Volkskrankheit Stress

Teuer, gefährlich und völlig überflüssig


Vom Arbeitsplatz am Strand werden die meisten wohl
weiterhin nur träumen dürfen. Aber aus der täglichen
Stressfalle muss Deutschland dringend herausfinden.
Gettyimages © Hans Neleman
Jeder vierte EU-Bürger leidet unter arbeitsbedingtem Stress, wie eine Studie der Europäischen Beobachtungsstelle für berufsbedingte Risiken (ERO) in Bilbao vom Februar 2008 ergeben hat. Abgesehen vom menschlichen Leid bedeutet das auch, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Betroffenen in erheblichem Maße beeinträchtigt ist. Schätzungen zufolge betrugen die Kosten, die der Wirtschaft durch arbeitsbedingten Stress entstehen, 2002 in den damals noch 15 EU-Ländern 20 Milliarden Euro. Heute schätzt man diese Zahl alleine in Deutschland auf 45 Milliarden Euro. Stress verursacht inzwischen 60 Prozent der Fehltage und ist das zweithäufigste arbeitsbedingte Gesundheitsproblem. Nicht umsonst hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Stress zur größten Gesundheitsgefahr im 21. Jahrhundert erklärt. Auch viele Verbände, wie zum Beispiel der Deutsche Managerverband, haben das Thema Stress und Burnout in den Mittelpunkt ihrer Verbandsarbeit gerückt und erste Lösungsansätze erarbeitet.

Die häufigsten Auslöser für Stress sind der ERO-Studie zufolge unsichere Arbeitsverhältnisse, hoher Termindruck, unflexible und lange Arbeitszeiten, Mobbing und nicht zuletzt die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie. Neue Technologien, Materialien und Arbeitsprozesse bringen ebenfalls Risiken mit sich. So führt die Informationsflut durch neue Kommunikationstechnologien bei einer steigenden Zahl von Beschäftigten zu gesundheitlichen Problemen. Hinzu kommt die Belastung durch ständige Erreichbarkeit mittels E-Mail und Handy, die von einigen Unternehmen, speziell in der Technologiebranche, vorausgesetzt wird.

Meist leiden Arbeitnehmer, die sich nicht angemessen wertgeschätzt fühlen und unter- beziehungsweise überfordert sind, unter Dauerstress. Sie haben ein doppelt so hohes Risiko, an einem Herzinfarkt oder einer Depression zu erkranken. Anerkennung und die Perspektive, sich in einem sicheren Arbeitsverhältnis weiterentwickeln zu können, sind in diesem Umfeld viel wichtiger als nur eine angemessene Entlohnung. Diese Aspekte vermisst man meist in öffentlichen Verwaltungen, in Behörden sowie Großkonzernen. Gewalt und Mobbing sind oft die Folge.

Gerade in Zeiten von Wirtschaftskrisen bauen Unternehmen und Verwaltungen immer mehr Personal ab, so dass die verbleibenden Mitarbeiter mit Hetze und Mehrarbeit aufgrund von Arbeitsverdichtung konfrontiert sind. Zieht die Wirtschaft wieder an, werden viele offene Stellen nicht mehr neu besetzt. Das Ergebnis: Viele Arbeitnehmer leisten massiv Überstunden. 59 Prozent haben Angst um ihren Job oder ihre Position im Unternehmen, wenn sie diese Mehrarbeit nicht erbringen, so die Studie.

Gefährliche Abwärtsspirale

Weiter ist bekannt, dass Druck - also Stress - Gegendruck erzeugt. Druck und Mehrarbeit über einen langen Zeitraum hinweg führen somit zu einer Produktivitätssenkung. Gemäß einer Schätzung des Kölner Angstforschers Wilfried Panse leisten Mitarbeiter schon lange vor einem Zusammenbruch 20 bis 40 Prozent weniger als gesunde Mitarbeiter. Wenn Vorgesetzte in diesen Zeiten zudem Ziele schwach oder ungenau formulieren und gleichzeitig Druck ausüben, erhöhen sich die stressbedingten Ausfallzeiten, welche dann von den stressresistenteren Mitarbeitern aufgefangen werden müssen.

Laut dem aktuellen Gesundheitsbericht der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) steigt die Zahl der psychischen Erkrankungen massiv an und jeder zehnte Fehltag geht auf das Konto stressbedingter Krankheiten. 30 Prozent der Beschäftigten zweifeln daran, ihr Rentenalter im Beruf zu erreichen, so eine Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Frühverrentung ist die Folge. Fast 80 Prozent der deutschen Firmen wissen nicht einmal, wo die Stressquellen sitzen, wie eine Umfrage des Wirtschafs- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung unter 2.200 Betrieben im Jahr 2004 ergab. Die Betroffenen selbst ignorieren meist die ersten Warnsignale des Körpers wie Lustlosigkeit, Kopfschmerzen, Schlafprobleme oder Erschöpfung. Sie nehmen die Überlastung erst wahr, wenn sie wegen eines Bandscheibenvorfalls oder einer Depression den Arzt aufsuchen. Carola Kleinschmidt und Hans-Peter Unger beschreiben dies sehr eindringlich in ihrem Buch "Bevor der Job krank macht". Wer die ersten Anzeichen wie Schlafstörungen oder Schmerzen nicht ernst nimmt, läuft Gefahr, in eine Erschöpfungsspirale zu geraten.

Als letzte Stufe des Stresses kann das sogenannte Burnout auftreten - ein Zustand großer emotionaler Erschöpfung, der den Betroffenen ganz und gar lähmt und arbeitsunfähig macht. Nun hilft keine Medizin und Prävention mehr, sondern nur noch eine langfristige Auszeit unter professioneller Begleitung. Denn ohne fremde Hilfe können die Betroffenen der Burnout-Spirale nicht entkommen. Die Wiedereingliederung eines Burnout-Klienten zurück in die Arbeitswelt ist sehr aufwändig. Meist gelingt dies erst nach einem Jahr Auszeit, oft auch gar nicht.

Wie groß die Gefahr durch Burnout ist, belegt eine Studie der Freiburger Unternehmensgruppe Saaman aus dem Jahr 2007: Demnach zeigen 45 Prozent der 10.000 befragten Manager bereits Burnout-Symptome. Burnout-Erkrankungen und -Gefährdungen verursachen erhebliche betriebliche Kosten. Was Burnout jedoch den einzelnen Menschen kostet, lässt sich kaum in Worte fassen. Die Betroffenen isolieren sich nicht nur von ihren Vorgesetzten und Arbeitskollegen, sondern auch von ihrem sozialen Umfeld. Alles wächst ihnen über den Kopf, selbst ihre Freunde. Wo bleiben da die persönlichen Werte?

Alle Hebel in Bewegung setzen

Für Arbeitnehmer ist es oft schwer, gegen die Ursachen zu kämpfen. Meist sind ihnen die Umstände gar nicht bewusst, unter denen Stress entsteht. Vielen fehlt das richtige "Werkzeug", wie etwa Sport oder autogenes Training. Bei anderen verstärken falsche Ernährung oder eine zusätzliche Belastung im privaten und sozialen Umfeld die Stress- und Burnoutgefahr. Wie kommt man aber aus dieser Stressspirale heraus? Was kann jeder Einzelne tun? Der Deutsche Managerverband hat dazu eine Recherche durchgeführt und nachfolgende zehn Ersthelfer erarbeitet, die Sie in Ihren normalen Tagesablauf einbauen können, ohne zusätzlich Zeit zu investieren. Sie müssen es nur wollen.


Zehn Tipps für Ihre Stressregulierung

1. Atmen Sie richtig!
Stress kann uns im wahrsten Sinne des Wortes die Luft wegnehmen. Oft werden dann nur die oberen Bereiche der Lungenflügel mit sauerstoffreicher Luft gefüllt und große Teile der Lunge bleiben ungenutzt. Ein entspannter Mensch hingegen atmet tief und langsam ein und aus. Stehen Sie im Büro auf, machen Sie mal das Fenster auf und holen Sie tief Luft. Bereits fünf bis sechs bewusste Atemzüge reichen oft aus, eine Distanz zum Stress zu schaffen. Tipp: Verlegen Sie doch einfach mal ein Mitarbeitergespräch in die freie Natur.

2. Denken Sie an etwas Schönes!
Erinnern Sie sich an Ihre Körperhaltung, als Sie ein Erfolgserlebnis hatten oder sich über etwas gefreut haben? Zum Beispiel an Ihre letzte Beförderung oder die Geburt Ihres Kindes? Nehmen Sie zum Stressabbau diese Haltung ein. Sie werden spüren, wie Ihr Körper und Ihr Geist Ihnen dabei helfen können, sich besser zu fühlen. Ihre Aufmerksamkeit bleibt häufig auf eine einzige Sache konzentriert. Wenn Sie etwas Negatives im Brennpunkt haben, kann Sie das stark blockieren. Denken Sie daher positiv, suchen Sie Chancen und Möglichkeiten.

3. Gönnen Sie sich mehrere kurze Ruhepausen!
Dass Überstunden und lange Arbeitszeiten langfristig zur Produktivitätssenkung führen, ist längst bekannt und erwiesen. Oft ist auch eine erhöhte Fehlerrate in diesen Situationen festzustellen. Versuchen Sie in solchen Situationen, regelmäßig eine kleine Pause zu machen. Fünf Minuten pro Stunde reichen aus. Gehen Sie zum Kaffeeautomaten an einem offenen Fenster vorbei und verbinden Sie diesen Gang mit der Übung 1 "Richtig Atmen". Damit versorgen Sie Ihre Blutbahn mit Sauerstoff, der die Denkfähigkeit im Gehirn anregt.

4. Lächeln Sie!
Lächeln kostet nichts und ist trotzdem unbezahlbar. Lachen ist sehr heilsam und jederzeit einsetzbar. Nicht umsonst bieten gute Gesundheitscoaches heute gegen Stress und Burnout sogar Lach- oder Clownseminare an. Herzliches Lachen baut Stress ab, aktiviert Atmung und Kreislauf und regt die Verdauung an. Lachen macht glücklich. 17 Gesichtsmuskeln sind am Lachen beteiligt, Bauch und Brustkorb ziehen die Muskulatur ruckartig zusammen. Weil die Lungen sich weiter ausdehnen, wird die Atmung schneller und tiefer. Sorgen Sie dafür, dass Sie etwas zu lachen haben.

5. Achten Sie auf Ihre Worte!
So wie der Körper auf die Seele wirkt, beeinflusst auch Ihre Sprache Ihr Unterbewusstsein. Oft genügt ein kleiner sprachlicher Unterschied. Sagen Sie zum Stressabbauen nicht "Problem", sondern "Herausforderung". Sagen Sie anstelle von "Ich muss das heute noch fertig kriegen" lieber "Ich kriege das heute noch fertig" - und schon richten Sie sich innerlich auf und motivieren sich.

6. Machen Sie klare Ansagen und lernen Sie, "Nein" zu sagen!
Drücken Sie sich klar aus und vermeiden Sie die sogenannte Grauzone. Verwenden Sie nicht mehr "vielleicht sollten wir", sondern "ich möchte", "mir gefällt", "ich wünsche". Wer zu oft unterlässt, auch mal Nein zu sagen, der übernimmt schnell mehr Aufgaben, als er bewältigen kann, und fühlt sich dann überfordert. Unbehagen kommt auf. Ihre eigenen Bedürfnisse und Arbeiten bleiben unberücksichtigt und gegebenfalls können die zugesagten Ergebnisse nicht geliefert werden. Bedenken Sie, dass Sie nicht jedermanns Liebling sein können.

7. Setzen Sie Prioritäten!
Sie stehen immer unter Strom und fühlen sich gestresst? Verantwortlich dafür ist oft das viel gepriesene Multitasking: die Mutter, die gleichzeitig kocht, Vokabeln abfragt und beim Basteln hilft. Der Manager, der während des Telefonierens seine Mails checkt, nebenbei Briefe unterschreibt und das nächste Meeting vorbereitet. Dahinter steht der Anspruch, die verfügbare Zeit optimal auszunutzen. Prioritäten sorgen dafür, dass Sie wissen, auf welche Aufgaben Sie sich konzentrieren und wie Sie Ihre verfügbaren Kräfte einsetzen. Überlegen Sie, was wirklich wichtig ist. Was ist dringend? Konzentrieren Sie sich zunächst auf die Aufgaben, die sowohl wichtig als auch dringend sind.

8. Achten Sie auf Ihre Ernährung!
Nicht nur Führungskräfte und Selbstständige haben Ernährungsgewohnheiten, die alles andere als perfekt sind. Überprüfen Sie für sich selbst, wann und wie Sie diese Woche gegessen haben. Meist unregelmäßig, eilig, nebenbei oder an Ihre Termine angepasst? Falsche Ernährungsgewohnheiten tragen zu einem erhöhten Stressaufkommen bei. Wer kennt nicht den Spruch unserer Großeltern: "Morgens wie ein Kaiser, mittags wie ein König, abends wie ein Bettelmann." Zelebrieren Sie Ihre Mahlzeiten, nehmen Sie sich Zeit dazu.

9. Trainieren Sie Körper und Körpergefühl!
Bewegung und Sport sind wirksame Methoden, um mit Stress umzugehen. Körperliche Anstrengung baut Stresshormone und Spannungen ab und macht resistenter gegen alltägliche Belastungen. Außerdem fördert sie das Glücksgefühl im Körper. Wählen Sie eine Sportart, die nicht noch zusätzlichen Stress verursacht, sondern Spaß macht oder die Sie immer und überall ausüben können. Viele Unternehmen haben dies bereits erkannt und erlauben Ihren Mitarbeitern, sogar während der Arbeitszeit Sport zu treiben. Einige Unternehmen haben Verträge mit Fitnesscoaches und Sportzentren geschlossen. Für wen das zu viel ist, der kann mit täglichem Treppensteigen beginnen.

10. Schlafen Sie ausreichend!
Wer morgens gut ausgeschlafen aufwacht, geht ausgeruht und mit mehr Energie in den Tag. Doch wie viel Schlaf brauchen wir? Sechs, sieben oder acht Stunden? Es gibt hierfür keine festen Regeln. Für gesunden und erholsamen Schlaf ist ein förderliches Umfeld unabdingbar. Die richtige Temperatur, Beleuchtung und Ruhe machen den Schlaf angenehm. Idealerweise sollten Sie sich eine Schlafroutine aneignen, also zu festen Zeiten ins Bett gehen und aufstehen. Ihre innere Uhr stabilisiert sich und sie schlafen viel entspannter.



 
 Von Peter Buchenau
 

Im Profil

Peter Buchenau, Erster stellv. Vorsitzender Deutscher Managerverband und Geschäftsführer der The Right Way Gruppe, ist Krisenmanager, WerteCoach und Stressregulierer mit den Schwerpunkten IT-Krisen- und Change-Management.
Er ist vorwiegend als Personal Coach im In- und Ausland unterwegs und bietet unter anderem Stress- und Burnoutpräventionstrainings an. Zu seinen Kunden zählen namhafte internationale Kunden, die speziell zur Nachwuchsförderung, Teambildung und Konfliktlösung seine Beratung anfragen.

www.stressregulierung.de





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Quelle:
Wirtschaft | Führung & Personal, 23.04.2009

     
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