Der Boden der Tatsachen (Teil 2)

Die Tatsachen des Bodens

Den 1. Teil von "Der Boden der Tatsachen" finden Sie hier.


Gemeinsames Anpacken für das "Schwarze Gold": Landwirte im Chiemgau nutzen das Wissen der Indios über Terra Preta, um fruchtbaren Boden herzustellen.
Foto: © Bernhard Hennes und EM Chiemgau
Wissen vernetzen, wenn die Politik überfordert ist
Damit hat er den Bodenkundler und Mitarbeiter des Bundesumweltministeriums Haiko Pieplow auf seiner Seite: "Gerade bei der Nutzbarmachung von Innovationen und Transformation uralten Wissens in unsere heutige Zeit sind Institutionen wie unsere Bundeseinrichtungen eigentlich überfordert. Es gibt zwar fachliche Diskussionen über Nachhaltigkeit und Klimaschutz, aber es ist unglaublich schwer und langwierig, ein Bewusstsein für die Bedeutung des Bodens zu schaffen". Zwar gäbe es Passagen zur Bedeutung von Boden und Humus im Rahmen der Klimaanpassungsstrategie und des Bodenschutzgesetzes, doch könnte man hier nicht von zukunftsweisend ganzheitlichen Ansätzen sprechen. Bei ganzheitlichen systemischen Ansätzen tun sich EU-, Bundes- und Landesbehörden bislang immer noch schwer, ganz zu schweigen von vielen Politikern. Da haben es kreative Unternehmer schon etwas einfacher.

Doch das Spannende ist: Es gibt weltweit Regionen wie den Chiemgau, in denen die Menschen einfach anfangen und nicht auf die Behörden oder die Politik warten. Hier setzt sich das Bottom-up-Managementkonzept durch - man tauscht landwirtschaftliche Erfahrungen und Wissen aus, fängt klein an und lässt es wachsen, statt nur einseitig gegen starke Lobbyinteressen anzurennen. "Wir sollten viel stärker solche innovaten Konzepte und nachhaltiges unternehmerisches Handeln befördern, ohne zu subventionieren. Die neuen zukunftsfähigen Impulse kommen von unten", bestätigt Pieplow als Vertreter einer Bundesbehörde. Landwirte können vieles alleine machen. Man sollte aber viel stärker den Wissenstransfer, die praxisnahe wissenschaftliche Begleitung sowie Aus- und Weiterbildung im Bereich des nachhaltigen Wirtschaftens fördern.

Denn gerade die konventionelle Agrarwissenschaft ist bisher kaum in der Lage, sich mit den komplexen Systemen gesunder Böden zu beschäftigen. Sie ist schlicht überfordert, weil durch Lobby korrumpiert - oder eben von unabhängiger Seite zu wenig gefördert. Die Lehrmeinung, es gäbe kein Humusproblem in Deutschland, ist weit verbreitet. Andernorts werden innovative Ansätze zwar aufgenommen, aber bald wieder auf einen Teilbereich beschränkt, statt systemisch betrachtet. So ist es auch bei der Terra Preta geschehen, die an der Universität Bayreuth für die heutige Zeit "wiederentdeckt" und dann sehr schnell auf das (industriell interessante) Einzelphänomen Biokohle (engl. Biochar) reduziert wurde, statt die gesamte Bodenbiologie als Einheit zu erforschen.

Ernährung selbst in die Hand nehmen: Urban Gardening bietet die Chance, "Abfälle" der Stadt als Nährstoffe wieder wertvoll zu machen - Kreislaufdenken macht's möglich.
Foto: © ompassionate Eye Foundation/ Steven Errico, Gettyimages
Deutschland verliert den Anschluss
"Wir haben in Deutschland die tragische Situation, dass an keiner Universität der Boden wirklich systematisch untersucht wird. Da sind uns inzwischen andere Länder voraus", bedauert Pieplow. USA, Südamerika, auch Australien und partiell China hätten schon ganzheitlichere Forschungsansätze, während die Bodenkunde und Humusforschung hierzulande seit den 1970er Jahren zugunsten der Erforschung chemischer Mittel stark reduziert wurde. Die Auflösung des Dilemmas könnte von den Landwirten kommen, die ihre funktionierenden neuen Ansätze der Wissenschaft zur Verfügung stellen würden - sofern diese sich wieder mehr dem Erkenntnisgewinn, als der Drittmitteleinwerbung zuwenden könnte.

Das Rosenheimer Projekt will diese Praxiserfahrungen machen und Wissen teilen. Es folgt keiner Ideologie, ist für alle Bauern offen und integriert von allen Seiten die besten Erfahrungen. 80 Prozent der 700 teilnehmenden Landwirte arbeiten konventionell. "Denen muss man das Werkzeug an die Hand geben, damit sie Schritt für Schritt in die richtige Richtung gehen können", ist Projektleiter Christoph Fischer überzeugt. Einige der Teilnehmer stellen nach und nach auf Biolandwirtschaft um, einige lassen sich zertifizieren, andere wollen einfach eine nachhaltige Landwirtschaft betreiben, die sie mit gutem Gewissen ihren Kindern weiter vererben können.

Der Kreislauf von Geld und Nährstoffen
Der wirtschaftliche Aspekt kommt bei diesem Ansatz nicht zu kurz. Schließlich lassen sich durch die getesteten alternativen Methoden - Gesteinsmehl, Holzkohle, Mikroorganismen, Mischfruchtanbau, pflugloser Ackerbau usw. - auch Kosten für Düngung, Spritzmittel und Tierärzte sparen. So kann in weitere sinnvolle Maßnahmen reinvestiert werden. "Kern unserer Arbeit ist es, die regionalen Kreisläufe zu schließen. Und die verbessern wir ja permanent", bestätigt Landwirt Hennes: "Fruchtbarer Boden, gesündere Pflanzen, gesündere Tiere und damit letztendlich wieder mehr und bessere Nährstoffe für den Boden".

Dieser bäuerliche Kreislaufgedanke ist es, der sich auf alle Systeme übertragen lässt. Eine zukunftsfähige Wirtschaft schließt die Landwirtschaft wieder viel stärker ein und vor allem: Sie baut Stoffströme neu auf. Terra Preta ist ein Ergebnis und wie ein Puzzleteil des gesamten Konzepts, ein Jahrtausende altes Experiment von Abfall- und Bodenmanagement, das sich sehr gut in den Blue Economy-Ansatz von Gunter Pauli integrieren lässt. Ziel ist ein Managementsystem, mit dem mehr Lebensmittel und Produkte regional mit wesentlich weniger Aufwand hergestellt werden. "Wenn Betriebswirte und Unternehmer ihren 'homo economicus' ernst nähmen" so Pauli "würde jeder verantwortungsvolle Manager nach mehr Nutzen streben - durch eine stetig abnehmende Menge an nicht regenerierbaren Ressourcen, ohne die heutige Vergeudung der menschlichen Potenziale, und durch einen stetig zunehmenden Einsatz von regional verfügbaren regenerativen natürlichen Ressourcen".

Was zunächst wie ein Schema aus einem BWL-Einstiegsbuch klingt, bedeutet bei näherem Hinsehen einen riesigen Sprung. Zwar redet man gern über nachhaltiges Wirtschaften, doch der Erfolg von regionalen Stoffkreisläufen nach dem Vorbild der Natur setzt auch voraus, dass man anerzogene Tabus im Kopf durchbricht. Am Beispiel der Terra Preta: Natürlich muss es erst "Klick" machen, bevor sich vorurteilsfrei über die Nutzung von Urin und Fäkalien als wertvolle Ressourcen in einer modernen zukunftsfähigen Siedlungswirtschaft sprechen lässt. Doch die Ureinwohner in Brasilien waren da schon mal weiter. Sie konnten in tropischen Städten nur so dicht miteinander leben, weil sie viel hygienischere Abfall- und Abwassersysteme als wir hatten und damit schwarze Erde herstellten.

Tabus brechen: das "Klo für's Klima"
Noch "stinkt" dieses wichtige Thema vielen kommunalen Entscheidern. Momentan sind unsere Kläranlagen "hocheffiziente Ressourcenvernichtungsanlagen", wie der Agrarökonom Pieplow es ausdrückt. 1,5 Liter Ausscheidungen werden mit rund 100 Liter Trinkwasser verdünnt und in den Kläranlagen am Stadtrand mit viel Energie in die Luft geblasen. Der Wahnsinn setzt sich fort, denn der Klärschlamm, der dabei entsteht, wird zunehmend mit viel Energie getrocknet und verbrannt. Eine Verschwendung an Geld, Kohlenstoff, Nährstoffen, Wasser und Energie!

Eine Lösung läge in der Nutzung von nachhaltigen Sanitärsystemen, wie den anaeroben Trockentrenntoiletten. Mithilfe des daraus herstellbaren Bokashi lässt sich sogar der eigene Garten oder Balkon aufpeppen - z. B. mit selbst gezogenen Tomaten. "Da bekommen 'innere Werte' eine ganz andere Bedeutung", lacht Pieplow, "es ist doch amüsant, wenn nicht immer nur Fehler, sondern auch mal Tomaten auf dem eigenen Mist wachsen!". Die Voraussetzungen dafür scheinen ideal. Die Schöpfung hat uns als Stofftrennanlage entwickelt. Als es noch keinen mineralischen Stickstoffdünger zu kaufen gab, wurde diese Tatsache auch viel intelligenter genutzt.

Außerdem ließe sich durch diese Toilettenform ein enormer Beitrag zum Klimaschutz realisieren. 480 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente könnte man jährlich binden, wenn der über den menschlichen Stoffwechsel angefallene Kohlenstoff für den Boden zurückgewonnen würde.

Stadt, Land, Wald: die Verbindung der Zukunft
Werden wir also bald riesige Schwarzerde-Fabriken in der Landschaft sehen? Ganz bestimmt nicht. Die Terra Preta ist eine Gartenbodenform, die industriell nicht wirtschaftlich hergestellt werden kann. Sie ist in urbanen Gebieten entstanden und funktioniert auch nur in kleinen regionalen Kreisläufen. Noch immer wachsen urbane Räume und zerstören damit landwirtschaftliche Nutzfläche, die wir brauchen würden, um die Stadtbevölkerung zu ernähren. Momentan beziehen Städter ihre Nahrungsmittel aus der ganzen Welt vom Land und vernichten das übrigbleibende als wertlosen Müll. "Und wir Landwirte kommen nicht an diese Wertstoffe ran", bedauert Bernhard Hennes. "Dabei könnten wir sofort anfangen, intelligente Wertstoffhöfe für organische Abfälle zu bauen".

Kohlenstoff und Nährstoffe sollten künftig möglichst lokal - auch in Städten - in Kreisläufe zurückgebracht und z. B. für den Gemüseanbau genutzt werden. Dieser Ansatz kann auch in die aufkommenden Urban Gardening-Bewegungen getragen werden, die alle mit dem Humusproblem kämpfen. Wenn hier landwirtschaftliches Wissen und bürgerschaftliches Engagement verknüpft und z. B. über Open Source wie im Chiemgau weitergegeben werden, kommt der Kreislauf wirklich ins Rollen.

Nachhaltig in die Zukunft gedacht, brauchen wir keine riesigen industriellen Monokulturen in Landwirtschaft und Gartenbau, sondern eine Mischung aus Permakultur, städtischem Anbau und Agroforstsystemen, in denen u. a. wieder mehr Holzbiomasse produziert wird, die Kohlenstoff für die Bodenfruchtbarkeit liefert. Und wir brauchen ein neues Systemdenken einer Ökonomie, mit der unsere Lebensqualität steigt - ohne Vergeudung von Naturressourcen und Potenzialen der Menschen.

Klassische Wirtschaftssysteme berechnen die Endlichkeit der Ressourcen nicht ein. Ob Adam Smiths Theorie vom freien Markt oder Marx' und Engels' Hypothese, nach der sich die Ertragsfähigkeit des Bodens durch die Anwendung von Kapital, Arbeit und Wissenschaft ins Unendliche steigern lässt: Sie alle werden in ihrer Weisheit übertrumpft von einem Kinderfilm. Für den "König der Löwen" Mufasa ist Boden kein wertloser "Dreck", auch wenn der Herrscher ein Raubtier mit nicht gerade vegetarischem Lebensstil ist. Doch er vermittelt seinem Sohn Simba das Wissen vom "ewigen Kreis des Lebens", in dem jedes Element sein Werden, Vergehen und seinen Sinn hat; und seinen Ursprung im Boden.

Egal, ob uns der Verlust dieser Grundlage jetzt oder erst in 100 Jahren in eine Krise stürzt - es wird Zeit, dass wir ihn besser kennenlernen und uns mit den Tatsachen des Bodens beschäftigen.




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Quelle:
Umwelt | Umweltschutz, 27.04.2011

     
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