Vom Hype zur Bewegung
10 Jahre nachhaltiges Bauen in Deutschland
Es hat lange gedauert, bis der Bausektor das Thema Nachhaltigkeit für sich angenommen hat. Erste Aktivitäten gab es in den 90er Jahren unter dem Motto „Green Building" aus dem angelsächsischen Bereich heraus – stark zugeschnitten auf die Themen Ökologie und Energieeffizienz. In diesem Zuge wurden die ersten Zertifizierungssysteme für Gebäude entwickelt, Produkte mit dem Etikett „Green" versehen.
Schon bei der Gründung mit angedacht waren zwei wesentliche Säulen, die bis heute die Arbeit der DGNB mitbestimmen: Das Zertifizierungssystem für nachhaltige Gebäude und die DGNB Akademie. Denn ohne Experten, die das Wissen in die Praxis umsetzen können, bringt die beste Idee nichts.
Dass das Ganze für den deutschen Markt wenig geeignet war, erkannte Mitte der 0er Jahre eine Reihe von Pionieren aus verschiedenen Bereichen der Bau- und Immobilienwirtschaft: Architekten und Hersteller, Forscher und andere Vordenker. Ihr gemeinsames Verständnis: Wenn wir wirklich etwas erreichen wollen, müssen wir anders ansetzen, ganzheitlich und weiter denken. Aus dem Impuls heraus entstand 2007 die DGNB. Non-Profit und NGO mit dem Ziel, nachhaltiges Bauen gezielt zu fördern und in die Breite zu bringen.
Was folgte war eine Zeit geprägt von echtem Gründergeist. In vier großen Workshops arbeitete das Who-is-Who der deutschen Nachhaltigkeitsszene an der Entwicklung des Zertifizierungssystems, im Schulterschluss mit dem Ministerium, das parallel dazu das BNB System für öffentliche Bauten entwickelte. Das Besondere: Akteure aller relevanten Branchengruppen kamen gemeinsam an einen Tisch. Das Ganze wurde zu einem integral gedachten und umgesetzten Thema, aufbauend auf gemeinsamen Werten und einem konsensfähigen Verständnis für die Kriterien, die nachhaltigem Bauen bis heute eine Kontur geben.
Zertifizierung sollte dabei nie einem reinen Selbstzweck, einem Dokumentieren um des Dokumentieren willens dienen, sondern als Orientierunghilfe, als gemeinsame Kommunikations- und Planungsbasis für die verschiedenen am Bau Beteiligten. Statt um eine reine Plakettensammlerei ging es der DGNB schon immer um nachweislich bessere Gebäude, die ökologisch, ökonomisch und im Hinblick auf den Mensch als Gebäudenutzer optimiert sind. Die Grundlage dafür ist, dass ich Dinge messen kann, denn nur was ich messen kann, kann ich auch nachweislich verbessern. Weg vom Behaupten, hin zum Verifizieren.Auf der BAU 2009 noch als Randnotiz belächelt wurden dort die ersten Zertifikate vergeben. Die ersten Auditoren schlossen ihre Fortbildung ab. Ein neuer Markt wurde geschaffen. Auf dieser Welle schwamm die DGNB in seinen ersten Jahren. Es gab einen großen Run auf die Fortbildungsangebote. Die Mitgliederzahlen wuchsen rasant. Es war das richtige Thema zur richtigen Zeit. Viele der Akteure, die damals die Initialzündung gegeben haben, sind heute noch dabei wie Alexander Rudolphi, der nicht nur aktueller Präsident der DGNB ist, sondern auch deren Gründungspräsident. Mitinitiator Johannes Kreißig ist heute Geschäftsführer der DGNB GmbH.
Von vornherein mit angedacht war auch die Zielsetzung, international zu wirken. Denn klar war: Ich kann vor der eigenen Haustür zwar im Kleinen etwas erreichen, doch die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind globaler Art: Klimawandel, Ressourcenknappheit usw. Daher schmiedete die DGNB schon früh wichtige strategische Allianzen, etwa mit dem World Green Building Council, der globalen Dachorganisation für nachhaltiges Bauen. Partner aus Österreich, Schweiz, Dänemark und Bulgarien entschieden sich, das DGNB System in ihre Länder zu tragen.
Damit wurden auch Begehrlichkeiten aus dem weiteren Ausland geweckt, oft verbunden mit dem Wunsch nach einer schnellen, einfachen und billigen Lösung. In dieser Zeit blieb sich die DGNB treu und folgte diesen Lockrufen nicht. Nachhaltigkeit geht nicht von heute auf morgen. Auf Projektebene heißt das: Es braucht eine ernst gemeinte Motivation, Überzeugungskraft und einen langen Atem. Immer wieder kamen in diesem Zusammenhang auch fehlleitende Fragestellungen auf: „Ist nachhaltiges Bauen teuer?" zählt dazu. Die Frage ist: Womit vergleiche ich das? Was ist die Alternative? Billig kann sicher nicht die Antwort sein. Qualität ist nicht verhandelbar, so das Credo der DGNB.
In dieser Phase reflektierte die Organisation auch stark das selbst entwickelte System, überprüfte es auf die Anwendungsfreundlichkeit, darauf, ob die richtigen Themen aufgeführt sind und welche fehlen. Außerdem gab es wichtige Weiterentwicklungen, etwa ein System für Quartiere und eins für den Gebäudebestand. Der Neubau ist ein wichtig. Aber eben auch nur ein Ausschnitt, eine Phase im Lebenszyklus der gebauten Umwelt. Auch mit Blick auf die Skalierbarkeit und damit verbunden die größere Breitenwirkung wurde etwas getan: Das Angebot einer Mehrfach- oder Serienzertifizierung von baugleichen oder bauähnlichen Gebäuden. So ist es möglich, dass heute bereits in vielen hundert zertifizierten Häusern Familien eine neue Heimat gefunden haben. Intensiviert wurde zudem die Zusammenarbeit mit Hochschulpartnern, die die DGNB unterstützen, das Thema Nachhaltigkeit Schritt für Schritt in die Grundausbildung von Architekten, Bauingenieuren und anderen verwandten Disziplinen zu bringen.
Die letzten Jahre des Vereins standen stark unter dem Motiv des Diskurses. Über das bestehende Zertifizierungssystem hinaus wurden Initiativen angestoßen, die den Wert von Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt rückten und dem Thema eine Stimme im Markt und der politischen Diskussion gaben. Das bezog sich auf die Positionierung der DGNB gegen die weitere Verschärfung der Energieeinsparverordnung EnEV genauso wie um die Frage, wie gestalterische und baukulturelle Qualität bewertbar ist.
Über 1.200 Mitgliedsorganisationen zählt die DGNB heute, was sie zu Europas größtem Netzwerk für nachhaltiges Bauen macht. Das enorme Interesse an dem Ansatz der DGNB aus dem Ausland wie beispielsweise China, wo die DGNB schon weit über 200 Experten ausgebildet hat, belegt, dass der eingeschlagene Weg der Richtige war. Ein weiteres Indiz: Die EU in ihren neu formulierten Nachhaltigkeitsindikatoren für Gebäude ganzheitlich Inhalte abgebildet, die die DGNB bereits 2009 in der ersten Version des Zertifizierungssystem verankert hatte. Aus dieser Bestätigung zieht die DGNB aber auch eine Verpflichtung: So unterstützt die Gesellschaft die Bestrebung der EU beim Ausbau von Wissen. Auch mit anderen Partnern wie der Weltbank hat die DGNB Kooperationsvereinbarungen geschlossen, die den Wissenstransfer zum nachhaltigen Bauen in den Fokus stellen.
10 Jahre sind ein Meilenstein, der zum Verweilen und Rückblicken anregt. Allein hilft das nicht weiter bei den großen Herausforderungen. Daher setzt die DGNB passend zum Jubiläum den Startpunkt für eine Initiative unter dem Titel „Nachhaltig ist das neue Normal". Ein Ausdruck dessen, dass wir heute schon über die Mittel verfügen, Nachhaltigkeit in unserer täglichen Praxis umzusetzen. Es gibt keine Ausreden mehr, diesen Weg konsequent zu verfolgen. Es braucht Vorreiter, an denen sich andere orientieren können. Aber es braucht auch eine breitere Masse, für die eine nachhaltige Lebens- und Arbeitsweise zur Selbstverständlichkeit wird. Die DGNB will ihren Beitrag dazu leisten, dass wir in den nächsten Jahren hier wichtige nächste Schritte machen. In dem Sinne versteht die DGNB 10 Jahre als Versprechen zum Weitermachen – gemeinsam mit Partnern aus der Bau- und Immobilienwirtschaft, der Hochschullandschaft, politischen Entscheidungsträger und das im weltweiten Verbund.
Quelle: DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen
Technik | Green Building, 11.07.2017
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