Mit Kultur in die vierte Dimension

Über den Zusammenhang von Kultur, Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility

Man hört "Nachhaltigkeit" und denkt automatisch an die damit verbundenen Dimensionen "ökonomisch", "ökologisch", und "sozial". Doch auch kulturelle Aspekte geraten zunehmend in den Fokus der Diskussion - die Wirtschaft kann vielfältig von der Förderung dieser "vierten Dimension" profitieren.

Als ich noch ein kleines Kind war, nahm meine Mutter mich zu einer Ausstellung im Freien mit. Bei dem Rundgang durch Wald und Wiesen fand ich besonderen Gefallen an einem großen Nest. Inmitten der Bäume war es auf dem Boden aufgebaut, geflochten aus gefundenen Ästen. Schon als ich es von weitem sah, faszinierte mich, wie ein von Menschen gemachtes Objekt durch seine ungewöhnliche Größe so fremdartig sein kann und gleichzeitig genau in diese natürliche Umgebung zu gehören schien. Ich nahm im Nest Platz und fühlte Kultur und Natur - die vermeintlichen Gegensätze - als Eins. Ohne je vorher davon gehört zu haben, hatte ich meine erste Begegnung mit dem Thema Nachhaltigkeit.

Gegensätze ziehen sich an

Eins mit der Natur: Die chinesisch-schweizerische Künstlerin Ping Qiu erschuf eine Sitzbank, die wie ein Pilzhut am unteren Ende eines Baumes wächst. Die Baumkrone wird zur in den Himmel ragenden Wurzel.
Was ist denn eigentlich Kultur? Definieren wir es als "alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt oder verändert", gehören dazu die bildenden und darstellenden Künste, aber auch Leistungen in der Technik, im Recht und der Wissenschaft. Auf den ersten Blick scheint Kultur damit einen direkten Gegensatz zur Natur darzustellen, die von selbst besteht und in ihren Gesetzen unveränderlich ist. Das Beispiel "Nest" zeigt allerdings, dass dieser Gegensatz gebrochen, aus der Verbindung etwas Neues geschaffen werden kann. Dieses Zusammenspiel von Kultur und Natur bringt die Kernfrage der Nachhaltigkeit auf den Punkt: Wie können wir menschlichen Einfluss in natürliche Gegebenheiten so gestalten, dass er im Einklang mit ihnen steht und das entstehende System zukunftsfähig ist? Die "Kunstobjekte", die der Mensch hervorbringt, also nicht nur in ihrer Herstellung nachhaltig sind, sondern auch in ihrer Wirkung! Nämlich indem sie den Benutzer oder Betrachter auf die Bedeutung seines Handelns in der Welt aufmerksam machen - und so einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.

Erst die Erkenntnis, dass Nachhaltigkeit sich - genau wie Kultur - durch alle Bereiche unserer Gesellschaft zieht, eröffnet die "vierte Dimension". Mit ihrer Mittlerrolle zwischen Fakten und Gefühlen, Wissen und Handeln, Ist- und Sollzustand prägt Kultur unsere Identität - und spielt so eine wesentliche Rolle für eine zukunftsfähige Entwicklung.

Berührung schafft Aufmerksamkeit

"Green-Bag-Movement" ist die Einladung des Künstlers Dodi Reifenberg, über die Schönheit nachzudenken, die sich ergibt, wenn Kunststoffmüll umsichtig recycelt wird. Es ist ein großer Teppichgarten aus benutzten Plastiktüten, locker zusammengehalten durch einen langen schmalen Gürtel. Gegen Ende des Teppichgartens ist ein aus winzigen Fragmenten recycelter Plastiktüten gemachtes kleines Porträt von der Friedensnobelpreisträgerin Dr. Wangari Maathai, die mit dem Green-Belt-Movement Frauen in Kenia hilft, Bäume auf ihren Farmen, Schul- und Kirchengrundstücken zu pflanzen.
Kinobesucher kennen das Erlebnis: Man verlässt den Kinosaal und denkt plötzlich aus einer neuen Perspektive über das gerade im Film behandelte Thema. Oder man kann es kaum erwarten, nach dem Museumsbesuch noch mehr über den Gegenstand der Ausstellung zu erfahren. Filme, Gemälde, Musikstücke haben als Medien - also Mittler - eine Wirkung auf uns und regen so zum Nachdenken an. Mittels der entstehenden Emotionen spricht Kultur auch die rechte Gehirnhälfte an, in der die ganz persönliche Deutung von wahrgenommenen Fakten entsteht. Reine Fakten werden lediglich von der linken Gehirnhälfte des Menschen aufgenommen und bewirken keine Bewusstseins- oder Verhaltensänderungen, wenn nicht auch Emotionen ausgelöst werden. Das gilt nicht nur für den Einzelnen! Der Austausch zwischen Menschen wird gefördert, wenn z.B. gemeinsam an einem Kunstprojekt gearbeitet wird oder man eine musikalische Erfahrung teilt. Durch das Potenzial, Aufmerksamkeit zu schaffen und Menschen zusammen zu bringen, kann ein verändertes kulturelles Bewusstsein den - in Zeiten von Klimawandel, Ungerechtigkeit und Ressourcenmangel - notwendigen gesellschaftlichen Wandel auslösen und tragen. Diese Wirkung nutzt z.B. das "MorgenLand Festival für eine enkeltaugliche Zukunft" (www.morgenland.li) in Liechtenstein. Das fünftägige Programm mit Konzerten, Theateraufführungen und Workshops zielt darauf ab, kreative Lösungen für eine nachhaltige Zukunftsgestaltung zu entwickeln.

Im Zusammenspiel zum Ziel

So verhext, so schön: Joan Backes (USA) schuf ein märchenhaftes Haus aus Ästen und Zweigen mit Einrichtung und Sitzplätzen für Besucher.
Kultur formt die Gesellschaft und lässt Menschen die Umwelt formen - doch welche Wechselwirkungen bestehen zur Wirtschaft? Im Rahmen ihrer Corporate Social Responsibility-Strategie fördern zahlreiche Unternehmen kulturelle Projekte. Laut einer Studie der Agentur Causales zu bestehenden Sponsoringpartnerschaften im Jahr 2010 arbeiten über 80 Prozent der teilnehmenden Kultureinrichtungen mit Sponsoren aus der Wirtschaft zusammen. Über Kultursponsoring hinaus wird die Möglichkeit genutzt, Kultur in die Unternehmensstruktur zu integrieren. Mit der Sammlung Deutsche Bank bietet z.B. die Deutsche Bank AG seit 30 Jahren Zugang zu zeitgenössischer Kunst. In der Taunusanlage in Frankfurt am Main ist jede Etage der zwei Türme je einem Künstler gewidmet, geordnet nach Regionen. Neben einer Verbesserung des Images kann diese Art von kulturellem Engagement auch die Mitarbeitermotivation fördern! Außerdem kann die Wirtschaft Synergien nutzen, die durch Kunst entstehen - z.B. wenn sie als Innovationstreiber wirkt.

Der Begriff "Corporate Cultural Responsibility" ist zwar weitgehend geläufig, doch es fehlt an einem tieferen Verständnis des kulturellen Potenzials und letztlich an einer intensiveren Förderung. Mehr Unternehmen sollten eine Beschäftigung mit Kultur wagen, die über finanzielle Aspekte hinausgeht und so Brücken und Nester bauen, um Menschen in ihrem Bewusstsein und Handeln anzusprechen und gemeinsam Nachhaltigkeit zu ermöglichen.
 
 

Von Lea Eggers


Kultur als CSR-Bereich

Kultur lehrt uns Denken und ist gleichzeitig emotionale Inspiration. Als solches ist sie eine unverzichtbare Ressource unserer Lebenswelt und hat entsprechend große Bedeutung für die Gesellschaft. Der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft hat dies bereits mit folgenden Worten in seiner Satzung von 1951 zum Ausdruck gebracht: "Verkümmerung der Kunst ist Verstümmelung des ganzen Menschentums." Unternehmen fördern daher unabhängig von ihrer Größe und Branche Kultur, um Verantwortung für dieses hohe gesellschaftliche Gut demonstrativ mitzutragen: Gemäß einer Kulturkreis-Studie von 2010 ist die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung der wichtigste Grund für ihr kulturelles Engagement und Kultur somit als ein Feld ihrer Corporate Social Responsibility zu verstehen. Um diesen engen Zusammenhang von Kultur als einen CSR-Bereich auch begrifflich zu verdeutlichen, wurde die Bezeichnung "Corporate Cultural Responsibility" eingeführt, die sich inzwischen weitgehend etabliert hat. Die damit einhergehende Betonung der Kultur als einen Teilbereich der CSR soll - bei aller Bedeutsamkeit der anderen CSR-Bereiche - auch daran erinnern, das kulturelle Engagement weiterhin hochzuhalten.

Friederike von Reden, Kulturkreis der deutschen Wirtschaft




Die Menschen wieder zu Gestaltern machen!

Albert Schweitzer hat einmal gesagt: "Zuerst bauen Menschen Häuser, dann bauen die Häuser Menschen."

Wir sind deshalb in eine Krise geraten, so würde ich Schweitzer dann für uns interpretieren, weil wir lange glaubten, Initiator und Gestalter von Entwicklungen zu sein. Wir mussten jedoch feststellen, dass unsere Taten über uns selbst hinauswuchsen und wir zu deren Opfern mutierten. Mit unserem Initiativprojekt ÜBER LEBENSKUNST konstatieren wir im Überlebensbegriff diese Krise und deuten zugleich mit dem Begriff der Lebenskunst einen möglichen Lösungsweg an. Es geht darum, die Menschen aus der von vielen so empfundenen Hilflosigkeit in die Rolle von Akteuren und Gestaltern zu versetzen. Im Kontext des notwendigen gesellschaftlichen Wandels hin zu einer nachhaltigen Art des Lebens und Wirtschaftens kommt Kunst und Kultur eine große Bedeutung zu - sie haben die Fähigkeiten, alternative Modelle sinnlich wahrnehmbar und dadurch begreifbar zu machen.

Dr. Bernd M. Scherer, Intendant Haus der Kulturen der Welt

Quelle:
Gesellschaft | Social Business, 04.01.2012

     
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