Nachhaltigkeitsberichte als Spiegel verantwortlichen Wirtschaftens

Interview mit Ralph Thurm auf www.nachhaltigkeitsrat.de

Interview mit Ralph Thurm, stellvertretender Geschäftsführer der Global Reporting Initiative

Nachhaltigkeitsberichte sind selten eine vergnügliche Lektüre. Sie finden dennoch immer mehr Leser: Ob ein Unternehmen sozial und ökologisch verantwortlich handelt, interessiert nicht mehr nur Insider, sondern auch Verbraucher- und Umweltverbände, Kunden, Banken und Investoren. Die "Global Reporting Initiative" (GRI) bemüht sich seit 1997, weltweit Organisationen für eine transparente und vergleichbare Berichterstattung zu gewinnen. Deutsche Unternehmer, sagt Deputy Chief Executive Ralph Thurm im Interview, verbringen immer noch zuviel Zeit damit, zu überlegen, warum sie etwas nicht tun wollen.

Newsletter: Herr Thurm, woran erkennen Sie einen sozial verantwortlichen Unternehmer?

Thurm: An drei Dingen. Ein sozial verantwortlicher Unternehmer setzt sich mit den Wirkungen auseinander, die seine Produktion und seine Produkte auf die Gesellschaft hat. Er reibt sich an Problemen und verdrängt sie nicht. Zum zweiten berichtet er öffentlich und transparent darüber, so dass jeder erkennen kann: Hier wird was getan. Der dritte Punkt ist, der Unternehmer erkennt, welches große Innovationspotenzial in nachhaltiger Entwicklung steckt, dass sie der Umwelt und der Gesellschaft zugute kommt und dass sich damit Märkte stabilisieren und auch öffnen lassen.

Das Fachwort dafür ist "Corporate Social Responsibility". Gibt's dafür eine klare deutsche Übersetzung?

Leider nein. Ich habe generell ein Problem mit dem "S" in CSR. Es geht bei Unternehmensverantwortung ja nicht nur um soziale Aspekte. Es geht um die Verantwortung gegenüber allen Stakeholdern und gegenüber der Umwelt. Besser wäre es daher, nur von Corporate Responsibility zu sprechen.

Handelt ein Unternehmer, der Leute entlässt, verantwortlich?

Schwere Frage, die sich eigentlich nur von Fall zu Fall klären lässt. Es geht bei Wirtschaftsentscheidungen doch immer um tagtägliche Dilemmasituationen. Selten hat etwas nur positive oder nur negative Auswirkungen. Wenn Mitarbeiter freigesetzt oder Produktionen ins Ausland verlagert werden müssen, damit die Firma überlebt, kann das durchaus eine sozialverträgliche Entscheidung sein. Wichtig ist, dass der Unternehmer offen und transparent zu seiner Entscheidung steht.

Die Global Reporting Initiative entwickelt Guidelines für Organisationen, die über nachhaltiges Wirtschaften berichten. Was wird bei diesen Berichten meist falsch gemacht?

Wir liefern in unserer Guideline für Nachhaltigkeitsberichte insgesamt 95 Indikatoren, die von Wirtschaft, Umwelt- und Verbraucherverbänden und Gewerkschaften gemeinsam erarbeitet wurden. Davon betrifft rund ein Drittel Umweltbelange, rund 40 Prozent betreffen soziale Aspekte. Viele Firmen wählen für ihren Bericht aus diesen Indikatoren einige aus, ohne klar zu machen, warum sie zu anderen Indikatoren keine Angaben machen - das hinterlässt nicht selten einen faden Nachgeschmack. Zudem wird das Reporting oft nicht wirklich in den Managementprozess integriert. Umwelt- oder Nachhaltigkeitsberichte sind noch zu selten Chefsache. Sie machen Mühe und brauchen viel Überzeugungsarbeit. Diese Mühe wird vielfach gescheut.

Wie viele Unternehmen berichten heute nach GRI-Guidelines?

Weltweit sind es 650, die meisten davon kommen aus Japan, USA und Großbritannien. Generell gilt, dass unsere Guidelines mittlerweile weltweit akzeptiert sind. Bis Mitte 2006 wollen wir unsere Indikatoren überarbeiten mit dem Ziel, dass Nachhaltigkeitsberichte detaillierter und vergleichbarer werden und vor allem auch leichter von Externen bewertet werden können.

Wie aktiv sind deutsche Unternehmen?

Von den 650 Reports stammen derzeit 28 aus Deutschland, wobei neun der zehn besten deutschen Nachhaltigkeitsberichte nach GRI berichten. Das freut uns. Allerdings wird in deutschen Unternehmen immer noch viel Zeit damit verbracht, zu überlegen und zu argumentieren, warum man etwas nicht tun will. Britische, amerikanische oder niederländische Firmen agieren pragmatischer und probieren Neues einfach aus.

Nachhaltigkeitsberichte sind selten eine vergnügliche Lektüre...

...da ist was dran. Die Berichte wenden sich vielfach an bestimmte Zielgruppen wie Politiker, Investoren, Kreditgeber, Großkunden. Allerdings beobachte ich den Trend, dass Umwelt- und Verbraucherverbände oder auch die Stiftung Warentest die Berichte nutzen, um beispielsweise konkrete Kaufempfehlungen auszusprechen. Auf diesem Weg gelangen die Informationen dann doch in die breite Öffentlichkeit und können einen Wandel im Konsumverhalten mit initiieren.

Immer noch wird sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik häufig der alte Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie ausgetragen und im Zweifelsfall siegen die Kosten. Ist Nachhaltigkeit also doch nur Luxus und Rhetorik?

Die Art und Weise, wie mit dem Kostenargument umgegangen wird, zeigt deutlich, wo sich die Spreu vom Weizen trennt. Proaktive Unternehmer haben begriffen, dass sie mit nachhaltigem Wirtschaften Kosten sparen. Beispielsweise hat Siemens schon vor Jahren erkannt, dass ein neues Röntgengerät für Kunden in bestimmten Regionen einfach zu teuer ist. Also werden gebrauchte Geräte aufgearbeitet und weitaus günstiger angeboten. Der Umsatz mit diesen Gebrauchtgeräten zahlt sich aus.

Warum hat CSR für kleine und mittlere Unternehmen so wenig Bedeutung, wenn sich damit doch Kosten sparen lassen?

Die Nachhaltigkeitsdebatte ist eine globale Debatte, deshalb sind internationale Konzerne stärker eingebunden. Kleine und mittlere Unternehmen aber tun intuitiv viel mehr für eine nachhaltige Entwicklung als man glaubt, sie berichten nur selten darüber. KMU sind auch weit innovativer, als es den Anschein hat. Und sie sind wesentlich empfindsamer in sozialen Fragen, weil in einem kleinen Betrieb der Kontakt viel enger ist. Wir haben jetzt ein Handbuch für KMU erarbeitet, das Schritt für Schritt beschreibt, wie ein Reporting nach GRI abläuft. Das findet reißenden Absatz.

Die hohe Arbeitslosigkeit ist in Europa und besonders in Deutschland Problem Nummer eins. Kann CSR Arbeitsplätze erhalten oder schaffen?

Generell ja. Dahinter steckt doch eine einfache Logik. Wer als Unternehmer proaktiv ist, schafft Transparenz, Transparenz ist das Fundament für Vertrauen und aus Vertrauen entstehen Partnerschaften, die wiederum die Basis für kontinuierliche Weiterentwicklung, also Innovation, sind. Auf diese Weise findet ein verantwortlich wirtschaftendes Unternehmen leichter Zugang zu neuen Märkten und kann Arbeitsplätze schaffen und sichern.

Für Umwelt- und Nachhaltigkeitsberichte interessieren sich auch Finanzwelt und Investoren. Kommt der Druck zum nachhaltigen Wirtschaften also in Zukunft von Kreditgebern und der Börse?

Ich bin sicher, dass diese Entwicklung kommen wird. Wir sehen, dass beispielsweise viele Kreditgeber oder Investoren sich die Nachhaltigkeitsaktivitäten von Unternehmen sehr genau ansehen - freilich weniger, weil ihnen die Umwelt am Herzen läge, als vielmehr um das Anlagerisiko zu mindern. Auch entwickeln die Finanzmärkte Instrumente, die nachhaltiges Wirtschaften unterstützen. Die Aktivitäten der Börsen, Investmenthäuser und Fondsgesellschaften stehen zwar erst am Anfang, nehmen aber rapide Geschwindigkeit auf.

Sollte man Nachhaltigkeitsberichte gesetzlich zur Pflicht machen?

Wir begrüßen grundsätzlich, dass das Handelsgesetzbuch seit Anfang des Jahres vorschreibt, dass im Lagebericht künftig auch zu sozialen und ökologischen Aspekten Stellung genommen werden muss. Das gilt aber nur, wenn es für das Verständnis des Geschäftsverlaufs wichtig ist. Wie viele Berichte künftig um soziale und ökologische Angaben ergänzt werden, lässt sich also nur schwer abschätzten. Uns ist wichtig, dass das Reporting nicht immer wieder neu erfunden wird und dass ständig neue Ansätze, gesetzlich motiviert oder nicht, nur zu noch mehr Verwirrung und Zersplitterung der Reporting-Landschaft führen.

Der deutsche Nachhaltigkeitsrat hat im Januar eine Arbeitsgruppe CSR ins Leben gerufen. Welche Aufgaben würden Sie dieser neuen AG auf die Agenda setzen?

Die Arbeitsgruppe sollte einige zentrale Gedanken an die Politik weiterleiten: dass CSR gerade auch für deutsche Unternehmen eine Innovationsstrategie ist, dass Multistakeholder-Dialoge wichtig sind und unterstützt werden sollten, dass es sinnvoll wäre, sich bei den vielen unterschiedlichen Standards, die es heute für Berichte gibt, auf einige wenige zu einigen - auf keinen Fall darf es zum separaten deutschen Ansatz kommen. Außerdem ist wichtig, klarzumachen, dass nachhaltige Entwicklung Märkte nicht einschränkt, sondern vielmehr vom Gedankengut des freien Marktes lebt. Dabei müssen schwarze Flecken aber offen angesprochen, kritisiert und beseitigt werden, dazu zähle ich Handelsbeschränkungen und die Tatsache, dass viele Preise einfach nicht ehrlich sind, weil soziale und ökologische Kosten immer noch nicht internalisiert werden und somit von der Gesellschaft getragen werden müssen.

Das Gespäch führte Christa Friedl
Mit freundlicher Genehmigung des Nachhaltigkeitsrates
www.nachhaltikeitsrat.de


Homepage der Global Reporting Initiative

Quelle:
Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 09.03.2005

     
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