Die Gemeinwohl-Bilanz
Unternehmen sollen Nutzen stiften, nicht nur Rendite.
Mit einer Gemeinwohl-Bilanz können gerade kleine und mittelständische Unternehmen erheben, wie sozial, ökologisch und insgesamt nachhaltig sie sind. Die Werkzeuge, um diese neue Art der Bilanz zu erstellen, sind kostenlos verfügbar. Derzeit wächst die Gemeinwohl-Bewegung schnell, und es zeigt sich: Das Streben nach Gemeinwohl nutzt nicht nur Umwelt und Gesellschaft, sondern auch dem Unternehmen und seinen MitarbeiterInnen!
Vom Deutschen Nachhaltigkeitskodex über EMAS bis zu den OECD-Grundsätzen: Wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht, stehen Unternehmen zahlreiche Wege, Verfahren, Orientierungsrahmen und Prüfungen zur Verfügung. Allerdings überfordern diese Standards vor allem kleine und mittlere Unternehmen. Die Auditierungs- und Lizenzierungskosten sind hoch, und oft liegt der Fokus eher auf der öffentlichen Wahrnehmung denn auf einer gezielten, wertebasierten, nachhaltigen Entwicklung. Die Frage nach dem langfristigen Nutzen zeit- und kostenaufwändiger Berichterstattungen liegt nahe.
Eine grundlegende Werteorientierung
Die Gemeinwohl-Bilanz hilft ein Unternehmen konsequent in allen Bereichen werteorientiert und nachhaltig auszurichten. Sie ist mehr als ein Geschäftsbericht; sie ist anspruchsvoll und inspirierend zugleich. Während für gewöhnlich der Unternehmenserfolg nur in monetären Größen gemessen und in der Finanzbilanz als Gewinn ausgedrückt wird, beurteilen Gemeinwohl-Unternehmen ihren Erfolg zusätzlich nach Beziehungs- und Verfassungswerten, die das Gemeinwohl fördern. Die Idee dahinter: Unternehmen, die durch ihre wirtschaftliche Tätigkeit zum Gemeinwohl beitragen, sollten belohnt werden.
Eine Benchmark des Gemeinwohls
Die Zielpunkte für das Gemeinwohl werden anhand von Best-Practice-Beispielen gesetzt, die der vergleichenden Bewertung sämtlicher Aktivitäten des eigenen Unternehmens dienen. Das verdeutlicht im direkten Vergleich rasch die Schwachstellen, Potentiale und Leistungen. Dies einmal systematisch für alle Bereiche des Unternehmens darzulegen, ist für Eigentümer und Mitarbeitende häufig ein Aha-Effekt. Kern der Gemeinwohlbilanzierung ist eine Analysematrix mit 17 Indikatoren, welche auf einer einzigen A4-Seite Platz finden. Sie verbindet gelebte Werte wie ökologische Verantwortung, Gerechtigkeit, sowie Mitbestimmung und Transparenz für Mitarbeite, Lieferanten, Kunden, Investoren und Gesellschaft. Ein Punktesystem ermöglicht die Einordnung des Engagements und bildet die Grundlage für eine konsequente Nachhaltigkeitsstrategie. Ergänzt wird die Analysematrix von einem dazugehörigen Handbuch, das Anregungen und Best-Practice-Beispiele enthält. Sowohl die „Matrix" als auch das Handbuch sind kostenlos erhältlich, so dass jedes Unternehmen umgehend mit einer Bestandsaufnahme beginnen kann.
Eine Idee setzt sich durch
Bislang haben rund 200 Unternehmen in Mitteleuropa eine Gemeinwohlbilanz und den dazugehörigen Bericht erstellt. Darunter der Event-Dienstleister Satis&fy AG aus Karben, der Outdoor-Ausstatter VAUDE Sport GmbH aus Tettnang und der Automobildienstleister Kirchner Konstruktionen GmbH aus Weingarten. Aber auch viele kleine und Kleinstunternehmer haben sich der Gemeinwohl-Ökonomie angeschlossen. „Wir werden immer öfter von Kunden angesprochen, die von unserer Philosophie begeistert sind", sagt Uwe Treiber, Geschäftsführer der Druckerei Sonnendruck GmbH aus Wiesloch. Er hat seine Aktivitäten in Form des Gemeinwohl-Berichtes dokumentiert und veröffentlicht. Ein solcher Bericht schaffe zudem eine neue, persönlichere Kommunikationsebene im Gespräch mit Geschäftskunden, findet auch Florian Gerull, Geschäftsführer von Ökofrost aus Berlin. Man werde vom reinen Lieferanten zum Partner und Mitmenschen: „Wir nutzen den Bericht im Kontakt zu Kunden, Lieferanten und Mitarbeitenden." Und Christine Miedl, Direktorin Unternehmenskommunikation der Sparda-Bank München, stellt fest: „Besonders bei den Azubi-Bewerbungen spielt unser Einsatz für die Gemeinwohl-Ökonomie eine große Rolle." Bei vielen Gemeinwohl bilanzierenden Unternehmen verdoppelte sich die Anzahl der Blindbewerbungen nach Veröffentlichung des Berichts.
Von der Analyse zur Erkenntnis
Gut kommuniziert, führt eine Gemeinwohl-Bilanzierung zu einer stärkeren Kundenbindung, höheren Mitarbeitermotivation und zu mehr und qualitativ hochwertigeren BewerberInnen. Darüber sind sich alle bilanzierenden Unternehmen einig. Die nachhaltigste Auswirkung entsteht indes durch den Erhebungs- und anschließenden Optimierungsprozess selbst. Fast alle bilanzierenden Unternehmen haben, inspiriert durch die Berichtserstellung, damit begonnen, an wichtigen Punkten zu arbeiten und ihr Tun zu systematisieren. Dies betrifft häufig Unternehmens- und Entscheidungskultur sowie Produktinnovationen. „Die Mitarbeitenden hatten dabei die zentrale Rolle. Sie haben das Ganze erarbeitet und setzen es jetzt gemeinsam mit dem Management um", beschreibt Vorstandsmitglied Georg Gundolf von der Raiffeisenbank Lech am Arlberg den Prozess. Eine Bilanz dient aber nicht nur als Instrument zum (Personal-)Marketing, zur Kulturentwicklung und Innovationsförderung. Vielmehr werden die Unternehmen zu Impulsgebern einer gemeinwohlorientierten Wirtschaft und somit zu gesellschaftlichen Gestaltern. Als bislang einziger Standard legt die Gemeinwohlbilanz klar definierte Werte der Gesellschaft als Maßstab an Unternehmen an.
Fit für die Zukunft
Noch können sich die bilanzierenden Unternehmen als „Pioniere" – mit entsprechend öffentlicher Aufmerksamkeit – bezeichnen, denn die Idee der Gemeinwohl-Ökonomie wurde erst 2010 geboren. Neben mittelständischen Unternehmen entdecken derzeit immer mehr Gemeinden und öffentliche Einrichtungen die Gemeinwohl-Bilanz als Strategie- und Steuerungsinstrument mit klarer Vision. Viele Bilanzen sind hier gerade in Arbeit.
Neben den unmittelbar positiven Auswirkungen einer Bilanzierung lohnt sich der Aufwand auch mit Blick auf die künftige Rechtsprechung, denn alle Zeichen stehen auf Transparenz: Laut Beschluss des EU-Parlaments müssen Unternehmen ab 500 Mitarbeitenden künftig über nichtfinanzielle Leistungsindikatoren (z.B. Umwelt- und Arbeitnehmerbelange) in Form eines eigenständigen Nachhaltigkeitsberichts Rechenschaft ablegen. Die Gemeinwohl-Ökonomie bietet schon heute Werkzeuge dazu – auch für kleine Unternehmen.
Dr. Oliver Viest ist Geschäftsführer der Kommunikationsagentur em-faktor, zertifizierter Gemeinwohl-Berater, Dozent für Nachhaltigkeit und CSR an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen sowie Ausbilder zum CSR- Manager an der Deutschen Fundraising Akademie.
Weitere Infos
Wirtschaft | CSR & Strategie, 01.01.2015
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