System Stadt 2030

Sind "Smart City" und "Resiliente Städte" die Modelle der Zukunft?

Die Stadt ist der Ort, an dem die meisten von uns ihre Zukunft zu verbringen gedenken. Auch als Handlungs­feld ist der urbane Raum in aller Munde. In der Hightech-Strategie der Bundesregierung spielt er mit der ­"Nationalen Plattform Zukunftsstadt” eine wichtige Rolle. Viele Großstädte haben Nachhaltigkeits- oder "Smart City”-­Visionen entwickelt. Konzerne wie Siemens haben die Stadt als Geschäftsfeld längst entdeckt.
 
In diesen Zeiten des Umbruchs ist die Stadt gerade deshalb interessant, weil sie der natürliche Ort ist, an dem neue Lösungen zur gelebten Praxis werden müssen. Die Stadt ist das "Reallabor” par excellence, in dem neue Modelle für das Leben und Wirtschaften nicht als Versuchsanordnung sondern unter realen Produktionsbedingungen erprobt werden. Die Stadt ist deshalb ein Ort des Lernens, der neuen Geschäftsmodelle, der (sozialen) Intervention und Innovation. Zentrale Systeminnovationen wie die Mobilitäts- und Energiewende müssen auf städtischer Ebene eingeleitet werden. Auch die Migrationsbewegungen des 21. Jahrhunderts, die durch die Flüchtlingskrise ins Zentrum gesellschaftlicher Debatten gerückt sind, sind eine Aufgabe, die wesentlich von und in den Städten bewältigt werden muss. Ob und wie es den Städten gelingt ihre zentrale Integrationsfunktion als „Arrival Cities" einzunehmen, wird eine wichtige Rolle bei der Bewältigung dieser Herausforderung spielen.

Zehn Handlungsfelder
Für die Zukunft stellt sich die Frage, wo sich Umbrüche im System Stadt abzeichnen und ob sich dadurch neue Herausforderungen, aber auch Potenziale für innovative Lösungen ergeben. Wir sehen hier zehn Handlungsfelder, die die Konturen der urbanen Trendlandschaft abbilden.

Resiliente Städte
 
Dieser, in verschiedenen Disziplinen bereits verankerte Begriff, konkretisiert das etwas vage Ziel der "Zukunftsfähigkeit”. Um Stadt­systeme resilient zu gestalten, können erhebliche Veränderungen nötig sein! Aus unserer Sicht bieten sich vier "Hebel”, mit denen sich die Resilienz urbaner Systeme erhöhen lässt: 

  • Kleinteilige, dezentrale Nutzungen
  • Autonome(re) Stadtsysteme, vor allem im Energiebereich
  • Selbstorganisation über Plattformen
  • Innovations-Ökosysteme, um die städtische Lernfähigkeit zu fördern
Um diese Hebel zu nutzen sind auch die Akteure in der kommuna­len Politik und Verwaltung auf neue Weise gefordert.
 
Klaus Burmeister, Ben Rodenhäuser 
Stadt als System
Trends und Herausforderungen zukunftsresilienter Städte
ISBN 978-3-86581-817-1 14,95 Euro, 15,40 Euro (A) Erscheint am 2. Juni 2016
 
 
Vernetzte Städte
Die digitale Transformation verändert Lebensgewohnheiten und Geschäftsmodelle. Sie schlägt sich auch im Raum nieder. In den nächsten Jahrzehnten etabliert sich ein neues Verständnis der Stadt als "Smart City”. Grundlage ist ein digitales "Modell” der Stadt, das die verschiedenen urbanen Informationsflüsse zu einem dynamischen Echtzeitabbild verknüpft. Auf dieser Basis werden neue Dienste möglich, etwa im Parkraummanagement. Eine zentrale Herausforderung für Städte wird es sein, die Chancen der Digitalisierung klug zu nutzen. Zum Beispiel schlummern in öffentlichen Einrichtungen wertvolle Datenschätze, die sich im Sinne der "Open Data”-Bewegung zum Wohle der Stadtbürger nutzen lassen. 
 
Nachhaltige Stadtsysteme
Unter den Vorzeichen von Klimawandel und Ressourcenverknappung gilt Nachhaltigkeit zurecht als Schlüsselthema des 21. Jahrhunderts. Zentrale ökologische Herausforderungen im städtischen Raum liegen in der Gestaltung nachhaltiger Verkehrssysteme und in der Umsetzung einer nachhaltigen Energiewende – Energieeffizienz im Gebäude, eine energetische Stadterneuerung im Quartiersmaßstab, die Nutzung regenerativer Energien und die Optimierung urbaner Werk- und Wertstoffströme nach Prinzipien der Kreislaufwirtschaft sind die wichtigsten Hebel. 
 
Urbane Wertschöpfung
Tiefgreifende Umwälzungen werden auf dem Gebiet der urbanen Wertschöpfung erkennbar. Neue Formen der Wertschöpfung etablieren sich, die spezifisch urban sind – und Urbanität fördern –, weil sie auf Dichte, Kleinteiligkeit, räumlicher Nähe und intensiver Interaktion beruhen. Das gilt im Bereich der wissensorientierten Service-Ökonomien, aber auch in der industriellen Produktion, die – in Teilen – in die Städte zurückkehrt, und in der urbanen Landwirtschaft. Beides könnte zukünftig einen Beitrag zur Etablierung autarker(er) resilienter Stadtgesellschaften leisten.
 
Handel und Logistik in der Stadt von morgen
Stark herausgefordert ist in Zukunft der städtische Einzelhandel. Viele Geschäfte werden aktuellen Analysen zufolge schließen müssen – ein tiefgreifender Strukturwandel unter den Vorzeichen der Digitalisierung ist die Ursache. Omnichannelstrategien und neue Shopkonzepte sind vielversprechende Antworten, mit denen der stationäre Handel seine Zukunftschancen wahren kann: die Digitalisierung nutzen und das Beste aus beiden Welten – Online und Offline – bieten. Mit der Ausweitung des elektronischen Handels wird auch die urbane Logistik zu einem zentralen Innovationsfeld, verbunden mit zwei Fragen: Welche neuen Ansätze etablieren sich in der urbanen Handelslogistik? Und welche neuen Lösungen setzen sich auf der letzten Meile durch? 
 
Urbane Mobilität
Die Mobilitätswende ist ein wichtiger Baustein für eine zukunftsfähige Stadtgesellschaft. Die Ziele sind schnell benannt: weniger Stau, weniger Lärm, geringere Schadstoffemissionen und eine höhere Servicequalität im urbanen Raum. Wichtige Impulse, um sie zu erreichen, gehen schon heute von Shared Mobility-Konzepten aus. Mit einer zunehmend vernetzten Mobilität werden zukünftig intelligent gesteuerte Verkehrsflüsse Realität. Und langfristig profitiert auch die urbane Mobilität von den Potenzialen des autonomen Fahrens.
 
Krise und Chancen der Stadtpolitik
Die Stadtpolitik ist in eine Krise geraten, die sich von früheren Krisen dadurch unterscheidet, dass eine wachsende Zahl von Städten so finanzknapp ist, dass ihre Handlungsfähigkeit in Frage gestellt ist – Stichwort: kommunale Daseinsvorsorge. Soziodemographische Faktoren werden die Entwicklung in Zukunft noch verschärfen. Die Städte haben darauf zum Teil mit der Privatisierung öffentlicher Leistungen reagiert. Inzwischen gewinnt der Gegentrend zur Rekommunalisierung an Bedeutung: Städte wollen wieder "Herr im eigenen Haus” werden. 
 
Stadt zum Mitmachen und Mitgestalten
Die Eigeninitiative der Bürger ist eine zentrale Ressource, aus der die Stadt der Zukunft schöpfen kann. Davon zeugt schon heute eine Vielzahl von Teilentwicklungen. Bürger werden stärker Teil öffentlicher Planungsprozesse; falls eine adäquate Bürgerbeteiligung unterbleibt, quittieren Stadtgesellschaften das mit schlagkräftigen Protestbewegungen. Protest ist als Vorstufe zur aktiven Mitgestaltung zu sehen: immer mehr Bürger – übrigens nicht nur in der Stadt – engagieren sich in neuen Formen des Ehrenamtes. Zuletzt werden Städter als Projektentwickler aktiv: als "Raumunternehmer” nehmen sie die Stadtentwicklung selbst in die Hand – vom Urban-Gardening-Projekt bis zur langfristigen Aneignung von Brachflächen. 
 
Wandel der Siedlungsstruktur
Der "Stadtflucht”-Diskurs vergangener Jahrzehnte ist abgelöst durch die Debatte über eine "Renaissance der Großstadt”. Davon profitieren jedoch nicht alle (Groß-)Städte – im Zuge einer zunehmenden Polarisierung der Städte spaltet sich die Stadtlandschaft in wirtschaftlich robuste, attraktive "Erfolgsstädte” und schrumpfende, wirtschaftsschwache "Problemregionen”. Zentrale Probleme der Raumentwicklung bleiben als Randbedingungen bestehen: Flächenverbrauch und Zersiedlung, und die Gestaltung der urbanen Peripherie im demographischen Wandel.
 
Soziale Spaltung und urbane Inklusion
Die drohende Spaltung der Stadtgesellschaft, verbunden mit einer Abkopplung einer wachsenden Unterschicht von Möglichkeiten der Teilhabe am Wohlstand, gehört zu den zentralen Bedrohungsszenarien für die Stadt der Zukunft. Die Stadt kann die Ungleichheit nicht abschaffen – gleichwohl stellt sich die Frage nach den Perspektiven städtischer Inklusion mit neuer Schärfe – auch wenn man bedenkt, dass gerade die urbanen Zentren zukünftig den Zuzug von Migranten in großer Zahl zu bewältigen haben. Eine zukunftsfähige Inklusionspolitik hätte hier an strukturellen Faktoren anzusetzen – etwa am Wohnungsmarkt, in der Bildungspolitik und in der Wirtschaftsförderung. 
 
Vielfältiges Wohnraumangebot 
Die Stadt der Zukunft muss nachfrage-adäquate Wohnangebote bereit halten – eine Herausforderung, die sie heute vielerorts nur ungenügend bewältigt. Das Nachfragespektrum ist divers: das gemeinsame Bauen und Wohnen entwickelt sich zu einem wichtigen Segment, nutzungsvariable Wohnformen sind gefragt, im Hochpreissegment etablieren sich serviceorientierte Wohnangebote, während gleichzeitig ein erhöhter Bedarf an bezahlbarem Wohnraum immer deutlicher wird.  
 
Klaus Burmeister ist Politologe, Foresight-Experte, Autor und Gründer von Z_punkt und Geschäftsführer foresightlab.
Ben Rodenhäuser ist Autor und Berater, studierte Logik und arbeitet in der Zukunftsforschung.

Gesellschaft | Green Cities, 01.05.2016
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2016 - Zukunft gestalten erschienen.
     
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