Der Kapitalmarkt ist ein gefesselter Riese

Viele Firmen kümmern sich nur begrenzt um eine nachhaltige Unternehmenspolitik und ignorieren Kritik daran.

Fondsmanager könnten gegensteuern und Milliarden bevorzugt in ökologisch oder sozial sinnvoll wirtschaftende Betriebe investieren. Klappt dieser Milliardendeal?

Eine Studie des kirchennahen Südwind-Institutes deckt die Zusammenhänge zwischen Kapitalmarkt und Nachhaltigkeitsperformance von Unternehmen auf. forum-Redakteur Horst Hamm, einst Mitbegründer des Natur Aktien Index (NAI) sprach mit Antje Schneeweiß, der Verfasserin der Studie, über den gigantischen Hebel großer Anleger und warum dieser noch immer viel zu wenig genutzt wird. Aber auch darüber, wie private Geldanleger mit Ihrer Anlagestrategie die Wirtschaft beeinflussen können.

Frau Schneeweiß, Sie haben gerade eine Studie abgeschlossen über nachhaltige Geldanlagen, bei denen Anleger in Unternehmen nach dem „Best in Class"-Ansatz investieren. Was genau bedeutet „Best in Class"?

Schneeweiß: Man analysiert die Unternehmen einer Branche, und die Fondsmanager investieren dann ausschließlich oder vorwiegend in jene Firmen, die besonders nachhaltig arbeiten – also in die Spitzenreiter der Ratings und somit die jeweils Besten ihrer Branche.

Was ist das Ergebnis Ihrer Studie?

Das Ergebnis ist überraschend ernüchternd: Trotz der steigenden Nachfrage haben diese Nachhaltigkeitsratings nur für drei von 22 Unternehmen einen hohen Stellenwert. Bei den Rating-Untersuchungen werden Betriebe nach ihrer sozialen, ökologischen und ökonomischen Zukunftsfähigkeit befragt und bekommen dafür eine Note. Nur zwei der befragten Firmen haben auf Grund ihrer Rating-Ergebnisse anschließend Veränderungen vorgenommen, eines hatte sich höhere Klimaziele gesetzt, ein zweites größere Mengen fair gehandelter Waren eingekauft.

Wirken Nachhaltigkeitsfonds dann überhaupt nachhaltig?

Ja, durchaus. Sie senden an Unternehmen das Signal, dass sich zumindest ein Teil der Anleger für Nachhaltigkeit interessiert und dieser Aspekt in ihre Investitionsentscheidungen einfließt. Die konkreten Auswirkungen sind bisher jedoch noch gering. Insgesamt werden in Europa auf diese Weise rund 280 Milliarden Euro angelegt.

„Best in Class" heißt, dass Geld auch in die Luftfahrtbranche, den Ölsektor oder die Kernenergie gesteckt wird. Das sind doch Branchen, die nicht gerade ökologisch wirtschaften…

Das ist richtig. Doch man muss sehen, dass ein Investor, der Milliarden anlegen möchte, sein Geld breit streuen und auch in große Unternehmen investieren muss. Ein Fondsmanager sympathisiert vielleicht mit wirklich nachhaltig arbeitenden Firmen, findet davon aber nicht genügend vor. Der verfügt vielleicht über ein Kapital von fünf Milliarden Euro – da kann er ein, zwei Branchen ignorieren, mehr aber nicht, wenn er die Verantwortung ernst nimmt, die er für einen solchen Betrag hat. Das ist eine Zwickmühle.

Aber wenn er fünf Milliarden investieren kann, dann steckt dahinter doch eine ungeheure Macht!

Gefesselter Dollar © alswart, fotolia.deDas ist richtig: Der Kapitalmarkt könnte viel Macht haben, aber er ist ein gefesselter Riese. Und die Fessel heißt Renditemaximierung.

Er könnte aber zugunsten einer ethischen und umweltfreundlichen Wirtschaftsweise auf diese Maximierung der Rendite verzichten...

So einfach ist das nicht. Selbst Pensionskassen müssen drei bis vier Prozent Rendite machen, um die Pensionen bezahlen zu können. Und das sind in der Regel die größten Anleger – mit Beträgen im mehrstelligen Milliardenbereich.

Warum werden nicht viel mehr Ausschlusskriterien gesetzt? Es gibt Kinderarbeit, es gibt Gentechnik und Waffenproduktion – sind das Dinge, die in „Best in Class" vorkommen dürfen?

Eigentlich könnte das alles ausgeschlossen werden, da sind die Fondsmanager völlig frei. Inwiefern das gemacht wird, hängt allein von den Anlegern ab. Aber je mehr Geld ein Fondsmanager hat, desto vorsichtiger wird er mit Ausschlusskriterien sein.

Könnten strenge Regeln die Wirtschaft in die richtige Richtung lenken?

Insgesamt hat meine Studie ergeben, dass Ausschlussrichtlinien allein keine Wirkung auf Firmen haben. Nur wenn auf die Einhaltung der Kriterien gedrungen wird, nützen sie etwas. Ich habe dafür ein schönes Beispiel gefunden: 2.000 Kinder arbeiten nicht mehr auf Baumwollfeldern in Indien. Das ist ein Verdienst des norwegischen Pensionsfonds. Er hat die Firma Bayer, die die Baumwolle von indischen Kleinbauern bezieht, für das Problem sensibilisiert. Bayer hat die Kleinbauern finanziell unterstützt, damit sie Erwachsene einstellen können.

Es geht also doch. Warum sind solche Fälle nicht der Standard?

Ich hatte auch gehofft, mehr solcher Modelle zu finden. Im genannten Beispiel ist die Größe des Fonds entscheidend: Der norwegische Fonds verwaltet 700 Milliarden Euro. Das bedeutet, er hat eine große Macht und kann viel Geld in die Recherche stecken. Er kann Mitarbeiter nach Indien schicken, die kontrollieren, was dort wirklich passiert. Bayer wusste also, dass schöne Erklärungen allein nicht ausreichen und musste handeln. Aber solche Fälle sind leider die Ausnahme.

Ich habe vor 18 Jahren den Natur-Aktien-Index (NAI) mitentwickelt, mit sehr strengen Kriterien für eine nachhaltige Geldanlage. Der Index ist mit 1.000 Punkten gestartet und steht heute am 1.9.2014 bei 7.435 Punkten. Das wäre eine Wertsteigerung von 649 Prozent. Warum setzen Fondsmanager angesichts solcher Zahlen nicht stärker auf Nachhaltigkeit?

Ganz einfach: Die Fondsmanager scheuen noch immer vor diesen harten Kriterien zurück. Der Ansatz des NAI widerspricht deren Vorgehensweise, weil dieser Index nur eine sehr begrenzte Auswahl kleiner Firmen berücksichtigt. Außerdem muss man zwischen ökologisch und sozial nachhaltig unterscheiden. Im ökologischen Bereich gibt es Themen wie die effiziente Energienutzung, wo es klar auf der Hand liegt, dass ein Unternehmen unterm Strich spart, wenn es sich darum kümmert. Aber existenzsichernde Löhne in der Zuliefererindustrie kosten einfach mehr Geld.

Dann ist Nachhaltigkeit also doch nur ein Modewort. Es gibt mit GreenEffects ja auch nur einen einzigen Fonds, der auf dem Natur-Aktien-Index beruht.

Letztlich hängt Nachhaltigkeit von den Rahmenbedingungen ab. Sollten irgendwann vom Gesetzgeber existenzsichernde Löhne vorgeschrieben werden, dann stehen diejenigen Unternehmen ökonomisch besser da, die sich darüber jetzt schon Gedanken machen. Aber niemand weiß, wann sich dieser Wandel vollzieht, und so lange kosten höhere Löhne mehr Geld.

Sie sind auch in dem Ausschuss vertreten, der den FairWorldFonds betreut, eine ethische Geldanlage, die sich – ich zitiere – „an den Grundsätzen Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" orientiert. Welche Erfahrungen haben Sie mit diesem Fonds gemacht?

Der Fonds ist sehr beliebt. Anleger, private und institutionelle, wollen strenge Kriterien. Aber dann es ist schwierig, genügend Firmen zu finden, die diese Kriterien erfüllen.

Was heißt das konkret?

Es gibt nicht viele Unternehmen, die in den Fonds passen würden. Wir reden weltweit nicht von 1.000, sondern eher nur von 100 Firmen. Die Fondsmanager drücken dann bei der Auswahl der Firmen ein Auge zu und weichen die Kriterien auf. Um das zu verhindern, arbeiten deshalb einige Marktteilnehmer aus der „grünen" Finanzbranche an einem Siegel für nachhaltige Geldanlagen.

Was erwarten Sie von diesem Siegel?

Hoffentlich mehr Transparenz für Anleger. Im Moment wird ja recht undifferenziert alles als Nachhaltigkeit verkauft. Von daher halte ich es für sinnvoll. Selbst, wenn das Siegel letztlich angreifbar sein wird.

Sehr streng wird es dann aber nicht sein…

(lacht) Es kann nicht streng sein – auf keinen Fall so streng wie der NAI. Das Siegel muss für eine gewisse Anzahl von Fonds mit einem gewissen Volumen gelten.

Was empfehlen Sie einem Anleger, der sein Geld nachhaltig investieren möchte?

Als Daumenregel habe ich drei Empfehlungen: Ein Fonds sollte über klare Ausschlusskriterien verfügen; die Auswahl der Fondsmitglieder sollte das Ergebnis einer professionellen Recherche sein; und es sollte einen Ausschuss geben, der die Auswahl empfiehlt. Zum Fondsmanagement sollte also eine externe Expertise hinzukommen.

Kann man denn mit seinem Geld die Wirtschaft in die richtige Richtung lenken – etwa zur Förderung der Energiewende oder des biologischen Landbaus – oder auch das Gegenteil bewirken, wenn nicht danach gefragt wird, was mit dem Geld gemacht wird?

Das ist natürlich immer die Vision. Allerdings zeigen die vielen Hürden, wie schwierig das ist. Denn wir können nur in die Wirtschaft investieren, die wir haben. Wir freuen uns schon, wenn Nachhaltigkeit überhaupt ein Thema ist und immer mehr Banken das Thema ernst nehmen. Aber dass die Wirtschaft wirklich nachhaltig wird – davon sind wir noch weit entfernt.

Das ist eigentlich deprimierend.

Es hat aber auch keinen Sinn, sich etwas vorzumachen.

Ist es sinnvoll, zu einer alternativen Bank zu wechseln?

Auf jeden Fall. Gerade in Deutschland, wo es nicht nur um Aktienmärkte und Fondsanlagen geht und viele Sparanlagen vorhanden sind. Die alternativen Banken sind bei uns ja sehr gut entwickelt und haben sehr viel strengere Kriterien als die meisten Nachhaltigkeitsfonds.


Antje Schneeweiß © SÜDWIND e.V.Antje Schneeweiß studierte Philosophie und Anglistik und arbeitet seit 1991 für Finanzdienstleister zu nachhaltigen Geldanlagen. Seit 1996 ist sie für Südwind im Fachbereich „sozialverantwortliche Geldanlagen" zuständig. 1999 erschien ihr „Kursbuch Ethische Geldanlagen", 2004 das Buch: „Geld und Gewissen". Sie konzentriert sich auf die Themen „Nachhaltige Geldanlagen in Kirchen" und „Nachhaltige Geldanlagen und Entwicklung".

  
Die Studie „Klassenziel erreicht" von Antje Schneeweiss ist im Februar 2014 erschienen. Darin entwickelt Sie den „Best in Class"-Rating Ansatz. Dieser ermöglicht es nachhaltig orientierten Investoren, ihr Kapital breit auf alle Industriezweige zu verteilen und auch in problematische Branchen, wie den Bergbau und den Ölsektor, zu investieren, indem sie die jeweils nachhaltigsten Unternehmen dieser Branchen auswählen.

 Diese und weitere Studien erhalten Sie unter www.suedwind-institut.de.


Lifestyle | Geld & Investment, 01.10.2014
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2014 - Green Tech als Retter der Erde erschienen.
     
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