Alles im grünen Bereich in der IT-Industrie?

Green IT muss mehr als Strom sparen


© 2009 Basel Action Network
Von Cornelia Heydenreich

Seitdem bekannt ist, dass die IT-Industrie ebenso viel CO2-Ausstoß verantwortet wie der Flugverkehr, ist "Green IT" ein wichtiges Schlagwort in der Branche. Der Klimaschutz stellt für den schnell wachsenden Sektor eine große Herausforderung dar. In Zeiten hoher Strompreise lässt sich durch energiebewusstes Verhalten zudem viel Geld sparen. Die Reduktion des CO2-Ausstoßes reicht aber nicht aus, um die IT-Branche umweltfreundlich zu machen.

Umweltfreundlichkeit fängt nicht erst im Büro an - sie sollte sich über die gesamte Wertschöpfungskette erstrecken. Diese beginnt bereits bei der Rohstoffförderung für den wachsenden IT-Sektor. In den vergangenen drei Jahren wurden weltweit jährlich mehr als eine Milliarde Handys verkauft, im Jahr 2008 ging der milliardste Computer über den Ladentisch. Die modernen IT-Geräte enthalten bis zu 65 verschiedene chemische Elemente, davon allein ungefähr 30 Metalle.

Unter dieser wachsenden Nachfrage nach Rohstoffen leidet die Umwelt. In der inneren Mongolei in China etwa, wo sogenannte Seltene Erden wie Neodym oder andere Lanthanide abgebaut werden, verpesten Metallhütten die Luft. In manchen Regionen ist die Luftverschmutzung durch die Metallhütten so stark, dass die Bewohner kaum die Sonne sehen. Die Seltenen Erden werden unter anderem für fluoreszierende Substanzen in Computer-Bildschirmen eingesetzt.

Der Zinnabbau zerstört in Indonesien, dem zweitgrößten Zinnproduzenten der Welt, die Umwelt. Zinn findet vor allem als Lötzinn in allen Elektronikgeräten Verwendung. Auf den Inseln Bangka und Belitung, den Hauptabbauregionen, sind große Waldflächen, viele Wasserquellen sowie Tier- und Pflanzenarten durch den Zinnabbau zerstört beziehungsweise ausgerottet worden. Einige Teile der Inseln erinnern an Mondlandschaften: Alte zerklüftete Gruben verunstalten die Natur.

Kraterlandschaft in Indonesien - der lukrative
Zinnabbau hinterlässt deutliche Spuren in der Natur.
© Päivi Pöyhönen, FinnWatch_makeITfair

Kobalt, das für Handy- und Laptop-Akkus verbaut wird, trägt in einer der Hauptförderregionen in Sambia zu massiven Umweltproblemen bei. Menschen, die in der Nähe von Kobaltminen wohnen, klagen über verseuchte Böden und verschmutztes Wasser. Bauern, die bisher Salat und Tomaten anbauten, haben diese Einkommensquelle aufgrund der Naturzerstörung verloren. Im Nachbarland DR Kongo, in der Region Katanga, sind die Bergarbeiter zudem durch die Radioaktivität gefährdet, die von dem uranhaltigen Kobalterz ausgeht.

Umweltfreundliche Produktion

Auch die Weiterverarbeitung und die Fertigstellung der Produkte sollten auf umweltfreundliche Weise erfolgen. Hier spielen Design und Produktentwicklung eine große Rolle, damit möglichst wenige Ressourcen verbraucht, giftfreie Geräte hergestellt und langlebige, aufrüstbare Produkte entwickelt werden können. Zudem sollten die Geräte leicht zu recyceln sein und aus einem hohen Anteil recycelter Rohstoffe bestehen - und nicht zuletzt sollten die Firmen sich für höhere Rückgabequoten einsetzen.

Bis alle Anforderungen an ein "wirklich grünes" Produkt erfüllt sind, bedarf es noch einiger Anstrengungen, wie Greenpeace in seinem jüngsten Produktranking Anfang 2009 feststellt. Die Unternehmen erreichen bislang nur bruchstückhafte Verbesserungen. Dabei könnte laut Greenpeace bereits jetzt ein viel grüneres Produkt auf dem Markt sein, wenn alle umweltfreundlichen Innovationen, die von den Marktführern aktuell entwickelt werden, kombiniert würden.

Auch als Schrott ein Problem

Nicht nur bei der Rohstoffförderung, sondern auch am Ende der Wertschöpfungskette, bei der Verschrottung, erzeugen die Produkte der IT-Industrie erhebliche Probleme für Entwicklungsländer.

Nach einer Schätzung der Universität der Vereinten Nationen fallen allein in Europa jährlich 8,7 Millionen Tonnen Elektroschrott an. Davon wird nur ein Viertel gesammelt und verschrottet oder recycelt. Der Rest der alten Computer und Fernseher wird zu Hause gelagert, landet unerlaubt im Restmüll, auf einer wilden Deponie - oder aber letztlich im Ausland. Zwar ist in der EU eigentlich der Export von gefährlichen Abfällen wie Elektroschrott verboten. Allerdings dürfen wiederverwendbare Geräte ausgeführt werden. Ein EU-Experte schätzt jedoch, dass ein bis drei Viertel der Geräte, die in Ländern wie Ghana oder Nigeria landen, kaputt sind.

In Afrika landen Unmengen an Elektroschrott, obwohl der
Export von gefährlichen Abfällen in der EU gesetzlich verboten ist.
© 2009 Basel Action Network

Mit primitiven und gefährlichen Recyclingmethoden versuchen in Ghana und Nigeria häufig Kinder und Jugendliche, ein paar Gramm Kupfer auf offenem Feuer auszuschmelzen. Mit gefährlichen Säuren lösen sie einen Teil der Edelmetalle wie Gold oder Platin aus den Platinen. Diese einfachen Recyclingmethoden führen jedoch dazu, dass die in den Geräten enthaltenen Schwermetalle wie Blei, Kadmium und Quecksilber sowie giftige Substanzen wie PVC und bromierte Flammschutzmittel ausgelöst werden und Grundwasser und Boden verseuchen. Die Dämpfe und Rauchgase führen zudem zu heftigen Gesundheitsschäden. Manche der besonders giftigen Stoffe sind zwar in der EU inzwischen bei Neugeräten verboten, aber alte Computer erhalten noch reichlich Gift.

Recycling als Chance

Recycling ist sinnvoll, vor allem wenn die technischen Voraussetzungen eine entsprechende Ausbeute und gleichzeitig ein umweltschonendes Verfahren bieten. Moderne Recyclinganlagen können heutzutage aus Computerplatinen über 95 Prozent der Edelmetalle wie Gold und Platin ausschmelzen und auch über 90 Prozent vieler weiterer Metalle zurückgewinnen. Je mehr Computer und Handys - nach möglichst langer Nutzung - nicht zu Hause verstauben oder in Afrika landen, sondern an Spezialrecylingfirmen weitergegeben werden, umso mehr der Metalle können zurückgewonnen werden. Auch wenn in einem Handy oder einem Computer nur wenige Milligramm von Gold oder Palladium verbaut wurden, so enthalten doch alle 2007 hergestellten Computer und Handys nach Angaben der Spezialrecyclingfirma Umicore zusammen 85 Tonnen Gold und 31 Tonnen Palladium.

Ein Recycling der Metalle spart nicht nur Kosten und Energie und reduziert zukünftige Rohstoffknappheiten, sondern verringert auch die negativen sozialen und ökologischen Folgen des Rohstoffabbaus. Verstärkte Anstrengungen von Unternehmen, Verbrauchern und Politik, um die Recyclingquoten - sowohl bezüglich der Gesamtmenge als auch bezüglich der enthaltenen Metalle - zu erhöhen, sind erforderlich.

Erste Schritte zu mehr Verantwortung

Es gibt noch viele Hürden zu überwinden, bevor die Elektronikindustrie wirklich "grün" ist. Das NGO-Netzwerk makeITfair hat einen Schwerpunkt seiner Arbeit auf einen nachhaltigen Rohstoffabbau gelegt, denn bis vor Kurzem war nur Coltan ein Thema in der Branche. Die Finanzierung des schmutzigen Bürgerkrieges in der DR Kongo durch den Abbau von Coltan für die Mobilfunk- und Computerindustrie hatte die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Zahlreiche Firmen haben in der Folge von ihren Zulieferern verlangt, auf Coltan aus der DR Kongo zu verzichten. Keines der Unternehmen kümmerte sich aber über den skandalisierten Fall Coltan hinaus um die anderen 30 Metalle.

makeITfair hat mit Recherchen zu Kobalt, Platinmetallen und Zinn nun einige Firmen wachgerüttelt. Anfang 2007 gaben die Unternehmen an, dass sie die Herkunft der Metalle nicht zurückverfolgen könnten, da sie diese nicht selbst einkauften. Sie betonten außerdem, dass sie deshalb keinen Einfluss auf die Arbeits- und Umweltbedingungen beim Abbau der Rohstoffe hätten. Im November 2007 veröffentlichte makeITfair dann Berichte über die erschreckenden Arbeits- und Umweltbedingungen beim Abbau von drei Metallen in Afrika. Die Studien zeigten, dass die Elektronikindustrie ein signifikanter Endverbraucher der Metalle ist (Zinn: 35 Prozent , Kobalt: 25 Prozent , Platin und Palladium jeweils rund 15 Prozent). Sie belegten zudem, dass es möglich ist, den Weg zumindest einiger Metalle bis zu den Rohstoffminen zurückzuverfolgen. Mit einer E-mail-Kampagne und einem Forderungskatalog sowie durch Dialog mit den Unternehmen hat makeITfair etwas in Bewegung gesetzt.

Seit der ersten Umfrage zum Thema Rohstoffe haben viele Unternehmen erkannt, wie wichtig eine nachhaltige Lieferkette ist. Es ist gelungen, mehr Firmen in die Verantwortung für die Rohstoffgewinnung zu nehmen. Mit gutem Beispiel gehen HP, Sony Ericsson oder Samsung voran, die mit ihren Zulieferern die Herkunft der Rohstoffe bis zur Mine zurückverfolgen wollen. Aber von der Erkenntnis, aus welcher Mine die Rohstoffe stammen, bis zu wirklichen Veränderungen vor Ort ist es noch ein weiter Weg. Zudem gibt es noch zu viele Unternehmen, die gar keine oder zu wenig Verantwortung für ihre Lieferkette übernehmen und die nun auch aktiv werden müssen.

Neben ökologischen auch viele soziale Probleme

Mit den ökologischen Problemen sind noch nicht alle Herausforderungen der IT-Branche benannt. Auch die Herstellung, vor allem in asiatischen Ländern, ist mit erschreckenden Arbeitsbedingungen verbunden. Mehr als die Hälfte der weltweit produzierten Computer und fast die Hälfte der Handys werden derzeit in China hergestellt. Die dortigen Arbeitsbedingungen können somit exemplarisch für den Sektor dargestellt werden - und leider sind vielfach die Probleme in anderen Ländern sehr ähnlich.

Die Arbeitsbedingungen in vielen asiatischen Ländern
sind prekär - 70-Stunden-Wochen bei geringem Lohn
sind keine Seltenheit.
© SACOM

In den Fabriken schuften die Arbeiter oftmals zwischen zehn und zwölf Stunden am Tag, an sechs bis sieben Tagen in der Woche. Der Mindestlohn für die normale Wochenarbeitszeit reicht kaum, um davon leben zu können. Und das, obwohl sich die meisten Wanderarbeiter überfüllte Schlafsäle, oft zu acht in einem kleinen Raum, teilen. Fast alle Arbeiter wollen sparen, um ihre Familien zu Hause zu unterstützen. Im Rahmen des makeITfair-Projekts wurden Frauen interviewt, die aus diesem Grund mehr als 150 Überstunden im Monat leisten und deshalb sieben Tage in der Woche arbeiten. Zudem müssen sie oft mit giftigen Chemikalien hantieren, obwohl ihnen dafür keine angemessene Schutzkleidung zur Verfügung steht.

Wenn den Beschäftigten ein Fehler unterläuft, können sie mit Gehaltsabzügen bestraft oder sogar entlassen werden. Das gilt auch, falls sie gegen ihre oft unfairen Arbeitsbedingungen protestieren. Für chinesische Arbeiterinnen und Arbeiter ist es schwierig, Veränderungen zu bewirken, denn unabhängige Gewerkschaften gibt es in China nicht. Die Einheitsgewerkschaft All-China Federation of Trade Unions (ACFTU), an der auch die Betriebsleitung Mitglied ist, setzt sich zu selten wirklich für die Arbeitsrechte ein.

Zudem wird das durchaus existierende chinesische Arbeitsgesetz oft nicht eingehalten. Dies liegt nicht nur an der mangelnden Kontrolle, sondern meist auch an den Verträgen der Elektronikunternehmen mit den Zulieferern sowie dem harten Preiskampf in der Branche. In den letzten Jahren kam es deshalb in China immer häufiger zu Spontanstreiks gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen.

Wer wird aktiv?

Immer wieder bekommen wir Anfragen von Verbraucherinnen und Verbrauchern, welche Hersteller oder Produkte wir empfehlen können. Bezogen auf Umweltfragen verweisen wir auf ein Ranking von Greenpeace, die seit einigen Jahren die Elektronikunternehmen nach ihrem Umweltverhalten bewerten. Dies ist ein wichtiger Anhaltspunkt und hat die Unternehmen schon zu Fortschritten angetrieben. Allerdings fließt die Frage der Rohstoffförderung nicht in die Bewertung mit ein. Neben dem Unternehmensranking gibt es auch eine Produktbewertung für die umweltfreundlichsten Handys, Laptops und Computer. Viele erreichen kaum mehr als die Hälfte der möglichen Punktzahl - es bleibt also noch einiges zu tun, um wirklich "grüne" Produkte herzustellen. Im sozialen Bereich ist es noch viel schwieriger. Zwar lassen sich Unterschiede in der Unternehmenspolitik ausmachen, zum Beispiel führt HP inzwischen auch Schulungen für die Arbeiter unter Einbeziehung von Nichtregierungsorganisationen durch, aber Veränderungen beginnen erst langsam. Zudem werden viele Hersteller häufig von denselben Zulieferern beliefert, so dass sich die Bedingungen auf Fabrikebene nur unwesentlich unterscheiden.

Kompliziert wird es zudem, wenn ein Verbraucher sowohl ökologische als auch soziale Kriterien anlegen will. Denn Nokia, das bei Greenpeace derzeit auf dem ersten Platz rangiert, macht sich bei sozialen Themen rar und streitet seine Verantwortung häufig ab. HP ist dagegen sowohl im Bereich Rohstoffverantwortung als auch im Bereich der Herstellung weiter als viele andere Unternehmen. Im Umweltranking von Greenpeace landet HP allerdings derzeit auf dem vorletzten Platz.

Für den Verbraucher heißt dies vor allem: genau überlegen, ob wirklich ein neues Produkt notwendig ist, - und insgesamt mehr Druck auf die Hersteller ausüben, damit sie ökologisch und sozial akzeptable Geräte herstellen. Kampagnen von Greenpeace oder makeITfair zeigen, dass sich etwas bewegen lässt.




Kontakt:

Cornelia Heydenreich
Referentin für Unternehmensverantwortung bei Germanwatch
E-Mail heydenreich@germanwatch.org
www.germanwatch.org







Dieser Beitrag erscheint in der Ausgabe von forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2009 mit dem Schwerpunkt "Zukunft gestalten - Demografischer Wandel & Fachkräftemangel als Herausforderung" und dem Special "Green IT & Energieeffizienz".

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Quelle:
Technik | Green IT, 05.08.2009

     
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