NachhaltigKunst

Prof. Dr. Carsten Baumgarth im Interview

Künstler sind oft ihrer Zeit voraus. Sie erkennen neue Strömungen und heraufziehende Gefahren. Was liegt also näher als die Themen Kunst und Nachhaltigkeit gemeinsam zu beleuchten. Prof. Dr. Carsten Baumgarth steht hinter der spannenden Serie "NachhaltigKunst" in forum.

Herr Prof. Dr. Baumgarth, Sie sind Impulsgeber und Autor der Serie „NachhaltigKunst". Wie kamen Sie auf diese Idee?
Prof. Dr. Carsten Baumgarth, Professor für Marketing, insbesondere Markenführung an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. // Foto: © Deutscher NachhaltigkeitspreisMehrere Projekte und Interessen von mir sind dafür verantwortlich. Erst einmal beschäftige ich mich seit vielen Jahren mit Nachhaltigkeit im Kontext der Markenführung und des Marketing. U.a. bin ich als Methodenpartner für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis in der Kategorie Marke tätig, sitze in der Jury von Green Brands und bin Mitgründer des Instituts für Nachhaltigkeit (INa) der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Darüber hinaus liebe ich nicht nur Kunst, sondern beschäftige mich auch wissenschaftlich mit der Schnittstelle von Kunst und Wirtschaft. 
Z.B. haben wir Ende 2015 ein zweijähriges Forschungsprojekt zu Kunst-Unternehmens-­Kooperationen, wir nennen diese kurz KUKs, abgeschlossen und dazu ein umfangreiches Handbuch gerade veröffentlicht.

Der Hauptimpuls war aber, dass ich im Rahmen meiner Forschungsprojekte zur Schnittstelle von Marke und Kunst überlegt habe, wie man ein solches Thema und die Forschungsergebnisse für Künstler, Manager und die Öffentlichkeit interessant aufbereiten kann. Eine klassische Wissenschaftskommunikation via Konferenzen, Journalbeiträgen und Büchern ist auf die Dauer nicht nur langweilig, sondern erzeugt in der Praxis kaum ein Echo. Daher habe ich die Idee einer Pop-up-Ausstellung entwickelt, die in rund 100 Exponaten diese Schnittstelle beleuchtet. Die Ausstellung haben wir „Farbrausch trifft RAL 4010" genannt, wobei der Farbrausch die Kunstwelt und die Druckfarbe RAL 4010 – die Magentafarbe der Telekom – die Markenwelt symbolisieren. Wir kommunizieren diese Ausstellung nur über Facebook, da diese Ausstellung, wie der Name Pop-up-Ausstellung schon andeutet, nur für wenige Tage an sehr verschiedenen Orten wie Bibliotheken, Galerien, Hotels, Hochschulen und Lofts aufpoppt. Im Rahmen dieser Ausstellung gibt es auch eine Kategorie mit Künstlern, die sich mit Wirtschaftsthemen beschäftigen. Viele dieser Kunstwerke beschäftigen sich mit Nachhaltigkeitsfragen wie Recycling und Wegwerfgesellschaft, Armut, (un)gesunde Ernährung oder Globalisierung. Dies führte dann mit meinem allgemeinen Interesse für Kunst und Nachhaltigkeit zu der Idee, sich stärker mit der Schnittstelle von Kunst und Nachhaltigkeit zu beschäftigen. Und schon war die Idee zu der Kolumne NachhaltigKunst in forum geboren und konnte auch erfreulicherweise schnell realisiert werden.

Was hat Kunst mit nachhaltigem ­Wirtschaften zu tun?
Aus meiner Sicht gibt es dazu eine Vielzahl von Berührungspunkten. Zunächst einmal ist ohne Frage heute auch Kunst ein Wirtschaftssektor, egal ob das Kulturidealisten gefällt oder nicht. Wenn man sich aber den Kunstmarkt anschaut, dann stellt man ökonomisch ganz nüchtern fest, dass es in Deutschland kaum einen Sektor gibt, der prekärere Einkommensverhältnisse hat. Dies belegt auch eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung, die zu dem Ergebnis kommt, dass 40 Prozent der befragten Künstler unter 10.000 Euro Nettoeinkommen pro Jahr zur Verfügung haben und nur rund 20 Prozent mehr als 20.000 Euro verdienen. Daher suche ich auch immer wieder nach Möglichkeiten, Künstlern eine Plattform zu geben und neue Geschäftsideen mit und für Künstler zu entwickeln.

Weiterhin bin ich von der Ausstrahlungskraft der Kunst auf das Denken und Handeln überzeugt. Ein Wandel hin zu einer stärkeren Nachhaltigkeit im Management und auf der Konsumseite wird nur stattfinden, wenn wir auch mal quer denken, für Nachhaltigkeitsthemen noch stärker sensibilisiert werden und auch die Kreativität von Künstlern und anderen Kreativen für die Nachhaltigkeit nutzen. Das fängt damit an, dass Künstler häufig sehr viel früher als die Gesellschaft Probleme und Herausforderungen erkennen und diese in ihrer Kunst auch ausdrücken. D.h. Kunst kann für die Gesellschaft und die Wirtschaft als Frühwarnindikator fungieren. Weiterhin benötigen wir viel mehr Kreativität, um Nachhaltigkeitsprobleme in der Wirtschaft und Gesellschaft zu lösen. Es geht nicht nur um Optimierung, sondern um Brüche und Wandel. Dazu können Künstler mit Unternehmen kooperieren und echte Innovationen gemeinsam entwickeln. Schließlich müssen Unternehmen auch ihre Nachhaltigkeitsleistungen kommunizieren. Das kann per faktenbasiertem Nachhaltigkeitsbericht erfolgen, der aber in der breiten Bevölkerung nur bedingt wahrgenommen wird, oder per Kunstperformance oder Kunstwerk.

Schließlich, und dieses Argument gilt gleichermaßen für Unternehmen und deren Mitarbeiter sowie auch für die Leserschaft von forum Nachhaltig Wirtschaften, erweitert Kunst unseren Horizont, führt zu Emotionen und zu ästhetischen Urteilen. Kunst ist einfach nur spannend, anders und manchmal auch schön. Diese positiven Gefühle können von Unternehmen bewusst zur Mitarbeitermotivation und -entwicklung eingesetzt werden und führen beim Leser zur Inspiration und zur Entspannung.

Wie integrieren Sie das in Ihre wissenschaftlichen Aktivitäten?
Ich integriere dies in mehrfacher Hinsicht in meine Forschung, aber auch Lehre. Wir untersuchen in Forschungsprojekten die Wirkung von Kunst auf das Konsumentenverhalten und analysieren durch Workshops mit Künstlern und Managern die Potenziale, Barrieren und Erfolgsfaktoren von Kooperationen zwischen Künstlern und Unternehmen. Aktuell untersuchen wir, ob künstlerische Prozesse wie das Malen eines Bildes oder die Erstellung einer Collage helfen können, Konsumverhalten besser zu durchleuchten, da dieses Feld für die Marktforschung, bedingt durch sozial erwünschtes Antwortverhalten, ex­trem schwierig ist. In einer klassischen Befragung achten alle Konsumenten auf faire Produktionsbedingungen in der Modeindustrie und niemand hat Vorurteile gegenüber Minderheiten. Doch leider stimmen diese Befragungsergebnisse nicht mit dem tatsächlich zu beobachtenden Konsumverhalten überein.

Schließlich integriere ich Kunst auch in meine BWL-Lehre. Dazu biete ich seit mehreren Semestern einen Studium Generale-Kurs zum Thema Kunst & Unternehmen an. Im Rahmen dieses Kurses besuchen wir gemeinsam u.a. Künstler in ihren Ateliers, Unternehmen mit einem Kunstengagement und Kunstausstellungen. Wir nehmen aber auch an Streetart-Führungen teil, gestalten eigene Kunstwerke oder lernen Zauberei. Mir geht es in diesem Kurs darum, Studenten mit einem BWL- oder verwandten Hintergrund für die Kunst und deren Potenzial für Unternehmen zu öffnen.

Unabhängig davon verwende ich mittlerweile in vielen meiner Präsentationen Kunstwerke als Metaphern, um komplexe Ideen aufmerk­samkeitsstark und eingängig zu kommunizieren.

Was erwartet den Leser in der Serie NachhaltigKunst?
Das kann ich noch gar nicht so genau sagen, da ich immer mit offenen Augen durch die (Kunst)-Welt gehe und mich inspirieren lasse. Ich liebe nicht nur Kunst, sondern beschäftige mich auch wissenschaftlich mit der Schnittstelle von Kunst und Wirtschaft. Die Grundidee ist es, in jeder Ausgabe ein einzelnes Kunstprojekt oder einen Künstler vorzustellen. Es wird also nicht um Nachhaltigkeitsthemen gehen, sondern der Künstler oder ein konkretes Kunstprojekt jeweils mit einem Nachhaltigkeitsbezug wird im Fokus stehen. Dabei kann es sich z.B. um darstellende Künste wie Theater handeln, die in ihrer Theaterperformance ein Nachhaltigkeitsthema mithilfe von dramaturgischen Mitteln beleuchten oder um Künstler, die aus Müll interessante und wunderschöne Kunstwerke erstellen. Da ich aber kein Kunsthistoriker oder -theoretiker bin, sondern ein Kunstgenießer, werde ich die Kunst aus meiner subjektiven, laienhaften und hoffentlich für viele Leser verständlichen Sicht vorstellen. Ich möchte Lust auf Kunst machen und Interesse an dem jeweiligen Künstler oder Kunstprojekt wecken. Ich bleibe gespannt und hoffe, dass ich noch die eine oder andere Kunstperle finden werde.

Herr Baumgarth, wir danken für das Gespräch und freuen uns auf Ihre Kunstperlen in forum.

"Kunst muss anstößig sein; sie muss Denk­anstöße geben.‘‘ 
Henri Nannen
 



Lifestyle | Einrichten & Wohnen, 01.08.2016
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2016 - Zukunft der Arbeit erschienen.
     
        
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