25 Jahre nach Rio
Viel weiter sind wir nicht gekommen
Die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung, der sogenannte „Erdgipfel" von Rio 1992, war damals die größte Versammlung von Staats- und Regierungschefs aller Zeiten. Nach dem Ende des Kalten Krieges wollte man die drängenden Menschheitsprobleme gemeinsam angehen. George Bush Sr. applaudierte Fidel Castro und umgekehrt. Helmut Kohl flog nach Rio und hatte mit Ankündigungen wie einer Emissionsreduktion Deutschlands von 25 Prozent fest vor, sich mit dem Image des Umwelt-Vorreiters zu schmücken. Eine telefonbuchdicke „Agenda 21" und drei rechtsverbindliche Konventionen für Klima, für Biologische Vielfalt und gegen Wüstenbildung wurden in Rio beschlossen. Es war eine erfolgreiche Konferenz, auch wenn die Nichtregierungsorganisationen weit mehr erwartet hatten.
Mehr zum Thema Rio+25 und SDG lesen Sie auf unserer Homepage und in der Ausgabe 4/2017 von forum Nachhaltig Wirtschaften. |
So konnte es nicht überraschen, dass 2012 bei der Rio+20-Konferenz, ebenfalls wieder in Rio, die Bilanzen erschreckend weit auseinanderfielen. Bei der Armutsbekämpfung konnte man beachtliche Erfolge erzielen, vor allem in Asien und Lateinamerika; zahlreiche solcher Berichte wurden präsentiert. Die globale Konsumentenklasse ist stark gewachsen, heute ist sie nicht mehr von den alten Industriestaaten des Nordens dominiert. Aber bei der ökologischen Lage des Planeten Erde gab es wenig Positives zu vermelden. Die Atmosphäre als Treibhausgas-Müllkippe, die Überfischung und Vermüllung der Meere, die Abholzung der Wälder, die Ausbreitung der Wüsten, das Artensterben, die Erosion fruchtbarer Böden… alle Trends haben sich seit 1992 nicht etwa abgeschwächt oder gar umgekehrt, nein, sie haben sich sogar verschärft.
Überrascht konnte man darüber eigentlich nicht sein. In der „Agenda 21" hatte man ja nicht einfach so die „nachhaltige Entwicklung" beschlossen. Man hatte erkannt, dass das bisherige Entwicklungsmodell nicht nachhaltig war: Die blinde Fixierung auf Wirtschaftswachstum zerstört unsere Lebensgrundlagen. Aber diese Erkenntnis von Rio wurde nie in die Wirtschafts- und Finanzpolitik der UN-Staaten umgesetzt. Stattdessen wurde neoliberal dereguliert, was das Zeug hielt. Heute haben wir weniger Regulierung, weniger Umweltsteuern, weniger Umweltpolitik als 1992. Der „Earth Overshoot Day" fällt jedes Jahr auf einen früheren Tag im Kalender – gemeint ist der Tag, an dem die Menschheit die nachhaltig nutzbaren Ressourcen eines Kalenderjahres aufgebraucht hat. Dieses Jahr liegt er am 2. August – 1992 lag er noch am 5. Dezember. Die Bilanzen, die in Rio 2012 konstatiert werden mussten, können also nicht überraschen.
Woran liegt es? 2012 habe ich im Vorfeld des Rio+20-Gipfels eine Veranstaltungsreihe gemacht, kreuz und quer durch Deutschland, und in jeder Stadt habe ich die Veranstalter gefragt, was in ihrer Stadt der größte Erfolg in Sachen Nachhaltigkeit seit 1992 war. Erfolge hatten sie alle vorzuweisen. Meine zweite Frage war, ob sie diese Erfolge im Konsens oder im Konflikt mit der Stadtverwaltung und der Kommunalpolitik erreicht haben, und sie mussten fast ausnahmslos antworten: Im Konflikt.
Rio 1992 beschloss viele wegweisende Dokumente im Konsens, anders können die Vereinten Nationen normalerweise gar nichts beschließen. Aber im Konsens wird die Welt nicht verändert. Es gibt keine historischen Beispiele für wegweisende reale Veränderungen der Welt im Konsens. Immer waren es Minderheiten, die irgendwann zu Mehrheiten wurden, die Fakten geschaffen haben indem sie tagespolitische Auseinandersetzungen für sich entschieden haben. Der globale Siegeszug des Neoliberalismus und seiner Deregulierungsideologie fand nicht im Konsens statt, sondern wurde gegen harte Widerstände durchgeboxt. Nur die Nachhaltigkeits-Community erliegt noch in weiten Teilen dem Irrglauben, wenn die Vereinten Nationen im Konsens Nachhaltige Entwicklung beschlossen haben, dann ist das ein realer, tragfähiger Konsens. Leider ist dieser Glaube eine fake reality.
Wer Nachhaltigkeit durchsetzen will, muss konfliktfähig sein, muss gegen eine Agrarlobby, eine Autolobby, eine Kohlelobby, eine Bankenlobby antreten und gegen diese Mehrheiten organisieren. Wer glaubt, im Konsens mit der Agrarindustrie per „freiwilliger Selbstverpflichtung" die Massentierhaltung abschaffen zu können oder im Konsens mit der Kohlelobby den Umstieg auf Energiesparen und Erneuerbare organisieren zu können, macht sich selbst etwas vor. Nachhaltigkeit bedeutet vor allem auch, unseren enormen Ressourcenverbrauch deutlich zu reduzieren – mithin der Abschied von der Wachstumsideologie. Das geht nur im Konflikt, denn damit zerstören wir viele Geschäftsmodelle.
Die Bewegung gegen TTIP und andere „Freihandelsabkommen" hat Millionen quer durch Europa mobilisiert und war (zumindest bis auf Weiteres) erfolgreich. Die Menschen haben genug von Austerität und wachsender Ungleichheit. Die Alternative zum Status Quo ist mehr ökologische Nachhaltigkeit, mehr soziale Gerechtigkeit. Der Nachhaltigkeitsdiskurs muss an die sozialen Bewegungen anschlussfähig werden, statt auf den Konsens mit denjenigen zu setzen, deren Geschäftsmodelle fundamental nicht-nachhaltig sind. Nur dann wird er in der Lage sein, die Vielzahl tagespolitischer Auseinandersetzungen zu gewinnen, ohne die ein Kurswechsel nicht möglich sein wird – und ohne die die Bilanzen bei Rio+30 genauso Bilanzen des Versagens sein werden wie bei Rio+20.
Forum Umwelt & Entwicklung
Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten deutscher Nichtregierungsorganisationen in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Zum Thema Rio+25 finden Sie auf der Webseite ein Jubiläums-Feature.
Jürgen Maier, Forum Umwelt & Entwicklung
Gesellschaft | Politik, 29.11.2017
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2017 - Jetzt die SDG umsetzen erschienen.
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