergie soll nach dem Willen der Bundesregierung in Offshoreanlagen - hoch auf dem Meer - produziert werden. Dort verbraucht allerdings derzeit niemand etwas. Der Strom muss also weite Strecken zurücklegen. Außerdem sind Verbraucher und Produzenten nicht mehr strikt getrennt: Dezentral und in vielen Kleinanlagen wird Strom hergestellt und genutzt. Das ganze Rein und Raus, die Verfügbarkeit und der Mix müssen geregelt werden. Die Lösung: ein ausgebautes, ausgeklügeltes Netz, das die zahlreichen kleinen und großen "Kraftwerke" und Abnehmer sinnvoll verbindet. Der Begriff des Smart Grid, des intelligenten Netzes, wird geboren.

Smart Grid: Was heißt das, warum brauchen wir es?

Ein Smart Grid ist ein Stromnetzwerk, das digitale und andere fortschrittliche Technologien nutzt, um den Stromtransport von allen Stromquellen zu messen und zu steuern und um dem wechselnden Strombedarf von Endverbrauchern zu begegnen. Es koordiniert also den Bedarf und die Kapazitäten von allen Strommarktteilnehmern: Erzeugern, Netzbetreibern und Endverbrauchern. So soll das Smart Grid alle Teile des Systems so effizient wie möglich führen, Kosten und Umweltschäden klein halten und dabei die Belastbarkeit, Funktionsfähigkeit und Stabilität des Stromnetzes maximieren.

Ein "Smart Grid" kann neben Strom auch Wasser, Gas oder Wasserstoff steuern, doch heute meint man damit in erster Linie Energie und Daten. Diese fließen bidirektional zwischen den Verbrauchern, Erzeugern und Steuerungsstellen. Damit das Ganze auch wirklich smart ist, müssen drei Anforderungen erfüllt werden: Die Energie muss möglichst aus erneuerbaren Quellen stammen. Ich muss sie zur Verfügung haben, wann immer ich sie brauche. Auch nachts und im Winter. Und ich will sie nutzen, wann immer ich sie brauche. Das erreiche ich durch Speicherung und Austausch in Netzen. Im Großen, also im Hochspannungsbereich, gibt es diese Intelligenz bereits. Im Kleinen wird es jetzt gebaut, um Angebot und Nachfrage zu steuern und Lastspitzen abzufangen. "Die 380 kV Hochspannungsnetze sind schon intelligent", sagt Dr. Dierk Paskert von der E.ON Energie AG. Hier brauche man aber noch mehr Kapazitäten. Doch "zum Kunden sind wir noch blind", was man schon daran erkennt, dass die meisten Haushalte noch Selbstablesekärtchen ausfüllen. Hier entsteht unser neues Energiesystem: "Die Informationen fehlen uns zwar dort, wo der Strom aus der Steckdose kommt", meint Dr. Thomas Benz von der ABB AG. Doch "je niedriger die Spannung, desto verästelter ist das System. Deshalb müssen wir den technischen und wirtschaftlichen Aufwand hier abwägen".

Soweit die Verbraucherseite. Auch die Stromeinspeisung aus dezentralen Quellen lässt sich schwieriger steuern, doch ein dezentrales Energiesystem ist sicherer. Die Dezentralität erhöht, sagen Experten, die Systemresilienz, also die Fähigkeit eines Systems, auf unerwartete Ereignisse - wie Stromausfälle - zu reagieren. Wie? Indem die Problemstellen isoliert werden, während der Rest des Systems normal weiterarbeiten kann. So könnten etwa bei Naturkatastrophen oder Terroranschlägen die Auswirkungen auf das Stromnetz abgefedert werden. Doch "die Einspeisungen aus erneuerbaren Energien sind stark schwankend und deshalb für den Netzbetreiber vergleichsweise unberechenbar", weiß Dr. Andreas Breuer, der bei RWE Deutschland AG den Bereich Neue Technologien/Projekte leitet. "Da der Zubau an dezentralen Anlagen fast ausschließlich in ländlichen Regionen stattfindet, muss genau dort das Netz ausgebaut und intelligenter gemacht werden".

Virtuelles Kraftwerk
In einem virtuellen Kraftwerk werden kleine Stromerzeuger - v.a. aus erneuerbaren Energiequellen wie Biomasse, Wind- und Solaranlagen - zusammengeschaltet und gesteuert. Auf der anderen Seite nutzen Verbraucher, die ihren Stromeinsatz relativ variabel steuern können (wie z.B. Kühlhäuser) den Strom. Durch diese "Lastverschiebung" werden Angebot und Nachfrage aufeinander abgestimmt. Das erhöht die Netzstabilität.

Besonders Blockheizkraftwerke (BHKW) erscheinen in diesem virtuellen Verbund als wahre Wunderwaffen, denn sie lassen sich flexibel zuschalten. Der BHKW-Markt ist auf Wachstumskurs - für das Jahr 2011 wird mit einem Zuwachs von 15 Prozent gerechnet. Auf Verbraucherseite fügen sich Wärmepumpen (als Alternativen zu fossilen Heizungen) sehr gut ins virtuelle Kraftwerk, denn sie können den Strom direkt nutzen, aber auch als Wärme zwischenspeichern und so das Problem der unregelmäßigen Verfügbarkeit reduzieren.



Anwendungen: Was ist für Industrie, Investoren und Verbraucher interessant?

Das intelligente Netz verspricht Vorteile für jeden: Zuerst würde der Aufbau einer leistungsfähigen Netzinfrastruktur strukturell in ganz Europa einen funktionsfähigen europäischen Elektrizitätsbinnenmarkt ermöglichen. Das erleichtert den europäischen Wettbewerb, der die immer steigenden Strompreise hemmen könnte - und das freut dann Industrie, Mittelstand und private Stromkunden. Außerdem sollen Smart Grid-Anwendungen die prognostizierten Strombedarfssteigerungen um 13 bis 24 Prozent reduzieren, rechnet die Studie "Technology Roadmaps" 2011 der International Energy Agency (IEA) vor. Wenn das Klima sich freuen könnte, dann hier, denn allein bis 2020 könnten Smart Grids gemäß Analysten von VDE und Deutscher Bank eine Milliarde Tonnen CO2 einsparen.

Den unternehmerisch Denkenden dürften vor allem die neuen Marktchancen locken: "Es geht um neue Geschäftsmodelle", sagt Ludwig Karg, Geschäftsführer der B.A.U.M. Consult GmbH und Begleitforschungsleiter des Projekts E-Energy. "Die Erkenntnis hat sich Bahn gebrochen, dass jenseits vom Verkauf von Kilowattstunden ein Markt möglich ist". Dieser ließe sich nur über den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) nutzen. IKT liefert Informationen über elektronische Märkte und beantwortet so z.B. wiederkehrende Fragen beim Betreiben einer Photovoltaikanlage: Verbrauche ich selber? Oder speichere es lieber für später? Oder speise ich ein und profitiere von den günstigen Marktpreisen? Doch vor allem: Können wir diesen Markt so gestalten, dass das Gesamtstromsystem am Ende noch funktioniert?

In den Kooperationen dieser neuen Märkte lässt sich viel voneinander lernen, denn die Innovationszyklen der beteiligten Branchen unterscheiden sich grundlegend: 30 Jahre bei Energie, drei Jahre bei IKT, drei Monate bei den Telekommunikationstechnologien. Man denke nur an die verschiedenen Zeitvorstellungen, ab wann man ein Kraftwerk, einen Computer oder einen Handytarif als "alt" bezeichnet.

Es geht also um Zusammenarbeit im intelligenten Netz: "Die Infrastruktur, um Energie zu speichern, auch in Wärme und Gas, ist da, es muss nur vernetzt werden", sagt Prof. Dr. Rik W. De Doncker, Leiter des E.ON Energieforschungszentrums der RWTH Aachen.

Gemanaget werden müssen Elemente wie Energie, Kapazität, Einsatzort, Zeit, Spannung und Qualität - viel Potenzial für neue Businessmodelle. "Wir erachten den Smart Grids-Bereich als einen der attraktivsten Sektoren für Investoren", sagt Bruno Derungs, Partner bei Climate Change Capital Private Equity (CPE). Allein im Zeitraum von 2010 bis 2014 liegt das europäische Marktvolumen für Smart Grid laut Berechnungen von Siemens bei 100 Milliarden Euro. "Eine enge Zusammenarbeit zwischen Energieversorgern, Technologieunternehmen und Regulatorien in Deutschland wird eine Marktführerschaft entwickeln, die Vorzeigeunternehmen wie SAP hervorbringen könnte", betont Derungs.

Alles kommuniziert: Im intelligenten Netz kommt es auf Zusammenarbeit zwischen Akteuren, aber auch technischen Anwendungen an.
Foto: © Siemens

"Smart Grid will be 10 to 100 times bigger than the Internet"John Chambers, CEO, Cisco

"Um die Herausforderungen der zukünftigen Energienetze zu meistern, ist ein Wandel hin zu 'smarten Netzen' nötig", sagt auch Michael Gotthelf von Siemens. "Das Smart Grid der Zukunft sorgt für das Gleichgewicht im Energiesystem und die reibungslose Integration erneuerbarer Energiequellen. Dabei folgt der Verbrauch der Stromerzeugung und nicht die Stromerzeugung dem Verbrauch". In Zukunft heißt das: Elektromobile laden, wenn Strom gerade reichlich und günstig vorhanden ist. Doch auch heute schon profitiert die Wirtschaft von der sogenannten Verbrauchsanpassung. Große Unternehmen wie Schwimmbäder, Kühlhäuser oder Supermärkte regeln ihre Lastanpassung vertraglich mit großen Energieversorgern, "bei kleinen und mittelständischen Unternehmen gibt es aber noch großes Potenzial", so Ludwig Karg vom E-Energy Projekt.

Dieses Potenzial macht das erfolgreiche Start-up Entelios der Industrie zugänglich. "Um die natürlichen Schwankungen auszugleichen, die beim Einspeisen Erneuerbarer Energien unvermeidbar sind, liefert Demand Response schon jetzt eine schlüsselfertige Lösung", sagt Oliver Stahl, Vorstand von Entelios. Demand Response basiert auf dem Prinzip, dass Großverbraucher in Spitzenlast-Zeiten des Stromnetzes ihre Anlagen (und damit Kapazitäten) vom Netz nehmen lassen und dafür eine Kompensationszahlung erhalten. Die so "per Klick" gewonnenen Kapazitäten für das Gesamtstromnetz sind billiger, als wenn in Spitzenlast-Zeiten erst ein Gaskraftwerk hochgefahren oder ein Wasserkraftwerk aktiviert werden müsste. "Die Voraussetzungen sind sehr gut, um für Anwender und Partner zum rentablen Geschäftsmodell zu werden und für Stromanbieter zu einem schnell verfügbaren, optimal planbaren und kostensenkenden Werkzeug", so Stahl. In den USA wird das Demand Response-Konzept auch im privaten Bereich genutzt, da hier durch Poolheizungen und andere stromintensive Geräte die Lastspitzen höher sind und das Netz schwächer ist. In Boulder City in Colorado können Stromkunden in Zeiten allgemein hohen Energieverbrauchs ihre Klimaanlagen herunterfahren und sich dafür bezahlen lassen.

Smart Meters: Schlau, aber wie rentabel?

Damit das gesamte Smart Grid mit Daten gefüttert wird, sollen Haushalte und Kleinverbraucher mit sogenannten Smart Meters ausgestattet werden: Stromzähler, die eine Datenkommunikation in zwei Richtungen erlauben. Sie messen Stromverbrauch, übermitteln die Informationen (via DSL oder Hausstromleitung) zum Energieversorger und ermöglichen dem Nutzer, seinen aktuellen Verbrauch und die Kosten ständig einzusehen und damit Energiefresser zu erkennen und zu sparen. Nach Untersuchungen des Fraunhofer Instituts ließe sich so der Energieverbrauch eines Hauses allein durch die bedarfsgerechte Bereitstellung von Wärme und Licht um mehr als zehn Prozent reduzieren.

Einer repräsentativen VDE-Verbraucherstudie zufolge kann sich schon heute jeder fünfte Bundesbürger die Vernetzung seines Heims vorstellen. Bisher halten sich die finanziellen Vorteile der intelligenten Stromsteuerung für Haushalte jedoch in Grenzen. Selbst mit Smart Metering und zeitabhängigen Tarifen lassen sich Schätzungen zufolge momentan nur drei Prozent der durchschnittlichen jährlichen Energiekosten (von ca. 800 Euro) damit sparen. Da braucht es schon einen hohen Grad an Umweltbewusstsein, Techniklieberhaberei und intrinsischer Motivation. Außerdem muss das Modem, das Zähler und Datenverbindung verknüpft, ständig betriebsbereit sein. Bei einem heutigen DSL-Modem-Energieverbrauch von bis zu 25 Watt pro Stunde (219 kW pro Jahr) verbraucht die Schnittstelle zweimal soviel Energie wie ein moderner effizienter Kühlschrank, rechnet die Deutsche Bank vor. Auch kommt eine Studie der Deutschen Energieagentur dena zu dem Schluss, dass Smart Metering sich bei ohnehin schon hocheffizienten Geräten im Haushalt nicht lohne. Anderer Meinung sind Analysten der Beratungsfirma A. T. Kearney: Smart Meters könnten demnach den Stromverbrauch deutscher Haushalte um 13 Terawattstunden (TWh) und damit 2,8 Milliarden Euro Umsatz senken.

Welche Geräte lassen sich intelligent und effizient steuern?
Zum einen solche, die sich variabel einsetzen lassen und dann automatisch laufen, wie z.B. Geschirrspül- und Waschmaschine. Zum zweiten Geräte, die Primärnutzen speichern, wie z.B. Kühlschränke, Klimaanlagen, Heißwasserboiler, Speicherheizungen, Druckluftpumpen. Zum dritten Batterien in der Technik, vor allem in Elektromobilen, die nicht sofort wieder genutzt werden und daher zu variablen Zeitpunkten geladen werden können. Und schließlich Kleinstromgeneratoren mit Speichermöglichkeit, z.B. Brennstoffzellen oder Kraft-Wärme-Kopplung. Doch die Hebelwirkung dieser intelligenten Hausbewohner für Energieeffizienz sind begrenzt: Laut Schätzungen von Siemens können nur 8,5 Prozent des deutschen Haushaltsenergieverbrauchs mit diesen Haushaltsanwendungen beeinflusst werden.
E-Mail ö.ä.



Energieanbieter wollen künftig Smart Meters flächendeckend einführen und zukünftig als Energiedienstleister fungieren. "Wir stehen vor einem Paradigmenwechsel", betont Konrad Rogg, Asset Manager für die Bereiche Messwesen, Kommunikationstechnik und Smart Grid bei der E.on Energie AG. "Wir wollen künftig nicht maximal Strom absetzen, sondern die Kunden Richtung Effizienz beraten", betont sein Kollege Dr. Dierk Paskert.

Dabei sollen Smart Meters an Verbraucher auch verkauft werden - doch diese sind noch eher kritisch eingestellt: 88 Prozent empfinden die Vorstellung eines tageszeitabhängigen Preissystems als Einschränkung ihrer Entscheidungsfreiheit, ergab eine Accenture-Umfrage. 44 Prozent fürchten außerdem, dass der zeitbasierte Tarif zu höheren Energiekosten führt - die Erfahrung der letzten Jahre mit steigenden Stromkosten schwingt in diesen Ergebnissen mit. "Ich kann schwer beantworten, welchen spezifischen Nutzen Smart Meter für die deutsche Durchschnittsfamilie hat", gibt auch Dr. Paskert von E.on zu. "Aber Autos haben heute auch mehr als vier Räder und ein Lenkrad".

"Die öffentliche Wahrnehmung hängt noch bei der Idee: Das Smart Meter macht das Smart Grid und die Welt ist gut. Doch die Intelligenz steckt nicht in den Meters, die sollen nur messen", unterstreicht Ludwig Karg von der E-Energy Begleitforschung. "Die Schlacht wird geschlagen bei Home Automation Systemes, Butlern und Energiemanager". Ein "Energiebutler" ist z.B. ein kleiner Rechner, der automatisch große Stromverbraucher wie Trockner und Kühlgeräte nur dann einschaltet, wenn Strom günstig ist. Dabei folgt er den Vorgaben, die der Kunde selbst macht. Mit dem Leuchtturmprojekt "Modellstadt Mannheim" (kurz: moma) testet ein Projektkonsortium derzeit den Einsatz solcher Innovationen. Die Idee: Erzeuger und Verbraucher von Energie mit Hilfe moderner Informations- und Kommunikationstechnologien näher zusammenzubringen. Dabei werden auch neue regionale Marktmechanismen entwickelt, mit denen höhere Anteile an der energetischen Wertschöpfung den Kommunen und Bürgern zugute kommen.

Traditionelle Energieversorger müssen ihre Infrastruktur und Geschäftsmodelle neu strukturieren, um Strom- und Datennetz zu verbinden. Dadurch ergeben sich neue Konstellationen und Kooperationsmöglichkeiten vorher vereinzelter Industrien - Mobilität, Energieversorger, Telekommunikation. "Durch Spitzenpositionen in Technologiebereichen wie Smart Grid, Smart Metering und bei 'Embedded Systems' sowie einer Vorreiterrolle in der internationalen Normung könnte Heimvernetzung sogar zum Exportschlager 'Made in Germany' werden", sagt Wilfried Jäger, Vorsitzender der Geschäftsführung der VDE Prüf- und Zertifizierungsinstitut GmbH. "Eine wichtige Voraussetzung dafür sind neben Standards für erweiterungsoffene und kompatible Komponenten und Systeme sowie deren qualitätsgesicherte Überprüfung auch qualifizierte Fachkräfte und günstige Randbedingungen".

Hybridnetze

Foto: © Fraunhofer IWES, ZSW
Quelle: Sterner, Specht 2008
Hybridnetze, auch Hyper Grid genannt, verbinden verschiedene Energienetze, um die Integration der Erneuerbaren zu ermöglichen. Für die Suche nach Speichermöglichkeiten für Wind- und Sonnenkraft sind zunächst zwei Möglichkeiten naheliegend: Elektromobile als Kurzzeitspeicher und Pumpspeicherwerke, die die kinetische Energie unterschiedlicher Wasserstände als Tagesspeicher nutzen. Doch wie kann Energie langfristig gespeichert und transportiert werden?

In Hybridnetzen werden Wärmenetz, Gas- und Tankstellennetz gekoppelt. Spätestens 2020 bis 2025 wird es massive Überschüsse aus Windenergie geben. Damit kann durch Elektrolyse aus Wasser Wasserstoff (H2) abgespalten werden. Schon heute ist es möglich, bis zu fünf Prozent H2 dem Gasgemisch in deutschen Netzen beizugeben. So lassen sich Erneuerbare Energie für Flautenzeiten mehrere Wochen speichern und Windstromüberschüsse aus dem Norden in die Verbrauchszentren im Süden Deutschlands über weite Entfernungen und alternativ zu fehlenden Übertragungsnetzkapazitäten auf der Stromseite transportieren. Die Umwandlung Strom-Wasserstoff-Strom hat immerhin einen Wirkungsgrad um 40 Prozent. Das deutsche Gasnetz verfügt über 3.000 Mal mehr Speichermöglichkeit als die Pumpspeicherwerke.

Durch Zusetzung von Kohlenstoff (CO) oder Kohlendioxid (CO2) als Trägermedium lässt sich außerdem "erneuerbares Methan" herstellen und speichern. Besonders Biogasanlagen können davon profitieren: Momentan produzieren sie zu je 50 Prozent Methan und CO2; durch die Verbindung mit H2 könnte das CO2 nutzenbringend zu Methan (CH4) gebunden werden. Dieses erneuerbare Methan kann künftig auch im Gastankstellennetz eingesetzt werden, so wie heute bereits an vielen Erdgastankstellen Biomethan "bilanziell" getankt werden kann. Auch im Zusammenspiel mit Wärmenetzen ergeben sich interessante Synergien, denn je nach Last-Situation im Stromnetz können Blockheizkraftwerke dann laufen, wenn Strom gebraucht wird und die Koppelwärme entsprechend gespeichert und genutzt werden (Schwarmstromprinzip Lichtblick) oder sogar bei Stromüberangeboten der erneuerbare Strom direkt in Wärme gewandelt werden, wenn er ansonsten ungenutzt und mangels wirtschaftlicher Speicher verworfen würde.


Rahmenbedingungen: Was sagen Politik und Gesetzgeber?

Physik und Infrastruktur in Elektrizitätssystemen sind komplex. Daher wird der Smart Grid Markt sich wahrscheinlich nicht von selbst durchsetzen, zumindest nicht im für die heutigen Visionen nötigen Umfang. Laut der Studie der Deutschen Bank kann sich das europäische Supernetz zwar ohne politische Förderung etablieren, weil große und kleine Netzgesellschaften am Ferntransport großer Elektrizitätsmengen interessiert sind. Doch für den Markterfolg der intelligenten Netze brauche es Hilfe seitens der Politik und großangelegte Testprojekte, um verschiedene Business Modelle zu erproben und - im internationalen Erfahrungsaustausch - an lokale Umstände anzupassen. Einen ersten Schritt spürt der Verbraucher demnächst, wenn er den Stromanbietern sprichwörtlich "ins Netz" geht: Bis 2022 soll Smart Metering nach dem Willen der EU flächendeckend eingeführt sein.

Hürden: Kosten, Sicherheit und Durchsetzung

Es besteht eine große Unsicherheit, wie die Netze zukünftig aussehen. Das für den intensiven Austausch von viel Strom geeignete Gleichspannungsübertragungssystem ist zwar entwickelt, aber noch nicht im Markt etabliert. An vielen Stellen bestehen Investitionsrisiken, die die Forschung und Implementierung hemmen.

Die deutsche Energieagentur dena schätzt, dass bis 2020 für den Smart Grid-Ausbau allein in Deutschland 3.600 km Leitungen gebaut werden müssen. Laut EU-Energie-Kommissar Günther Oettinger müssen in Europa etwa 45.000 Kilometer Stromleitungen modernisiert oder neu verlegt werden. Der Deutschen Bank zufolge summiert sich das Investitionsvolumen für Verteilernetze auf insgesamt 400 Milliarden Euro; wenn man Übertragungs- und Supernetz einrechnet, sogar auf 600 Milliarden Euro. Werden z.B. infolge von Anrainerprotesten unterirdische Kabel verlegt, würde sich die Summe sogar verfünffachen.

Das Übertragungsnetz im Hoch- und Höchstspannungsbereich ist zwar flächenmäßig groß, doch es hat nur ca. 2.000 Stationen, die angebunden sind. "Wenn wir jetzt aber über das Verteilnetz und die echten Smart Grids sprechen, die wir heute diskutieren, dann brauchen wir 600.000 Außenstationen, 40 Millionen Smart Meter plus gegebenenfalls Intelligenz im Haushalt, zur Ansteuerung von Geräten oder Industriebetrieben", gibt Rolf Adam von Cisco zu bedenken. "Da sind wir plötzlich in Dimensionen, die das Internet bei Weitem übersteigen. Deswegen brauchen wir eine leistungsfähige Kommunikationsinfrastruktur".

Stromnetze
Foto: © Rudolpho Duba, pixelio.de
Zentrale Großkraftwerke speisen Elektrizität in Höchst- und Hochspannungsnetze ein. Der Strom fließt über die Verteilernetze (Nieder-, Mittel-, Hochspannung) zum Stromverbraucher und wird dabei von höheren zu niedrigeren Spannungsebenen transportiert. Das Übertragungsnetz (Hoch- und Höchstspannung) balanciert Stromangebot und -nachfrage aus. So sah es traditionell aus. Im heutigen Stromnetz wird viel Energie dezentral von verschiedenen erneuerbaren Quellen in die Netze eingespeist, was den Energiefluss ändert und im Extremfall sogar zeitweise umkehrt. Heute und in Zukunft kommt Strom von den Solarfeldern in der nordafrikanischen Wüste, aus nordeuropäischen Offshore-Windparks und aus Wasserkraft- und Pumpspeicherwerken in Skandinavien. Dafür werden Hochspannungs-Gleichstromleitungen - also verlustarme Kabel - benötigt, die das noch im Aufbau befindliche europäische Supernetz bilden. Diese "Stromautobahnen" sollen den Elektrizitätstransport über weite Strecken kostengünstig ermöglichen.

Das "wie" stellt alle Akteure dabei noch vor große Herausforderungen: "Wir benötigen neue Standards wie DSL", sagt E.on-Manager Konrad Rogg. Die Europäische Kommission wolle diese bis 2012 entwickeln. Auch Prof. De Doncker von der RWTH Aachen hält einen Ausbau von Kommunikationsnetzen für dringend notwendig. Intelligente Agenten, die den Smart Meters angeschlossen sind und den Energieverbrauch minimieren, könnten dann die gemessenen Daten lokal aufbereiten und nur die relevanten übertragen.

Ob sich die Verflechtung von Informationen und Stromfluss durchsetzt, ist auch eine Frage der Datensicherheit, die als Tophürde bei der Etablierung von Smart Grids gehandelt wird. Persönliche Daten werden in wachsenden Mengen gemessen. Sie müssen organisiert, verwaltet, sowie sicher und vertraulich behandelt werden, da sie viel über den individuellen Lebensstil preisgeben. 44 Prozent der Verbraucher fürchten laut Accenture-Umfrage die Speicherung ihres individuellen Energieverbrauchsprofils und deren Missbrauch für andere Zwecke. Wenn sich die Messungen noch auf Wasser-, Gas- und Mobilitätsnutzung ausweiten, schlagen Verbraucherschützer endgültig Alarm. "Der Bereich Cyber Security ist ein wichtiges Thema, für das wir internationale Zusammenarbeit brauchen", weiß auch Volker Knack, Marketing Manager für Smart Grids bei der ABB AG. Und E.on Smart Grid-Manager Konrad Rogg ist überzeugt: "Solange Fragen wie Datenschutz nicht geklärt sind, können wir nicht anfangen. Die Politik muss den Bürger abholen." Die EU-Initiative "Privacy by Design" beschäftigt sich deshalb intensiv mit diesem Thema, um eine Balance zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und der gesellschaftlichen Erfordernis des Klimaschutz zu finden. Dazu soll beispielsweise die Übermittlung von Angaben und Daten dem Verbraucher so transparent wie möglich gemacht werden; persönliche Daten sollen anonymisiert und nach bestimmten Zeitfenstern gelöscht werden.

Die Key Player sind wir

Zukünftig kommunizieren also unser Kühlschrank, unsere Waschmaschine und unsere Kühltruhe mit unserem Windrad, unserem Blockheizkraftwerk im Keller und unserem Energieversorger. "Machine to Machine Communication" nennen das die Experten. Ganz entmenschlicht ist das Smart Grid dennoch nicht. Denn um Bedarf und Lösungen zu definieren, arbeiten auch Regierung, Privatwirtschaft, Verbraucher und Umweltgruppen zusammen. Auf dem Markt mitmischen werden verschiedenste Akteure wie Energiekonzerne, Telekommunikationsbranche, IT-Branche, Industrie und nicht zuletzt der Verbraucher und der Bürger, von der Rentnerin bis zum Jugendlichen, die ihre Privatsphäre schätzen. Sie tragen selbst mit Verantwortung dafür, dass unser intelligentes Umfeld uns hilft - aber eben nicht das ganze Leben abnimmt.

Weiterführende Informationen:
Ende 2011 ist die dena Verteilnetzstudie erschienen, die im Netz abrufbar ist.

Quelle:
Technik | Energie, 02.04.2012

     
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