Kampf gegen den Hunger

Nährstoffe als neue Währung

2,5 Milliarden Menschen leiden an Mangelernährung. Weltweit arbeiten Sozialunternehmer an innovativen Lösungen, welche die Qualität von Essen wieder hervorheben.

Der Hunger der Welt wird immer größer, der Mangel an Nährstoffen verschlechtert die Situation weiter.
Foto: © Andreas Hermsdorf/ pixelio.de
Im Kampf gegen den Hunger hat die Weltgemeinschaft ihre selbstgesetzten Ziele verfehlt. In den Millenniumszielen der Vereinten Nationen hatten sich die Mitgliedsstaaten die Halbierung der Zahl hungernder Menschen (800 Millionen 1990) bis 2015 vorgenommen. Tatsächlich aber ist die Zahl der Unterernährten bis heute auf über eine Milliarde gestiegen, Tendenz steigend. Diese Statistiken sind jedoch nur die leicht sichtbare Oberfläche einer insgesamt viel größeren, weltweiten Ernährungskrise. Schätzungen der Uni Hohenheim zu Folge leiden weltweit 2,5 Milliarden Menschen an chronischer Mangelernährung. Somit fehlen fast einem Drittel der gesamten Menschheit lebenswichtige Mikronährstoffe wie Zink, Eisen, Jod und Vitamin A. Mit schweren gesundheitlichen und volkswirtschaftliche Folgen.

Der verborgene Hunger. Ein unsichtbarer Gegner nicht nur in Entwicklungsländern
Die gesundheitlichen Schäden des so genannten verborgenen Hungers jedoch sind enorm: Eisenmangel bedingt Blutarmut und Immunschwäche und steigert so das Infektionsrisiko. Zu wenig Vitamin A verschlechtert die Sehkraft und kann vor allem Kinder das Augenlicht kosten. Ein Defizit an Zink führt zu chronischen Durchfällen. Jodmangel hemmt die geistige Entwicklung. Studien schätzen, dass weltweit jede Stunde 390 Kinder an den direkten oder indirekten Folgen des verborgenen Hungers noch vor ihrem fünften Lebensjahr sterben.

Am schlimmsten wirkt sich der Nährstoffmangel bei Kleinkindern in den ersten drei Lebensjahren aus. Hier tritt eine Wachstumshemmung des gesamten Körpers auf, die Kleinwüchsigkeit bedingt und auch später mit besserer Nahrung nicht wieder aufgeholt werden kann. Hinzu kommen Schäden bei der geistigen Entwicklung. Weltweit haben ca. 200 Millionen Kinder durch Armut und Mangelernährung eine schlechtere kognitive Entwicklung und somit weniger ökonomischen Chancen. Falsche Ernährung füttert somit indirekt die Armut und zwar nicht nur in der "Dritten Welt". Auch in Industrieländern sind Mangelerscheinungen durch einseitige Ernährung ein zunehmender Trend.

Bisherige Hilfsansätze greifen zu kurz

Während vor allem bei spektakulären Hungerkrisen schnell reagiert und energiereiche Nahrung mit ausreichend Fett, Eiweiß und Kohlehydraten in die Notregionen gebracht wird, sind Nährstoffe in den Hilfslieferungen nur gering enthalten. Hunger wird heute von Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit oft als rein quantitatives Problem gesehen. Gezählt werden nur die Kalorien, nicht aber die viel entscheidenderen Mikronährstoffe. Dabei können bei einseitiger Ernährung der verborgene Hunger und dessen Folgen sogar mit gleichzeitigem Übergewicht einhergehen. Satt sein, bedeutet noch lange nicht gesund sein. Bedeutsam ist ein ausgewogener Ernährungsmix. In vielen Regionen der Welt decken Menschen ihre tägliche Energiezufuhr hauptsächlich aus dem Verzehr von "toten Kalorien" aus Maniok, Reis, Weizen und Mais. Das ändert sich meist nicht einmal durch ein steigendes Einkommen, weshalb derzeitige rein armutsreduzierende Ansätze in diesem Aspekt zu kurz greifen.

Nährstoffe als neue Währung des Ernährungssystems

Komplexe Probleme brauchen ganzheitliche Lösungsansätze, gerade im Ernährungsbereich. Deshalb müssen Sozialunternehmer und Problemlöser hier nicht nur verstehen, wie Nährstoffe im menschlichen Körper wirken und von diesem aufgenommen werden, sondern auch wie sie dorthin kommen und wie sie in immer größeren Mengen nachhaltig produziert werden können. Die internationale NGO Ashoka, die in den letzten drei Jahren über 80 Sozialunternehmer mit innovativen Lösungsansätzen im Bereich Ernährung aufgenommen hat, spricht von einer "Nährstoff-Wertschöpfungskette" die vom Acker bis in den Magen funktionieren muss. Nur wenn es den zahlreichen Sozialunternehmern weltweit gelingt Nährstoffe als eine Art "neue Währung" in der weltweiten Ernährungswirtschaft zu etablieren, wird es möglich sein eine wachsende Weltbevölkerung mit immer steigendem Rohstoffhunger ganzheitlich zu ernähren.

Sozialunternehmer arbeiten an innovativen Lösungsansätzen

Um Nährstoffe in den Fokus aller beteiligten Akteure zu richten müssen diese aber zunächst messbar sein. Hieran arbeitet Buddy Ratner, der an der University of Washington ein Plasma basiertes Messgerät entwickelt, welches die Konzentration der fünf wichtigsten Mikronährstoffe in Böden, Feldfrüchten und sogar Haaren und Fingernägeln in Sekunden vor im Feld bestimmen kann. Dies bereitet den Boden für visionäre Konzepte wie z.B. der einer Nährstoffbank, die ähnlich zum CO2-Handel Mikronährstoffe einpreisen und handelbar machen soll. An solchem Konzept für Böden arbeitet der französische Ashoka Fellow Nicolás Metró, der den Nährstoffgehalt in Böden einpreisbar macht. Mit seiner Organisation KINOME entwickelt er nachhaltige Landnutzungskonzepte, die durch den Einsatz von schonender Forstwirtschaft wichtige Nährstoffe und Organismen zurück in ausgelaugte Böden bringen.

Doch damit nicht genug. Für eine großflächige Veränderung müssen Veränderungen an vier Säulen der Lebensmittelsicherheit erreicht werden: die Verfügbarkeit von Lebensmitteln durch Anbau vor Ort, der Zugang zu ihnen durch Transport und Märkte, eine bessere Lebensmittelqualität durch mehr "Nahrhaftigkeit" und hoher Mikronährstoffdichte, sowie die Beeinflussung der Lebensmittelpreise. Basil Kransdorff ist der Erfinder von ePap, einem lokal produziertem Nahrungsergänzungsmittel, welches in kleinsten Mengen alle Nährstoffe enthält, die Mangelernährte benötigen. Die geruchlose Paste basiert auf rein pflanzlichen Stoffen und ist auch bei extremen Temperaturen sehr lange haltbar. Basil Kransdorff ist mit zahlreichen Afrikanischen Regierungen im Gespräch, um qualitative Aspekte in den Fokus der staatlichen Ernährungsprogramme für Schüler zu rücken.

Julie Carney hingegen schult mit ihrer Organisation "Gardens of Health" Krankenzentren in Uganda, junge Mütter in Ernährungsfragen aufzuklären und ihnen das Gärtnern beizubringen. So lernen die Frauen sich und ihre Kinder gesund und autark selbst zu ernähren. Oder Haron Wachira, der in Kenya Kleinbauern in Kooperativen organisiert, die lokale Wertschöpfungsketten für Agrarprodukte und Lebensmittel bilden und ihre Produkte mit größeren Gewinnen direkt und frisch auf den städtischen Märkten vertreiben. Er führt Kleinbauern in neue Produkte ein, wie Honig, Cashew und Joghurt und ermöglicht ihnen somit höhere Einkommen und ausgewogenere Diäten.

Die Lösungen sind da, jetzt muss es um Skalierung gehen

Die Herausforderungen im Kampf gegen den Hunger sind erkannt und innovative Lösungsansätze sind auf dem Weg. Denn die oben beschriebenen Ansätze sind nur einige Beispiele von zahlreichen sozialunternehmerischen Innovationen im Kampf gegen die Mangelernährung. Nun gilt es die besten Methoden zu replizieren und flächendeckend zu verbreiten. Um genau dies durch neue Partnerschaften zu erreichen, trafen sich Anfang Juni 20 Sozialunternehmer aus Afrika, Asien und den USA mit europäischen Wirtschaftsunternehmen aus der Agrar- und Lebensmittelindustrie bei der KfW Entwicklungsbank auf dem "Nutrients for All Globalizer Summit". Der Fokus von großen internationalen Organisationen wie Ashoka oder der Bill&Melinda Gates Foundation auf dieses wichtige Thema macht Hoffnung, dass es auch demnächst auf die Agenda der Millenium Development Goals und somit in die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft rückt. Denn Bewusstsein ist der erste Schritt zur Besserung. Auch in der Ernährung.
 
von Michael Vollmann

Quelle:
Lifestyle | Essen & Trinken, 12.07.2013
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2013 - Die Food-Industrie erschienen.
     
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