'True Cost Accounting': Was unser Essen wirklich kostet
Interview mit Volkert Engelsman und Felix Prinz zu Löwenstein
Nicht Bio ist zu teuer, sondern konventionell ist zu billig. Das ist die provokante These des Geschäftsführers des internationalen Bio-Distributors Eosta, Volkert Engelsman. Konventionelle Produkte seien nur so günstig, weil sie ökologische und soziale Kosten externalisieren. Das schaffe einen unfairen Wettbewerb auf Kosten der Umwelt und der Gemeinschaft, wie ihm auch der Vorsitzende des Bund Ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) und Bio-Landwirt Felix Prinz zu Löwenstein beipflichtet. Höchste Zeit, dass Politik und Verbraucher aktiv werden.
Herr Engelsman, wie kann es sein, dass konventionelle Lebensmittel so viel günstiger angeboten werden als Bio-Lebensmittel?
Engelsman: Das ist ganz einfach: Weil bei konventionellen Lebensmitteln ökologische, soziale und Gesundheitskosten nicht in den Preis an der Ladentheke einfließen, sondern externalisiert werden. Den wahren Preis zahlt der Verbraucher indirekt, zum Beispiel, wenn er für die Folgen der Umweltzerstörung aufkommen muss, die die industrielle Landwirtschaft verursacht. Man denke an verarmte Böden, die durch intensiven Düngereinsatz so ausgelaugt sind, dass dort nichts mehr wächst. Oder an pestizidverseuchtes Grundwasser, das in Kläranlagen kostenintensiv gereinigt werden muss – zu Lasten des Steuerzahlers.
Ganz anders sieht das bei Bio-Lebensmitteln aus: Hier ist der Mehraufwand zum Schutz der Ressourcen und der verantwortungsvolle Umgang mit Mensch und Umwelt berücksichtigt. Im Gegensatz zu konventionellen Lebensmitteln erhalten Bio-Lebensmittel die Bodenfruchtbarkeit, die Wasserqualität sowie die Artenvielfalt und vermeiden bzw. binden die Treibhausgase. Somit sind nicht Bio-Lebensmittel zu teuer, sondern konventionelle Lebensmittel schlichtweg zu billig.
Herr Löwenstein, Sie sind nicht nur Vorstandsvorsitzender des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), sondern auch selbst Bio-Landwirt. Welche Folgen hat es für Sie als Landwirt, dass konventionelle Lebensmittel so billig sind?
Löwenstein: Die meisten unserer Abnehmer kalkulieren ihren Preis als Aufschlag auf das, was sie für konventionelle Rohstoffe zahlen müssen. Ein Mehrpreis, der weit über 20 Prozent hinausgeht, ist für sie meist nicht kommunizierbar. Das führt dazu, dass der Mehraufwand für ökologische Produktion und der geringere Naturalertrag nicht vollständig abgedeckt werden. Ohne die Ökoprämien, die vom Staat gezahlt werden, könnten Bio-Bauern deshalb nicht wirtschaftlich mithalten. Zudem glauben viele Verbraucher, ökologische Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion sei nur für reiche Leute – weil sie am Preisschild nicht ablesen können, wie viel sie für das konventionelle Vergleichsprodukt wirklich zahlen.
Kann man also von einem unfairen Wettbewerb sprechen? Schließlich entspricht der Preis, den Verbraucher für konventionelle Produkte zahlen, ja nicht der Wahrheit...
Engelsman: Ja, definitiv. Eigentlich ist es ein Wunder, dass die Bio-Branche überhaupt so schnell wachsen konnte. Denn eigentlich spielt Bio ein Fußballspiel auf einem schiefen Spielfeld: die konventionelle Konkurrenz auf der nach oben geneigten Seite und Bio unten. Erst, wenn der Verschmutzer für seine Schäden zur Verantwortung gezogen wird – zum Beispiel über steuerliche Maßnahmen – und der, der etwas Gutes für das Gemeinwohl tut, auch dafür honoriert wird, wäre ein faires Spiel auf dem Markt geschaffen.
Löwenstein: Da kann ich Volkert nur zustimmen. Nicht nur in der Landwirtschaft, sondern in unserer gesamten Wirtschaft gilt: der Markt sorgt nicht dafür, dass der Verbrauch von Allgemeingütern in die betriebswirtschaftliche Rechnung einfließt. In der Folge haben immer die die besten Chancen im Wettbewerb, denen es gelingt, den größten Teil ihrer Kosten auf die Allgemeinheit und künftige Generationen zu überwälzen. Nur die Allgemeinheit selbst – also der Staat – kann dafür sorgen, dass die allen gehörenden Güter auch ihren Preis bekommen.
Und wie wäre das umzusetzen?
Löwenstein: Die Politik hat drei verschiedene Arten von Instrumenten, um dafür zu sorgen, dass die Preise die Wahrheit sprechen. Sie kann durch Ordnungspolitik Praktiken der Produktion verbieten, die Allgemeingüter beschädigen. Beispiel Pestizide: Indem man ihr Ausbringen in Gewässernähe verbietet – das gilt bereits. Oder indem man Pestiziden, die starke ökologische Nebenwirkungen haben, so wie Glyphosat oder Neonikotinoiden die Zulassung entzieht. Das passiert derzeit noch nicht!
Zweitens kann sie Produktionsmittel, die externe Kosten verursachen, durch Abgaben teurer und damit ihren Einsatz unrentabler machen. Zum Beispiel Stickstoff.
Weil beide Instrumentarien die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Wirtschaftsräumen betreffen, die sie nicht einsetzen, stößt man mit ihnen schnell an Grenzen. Denn wenn Tierschutzauflagen zur Auswanderung der Tierhaltung ins Nachbarland führen, ist nichts gewonnen. Deshalb braucht es als drittes Instrument die Förderung. Die wirkt aber nur, wenn Fördermittel gezielt dafür eingesetzt werden, Bäuerinnen und Bauern für Leistungen zu bezahlen, die die Gesellschaft von ihnen braucht, die der Markt ihnen aber nicht bezahlt. Auch das passiert derzeit nur in einem kleinen Teil der Förderpolitik.
Kann ich denn auch als Verbraucher aktiv werden?
Engelsman: Ja, denn der Verbraucher hat viel mehr Macht als er sich bewusst ist! Er ist ein schlafender Riese. Wenn er will, kann er die Macht des Handels und der großen Marken brechen. Nur leider macht er das viel zu selten und lässt sich zu oft als Sklave eines perversen Systems einsetzen. Wir als Verbraucher flüchten uns in Unwissenheit, denn so tragen wir scheinbar auch keine Verantwortung für die Folgen des Konsums. Wir wollen oft gar nicht wissen, dass ein Produkt schlecht für uns und unsere Mitwelt ist. Und diese Schwäche wissen der Einzelhandel und die großen Marken perfekt für sich zu nutzen, denn je weniger der Verbraucher weiß, desto größer ist die Marge und der Gewinn. Wenn der Verbraucher Transparenz jedoch einfordert, wenn er die gesundheitlichen, sozialen und ökologischen Folgen der Lebensmittelproduktion hinterfragt, dann verliert der Handel an Macht. Denn je mehr Bewusstsein für die Wertschöpfungs- und Versorgungskette von Lebensmitteln besteht, desto größer ist der Gewinn für Nachhaltigkeit.
Über Eosta
Eosta wurde 1990 in den Niederlanden mit dem Ziel gegründet, ein Unternehmen zu schaffen, das Ökonomie und Ökologie harmonisch verbindet. Heute zählt Eosta zu den größten Handelsunternehmen für Bio-Obst und -Gemüse weltweit. Für das eigens entwickelte Trace & Tell-System der Eigenmarke Nature & More, mit dem die Herkunft der Produkte bis zum Erzeuger zurückverfolgt werden kann, ist Eosta bereits mehrfach mit internationalen Nachhaltigkeitspreisen ausgezeichnet worden. Mehr Informationen finden Sie unter: www.eosta.com und www.natureandmore.de
Quelle: Eosta
Lifestyle | Essen & Trinken, 31.08.2016
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