Stadt der Zukunft

Futuristisch oder sanierter Altbau?

Nachhaltiges Bauen ist in Österreich ein wichtiges Forschungsthema. Die Förderprogramm-Initiative „Haus der Zukunft" des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit) findet deshalb eine Fortsetzung in der Kampagne die „Stadt der Zukunft". Doch eine Zukunftsstadt wird nicht nur aus Neubauten bestehen! forum berichtet, wie man den Spagat zwischen Erhaltung von Bausubstanz und hoher Energieeffizienz erfolgreich bewältigen kann.
 
Leben in einem futuristischen Wohnobjekt... // Illustration: Vienna International Engineers...oder einem nachhaltig sanierten und wärmeisolierten Gründerzeithaus? Für die Bewoh­ner Geschmackssache, für Investoren wie fair-finance beides gleich wichtig. // Foto: fair-financeÖsterreich wächst. Nicht nur an der Zahl der Einwohner gemessen, sondern auch am Wohnraumbedarf. Neue Stadtviertel entstehen vor allem in den Bundeshauptstädten, denn die Bevölkerung zieht es immer mehr in die urbanen Zentren. Doch auch das Flächenmanagement außerhalb der großen Städte ist ein heiß umkämpftes Thema. Die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen schrumpfen rapide und Österreich verliert schon seit Jahren täglich 20 Hektar an Boden durch Verbauung in Form von Straßen, Wohnungsbau, Einkaufszentren und Betriebsansiedlungen. Das entspricht der Fläche von ungefähr 30 Fußballfeldern und bedeutet einen absoluten Spitzenwert in Europa. Daher kann inzwischen nur noch die Hälfte der Bewohner Österreichs mit heimischen Lebensmitteln versorgt werden (statistisch gesehen benötigt jeder Europäer 3.000 Quadratmeter Ackerfläche, um seinen persönlichen Lebensgewohnheiten nachkommen zu können, zur Verfügung stehen in Österreich aber nur noch rund 1.600 Quadratmeter pro Einwohner). Darüber hinaus gehen durch die intensive Bebauung ständig Wasser- und CO?-Speicher verloren mit der Folge, dass Hochwasser- und Überschwemmungsschäden zunehmen und gleichzeitig die in Paris vereinbarten Klimaziele in immer weitere Ferne rücken.

Sanieren oder neu bauen?
Statt neue Gebäude und Infrastrukturen zu errichten, wird deshalb immer stärker die Forderung laut, mehr von den – teilweise sogar leerstehenden – Gebäuden in den Stadtkernen nachhaltig zu sanieren. Dagegen spricht oft der Mehraufwand, der sich im Vergleich zu einem Neubau ergibt, und damit eine zweifelhafte Rentabilität für Investoren, die zwar ihr Geld gerne in nachhaltige Projekte investieren, aber auf der anderen Seite auch Gewinn machen wollen.
Für den Neubau eines „Haus der Zukunft" spricht viel, denn es kann nicht nur energieautark sein, sondern im Verbund mit anderen Bauten in neuen Stadtvierteln sogar überschüssige Energie abgeben. Die Energiegewinnung erfolgt dabei über viele Quellen: Dächer werden mit Photovoltaik-Paneelen und Kollektoren ausgestattet, Geothermie wird genutzt sowie Abluft- und Abwasserwärme gesammelt und weiterverwertet. Die thermische Aktivierung tragender Bauteile aus Beton bietet hier eine innovative Speichermöglichkeit. Doch im Rahmen der Präsentation der Gesamtergebnisse aus 13 Jahren Forschungsprojekt „Haus der Zukunft" konstatiert Dipl.-Ing. Prof. Christoph Achammer, Leiter des Forschungsbereiches Industriebau und Interdisziplinäre Bauplanung an der Technischen Universität Wien, ganz klar:

„Das nachhaltigste Haus ist noch immer jenes, das nicht gebaut wird."
 Aus alt mach neu: Das mehr als 100 Jahre alte Fronius-Fabriksgebäude wurde durch energieautonome Sanierung zum Passivhaus. // Foto: PAUAT, Walter LuttenbergerDenn neben dem Energieverbrauch eines Gebäudes während seiner Nutzungsdauer ist der Energiebedarf für die Herstellung der Baumaterialien, den Bau und den späteren Abriss ebenso zu berücksichtigen. Damit ist nachhaltiges und umfassendes Sanieren wieder in den Fokus der Forschung gerückt. Die „Stadt der Zukunft" muss und wird eine Kombination aus Neu- und Altbauten sein, wobei das Sparen von Ressourcen und möglichst geringe Eingriffe in die Umwelt dominierende Themen sind.
Verbrauchstechnisch gesehen kann fast jedes Bestandsobjekt durch Installation von Doppel- oder sogar Dreifachverglasungen, Dämmung der Außenwände, Ausbau und vollständige Isolierung des Dachgeschosses sowie der Kellerdecke und Installation moderner Anlagen zur Belüftung und Feuchtigkeitsregulierung zumindest auf den Standard eines Niedrigenergiehauses gebracht werden. Doch da die Österreichische Baukultur primär auf der Architektur der Gründerzeit beruht, stehen speziell in den Großstädten viele Wohn- und auch Industriegebäude unter verschärftem Denkmalschutz. Strenge Auflagen zur Erhaltung des Originalerscheinungsbildes müssen bei der Sanierung berücksichtigt werden. Der Spagat zur Erreichung bestmöglicher Energieeffizienz bei gleichzeitiger Einhaltung aller Vorschriften ist oft kompliziert und kostspielig. Davor schrecken Investoren und Eigentümer zurück. Insbesondere, da die Sanierungskosten aufgrund des Mietrechtsgesetzes, das maximale Mieten für Altbauten vorgibt, nicht oder nur zum Teil durch Mieteinnahmen refinanziert werden können.
Doch es sind gerade diese Gebäude, die über die Erreichung der Klimaziele im Wohnbereich entscheiden und dringend einer zukunftsfähigen Wohnraumnutzung zugeführt werden müssen.

Standards für nachhaltiges Bauen und Sanieren sind gefragt
klima:aktiv, eine Initiative des österreichischen Lebensministeriums, möchte bis 2020 in Österreich 20 Prozent mehr Energieeffizienz erreichen und hat zu diesem Zweck auch für nachhaltiges Bauen und Sanieren Standards entwickelt. Diesen liegt ein Kriterienkatalog zugrunde, der Interessenten an Wohn- und Gewerbeobjekten, aber auch Bauträgern, Architekten und Stadtplanern verbindliche Bewertungs- und Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Bautätigkeit zur Verfügung stellt. Gebäude werden dabei nach einem Punktesystem vor allem zu den Hauptkriterien Energieeffizienz, Klimakomfort und der Verwendung ökologischer Baustoffe beurteilt. Damit liefert klima:aktiv einen großen Beitrag, um Wohnbau und Sanierungen umweltverträglicher planen und realisieren zu können. Bei einer direkten Kooperation mit klima:aktiv im Bereich Beratung und Planung kommen Sanierungsmaßnahmen sogar in den Genuss von erhöhten staatlichen Förderungen. Doch darüber, ob und welche Altbauten für ein Sanierungsprojekt wirklich interessant sind, gibt der klima:aktiv-Kriterienkatalog nur in technischer Hinsicht Auskunft. Da er von der Energieeffizienz als Hauptbewertungskriterium ausgeht, erweckt er oft einen negativeren Eindruck von der Sanierungswürdigkeit, als es der Realität entspricht. Soziale Aspekte wie Standort, Infrastruktur und Lärmbelastung nehmen ebenso wenig Einfluss auf die Gebäudebeurteilung wie die Mieterstruktur, das Vorhandensein einer Gebäudehistorie und bereits existente Zertifizierungen als Vorleistung.

Ein umfassendes Ratingsystem für Wohnbauinvestitionen ist nötig
Wohnen mit Stil: der alte Dachstuhl wird zum Designelement. // Foto: PavatexWie viele andere Investoren hat deshalb auch der Gründer von fair-finance, Markus Zeilinger, beim klima:aktiv-Kriterienkatalog einen Ergänzungsbedarf gesehen, um den Wert von Bestandsobjekten aus einer wirklich umfassenden Perspektive beurteilen zu können. Für fair-finance ist die Abwägung zwischen finanziellen, sozialen und ökologischen Dimensionen ein besonderes Anliegen. Als betriebliche Vorsorgekasse im Jahr 2010 zusammen mit der GLS Gemeinschaftsbank und der Concordia Versicherung gegründet, steht fair-finance für das Bemühen, Geld verantwortungsvoll als Gestaltungsmittel einzusetzen. Zentrales Anliegen dieses innovativen Geschäftsmodells ist dabei, soziale, ökologische und ökonomische Kriterien als Grundlage verantwortungsbewusster und nachhaltiger Investitions-Entscheidungen zu sehen.
Um dieser Zielsetzung entsprechen zu können, gab Zeilinger die Entwicklung eines eigenen Ratings für Wohnimmobilien in Auftrag, bei dem neben ökologischen und energetischen vor allem auch soziale und gesellschaftliche Aspekte berücksichtigt werden. Ausgearbeitet wurde dieser Kriterienkatalog von Dipl.-Ing. Erich Reiner, einem gerichtlich beeideten Sachverständigen für Immobilienbewertung und Nutzwertgutachten aus Vorarlberg. Sein Zugang ist ganzheitlich, woraus sich vor allem bei der Bewertung von Bestandsobjekten Unterschiede zu den Resultaten ergeben, die mit dem klima:aktiv-Kriterienkatalog in der Hand erzielt werden.

Open Source auch im Bauwesen
Zeilinger ist mit dem Ergebnis zufrieden: „Im Bereich Immobilien war es früher ausgesprochen schwierig, die richtigen Objekte auszusuchen; der neue Kriterienkatalog hilft uns nun sehr bei der Auswahl. Wir sind der Meinung, dass man als verantwortungsbewusste Vorsorgekasse nicht nur in Neubauten investieren darf. Die ,Stadt der Zukunft’ wird auch auf vorhandener Bausubstanz basieren, und die darf nicht zugunsten der überbordenden Errichtung von Neubauten vernachlässigt werden, sonst geht unser Kulturgut stückweise verloren. Auch erhaltenswürdige Objekte verlieren dann so lange an Wert, bis sie nur noch abgerissen werden können." Dass das Eliminieren von älteren Wohnhäusern und die damit verbundene Absiedelung von Mietern nicht nur sozial bedenklich, sondern auch mit Umweltbelastung wie Lärm, Staub und hohem Abfallaufkommen verbunden sind, steht außer Diskussion. Hingegen können die vollständige thermische Sanierung und die Installation hausinterner Vorrichtungen zur Gewinnung erneuerbarer Energien auch aus einem günstig erworbenen Altbau ein Vorzeigeobjekt in Bezug auf Wohnqualität, Umweltverträglichkeit und plan­barer Wertsteigerung machen. Um auch andere Investoren und Bauträger zu motivieren, einen Beitrag zur Erhaltung traditioneller Baukultur zu leisten, hat fair-finance seinen Kriterienkatalog und das daraus entwickelte Ratingsystem für jeden Interessierten kostenfrei als PDF-Datei auf seiner Homepage veröffentlicht.

„Ohne eine fundierte Kalkulationsbasis für Investoren, die sich wie wir für Nachhaltigkeit einsetzen, werden viele, in Wahrheit durchaus attraktive Bestandsobjekte unnötigerweise dem Verfall preisgegeben", erklärt Markus Zeilinger seinen modernen Open-Source-Ansatz und lädt ein, das System gemeinsam laufend weiterzuentwickeln. Für dieses Engagement und für ihre nachhaltigen Invest­ments wurde Zeilingers fair-finance von der ÖGUT (Österreichi­sche Gesellschaft für Umwelt und Technik) zertifiziert und mit der bestmöglichen Bewertung ausgezeichnet.

www.fair-finance.at. Den Kriterienkatalog erhalten Sie dort kostenlos zum Download.

Von forum Österreich-Korrespondentin Susanne Baust

Gesellschaft | Green Cities, 01.11.2016
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2016 - Klima, Krieg und gute Taten erschienen.
     
        
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