BIOFACH 2025

Pflanzen erobern den Himmel

Stadtbegrünung als Mittel gegen Feinstaub

Verdichtung, Hitzeinseln zwischen trostlosen Gebäuden und Schadstoffbelastung in der Luft: Unsere Städte haben mit Problemen zu kämpfen, die der Klimawandel noch verstärken wird. Stadtplaner suchen nach Lösungen – und erkennen das große Potenzial von Begrünung.

Begrünungen lassen sich vielseitig realisieren: an Flachdächern und Fassaden sowie an alter und neuer Bausubstanz. Dabei können sie die Energieeffizienz eines Gebäudes erheblich steigern. © Chris Barbalis, UnsplashDie Sicht reicht kaum weiter als einige hundert Meter. Auf den gespenstisch wirkenden und von Nebel verhangenen Straßen sind Menschen mit Atemmasken unterwegs, aber keine Autos. Die Regierung hat Smog-Alarm ausgerufen, es herrscht Fahrverbot. Schulen werden geschlossen, ganze Landstriche liegen unter einer grauen Glocke. Was zunächst anmutet wie Szenen aus einer dystopischen Zukunft oder dem von Smog geplagten China hat sich so vor etwa 30 Jahren ereignet – und zwar mitten in Deutschland. Den Smog-Alarm in Nordrhein-Westfalen hat damals vor allem eine Inversionswetterlage begünstigt. Die Abgase der zahlreichen Industrieanlagen und Autobahnen, die sonst in höhere Luftschichten entweichen konnten, wurden so am Boden gehalten und sorgten für eine erhöhte Konzentration des Schadstoffes Schwefeldioxid in der Luft.

EU-Kommission bemängelt schlechte Luftqualität in Deutschland
Auch wenn es seitdem in Deutschland keine ­Smog-Warnungen mehr gab und sich die Luftverschmutzung der Industrie­anlagen dank neuer Filtertechnologien und Rückgang der Schwerindustrie reduziert hat – die Luftqualität in Deutschland ist alles andere als zufriedenstellend. Obwohl sich bei den Messwerten für die Luftschadstoffe Feinstaub, Stickstoffdioxid und Ozon laut Studien des Umweltbundesamtes in den letzten Jahren eine leichte Verbesserung zeigte, werden vor allem an verkehrsnahen Messstationen, also in Ballungs­räumen, immer noch die von der Weltgesundheitsorganisa­tion (WHO) empfohlenen Grenzwerte überschritten. So liegen bei einem Viertel aller Messstationen die Feinstaubwerte im Jahresmittel um 24 Prozent über den von der WHO empfohlenen Werten. Zuletzt im Februar forderte die EU-Kommission daher von der Bundesregierung bessere Maßnahmen zur Luftreinhaltung und drohte mit einem Verfahren vor dem europäischen Gerichtshof. Die gesundheitlichen Folgen der Luftverschmutzung sind Atemwegserkrankungen und Herzkreislaufstörungen. Laut dem Umweltbundesamt sterben in Deutschland jährlich etwa 45.000 Menschen durch die Folgen der Feinstaubbelastung.

Was tun gegen Schadstoffe in der Luft?
Gegen die Belastung durch Feinstaub gibt es unterschiedliche Lösungsansätze. Viele davon greifen den Verkehr als Hauptquelle des Luftschadstoffs auf und setzen daher an dieser Stelle an. Umweltzonen in Städten und Partikelfilter an Dieselfahrzeugen sind bekannte Maßnahmen – die jedoch zu kurz greifen. Denn die kleinen Schadstoffpartikel werden nicht nur in den Abgasen des Verkehrs freigesetzt, sondern entstehen auch in Industrie und Landwirtschaft, in Kamin- und Holzöfen sowie in Elektrogeräten wie Druckern oder Kopierern. Natürlich ist die Vermeidung oder Begrenzung von Emissionen an der Quelle sinnvoll – Stadtplaner nutzen aber immer öfter auch eine andere Möglichkeit, um die Feinstaubbelastung zu verringern: Begrünung. Denn im Gegensatz zu versiegelten Flächen wie asphaltierten Straßen, gepflasterten Gehwegen und Fassaden tragen Pflanzen dazu bei, Luftschadstoffe wie Feinstaub zu binden. Neue Konzepte für Stadtbegrünung werden daher erprobt. Zum Beispiel von Professor Michael Braungart, der als Geschäftsführer des wissenschaftlichen Forschungs- und Beratungsinstituts EPEA in Zusammenarbeit mit Experten für Hydrokulturen neue Lösungen zur Begrünung entwickelt. Als Chemiker und Mitbegründer des Cradle to Cradle-Ansatzes bezeichnete er Feinstaub als Körperverletzung und fordert stärkere Maßnahmen: „Der öffentliche Sektor muss seiner Verantwortung für die Gesundheit nachkommen. Neben Feinstaubfiltern in der Industrie brauchen wir eine Reduzierung der Belastungen aus dem Verkehr. Neben solchen aktiven Maßnahmen können wir durch Pflanzen passiv die Luft reinigen".

Begrünung hat viele Vorteile
Der Citytree bindet mit einer Mooswand besonders viele Luftschadstoffe. © citytreeStadtgärten und Parks tragen zur Verbesserung der Lebensqualität in Quartieren bei. Die Möglichkeiten der Stadtbegrünung beschränken sich aber nicht nur auf die Horizontale – auch vertikal können an Gebäudefassaden grüne Oasen entstehen. Das hat neben der angesprochenen Verbesserung der Luftqualität weitere Vorteile. Zahlreiche Studien haben bewiesen, dass der Anblick grüner Landschaften die Kreativität und die Gesundheit fördert. Bekannt ist die Studie des Amerikaners Roger S. Ulrich, der die Genesung von Patienten im Krankenhaus untersuchte. Eine Hälfte der Probanden hatte durch die Fenster Ausblick auf grüne Bäume, die andere nicht. Trotz der gleichen Krankheit brauchten die Patienten mit Ausblick ins Grüne weniger Schmerzmittel und konnten das Krankenhaus schneller verlassen. Neben den positiven Auswirkungen auf das Wohlbefinden hat die Bepflanzung weitere Vorteile: Eine Fassadenbegrünung dämpft Straßenlärm und macht durch ihre kühlende Wirkung Hitzetage erträglicher. So hat eine Studie der TU Darmstadt ergeben, dass eine Fassadenbegrünung Temperaturspitzen an der Außenwand von Gebäuden um bis zu 30 Grad Celsius reduzieren kann. Mit einer Dachbegrünung wurden 40 Prozent der Strahlungsbilanz der Sonneneinstrahlung in fühlbare Wärme umgewandelt, bei nicht begrünten Dächern sind es laut der Studie 90 Prozent. Somit kann Begrünung einen großen Beitrag zum Energiesparen leisten.

Bundesregierung erkennt Potenziale der Stadtbegrünung
Stadtbegrünung hat Konjunktur. Auch auf der Agenda der Bundesregierung spielt das Thema eine wichtige Rolle. So wurde nach dem Kongress „Grün in der Stadt – Für eine lebenswerte Zukunft" im Jahr 2015 im Folgejahr das Städtebauförderprogramm „Zukunft Stadtgrün" beschlossen, das im Jahr 2017 mit einem Volumen von rund 50 Millionen Euro Städte und Gemeinden beim Anlegen von Parks und Grünflächen sowie der Renaturierung von Wasserläufen unterstützt. In Essen soll eine Dachbegrünung bei Neu- oder Umbauten in Zukunft sogar vorgeschrieben werden. Gesetzliche Rahmenbedingungen für Stadtbegrünung wurden auch auf dem Im Juni erstmals stattfindenden Weltkongress Gebäudegrün diskutiert. Dieser wurde von der Fachvereinigung Bauwerksbegrünung e.V. (FBB) ausgerichtet, das BMUB übernahm die Schirmherrschaft. Dr. Gunter Mann, Präsident der FBB, zeigt sich mit dem Ergebnis zufrieden: „Der Weltkongress Gebäudegrün in Berlin war ein voller Erfolg für die Zukunft der Dach-, Fassaden- und Innenraumbegrünung. Über 800 Teilnehmer und 49 Aussteller diskutierten in 98 Vorträgen Möglichkeiten der Förderung für Begrünung. Dabei war die positive und optimistische Stimmung richtig zu greifen – wir schauen im wahrsten Sinne des Wortes einer grünen Zukunft entgegen!"

Konzepte zur großflächigen Umsetzung sind noch rar
Politik und Kommunen begrüßen das Konzept der Stadtbegrünung – aber wie sieht es mit der Umsetzung aus? Bekannt ist das Gebäude „Bosco Verticale" (vertikaler Wald), das Stefano Boeri in Mailand errichtete. Für die beiden Wohntürme, auf deren 90.000 Quadratmetern Bäume und Sträucher wachsen, wurde der Architekt 2014 mit dem Internationalen Hochhauspreis ausgezeichnet. Ein ähnlicher Gebäudekomplex wird von Boeri gerade für die von Smog geplagte chinesische Stadt Nanjing geplant.

Patrick Blanc lässt Fassaden zu Kunstwerken werden, wie hier am Caixa Forum in Madrid. © cillas, Wikimedia CommonsWie Kunstwerke wirken die vertikalen Grünflächen, mit denen der Architekt und Gartenkünstler Patrick Blanc weltweit Fassaden schmückt. Seine Werke können zum Beispiel in Berlin, Paris und Madrid bestaunt werden. Und in New York wurde eine über zwei Kilometer lange, stillgelegte Güterzugtrasse zu einer öffentlichen Parkanlage umgestaltet: Die High Line zieht sich wie ein grünes Band an der Westseite Manhattans entlang. In solchen Pilotprojekten wird weltweit Begrünung im großen Rahmen erprobt. An Konzepten für eine flächendeckende Umsetzung und die Massenproduktion von System-Modulen wird derzeit noch geforscht. Fraunhofer Umsicht beispielsweise hat auf der Messe BAU 2017 ein System zur vertikalen Begrünung vorgestellt, das sich an Gebäudefassaden umsetzen lässt. Es besteht aus einzelnen Kalksandstein-Modulen, die rinnenförmig aufgebaut sind und sich beliebig skalieren lassen. Das System wird von oben bewässert, wobei das Wasser aufgrund der Schwerkraft durch den Sandstein geführt wird und so alle Schichten erreicht. Kurzfristig soll das System an Privathäusern oder an Schallschutzwänden von Autobahnen eingeführt werden, langfristig aber auch im größeren Rahmen beispielsweise an der Fassade von Bürogebäuden.

A Building like a Tree – A City like a Forest
Besonders problematisch ist, dass die Feinstaubbelastung in geschlossenen Räumen deutlich höher ist als im Freien, während wir einen Großteil unseres Tages im Büro oder in der Wohnung verbringen. Daher sind auch Konzepte für eine wartungsarme Begrünung von Innenräumen notwendig. Zahlreiche Unternehmen bieten bereits Lösungen für begrünte Bürowände und Wohnungen an. Ein Münchner Unternehmen hat in Zusammenarbeit mit EPEA ein Hydrokultur-Pflanzsystem entwickelt, das im Vergleich zu anderen Lösungen mit weniger Wasser auskommt. Das Pflanzsystem kann sowohl im Innen- als auch im Außenbereich angewendet werden. Gleiches gilt für eine besonders pflegeleichte Begrünungslösung: Moose. Das Berliner Start-up Green City Solutions etwa bietet mit dem „CityTree" eine platzsparende Lösung an, die nicht nur optisch einem Luftfilter für Automobile gleicht: Das 3,5 Quadratmeter große System bindet Feinstaube, Stickoxide sowie CO2 und lässt sich praktisch überall aufstellen.

Am Gebäude der Zukunft sorgt Begrünung, ob an der Fassade oder auf dem Dach, für ein angenehmes Stadt-Klima. Und dank begrünter Räume ist die Feinstaubbelastung und das Raumklima auch im Inneren leicht zu verbessern. Das ist die Vision von Michael Braungart. Er vergleicht nach dem Motto „ein Gebäude wie ein Baum – eine Stadt wie ein Wald" Bausubstanz mit der sich regenerierenden Natur: „Wie ein Baum filtern Gebäude durch Begrünung aktiv Feinstaub aus der Luft und reinigen das Regenwasser. Wenn wir zudem qualitativ hochwertige Ressourcen verwenden, können Gebäude als Materialbanken dienen und Bauteile rückgewonnen werden."


Weitere Informationen zur Stadt der Zukunft finden Sie in der forum-Ausgabe 2/2016.

Gesellschaft | Green Cities, 30.09.2017
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2017 - Tierische Geschäfte erschienen.
     
        
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