Die Seekuh

startet durch und säubert die Meere

Am 25. September 2016 war es endlich so weit: Das erste spezialisierte und DNV GL-zertifizierte Müllsammelschiff der Welt für den Kampf gegen „Marine Littering" feierte in Kiel seine Schiffs­taufe. Nun kann die Jagd nach Plastik und Öl beginnen.

Der Spezialkatamaran Seekuh hat eine Größe von etwa zwölf mal zehn Metern und wiegt knapp sechs Tonnen. Das Schiff ist zerlegbar und kann per Frachtcontainer zu Einsätzen an jeden Ort der Welt gebracht werden. // Foto: © One Earth – One OceanNach einer aktuellen Studie der MacArthur Foundation sollen bis zum Jahre 2050 mehr Plastikteile als Fische in den weltweiten Meeren schwimmen. Riesige Teppiche aus Plastikmüll treiben in den Weltmeeren, der größte davon im Pazifik ist so groß wie Mitteleuropa, das heißt wie Deutschland, Österreich, Schweiz, Polen, Luxemburg, Ungarn und Tschechien zusammen. Bereits heute befinden sich mehr als 140 Millionen Tonnen Plastik in den Ozeanen und jedes Jahr gelangen mindestens weitere acht Millionen Tonnen hinzu.

Und es kommt noch schlimmer: Plastikmüll hat eine Lebensdauer von bis zu 450 Jahren und gelangt letztlich als Mikroplastik (kleinste Teilchen) durch die Nahrungs- aufnahme der Fische auch in unsere Nahrungskette. Damit schadet Plastik in den Ozeanen nicht nur dem fragilen Ökosystem, sondern insbesondere auch uns Menschen. Um dieses drängende Menschheitsproblem zumindest ansatzweise zu bekämpfen, hat Günther Bonin, der Gründer der Umweltorganisation One Earth – One Ocean e.V., vor fünf Jahren das Konzept der „Maritimen Müllabfuhr" entwickelt, bei dem der Plastikmüll von Spezialschiffen aus dem Meer gefischt und wiederverwertet wird. Die Seekuh, die für den Einsatz in küstennahen Regio­nen und Flussmündungen konzipiert ist, ist nun das erste seetaugliche Forschungs-, Reinigungs- und Aufklärungsschiff dieses Konzepts.

Von der Idee zum fertigen Schiff
Mehr als drei Jahre hat es gedauert, die Seekuh von einer visionären Idee zur Wirklichkeit werden zu lassen. Von der Konzeption der Maritimen Müllabfuhr mit ihren Spezialschiffen, über die konkrete Planung der ersten Seekuh bis zu deren langwierigen Finanzierung durch Spenden, von der Genehmigung durch die entsprechenden Verwaltungsorgane, über die Schiffsklassifikation durch die DNV GL bis hin zum Bau auf der Werft zogen die Monate ins Land. Doch Günther Bonin glaubte fest an seine Idee, leistete geduldig Überzeugungsarbeit an allen Fronten und ließ sich auch von Rückschlägen und Zeitverzögerungen nicht entmutigen. Nun hat er allen Grund stolz zu sein, denn das Spezialschiff ist weltweit einmalig.

In den nächsten zwölf Monaten wird die Seekuh an der Ostseeküste und in Hong Kong eingesetzt, wo sie neben dem Müllsammeln auch Wasseranalysen vornimmt. // Foto: © One Earth – One OceanSeine kürzlich in der ARD-Show „Die große Show der Naturwunder" von Ranga Yogeshwar und Frank Elstner vorgestellte Funktionsweise war als Animation deutschlandweit zu sehen. Die Katamaran-Form ermöglicht es, bei einem Tiefgang von nur 60 Zentimetern zwischen den beiden Rümpfen eine Netzkonstruktion ins Wasser abzusenken, die den Plastikmüll bis in eine Tiefe von zwei Metern herausfischt. Damit sich keine Lebewesen in den Netzen verfangen, fährt die durch zwei Außen-bordmotore à 63 PS angetriebene Seekuh in Schrittgeschwindigkeit. So können Fische rechtzeitig ausweichen. Die zwei Außen- border ermöglichen aber auch eine gute Manövrierfähigkeit des bei voller Beladung mit Müll bis zu elf Tonnen schweren Schiffs in Häfen. Die erste Seekuh ist für küsten- nahe Regionen und Flussmündungen konzipiert und hat alle nötigen Zertifikationen als Arbeitsschiff. In Ländern mit hohem Müllaufkommen im Wasser kann sie mit ihren Netzen täglich mehrmals zwei bis drei Tonnen sammeln oder bei hohen Verunreinigungen am Strand den Müll nach dem Baggerprinzip direkt an Land schieben. Später sollen HOCHSEEKÜHE – autark durch Wind- und Sonnenenergie angetrieben – auf hoher See selbstständig Plastikmüll einsammeln.

Die Finanzierung war ein Meisterwerk
Neben unzähligen Kleinspenden ermöglichten vor allem die Röchling Stiftung aus Mannheim und die Deutsche Telekom den Bau des Schiffes. Während die Deutsche Telekom die Konstruktionsplanung, Projektleitung und die Zulassungskosten für den DNV GL übernahm, finanzierte die Röchling Stiftung zu einem Großteil den Rohbau der Seekuh. Von Michael Röchling stammt auch die Idee, überall dort, wo der Verschmutzungsgrad besonders hoch ist, Fischern kostenlos Spezialnetze, die keine Tiere fangen, zum Abfischen des Plastikmülls zur Verfügung zu stellen. So könnten zwei Trawler mit einem dazwischen gezogenen Netz bis zu 200 Tonnen Plastikmüll am Tag einsammeln.

Während die Verarbeitung des Kunststoffes derzeit noch an Land passiert, sieht das Projekt zu einem späteren Zeitpunkt vor, große Energieschiffe mit ihren HOCHSeekuh-Begleitschiffen auf See zu positionieren, die das Plastik mit Hilfe von Satellitenortung erkennen, einsammeln und direkt an Bord des großen Schiffes in leichtes, schwefelfreies Heizöl, Gas und Strom weiterverarbeiten („Waste to Energy"). Eine Tonne Kunststoff kann so in 900 Liter Erdöl zurückverwandelt werden. Mit der Energie könnte zudem Salz- in Trinkwasser umgewandelt werden. Was liegt näher, als dass die Energieschiffe dann auch große Häfen in Schwellen- und Entwicklungsländern anlaufen und den Menschen dort ihren Plastikmüll abkaufen, um im Gegenzug Öl, Gas und Wasser zu liefern. „Ich bin sehr stolz, nach fünf Jahren der Überzeugungsarbeit nun endlich die Seekuh fertig und im Wasser zu haben, um die Öffentlichkeit auf das dringende Problem des Plastikmülls und des Marine Littering hinzuweisen”, erklärt Günther Bonin, „Mit der Taufe der Seekuh in Kiel wurde der erste wichtige Schritt getan, doch das System wird in Zukunft weiter ausgebaut und perfektioniert. Mein großer Dank gilt all jenen, die mich und meine Idee über Jahre begleitet, unermüdlich geholfen und nicht zuletzt Geld bezahlt haben, um dieses Projekt Wirklichkeit werden zu lassen."

Auch ölverseuchte Gewässer umweltfreundlich reinigen
Ein Skipper aus Leidenschaft und ein Mann mit Weitblick: Günther Bonin will Gewässer von Plastik, Öl und sonstigem Dreck befreien. // Foto: © One Earth – One Oceaner sich ganz auf seine Mission konzentrieren will, hat Bonin 2015 sein mittelständisches IT-Unternehmen in eine AG zur Reinigung von Gewässern umgewidmet. Sie soll den Verein One Earth – One Ocean e.V. administrativ unterstützen. Und weil der passionierte Segler Bonin Gewässer nicht nur von Plastikmüll befreien will, erweiterte der Verein im letzten Jahr seine Aktivitäten auf die Entfernung von Öl und Chemikalien. Für die Ölbeseitigung hat Bonin – eher zufällig – ein umweltfreundliches Öl- und Chemikalienbindemittel der ostdeutschen Firma DEUREX auf Wachsbasis entdeckt, das die bis zu zehnfache Menge seines Eigen- gewichts an Öl oder Schadstoffen binden kann und mehrfach wiederverwertbar ist. Das Bindemittel nimmt kein Wasser auf und schwimmt – auch vollgesogen – immer an der Oberfläche. Mit Öl vollgesogenes Gewebe kann mit einfachsten Mitteln ausgepresst und vielfach wiederverwendet werden.

2015 hat der Umweltverein in einem Pilotprojekt begonnen, stark ölverschmutzte Bereiche des Nigerdeltas zu reinigen. Seit Jahrzehnten wird dort Öl gefördert und die Natur durch veraltete Technik, unzureichende Wartung und Lecks an den Förderanlagen und Pipelines stark verschmutzt. Die Umweltschäden dort sind immens und Experten schätzen, dass mehr als zwei Millionen Tonnen Rohöl ins Ökosystem des Nigerdeltas gelangt sind und so die Lebensgrundlagen vieler Bauern und Fischer zerstört haben.

Eine neue Lebensgrundlage schaffen
Niemand will helfen, die Umwelt im Delta zu säubern und seit die islamistische Terrorgruppe Boko Haram in Nigeria ihr Unwesen treibt, hat sich die Situation noch verschärft. Für One Earth – One Ocean ein untragbarer Zustand und im Frühsommer 2015 haben Mitarbeiter des Vereins Regierungsvertretern und dem Umweltminister vor Ort bewiesen, dass eine Reinigung mit Hilfe des Bindemittels funktioniert. Unterstützt wird der Verein von Nnimmo Bassey, dem bekannten nigerianischen Umweltschützer und Träger des Right Livelihood Awards (Alternativer Nobelpreis).

Im Frühsommer 2015 reiste erstmals ein Team aus Experten und Helfern nach Nigeria, um das Umfeld einer undichten Pipeline zu reinigen und nigerianischen Regierungsdelegationen die Funktionsweise der Spezialwolle zu demonstrieren. // Foto: © One Earth – One Ocean„Ziel unserer Aktionen vor Ort ist es, zu zeigen, dass man mit relativ einfachen Mitteln die Umwelt- schäden beseitigen und so die Lebensgrundlage (Ackerland, saubere Flüsse und vor allem sauberes Trinkwasser) des dort lebenden Volks der Ogoni langfristig wiederherstellen könnte. Zudem lassen sich mit der Reinigung der verschmutzten Natur über Jahre hinweg Arbeitsplätze vor Ort schaffen und damit Frieden und Entspannung in der Region fördern", erklärt Bonin voller Enthusiasmus. Tatsächlich hat die nigerianische Regierung 2016 das Ogoni Project initiiert und Bonin und sein Team eingeladen, im Frühjahr 2017 erneut ins Nigerdelta zu reisen. Dann will man Wirtschaft und Industrie in die Säuberung und Rückgewinnung des Öls einbinden. Erste Vertreter der Industrie haben bereits ihr Interesse signalisiert. www.oneearth-oneocean.com

Frank Brodmerkel ist Inhaber einer Kommunikationsagentur in München, kommuniziert seit 2011 zu den Themenbereichen Cleantech, Erneuerbare Energien, Technologie und Umwelt sowie Nachhaltigkeit und Bürgerdialog. Damit unterstützt er vor allem mittelständische Unternehmen und Start-ups aus dem Technologieumfeld.


Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 01.11.2016
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2016 - Klima, Krieg und gute Taten erschienen.
     
        
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