Aus der Natur! In die Natur?

Licht und Schatten nachwachsender Rohstoffe

Kunststoff weist als Werkstoff viele positive Eigenschaften auf, etwa ein geringes Gewicht, ein breites Einsatzspektrum und geringe Herstellungskosten. Kunststoffe auf Basis nachwachsender ­Rohstoffe können petrochemische Kunststoffe ersetzen, deren Herstellung mit der Verknappung von Erdöl und –gas zunehmend teurer wird. Im Schwerpunkt Kunststoff zeigt forum Licht und Schatten der Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen, stellt interessante Initiativen vor und beleuchtet die Problematik der Kunststoffabfälle im Meer.

Basierend auf der Analyse von Untersuchungen aus den 1960er-­Jahren zeigt sich, dass Plastik in den Mägen der Seevögel immer häufiger vorkommt. 1960 wurde Plastik in weniger als fünf Prozent der Seevögel nachgewiesen. Bis zum Jahr 2010 ist dieser Wert um 80 Prozent angestiegen. Die Prognose: Bis 2050 könnten 99 Prozent aller Seevögel betroffen sein. © The Ocean CleanupKunststoffe gehören zum Alltag: Von der Zahnbürste und dem Deoroller morgens im Bad, der Verpackung von Käse und Wurst in der Küche, dem Armaturenbrett im Auto bis hin zum Telefon und Computer im Büro. Jeder Bundesbürger verbraucht durchschnittlich 117 Kilogramm Kunststoff im Jahr, ein Drittel davon geht allein auf das Konto von Verpackungen wie Folien, Tragetaschen und Becher. Doch Erdöl und Erdgas für konventionelle Kunststoffe sind endliche Ressourcen, deren Gewinnung zunehmend schwieriger und teurer wird. Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen wie Stärke, Cellulose und Lignin, Zucker oder pflanzlichem Öl sind eine Alternative. Mittlerweile stehen verschiedene biobasierte Kunststoffe, hier auch Biokunststoffe genannt, zur Verfügung, die in vielen Bereichen die fossilen Pendants ersetzen können, doch auch hier stellt sich die Frage der Nachhaltigkeit und der Ressourceneffizienz. Wie bei den fossil basierten Kunststoffen liegt das Augenmerk auf der gesamten Wertschöpfungskette: von der nachhaltigen Rohstoffbereitstellung z.B. aus Land- und Forstwirtschaft, einer Nutzung von Rest- oder auch Abfallstoffen, einer Kaskadennutzung, über die effiziente und ressourcenschonende Herstellung und Verarbeitung der biobasierten Polymere bis hin zum Endprodukt und der Frage, was nach dem Produktlebensende damit passiert.
 
Biologisch abbaubar, ja aber …
Viele Menschen verbinden mit dem Begriff Biokunststoff sowohl den Rohstoff aus der Natur als auch den unbedenklichen Abbau eben dort, den biologischen Abbau. Doch sieht die Realität anders aus. Die biologische Abbaubarkeit ist eine Eigenschaft, die nur besagt, dass sich ein Stoff durch Mikroorganismen in Anwesenheit von Luftsauerstoff (aerobe Bedingungen) zu Kohlendioxid, Wasser, Biomasse und Mineralien sowie unter Luftabschluss (anaerobe Bedingungen) zu Kohlendioxid, Methan, Biomasse und Mineralien zersetzt. Ein fester Zeitraum ist dafür nicht angegeben. Was vielerorts mit „biologisch abbaubar" oder „bioabbaubar" gemeint und von Herstellern beworben wird, ist aber meist die industrielle Kompostierbarkeit, die als Entsorgungsoption von der privaten Kompostierung im Garten recht deutlich abweicht.
 
Auch für Bio gilt: Recycling ist der bessere Weg
Ein bewussterer Umgang mit Kunststoffen ist zwingend nötig. Das Pacific Garbage Screening ist ein interessanter Ansatz, wird aber das Problem nur bedingt lösen können. © pacific-garbage-screening.deDie ersten modernen biobasierten Kunststoffe, die Ende der 80er-Jahre auf den Markt kamen, waren in der Regel biologisch abbaubar. Damit konnten die Produkte im Rahmen einer industriellen Kompostierung entsorgt werden. Diese Option wurde von den Herstellern als großer Vorteil im Vergleich zu den üblichen Kunststoffen beworben. Inzwischen ist die Entwicklung weiter vorangeschritten, es gibt zunehmend langlebige Biokunststoffe mit hervorragenden technischen Eigenschaften auf dem Markt, die nach Gebrauchsende recycelt bzw. energetisch genutzt werden und damit für effizientere Stoffkreisläufe sorgen. Die Kompostierbarkeit ist daher in Deutschland nur noch für wenige spezielle Produkte wie z.B. medizinisches Material, Agrarfolien oder Pflanzbänder, die im Boden verrotten, oder Bioabfalltüten, die zusammen mit dem Bioabfall kompostiert werden können, eine Entsorgungsoption und erbringt hier einen Mehrwert.
 
Die Prioritäten, wie mit Abfällen umgegangen werden soll, sind sowohl auf EU-Ebene als auch im deutschen Kreislaufwirtschaftsgesetz inhaltlich verankert: An erster Stelle steht die mögliche Vermeidung von Abfällen, z.B. durch weniger Materialverbrauch bei der Verpackung. Dann folgt die Wiederverwendung, Beispiele dafür sind das Mehrwegpfandsystem für Flaschen oder klassisch auch die Nutzung von Geräten oder Gegenständen aus zweiter Hand. An dritter Stelle steht das Recycling (aus dem Englischen für „Wiederverwertung" oder „Wiederaufbereitung"), bei dem man aus nicht mehr benötigten Produkten einen Sekundärrohstoff herstellt. Erst wenn diese Maßnahmen weitgehend ausgeschöpft sind, sollten sonstige Verwertungsmaßnahmen wie z.B. eine energetische Verwertung oder als letzte Option eine Beseitigung in Betracht gezogen werden.
 
Deutschland hat beim Recycling die Zielvorgaben der EU – bis zum Jahr 2020 mindestens 50 Prozent der anfallenden Kunststoffabfälle zu recyclen – bereits überschritten und rangiert auf den vordersten Plätzen. Die Recyclingquote liegt hierzulande schon jetzt bei mehr als 62 Prozent und das Deponierungsverbot ist weitestgehend umgesetzt. Auch wenn der Marktanteil von Biokunststoffen noch relativ gering ist, sind auch hier geschlossene Kreisläufe z.B. durch Recycling anzustreben. Es sollte immer im Vordergrund stehen, dass der gespeicherte biobasierte Kohlenstoff oder, wo dies nicht möglich ist, zumindest die enthaltene Energie in technischen Kreisläufen genutzt werden.
 
Einen ersten Vorteil haben diejenigen Biokunststoffe, deren chemische Struktur mit denen herkömmlicher fossil basierter Kunststoffe identisch ist, und die sich nahtlos in bestehende Systeme, von der Verarbeitung bis zum Recycling, einfügen. Für neuartige biobasierte Kunststoffe wie z.B. Polylactid (PLA) und Stärkeblends, deren chemische Struktur sich von der konventioneller Kunststoffe unterscheidet, müssen eigene Sortier- und Recyclingsysteme aufgebaut werden. Nach derzeitigem Stand sind moderne Sortieranlagen grundsätzlich in der Lage, diese neuartigen Biokunststoffe zu sortieren. Dafür erforderlich ist allerdings eine Nach- bzw. Umrüstung der Sortiermaschinen auf diese zusätzlichen Fraktionen, die aber erst ab einer gewissen Mindestmenge an auszusortierendem Material im gesamten Massestrom wirtschaftlich sinnvoll ist.
 
Was heißt das für den Verbraucher?
Kunststoffe werden oft nicht recycled und landen in der Natur. © Jonas MartinBiokunststoffe sind trotz ihres biobasierten Anteils wie konventionelle Kunststoffe zu behandeln: Verpackungen kommen in die Gelbe Tonne oder den Gelben Sack der dualen Systeme, die Mehrwegflasche aus Bio-PET in das Mehrwegpfandsystem, Elektrogeräte und Altautos in die entsprechenden Rücknahmesysteme und nur die als kompostierbar gekennzeichneten Produkte wie z.B. der Bioabfallbeutel oder auch die Kaffeekapseln dürfen in die Biotonne – um nur einige Beispiele zu nennen. Nur so kann der Vorteil des biogenen Ursprungs bei Biokunststoffen wirklich nachhaltig, weil ressourceneffizient, genutzt werden. Und gelangen die Biokunststoffabfälle letztendlich in die energetische Verwertung (Verbrennung), ist die Energie, die bei der Verbrennung durch den biobasierten Anteil im Produkt entsteht, als weitgehend CO2-neutral einzustufen. Damit ermöglichen Biokunststoffe eine intelligente Ressourcennutzung und sorgen für eine hohe Wertschöpfung in einer kohlenstoffarmen Wirtschaft.
 
Information ist das A und O
Viele Unternehmen und Forschungseinrichtungen in Deutschland und weltweit arbeiten intensiv daran, den Einsatz von biobasierten Kunststoffen voranzubringen und die Wertschöpfungskette im Sinne der Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz zu optimieren. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR) als Projektträger unterstützen u.a. mit dem Förderprogramm „Nachwachsende Rohstoffe" den unter Nachhaltigkeitsaspekten sinnvollen Einsatz von biobasierten Kunststoffen: Neben Forschungsprojekten zur Entwicklung neuer Verfahren und Produkte werden insbesondere der Informationstransfer aus der Wissenschaft in die Praxis gefördert und Akteure informiert. Dafür wurde von BMEL und FNR u.a. auch das Biopolymernetzwerk 2011 ins Leben gerufen. Mit Blick auf aktuelle Themen und Probleme beim Einsatz von biobasierten Werkstoffen und deren Anwendungen spricht das Netzwerk verschiedenste Akteure an, initiiert Diskussionsprozesse und erarbeitet notwendiges Hintergrundwissen. Das Biopolymernetzwerk ist eine offene Informations- und Kommunikationsplattform für Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit im Bereich der biobasierten Werkstoffe und ihren Anwendungen. Es versteht sich als Forum für eine kritische und konstruktive Auseinandersetzung mit sämtlichen Abschnitten der Prozesskette sowie übergeordneten ökonomischen, ökologischen und sozialen Fragestellungen.
 
Die Kompostierung von Kunststoffen
Kunststoffprodukte, die einer industriellen Kompostierung zugeführt werden sollen, müssen zertifiziert werden. Auf europäischer Ebene gehören DIN CERTCO (Deutschland) und Vinçotte (Belgien) zu den unabhängigen Zertifizierungsgesellschaften. Ein Werkstoff, der ein Kompostierlogo trägt, muss sich innerhalb von sechs bis zwölf Wochen in der industriellen Kompostieranlage vollständig abbauen. Eine Kompostierbarkeit in einer industriellen Anlage bedeutet nicht automatisch, dass sich das Produkt auch im Gartenkompost biologisch abbaut. Für die Entsorgung im Gartenkompost eignen sich nur Kunststoffprodukte, die sich nachweislich bei weniger als 30 Grad Celsius innerhalb eines Jahres fast vollständig biologisch abbauen Es lohnt sich also der genaue Blick auf die Verpackung oder das Produkt!
 
Der Biokunststoffmarkt
Biokunststoffe nehmen weniger als 2 Prozent am Markt ein, doch ihr Anteil steigt stetig. Im Juni 2015 wurde eine Studie für Biokunststoffe veröffentlicht. Die zugrunde liegenden Analysen wurden vom Verband European Bioplastics, dem Institut für Biokunststoffe und Biowerkstoffe der Hochschule Hannover (IfBB) und dem nova-­Institut zusammengestellt. Wurde 2010 die weltweite Produktions­kapazität von 1 Mio. Tonnen erstmalig überschritten, wird für 2018 ein Anstieg auf mehr als 6,7 Mio. Tonnen prognostiziert. Auch die Zusammensetzung des Marktes ändert sich. Hielten sich bis 2012 die Anteile an biologisch abbaubaren und an dauerhaften Biokunststoffen noch in etwa die Waage, wächst der Anteil dauerhafter Biokunststoffe wie z.B. Bio-PET oder Bio-PE überproportional, während die Produktionskapazitäten für biologisch abbaubare Polymere nur noch sehr geringe Wachstumsraten zeigen.
Marktanteile der verschiedenen Biokunststoff-Typen (Schätzungen für 2016)
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
  
 
 
Weitere Informationen:

Katja Schneider
ist Referentin bei der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR) und dort verantwortlich für das Biopolymernetzwerk. Als Agrar­ingenieurin arbeitete Sie nach ihrem Studium im Kommunika­tionsbereich. Seit mehr als 8 Jahren ist sie vorrangig im Netzwerk­aufbau und -management aktiv ist, seit 2011 bei der FNR.

Umwelt | Umweltschutz, 01.10.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2015 - Ertrinken wir in Plastik? erschienen.
     
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