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Obwohl immer neue Skandale die Textilbranche erschüttern, kommt sie bei sozialen und ökologischen Verbesserungen nur langsam voran.

Xintang, ein Industrieort in der südchinesischen Provinz Guangdong, trägt in der Textilbranche den Spitznamen "Welthauptstadt der Blue Jeans". Rund 700.000 Menschen arbeiten in Xintangs rund 4.000 Jeansunternehmen und nähen, färben und bedrucken mehr als 260 Millionen Jeans pro Jahr. Abnehmer sind bekannte Modemarken ebenso wie Textildiscounter.

Laut, billig, unsauber: Nur 10 von 38 börsennotierten Textil-Unternehmen konnten sich für das ausführliche Ranking qualifizieren. Die restlichen 28 Unternehmen zeigten zu wenig Engagement für eine nachhaltige Entwicklung bzw. zu wenig Transparenz darüber.
Foto: © Helene Souza, pixelio
Xintang steht damit beispielhaft für zahllose Unternehmen in den Schwellen- und Entwicklungsländern, die Textilien für die Weltmärkte produzieren - und dies häufig unter katastrophalen sozialen und umweltbezogenen Bedingungen. Wie schwierig diese sind, hat der Brand in einer Textilfabrik am Rande von Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs Ende November 2012 gezeigt. Mehr als 100 Arbeiterinnen starben. Rund 250 Todesopfer kostete der Brand in einer Textilfabrik in der pakistanischen Metropole Karatschi nur wenige Wochen zuvor. Ende Januar kamen in Bangladesch weitere sieben Menschen bei einem Fabrikbrand ums Leben. In allen drei Fabriken wurde für den europäischen und nordamerikanischen Markt - u.a. KiK, C&A und Zara - genäht. Im zweitgrößten Bekleidungsherstellerland der Welt Bangladesch starben seit 2006 etwa 700 Menschen bei Bränden in Textilfabriken.
Neben den Arbeitsbedingungen rücken zunehmend auch die beträchtlichen Umweltauswirkungen der Textilproduktion in das Blickfeld der Öffentlichkeit. So lenkt Greenpeace durch die "Detox our future"-Kampagne seit 2011 die Aufmerksamkeit auf die riesigen Mengen an Chemikalien, die bei der Produktion von Kleidung in China verwendet werden und über das Abwasser in die Gewässer gelangen.

Arbeitsbedingungen und Umweltschutz sind nach Einschätzung von oekom research zwei zentrale nachhaltigkeitsbezogene Schlüsselthemen der Branche, dazu gehört außerdem der Bezug von Rohstoffen wie Baumwolle aus nachhaltigem Anbau. Wo die Herausforderungen im Einzelnen liegen, wird im Folgenden analysiert. Basis der Analyse sind die Bewertungen von insgesamt 38 börsennotierten Unternehmen. Davon konnten sich nur zehn für ein ausführliches Rating qualifizieren. Die restlichen 28 Unternehmen zeigten zu wenig Engagement für eine nachhaltige Entwicklung bzw. zu wenig Transparenz darüber.

Arbeitsrechte - beinahe 20 Jahre Kritik und keine Lösung in Sicht?

Das Thema Arbeitsbedingungen bei der Textilherstellung ist ein Dauerbrenner. Seit den ersten Vorwürfen gegen Nike in den 1990er Jahren haben die Vorreiterunternehmen der Branche einige Anstrengungen unternommen, um Arbeitsrechtsverstöße in ihren Lieferketten einzuschränken. Ein Großteil der analysierten Unternehmen hat die Produktion ganz oder zum Teil an Zulieferbetriebe ausgelagert, die hauptsächlich in Ländern ansässig sind, in denen Arbeitsrechtsverletzungen verbreitet sind.

Der Großteil der zehn umfassend bewerteten Unternehmen hat Zuliefererstandards formuliert, die wichtige Arbeitsrechte abdecken. Kritische Aspekte wie existenzsichernde Löhne sprechen jedoch nur wenige an. Um die Einhaltung der Standards zu überprüfen, haben mehr als die Hälfte der untersuchten Unternehmen umfassende Managementsysteme implementiert. Die meisten überprüfen dabei allerdings nur die oberste Ebene der Zulieferer, also die Fabriken, die die letzten Verarbeitungsschritte übernehmen (sog. "tier 1" Unternehmen). Puma bezieht dagegen nicht nur seine direkten Partnerfabriken ein, sondern kontrolliert auch schon Teile seiner tier 2 und tier 3 Zulieferer.
Erfreulich ist die große Transparenz einiger Branchenvorreiter. So berichtet Nike ausführlich über die Auditergebnisse bei seinen Zulieferern und hat auf seiner Website eine interaktive Weltkarte, in der die Standorte der Zulieferer auf der ganzen Welt aufgeführt sind. Die kritische Öffentlichkeit fordert zunehmend, über die Kontrollen hinaus einen stärkeren Fokus darauf zu legen, die Zulieferer bei der Einhaltung der Arbeitsstandards zu unterstützen. Das kann zum Beispiel über Schulungen zur Einführung von Managementsystemen oder über Weiterbildungen zum Thema Gewerkschaftsfreiheit geschehen. Hier schneiden besonders die Sportartikelhersteller Adidas, Nike und Puma gut ab.

Branchenprofil

Gesamtzahl der analysierten Unternehmen 38
Anzahl der Unternehmen mit umfassendem Rating 10
Anzahl der Unternehmen mit oekom Prime-Status 5
Die Top 3-Unternehmen:
  • Nike (C+)
  • Adidas (C+)
  • Interface (C+)
Kein Glamour für die Modebranche: Die Nachhaltigkeitsratingagentur oekom research untersuchte 38 börsennotierte Textilunternehmen. Für Traumnoten reicht es bei keinem: A+ wäre die Bestnote, D- kennzeichnet das untere Ende. Die "besten" sind demnach höchstens befriedigend.

Foto: © Dmitry Vereshchagin, Fotolia

Weniger Kinderarbeit, aber keine Existenzsicherung

Die Bilanz der bisherigen Anstrengungen sieht allerdings gemischt aus. Zwar haben die Kontrollen für mehr Transparenz in der Lieferkette gesorgt und die Anzahl schwerer Arbeitsrechtsverstöße, wie z. B. Zwangs- oder Kinderarbeit, ist gesunken. Allerdings sind Löhne unter dem Subsistenzniveau, extreme Überstunden oder eingeschränkte Gewerkschaftsfreiheit vielerorts immer noch an der Tagesordnung.

Das mag auch daran liegen, dass sich noch zu wenige Unternehmen kritisch mit ihrer eigenen Verantwortung auseinandersetzen. Die Einkaufspraktiken sind oftmals durch einen hohen Preis- und Zeitdruck gekennzeichnet, den die Zulieferer dann an ihre Arbeiter weitergeben. Nike hat die Ursachen extremer Überstunden bei seinen Zulieferern untersucht und herausgefunden, dass ein Teil der Probleme auf Nike's Einkaufspraktiken zurückzuführen ist. Daraufhin hat sich das Unternehmen vorgenommen, die Anzahl der Modelle in seinen Produktkategorien zu reduzieren, um so die Herstellung zu vereinfachen und für die Zulieferer besser planbar zu machen. Zunehmend richtet das Unternehmen "Frühwarnsysteme" ein, um reagieren zu können, wenn sich ein Zulieferer kritischen Überstundenwerten nähert.

Erst Druck von außen bringt Bewegung in die Branche

Die verschiedenen Produktionsschritte erfordern den Einsatz zahlreicher Chemikalien und großer Wassermengen. Dadurch entsteht viel schadstoffhaltiges, giftiges Abwasser. In der Textilindustrie eingesetzte gefährliche Chemikalien sind zum Beispiel Schwermetalle und organische Chemikalien, die die menschliche Gesundheit und die Umwelt dauerhaft schädigen können. Nachdem Greenpeace 2011 mit seiner "Detox our future"-Kampagne auf dieses Problem aufmerksam gemacht hat, haben sich Adidas, Nike und Puma zusammen mit anderen Bekleidungsunternehmen das Ziel gesetzt, gefährliche Chemikalien bis 2020 aus ihren globalen Lieferketten zu verbannen. Es bleibt abzuwarten, ob es ihnen gelingt und sich andere Unternehmen aus der Branche anschließen.
Zum jetzigen Zeitpunkt hat noch keines der untersuchten Unternehmen umfangreiche Maßnahmen implementiert, um den Einsatz von gefährlichen Chemikalien in der Produktion zu verringern. Noch konzentrieren sich die Anstrengungen der Unternehmen vor allem auf den Verbleib von Chemikalien in Endprodukten. Hier hat die Mehrheit der untersuchten Unternehmen Grenzwerte festgelegt und führt Produkttests durch. Gute Unternehmen orientieren sich beispielsweise an den Grenzwerten des anerkannten Standards Ökotex 100.
Durch den zunehmenden Einsatz von Nanopartikeln stellt sich die Frage, ob die Produkte für den Verbraucher unbedenklich sind. Nanopartikel machen Funktionskleidung wasser- und schmutzabweisend, antibakteriell wirksam oder sorgen für einen UV-Schutz. Über die Wirkung von Nanoteilchen auf die Menschen und die Umwelt ist bisher sehr wenig bekannt. Die Unternehmen zeigen sich hier sehr intransparent. So listet keines der Unternehmen auf, in welchen Produkten Nanopartikel bereits zum Einsatz kommen.


Was wird in der Kleidung verarbeitet? Oekom reasearch bewertete die Maßnahmen der Hersteller zum Einsatz nachhaltiger Rohstoffe auf einer Skala von 0 bis 100 (Bestbewertung). Der Teppichhersteller Interface hat mit seinem Konzept eines vollständig geschlossenen Produktkreislaufs die Nase vorn.


75 Prozent der Baumwolle weltweit sind gentechnisch verändert

Die verbreitetste Naturfaser ist Baumwolle. Der Baumwollanbau beeinträchtigt die Umwelt erheblich: durch hohen Wasserbedarf, Bodenerosion, Einsatz von Pestiziden und Entlaubungsmitteln. Zudem stammen mittlerweile über 75 Prozent der weltweiten Baumwollproduktion von gentechnisch veränderten Pflanzen. Während dieses Thema bei Lebensmitteln sehr kritisch gesehen wird, spielt es bei Baumwolle im öffentlichen Bewusstsein aber noch so gut wie keine Rolle. Die anspruchsvollsten Umweltkriterien muss zertifizierte Biobaumwolle einhalten. Nike lag 2011 mit einem Anteil von zehn Prozent Biobaumwolle an der insgesamt verarbeiteten Baumwolle bei den untersuchten Unternehmen vorne. Daneben beteiligen sich die Unternehmen auch an Initiativen wie Cotton Made in Africa und Better Cotton Initiative (BCI), die darauf abzielen, den konventionellen Anbau nachhaltiger zu gestalten. Durch Schulungen lernen Kleinbauern zum Beispiel, den Pestizidverbrauch zu reduzieren. Während die Anteile dieser nachhaltigeren Baumwollfasern momentan noch gering sind, hat sich Adidas das Ziel gesetzt, den Anteil von BCI-Baumwolle bis 2015 auf 40 Prozent und bis 2018 auf 100 Prozent zu erhöhen.

Auch Kunstfasern wie Polyester sind aus Umweltgesichtspunkten problematisch. Polyester wird aus Erdöl gewonnen. Bei der Produktion werden große Mengen Energie verbraucht und Luftschadstoffe freigesetzt. Rezyklierte Materialien haben oft einen deutlich geringeren ökologischen Fußabdruck. Hier führt Interface, Hersteller von Bodenbelägen, mit einem hohen Anteil an rezyklierten Materialien weiterhin die Branche an. Mithilfe des Recycling-Programms "ReEntry 2.0" können alte Teppichböden komplett wiederverwertet werden. Auch rezykliertes Polyester wird bei einigen Unternehmen vermehrt eingesetzt. Jedoch findet bei den meisten Unternehmen noch kein Einsatz im großen Stil statt.

Foto: © liuser, iStockPhoto
Erst eine Lebenszyklusanalyse bietet Transparenz

Die Nachhaltigkeitsbilanz der Textilbranche fällt insgesamt zwiespältig aus. Obwohl das Thema Arbeitsbedingungen in der Lieferkette schon seit Jahrzehnten präsent ist und zumindest die Vorreiterunternehmen der Branche einiges unternommen haben, hat es noch keinen umfassenden Durchbruch gegeben. Hier sind wohl grundlegendere Änderungen des Beschaffungssystems nötig. Zunehmend beginnen die Unternehmen, auch für Umweltbelastungen Verantwortung zu übernehmen, die auf tieferen Ebenen der Lieferketten entstehen. Der deutsche Sportartikelhersteller Puma hat mit der Erstellung einer ökologischen Gewinn- und Verlustrechnung einen wichtigen ersten Schritt getan, um seine Umweltauswirkungen in der gesamten Wertschöpfungskette zu beziffern und transparent zu machen. Bisher kann jedoch noch kein Unternehmen für sich beanspruchen, die Hauptumweltbelastungen in der gesamten Lieferkette umfassend anzugehen. Die zunehmende Einbeziehung von Lebenszyklusanalysen beim Produktdesign gibt Hoffnung, dass die Vorreiter der Branche ihren ökologischen Fußabdruck in den nächsten Jahren deutlich verringern können.
 
 
Von Lisa Häuser

 

Im Profil

Lisa Häuser ist als Senior Analyst bei oekom research AG für die Bewertung der Textilbranche zuständig. Außerdem beschäftigt sie sich mit dem Thema Arbeitsstandards in der Lieferkette.

Quelle:
Lifestyle | Mode & Kosmetik, 15.07.2013
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2013 - Die Food-Industrie erschienen.
     
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