Wer keinen Nutzen bringt, fliegt raus.

Biodiversitätsforscher und ihr Nutzen für Politik und Gesellschaft

Heute redet alles vom "Nutzen". Wer keinen konkreten Nutzen bringt, fliegt raus. Das galt immer schon für die Wirtschaft und gilt mehr und mehr für die Wissenschaft. Früher war alles besser. Das könnte zumindest für Biodiversitätsforscher gelten. Auch wenn sie sich damals noch nicht so nannten: Naturwissenschaftler wie Carl von Linné und Charles Darwin konnten im 18. und 19. Jahrhundert als große Entdecker in der weltweiten Vielfalt des Lebens schwelgen. Ausdauer, Zeit und einfache Hilfsmittel waren ihre Begleiter. Ohne großen Druck von außen katalogisierten, analysierten und strukturierten sie den Reichtum an Arten, Formen und Funktionen. Sie tauchten ein in die Faszination der Tier- und Pflanzenwelt und teilten anderen ihre Entdeckungen in Form handgemalter Abbildungen mit. Es gab weder Internet noch Online-Datenbanken, Elektronenmikroskop oder Genanalysen. Und vor allem: Keine Aufforderung zum "publish or perish".

Von Corinna Hölzer

Foto: Arnd Hertel/ Fotolia
Heute erleben sich viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer anderen Situation. Mit modernster Technik können sie der biologischen Vielfalt auf den Leib rücken. Sie tauchen immer tiefer ein in die Vielfalt der Gene, Arten und Ökosysteme und produzieren und publizieren eine Flut an Detailwissen. Wer viel publiziert, gewinnt. Der Wissensberg türmt sich und die Biodiversitätsforscher verstehen immer besser, wodurch das Netz des Lebens weltweit zusammen gehalten wird. Diverse Forschungsergebnisse zeigen, dass das komplexe Netzwerk an vielen Stellen reißt. So sind Forscher heutzutage mehr und mehr gezwungen, den rapiden Artenschwund zu katalogisieren und Rote Listen zu füllen anstatt - wie Darwin - in der Vielfalt zu schwelgen.

Es verwundert nicht, dass immer mehr Wissenschaftler nicht mehr nur beschreiben möchten, wie die moderne Gesellschaft mit ihrer Verschwendungssucht die Gesundheit der Ökosysteme ruiniert. Sie möchten sich einbringen und Lösungsvorschläge unterbreiten. Denn diese Einsicht haben inzwischen auch Politik und Wirtschaft: Nur funktionierende Ökosysteme können überhaupt unsere Grundbedürfnisse wie frisches Wasser, frische Luft, ertragreiche Böden etc. bedienen. Während Umwelt- und Naturschutz in der Vergangenheit als Luxus deklariert wurden, wird auf Politik- und Wirtschaftsebene - wenn auch zögerlich - erkannt, dass es sich um eine dringende Notwendigkeit handelt.

Innerhalb der letzten 200 Jahre entwickelte sich die gesellschaftliche Sicht auf die biologische Vielfalt von der Furcht vor der Übermacht der Wildnis hin zu Forderungen nach mehr Wildnis in unserer verarmten Landschaft der Monokulturen. Nachdem die Biologen in den letzten Jahrhunderten vor allem Grundlagen erforschten und zum generellen Verständnis der komplexen Lebenszusammenhänge beitrugen, scheint sich seit einigen Jahren eine Trendwende zu vollziehen. Mittlerweile integrieren auch Sozialwissenschaftler, Juristen, Ökonomen und Politikwissenschaftler Fragestellungen zur biologischen Vielfalt in ihre Forschungsarbeit. Sie beleuchten das Feld aus gänzlich neuen Blickwinkeln. Transdisziplinarität heißt das Zauberwort. Die Erkenntnis setzt sich durch, dass der Stopp des Artensterbens nur zu erreichen ist, wenn Wissenschaft auch wirklich "Wissen schafft". Entscheider und Umsetzer aus Politik, Behörden und der Landnutzungspraxis lesen selten englischsprachige Wissenschaftsjournale. Wie also soll das ständig neu geschaffene Wissen der Biodiversitätsforscher an die Akteure aus der Praxis gelangen? Brauchen wir einen Paradigmenwechsel innerhalb der Wissenschaft?

Mit internationalen Abkommen wie der Biodiversitätskonvention, CBD, hatte sich die Weltgemeinschaft das hohe Ziel gesetzt, bis zum Jahre 2010 den Artenschwund zu stoppen. Dieses Ziel wurde weit verfehlt. Seit 2007 hat auch Deutschland eine Nationale Strategie zur Biologischen Vielfalt und befindet sich momentan in der vom Bundesumweltministerium koordinierten Umsetzungsphase. Um die Hebel beim Biodiversitätsschutz dabei möglichst effektiv anzusetzen, bedarf es dem verstärkten Austausch zwischen Wissenschaft und allen Akteuren aus der Landnutzungspraxis. Wirtschaft, Politik und ihre Berater könnten bei ihren Bemühungen um den Erhalt der biologischen Vielfalt gut von Handlungsempfehlungen aus der Wissenschaft profitieren.

Mit internationalen Abkommen wie der Biodiversitätskonvention, CBD, hatte sich die Weltgemeinschaft das hohe Ziel gesetzt, bis zum Jahre 2010 den Artenschwund zu stoppen. Dieses Ziel wurde weit verfehlt. Seit 2007 hat auch Deutschland eine Nationale Strategie zur Biologischen Vielfalt und befindet sich momentan in der vom Bundesumweltministerium koordinierten Umsetzungsphase. Um die Hebel beim Biodiversitätsschutz dabei möglichst effektiv anzusetzen, bedarf es dem verstärkten Austausch zwischen Wissenschaft und allen Akteuren aus der Landnutzungspraxis. Wirtschaft, Politik und ihre Berater könnten bei ihren Bemühungen um den Erhalt der biologischen Vielfalt gut von Handlungsempfehlungen aus der Wissenschaft profitieren.

Auf ein anderes Manko weist Prof. Dr. Volkmar Wolters hin, der das ebenfalls vom BMBF geförderte Forschungsprogramm "BIOLOG -Biodiversität und globaler Wandel" koordiniert (www.biolog-europe.org). Er findet, dass die Biodiversitätsforschung in der Pflicht steht, auch problem- und lösungsorientiert zu forschen: "Die Biodiversitätskrise ist durch den Menschen verursacht und muss den Menschen daher auch bei der Lösungssuche mitnehmen. Es genügt nicht mehr, die negativen ökologischen Folgen unseres Handelns zu dokumentieren. Wissenschaft darf sich nicht scheuen, auch die Wirtschafts- und Lebensweisen des Menschen sowie seine konkreten Auswirkungen auf die Ökosysteme in den Fokus der wissenschaftlichen Betrachtung zu nehmen".

Ökosysteme erbringen uns wertvolle Dienste - wir sollten sie also endlich
wertschätzen. Oder sogar in Wert setzen, monetarisieren ...?


Beispiele für ökosystemare dienstleistungen:
- Bestäubung
- Bodenfruchtbarkeit
- Lebendverbau (biogener erosionsschutz)
- Wasser-Aufnahmevermögen des Bodens
- Bereitstellung von süß- und Trinkwasser durch Niederschlag und natürliche
Filtration
- Beeinflussung des Klimas (Co2-Sequestrierung)
- Verfügbarkeit von Fischen als Nahrungsmittel in aquatischen Ökosystemen

Als "ökosystemare dienstleistungen" betrachten Forscher diejenigen durch den
Menschen genutzte (oder potentiell nutzbare) Leistungen, die von Ökosystemen
erbracht werden. Wenn beispielsweise unsere Bienen und schwebfliegen weiterhin
großflächig im Rückgang begriffen sind... wer bestäubt dann unsere Feldfrüchte?
obstplantagenbesitzer und imker klagen schon lange. Niemand scheint sie zu hören.

Im Profil

Dr. Corinna Hölzer gründete 2001 das erste Medienbüro für ökologisch tragfähige Entwicklungen, GreenMedianet. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die Vernetzung von Umweltakteuren und Biodiversitätsschutz.

Quelle:
Umwelt | Biodiversität, 27.04.2010
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2010 - Cleantech erschienen.
     
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