Garnelen von der Isar
Ein Besuch in Europas größter Aquakultur-Anlage für die beliebten Schalentiere.
Garnelen gehören in Deutschland zu den beliebtesten Meeresfrüchten. Rund 750 Gramm jährlich verspeist jeder Bundesbürger im Schnitt – oft ohne zu wissen, unter welchen Bedingungen die Schalentiere produziert wurden. Die Lösung: Garnelen aus Bayern.
Einladung ins „upper eat side" München-Giesing. Angesagte Location. Drinnen lässig einfach und deswegen hip. Die wenigen Gerichte auf der Holztafel: appetitanregend und garantiert regional. Nur bei den Garnelen stutze ich. Regional? Doch der junge Wirt persönlich erklärt uns auf Nachfrage, dass die Garnelen von den „Großstadtfischern" aus der Nähe stammen. Meine Neugierde ist geweckt.
Wir fahren vorbei an grünen Wiesen und Wäldern und überqueren die Isar. Unser Ziel: die Gemeinde Langenpreising nahe München. Im beschaulichen Gewerbegebiet gibt es eine Holzbau-Firma, ein Autohaus – und einen Garnelenzuchtbetrieb. Garnelen? Das wollen wir nicht so recht glauben, als wir mit unserem Redaktionsteam vor der unscheinbaren grauen Halle stehen. Das ist also Europas größte Aquakultur-Anlage für die beliebten Schalentiere…
Drinnen erwartet uns Fabian Riedel in seinem Büro. Der 35-Jährige ist Jurist, aber daran erinnert gerade nur noch sein Äußeres: gegelte Haare, bestimmtes Auftreten, stechender Blick. Auf dem Schreibtisch liegen Wirtschaftsmagazine. Ganz oben auf dem Stapel: Business Punk. Das ist nicht verwunderlich, wirkt Riedel doch wie der Prototyp der darin vertretenen Unternehmer. Mit seinem Unternehmen Crusta Nova verfolgt er kein geringeres Ziel, als die Garnelenzucht zu revolutionieren: „Ich möchte die Garnele wieder zu dem Luxusprodukt machen, das sie einmal war." Davon ist die Durchschnitts-Garnele aus dem Supermarkt weit entfernt.
Gezüchtet wird sie meist in China, gefolgt von Indien, Vietnam, Indonesien, Ecuador und Bangladesch – mit erschreckenden Umweltauswirkungen. Für die Garnelenzucht werden etwa ein Meter tiefe Zuchtbecken in Küstennähe angelegt. Dafür müssen Mangrovenwälder weichen, Futter und Chemikalien belasten die Ökosysteme zusätzlich. WWF und Greenpeace bemängeln außerdem die Arbeitsbedingungen für die meist aus der Region stammenden Arbeitskräfte. Problematisch ist zudem der weit verbreitete Einsatz von Antibiotika. Bevor die Garnelen in unseren Supermärkten und schließlich auf dem Teller landen, vergeht mitunter eine lange Zeit. Obwohl sie als „fangfrisch" deklariert werden, sind sie im Block gefroren teilweise monatelang unterwegs. All das möchte Riedel mit seinem 10-köpfigen Team besser machen: ein umweltschonendes Kreislaufsystem statt Vernichtung von Lebensräumen, Regionalität statt langer Transportwege, kein Einsatz von Antibiotika, dafür zertifiziertes Futter und eine artgerechte Besatzdichte.
Vom Juristen zum „Großstadtfischer"
Doch zunächst der Blick zurück: Die Geschichte von Crusta Nova beginnt 2012. Fabian Riedel sitzt in einer stickigen Bibliothek am Münchner Institut für Zeitgeschichte, wo er an seiner Dissertation über einen deutsch-jüdischen Filmunternehmer arbeitet. Um sich die Beine zu vertreten, stattet er einem alten Schulfreund einen Besuch ab, der als Lebensmitteltechnologe an Schalentieren forscht. Als er dessen Wohnung in der Leonrodstraße betritt, staunt er nicht schlecht: In Küche, Badezimmer und sogar im Schlafzimmer stehen große Plastikbecken. Darin tummeln sich australische Flusskrebse. Riedel ist sofort begeistert. Der Jurist, der mit Schalentieren bislang nichts am Hut hatte, beginnt Bücher über die Tiere zu wälzen, an denen sein Freund gerade forscht. Es dauert nicht lange bis zur ersten Geschäftsidee, nämlich der Zucht von eben diesen Flusskrebsen.
Die wird aber nach einer Marktstudie schnell wieder verworfen. Zu klein sei die Nachfrage, zu groß die Konkurrenz – auch unter den kannibalistischen Flusskrebsen, die sich ständig gegenseitig auffressen. Doch die Idee lässt Riedel nicht los. Nach langer Recherche stößt er schließlich auf Garnelen. Schnell erkennt er das Potenzial – allein die Deutschen essen im Jahr 50.000 Tonnen an Krebstieren und Garnelen. Über einen Zeitungsartikel gelangt Riedel an den US-Forscher Addison Lawrence. Dieser forscht in Texas seit Jahren an der Zucht von Garnelen in Kreislaufsystemen. Und er möchte diese Technologie international verkaufen. Ein Glücksgriff? Riedel stellt sofort den Kontakt her – und wird herbe enttäuscht. Lawrence verlangt eine sechsstellige Lizenzzahlung, für eine Technologie, die sich noch nicht bewährt hat.
Ein fleischverarbeitendes Familienunternehmen als Investor
Das kommt für Riedel nicht infrage. Abschrecken lässt er sich von diesem Rückschlag jedoch nicht – im Gegenteil. Er steigt noch tiefer in die Materie ein, studiert weiter den Markt. Sein Engagement und die Begeisterung für die Idee zahlen sich aus. Riedels Vorhaben wird vom Europäischen Fischerei Fonds (EFF) gefördert. Das Fördervolumen setzt sich zu jeweils 20 Prozent aus bayerischen und EU-Mitteln zusammen. Mit Michael Ponnath, dem Gesellschafter des ältesten bayerischen Metzgereiunternehmens, findet er zudem einen branchennahen Investor, der ihn mit einem mittleren einstelligen Millionenbetrag fördert. Nun fehlt noch ein Aquakultur-Experte, der ihn bei der Konzeption der Anlage unterstützt. Auch hier wird Riedel fündig: Gerrit Quantz ist Spezialist für landgestützte Aquakulturen in geschlossenen Kreislaufanlagen. Er steht Riedel mit Know-how und Fachwissen zur Seite. Nachdem auch diese Hürde genommen ist, legt Riedel gleich mit dem Bau der Anlage los. Etwa 2.000 Quadratmeter misst die eigens für Crusta Nova errichtete Halle, 1.900 Quadratmeter die Zuchtanlage. Die Larven kommen aus Florida
Diese betreten wir nun – und fühlen uns bei 30 Grad Lufttemperatur und 70 Prozent Luftfeuchtigkeit in den Mangrovenwald versetzt. Auf zwei Stockwerken tummeln sich hier etwa eine Millionen Garnelen. Auf jeder Etage stehen jeweils vier 35 Meter lange Kunststoffbecken. Durch Futterrückstände ist das Wasser bräunlich gefärbt und etwas trüb – laut Riedel kein Zufall: „In den Mangrovenwäldern, wo die Garnelen heimisch sind, sieht das Wasser auch so aus. In klarem Wasser hätten sie Angst, von Fressfeinden entdeckt zu werden. Im geschlossenen Kreislauf fühlen sich unsere Garnelen dank der Filtertechniken pudel- äh garnelenwohl."
Bei der Führung durch die Anlage wird aus dem Business Punk Riedel der Großstadtfischer, der mit Leib und Seele zu seiner Sache steht. Schnell wird deutlich, dass ihm Qualität und artgerechte Haltung seines Produktes wirklich am Herzen liegen. So ist die Besatzdichte in den Zuchtbecken nur halb so groß wie in herkömmlichen Betrieben. Die Becken sind in drei Bereiche unterteilt – diese entsprechen den verschiedenen Altersstufen. Ganz vorne werden die Larven herangezüchtet. Sie reisen in Styroporbehältern aus dem sonnigen Florida an, fühlen sich aber auch in Bayern wohl. Die winzigen Tierchen wachsen anfangs täglich um das Vierfache ihres Körpergewichts. Mit steigendem Alter rücken sie im Becken immer weiter nach vorne, bis sie am Ende im Tötungsbecken landen. „Am Anfang hatten wir keine Ahnung, wie wir die Garnelen töten sollten. In dem Rahmen hat das ja zuvor noch niemand gemacht", sagt Riedel. Ähnlich wie Fisch werden die Tiere schließlich mit Gleichstrom getötet.
Biofilter statt Antibiotika
Für Aquakultur-Produkte aus Kreislaufanlagen gibt es bislang noch kein Bio-Siegel. Die EU-Öko-Verordnung schließt sie wegen noch fehlender Erkenntnisse aus. Der Naturland Verband für ökologischen Landbau e.V. prüft derzeit die Einführung eines eigenen Siegels. Geschäftsführer Steffen Reese erklärt, wieso er den Ansatz für sinnvoll hält: „Naturland hält es aus ökologischer, aber auch soziokultureller Hinsicht für absolut sinnvoll, Lebensmittel im Lebensumfeld der Menschen zu erzeugen. Daher setzen wir uns mit verschiedenen Projekten dafür ein, bestehende Wissenslücken zu schließen. Mit einem Vorhaben im Rahmen des Bundesprogramms Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft (BÖLN) untersuchen wir aktuell die Akzeptanz der Öko-Branche für Erzeugnisse aus Aquakulturkreisläufen. Darum wollen wir ein Siegel einführen, um zertifizierte Produkte aus Aquakultur leichter erkennbar zu machen". |
Das Beispiel der Tötungsanlage zeigt: Pionier Riedel musste beim Bau der Anlage vielerorts Neuland betreten. Das Abluftsystem stammt beispielsweise aus der Schweinezucht. Die Anlage läuft mit einer Raumtemperatur von 30 Grad und einer Wassertemperatur von 29 Grad – ganzjährig. Diese Zahlen klingen nicht gerade nach einem niedrigen Umweltaufwand. Und doch ist der Energiebedarf der Anlage sehr gering.
Möglich wird dies durch das Kreislaufprinzip RAS (engl. Recirculating Aquaculture Systems): Das Ablaufwasser der Zuchtbecken wird kontinuierlich mechanisch und biologisch gereinigt. Die mechanische Reinigung funktioniert denkbar einfach, indem Kot, Futter- und Karkassenreste durch ein Sieb entfernt werden. Etwas komplizierter gestaltet sich die biologische Reinigung. Diese ist notwendig, da die Garnelen als Stoffwechselprodukt Ammonium ausscheiden. Bei zu hoher Dosierung im Wasser wird dieses für sie giftig. Abhilfe schafft ein Biofilter. Dieser besteht aus wenige Zentimeter großen Kunststoffzylindern, die frei im Wasser schwimmen. Auf deren Oberfläche tummeln sich Bakterien, die das für die Garnelen gefährliche Ammonium in harmloses Nitrit und Nitrat umwandeln. Dieses wiederum kann nach dem Filtern als Pflanzendünger verwendet werden. Anschließend wird das Wasser mit Sauerstoff angereichert und wieder den Zuchtbecken zugeführt. Der tägliche Wasserverbrauch wird damit verschwindend gering – durch das Kreislaufprinzip beträgt er unter 4 Prozent des Gesamtvolumens. Die Anlage wird derzeit noch mit herkömmlichem Erdgas beheizt.
Hier sieht Riedel noch Potenzial zur Verbesserung: Künftig soll ein Blockheizkraftwerk Wärme und Strom gleichzeitig liefern. Vor allem die Stromkosten für das Betreiben der Pumpen sind neben dem Futter für die Tiere ein hoher Kostenfaktor. Apropos Futter: Dieses ist eine Spezialentwicklung für die Großstadtfischer und wird vollautomatisch an die Tiere ausgegeben, mit einer Futterpause in der Nacht. Sensoren überwachen die Komponenten der Anlage mittels speicherprogrammierbarer Steuerung. Sie messen den Sauerstoffanteil, Temperatur und pH-Wert des Wassers. Auch Wasserstände, Drücke und elektrische Antriebe regelt die Anlage vollautomatisch. Somit ist der Personalbedarf sehr gering.
Hier liefert der Chef persönlich
Die Umweltverträglichkeit seiner Garnelenzucht liegt Riedel sehr am Herzen. Gleichzeitig ist er aber auch ein Geschäftsmann mit Biss. „Meine Idee unterscheidet sich von Ansätzen wie Aquaponik, die für mich auch immer etwas von Gutmenschentum an sich haben. Unser Ziel war von Anfang an, mit den Garnelen Geld zu verdienen". Und das funktioniert. Die fangfrischen Garnelen aus Bayern haben sich in der Gourmet-Szene schon einen Namen gemacht. Leicht süßlich und nussig schmecken sie, die knackige Konsistenz erinnert an einen frischen Apfel. Ausgeliefert werden die frischen Garnelen per Expressversand gleich am Folgetag der Bestellung, in München sogar noch am selben Tag.
Etwa 30 Tonnen Garnelen kann die Anlage in Langenpreising jährlich produzieren. Die Nachfrage von Restaurants und Hotels ist groß – so groß, dass der Chef selbst schon mal selbst ausliefern muss. Wenn es einmal ganz schnell gehen soll, bringt Riedel die Garnelen auch persönlich zum Kunden. www.crustanova.com
Von Sebastian Henkes
Lifestyle | Essen & Trinken, 01.05.2017
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2017 - Wie ernähren wir uns in Zukunft? erschienen.
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