Politik ohne Impulse

Ökostrom gebremst, Mittelstand vernachlässigt, Kohle zusätzlich subventioniert

Der Koalitionsvertrag der Großen Koalition ist eine Enttäuschung. Um die jeweiligen Wählergruppen zu bedienen und die teuren Wahlversprechen zu finanzieren, wurden wichtige Zukunftsaufgaben ignoriert oder auf die lange Bank geschoben. Der Vertrag steht weder für Nachhaltigkeit noch für Generationengerechtigkeit und die Auswirkungen werden wir früh oder später zu spüren bekommen - spätestens jedoch unsere Kinder und Enkelkinder. Für die Wirtschaft werden es weitere vier verlorene Jahre sein.

Kerstin Andreae, MdB
Foto: © Bündnis 90 / Die Grünen
Das wichtigste politische Projekt der nächsten Jahre, die Energiewende, wird durch die Große Koalition nicht angepackt, sondern ausgebremst. Die Beschränkung des Ökostromanteils auf höchstens 45 Prozent bis 2025 und 60 Prozent bis 2030 halbiert das heutige Ausbautempo. Das nationale Klimaziel bleibt zwar bei 40 Prozent Emissionsminderung, wird aber mit dem was im schwarz-roten Koalitionsvertrag steht, kaum zu erreichen sein. Die dramatisch vernachlässigte Reform des Emissionshandels zeigt überdeutlich die Folgen, wenn Märkte versagen, weil die Preise nicht die tatsächlichen ökologischen Kosten widerspiegeln: Verschmutzung durch CO2-Emissionen ist so preiswert zu haben, dass dreckige Kohlekraftwerke mehr Gewinn einbringen als effiziente Gaskraftwerke. Dabei würde ein funktionierender Emissionshandel einen marktkonformen Weg zur CO2-Vermeidung weisen. Hier hat die Wirtschaftspolitik ihre steuernde Rolle vernachlässigt. Die ehemalige Bundesregierung hat nicht nur eine Nachjustierung beim Emissionshandel, sondern auch die Reform der CO2-Grenzwerte für PKWs ebenso wie die Energieeffizienzrichtline blockiert, soweit es nur ging. Die neue Koalition macht unbeirrt weiter. Hersteller verbrauchsstarker Fahrzeuge können aufatmen. Beim Emissionshandel wird es weder eine Preisuntergrenze für CO2-Zertifikate, noch eine dauerhafte Marktverknappung der Zertifikate geben. Zukunftsweisend ist das nicht! Im Gegenteil: Innovative Prozesse werden ausgebremst und notwendige Anpassungen verzögert. Wir sind ein erfolgreiches Industrieland und sollten dies auch bleiben. Wer aber versucht das 20 Prozent-Ziel der EU-Kommission für mehr industrielle Wertschöpfung gegen die Klimaziele auszuspielen, der ignoriert die Chancen und Potenziale einer ökologisch-innovativen Wirtschaftsstrategie. Eine zukunftsweisende Industriepolitik ist auch Klimaschutz und kann beides: Lebensgrundlagen sichern und Wertschöpfung generieren. Sicher: Der deutsche Anteil an den Emissionen weltweit ist absolut gesehen gering. Unser Beitrag zum Klimaschutz geht aber weit über jede national eingesparte Tonne CO2 hinaus: Mit der Entwicklung hocheffizienter Technologie und erneuerbaren Energiequellen. Denn diese werden global für den Klimaschutz benötigt.

Deutschland wurde in Warschau beim Klimaindex gerade auf den beschämenden 19. Platz zurückgestuft. Das ficht die neue Koalition nicht an. Der Strommarkt in Deutschland bleibt auf die Nutzung fossiler Brennstoffe ausgerichtet, die Kohlenutzung soll sogar zusätzlich subventioniert werden. Ein fataler "Rollback" in der Energiepolitik. Die Beschränkung der Windenergieförderung auf sogenannte "gute" Standorte, führt dazu, dass südlich von Hannover kaum noch neue Windräder gebaut werden. Hier scheint die künftige Bundesregierung die verfehlte schwarz-gelbe Energiepolitik weiterführen zu wollen - zu Lasten einer ganzen Industriebranche. Unter solchen unsicheren Rahmenbedingungen dürfte es schwierig werden, private Investoren für die notwendige ökologische Transformation der Wirtschaft zu gewinnen. Dabei ist es nicht die Politik, die diese ökologische Wende umsetzt. Es sind vor allem die Unternehmen, die Handwerker vor Ort, der Mittelstand. Nicht nur Wirtschaftspolitiker sind gut beraten, deren Wirken und Handeln wertzuschätzen. Wir brauchen neue Produkte, neue Produktionsweisen, hocheffiziente Technologien und Innovationen in allen Bereichen unseres Wirtschaftens und wir brauchen Wertschöpfung. Von der Chemie, über Automobilindustrie bis hin zum Maschinenbau haben viele Unternehmen die Chancen des ökologischen Wandels für Kostensenkung, neue Märkte und Geschäftsfelder längst erkannt. Das Thema ökologischer Umbau der Wirtschaft findet im Koalitionsvertrag aber so gut wie nicht statt. So wird das Kernthema Ressourceneffizienz mit einem Beratungsprogramm und einer Exportinitiative abgespeist.

Deutschland hat im vergangenen Jahr erstmals rund drei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Forschung und Entwicklung ausgegeben - davon kam zwei Drittel von der Wirtschaft. Was erst einmal gut klingt, ist allerdings kein Selbstläufer. Der Großteil der Investitionen stammt von der Industrie, der Mittelstand hat dagegen kaum einen Anteil. Dabei dominieren sie mit 99 Prozent aller Unternehmen die deutsche Wirtschaft. Statt nun genau hier richtige öffentliche Anreize zu setzen, hat die Koalition die bereits geplante steuerliche Forschungsförderung für KMU wieder aus ihrem Koalitionsvertrag gestrichen. Unverständlich, hätte sie doch hier ein Instrument, das aufgrund seiner Themen- und Technologieoffenheit wichtige Innovationsimpulse für kleine und mittlere Unternehmen setzen könnte. Dass staatliche Programme gut funktionieren können, zeigt das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM). Deutschland benötigt massive Investitionen in die Infrastruktur. Wir leben weiter von der Substanz und das zulasten künftiger Generationen. Trotzdem plant die Große Koalition gerade mal 2,4 - 3,6 Mrd. EUR zusätzliche Gelder dafür ein - ein Tropfen auf den heißen Stein, angesichts eines Investitionsstaus von derzeit 130 Mrd. EUR.

Besonders drastisch sichtbar ist die Zukunftsvergessenheit der Koalition bei ihrer Finanzpolitik. Um den Schuldenberg abzubauen und Investitionen in Betreuung, Bildung, Forschung, Energiewende und Mobilität zu finanzieren müssten Ausgaben gekürzt und umgeschichtet werden. Bei den ökologisch schädlichen Subventionen z.B. bei Dienstwagen oder im Flugverkehr müsste konsequent gekürzt werden. Und ja, auch Steuererhöhungen sollten kein Tabu sein, aber moderat! Hierzu fehlt der Großen Koalition der politische Wille und der Mut. Es wäre dringend notwendig die Ausgaben des Bundes zu durchforsten und nur noch solche Ausgaben zu tätigen, die nachhaltigen ökologischen und sozialen Zusatznutzen bringen. Das Betreuungsgeld beispielsweise müsste gestrichen werden. Die künftige schwarz-rote Koalition versucht erst gar nicht, den Steuerdschungel zu lichten. Hinweise auf die Streichung von unsinnigen Steuerrabatten, wie z.B. das Hotelier-Privileg, sucht man vergebens und auch sonst bleibt die berühmte Steuererklärung im Bierdeckelformat in weiter Ferne. Der Mehrwertsteuerirrsinn, wie z.B. 7 Prozent für Maultiere aber 19 Prozent für reinrassige Esel bleibt uns ebenfalls erhalten. Kein einfacheres Steuersystem mit weniger Subventionen, keine Ausgabenkürzung, keine höheren Steuern - und das trotz 23 Milliarden zusätzlicher Ausgaben. Wie das funktionieren soll, bleibt weitgehend im Dunkeln. Klar ist, dass die Koalition auf die geplante Schuldentilgung verzichten wird, dadurch entstehen aber nur 14,4 Mrd. Euro finanzieller "Spielraum". Die Große Koalition verabschiedet sich damit von dem Versprechen, den Schuldenberg, zumindest ein wenig, abzutragen. Einen Risikopuffer für schlechtere Jahre, wenn Zinsen und Arbeitslosigkeit wieder steigen und die Steuerquellen weniger sprudeln, wird nicht aufgebaut. Deshalb reicht ein konjunkturschwaches Jahr und dieses Kartenhaus stürzt in sich ein. Mit einer nachhaltigen und seriösen Haushaltspolitk hat das jedenfalls nichts zu tun. Ich sage voraus, dass wir die Steuererhöhungsdebatte schneller auf der Agenda haben werden, als uns lieb ist.

Die Großkoalitionäre basteln sich ihren Haushalt schon jetzt mit vielen Taschenspielertricks zurecht. So wird z.B. die sogenannte Mütterrente aus Beitragsgeldern finanziert, obwohl solche Sozialleistungen eigentlich von allen Steuerzahlern finanziert werden müssten. Warum soll der Busfahrer oder die Krankenschwester für die Mütterrente zahlen, Abgeordnete und Beamte aber nicht? Und es ist auch ungerecht gegen die junge Generation, denn spätestens 2018 wird der Rentenbeitragssatz nun viel stärker steigen müssen. Die eigentlich gesetzlich anstehende Entlastung der Beitragszahler zum 1.1.2014 wird von Union und SPD gestoppt.

Die neue Regierung hat sich das Ziel gesetzt, dass es den Menschen in Deutschland 2017 besser geht als heute. Und es gibt auch Ansätze, die sich zum Guten wenden könnten: beim Verbraucherschutz, auf dem Arbeitsmarkt und vielleicht in der Pflege. Was fehlt ist eine zukunftsorientierte Politik, die klar dem Interesse des Gemeinwohls verpflichtet ist, mit verlässlichen sozial-ökologischen Rahmenbedingungen Planungs- und Investitionssicherheit für die Unternehmen schafft und die Spielräume für Zukunftsinvestitionen und für die junge Generation vergrößert. Aber alles in allem werden die meisten Ziele mit diesem ambitionslosen Koalitionsvertrag zu Lasten der Wirtschaft und künftiger Generationen kaum zu erreichen sein.
 
 
Von Kerstin Andreae, MdB

Im Profil
Kerstin Andreae ist Wirtschaftsexpertin und Stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen


Quelle:
Gesellschaft | Politik, 18.12.2013

     
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