Und was jetzt?

Orientierungslosigkeit zwischen Gipfelstürmerei und Rating-Technokratie

Der Davos-Gipfel Ende Januar hat offen gelegt, wie wenig wir globale Ziele mit vereinten Kräften erreichen können. Zu viele Wege, zu viele Partialinteressen, nicht eindeutig definierte Ziele und ein Sprachgebrauch, der mit "Tranformation und Leadership", dem Motto des diesjährigen Treffens, sehr wenig zu tun hatte.

Der T(h)urmblick - Kolumnist Ralph Thurm über Orientierungslosigkeit
Foto: © Fotolia.com
"Man müsse die Interessen der Anderen da draußen ernst nehmen", aber "hier drinnen könne man sich austauschen und sehen, wo man selber stünde". Damit ist der Nutzen von Davos auch schon recht genau eingegrenzt: die Strippenzieherei auf den Korridoren und den Nebenschauplätzen, die Einordnung eigener Unternehmensaktivitäten in das Gesamtbild, und dann "müsse man weiter darüber nachdenken, ob man nicht mal sollte, schließlich hätte man ja nun einen noch besseren Überblick was nötig wäre, und träfe genau die richtigen Leute, um sich weitere Gedanken machen zu können, so etwas bekomme man eben nur in Davos". Genau diese Unverbindlichkeit machte junge Teilnehmer (die sog. Global Shakers) ziemlich wütend.

Es wäre unfair zu sagen, dass Davos nicht jedes Jahr auch einige Inspiration erzeugt und durch die vorbereiteten Dokumente und Reports die tatsächliche Lage der Welt zu verdeutlichen hilft. Doch nur wenige der Empfehlungen werden in den zwölf Monaten bis zum nächsten Almauftrieb auch wirklich in Taten umgesetzt. Auf dem Programm standen auch Diskussionen um den politischen Fortgang in den nächsten drei bis zwölf Monaten - dieses Jahr dominiert durch die Eurokrise. Ein wenig besser sah es noch in den vielen Workshops aus, in denen handverlesene Gäste vorstrukturierte Themen diskutierten. Tatsächlich war Nachhaltigkeit hier ein primäres Thema. Danke, und dann bis nächstes Jahr!

"Raten" Ratings ins Blaue?

Wieder zu Hause sind die meisten Unternehmer dann mit den anderen Performance-Programmen und ihren ureigenen Problemen beschäftigt. Auch die Positionierung in den Nachhaltigkeitsrankings ist wieder an der Tagesordnung. Mehr als 110 dieser Ratings gibt es in der Zwischenzeit laut SustainAbility in London, die Rankings der meisten Zeitschriften gar nicht erst mitgezählt. Auch hier gibt es zwischenzeitlich unzählige - man will ja dabei sein. Schon lange sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Abgesehen davon, dass in fast allen Fällen die Methodologie nicht veröffentlicht ist, kommen sehr unterschiedliche Ergebnisse heraus. Je nach Untersuchungsausschnitt kann es dann passieren, dass z.B. Rupert Murdochs NewsCorp ein "AAA" im MSCI ESG Research bekommt oder im Carbon Disclosure Project Nummer 1 für die Veröffentlichung von Klimadaten und interner Verbesserung im Mediensektor wird (erreicht durch interne Effizienzmaßnahmen und Carbon Offset). Kurz vorher jedoch legte die NGO Media Matters offen, dass Rupert Murdochs Fox News mehr als jeder andere Sender gegen Klimaveränderung agiert und das Rolling Stone Magazin stellte Herrn Murdoch sogar an die Topposition derjenigen Unternehmenslenker, die Fortschritt in der Klimadiskussion torpedierten. Niemand verbreitet mehr Desinformation über globale Erwärmung als Murdoch, und sowohl Fox News als auch das Wall Street Journal erklärten Klimaveränderung sogar als "tot" oder "nicht existent".

Eigentlich ist doch alles relativ

Fälle wie diese gibt es unzählige. So ist es nicht verwunderlich, dass Investoren, Konsumenten und auch Analysten nicht so recht wissen, was nun von all dem zu halten ist. Ist Apple jetzt zu ächten wegen der Umstände in Foxconn-Zulieferfabriken in Asien oder zu lieben wegen der Energieeffizienz und Umweltprogramme? Wie ist es um BP oder Exxon Mobile wirklich bestellt?

Das grundsätzliche Problem mit Ratings liegt neben der Undurchsichtigkeit der Methodologie darin, dass eigentlich alles relativ ist. Wie schon in der letzten Kolume forum 1/2012 ausgeführt, fehlt uns die Benchmark, um Leistung in Beziehung zu gewissen globalen Obergrenzen setzen zu können. Der Nachhaltigkeitskontext ist nicht gegeben, und die Rolle der einzelnen Unternehmen ist schon gleich gar nicht deutlich. Und so macht irgendwie jeder alles. Weiterhin ist der Partialfokus der Rankings, die Qualität des Datenmaterials (da verlässt man sich meist auf andere), fehlende Zukunftsorientierung des Untersuchungsspektrums, die tendenzielle Bevorzugung derjenigen, die beim Versammeln nötiger Informationen gut mitarbeiten und das Fehlen einer Gesamtholistik (trotz GRI Guidelines, etc.) zu nennen. Das meint zumindest SustainAbility, das letztes Jahr mehrere Reports zum Thema "Ranking the Rankers" herausbrachte.

Die Vorschläge zu einer "Europäischen Nachhaltigkeits-Rating Agentur" (ENRA) lassen daher aufhorchen. Eine Ratingagentur, die sich darauf konzentriert, das Gemeingut voran zu stellen und postuliert, dass Wirtschaft nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie dem Gemeinwohl diene, verspricht einen holistischen Ansatz, der das Potenzial zu einem wirklichen Transformationsbeitrag für eine nachhaltigere Gesellschaft hat. Die bisherigen Modelle haben geholfen, das Bestehende ein wenig zu verbessern, aber das ist nicht genug. Plato sagte schon: "Das Einzelne kann nicht gut sein, wenn das Ganze nicht gut ist". Zeit zur Konsolidierung auf dem Ratingmarkt, Zeit zur Fokussierung auf die wirklich wichtigen Benchmarks und dann auch Zeit, um dies in Davos zu diskutieren. Also dann, bis nächstes Jahr!
 
Im Profil
Ralph Thurm ist Gründer und Managing Director von A|HEAD|ahead. Für forum schreibt er regelmäßig die Kolumne "Der T(h)urmblick".   

Quelle:
Gesellschaft | Politik, 26.04.2012

     
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