BIOFACH 2025

Grüne Welle zum nachhaltigen Bauen

10 Jahre DGNB - Wir gratulieren

Menschen verbringen heute mehr als 75 Prozent ihrer Lebenszeit in Gebäuden. Bauen ist ressourcen- und energieintensiv, der Betrieb von Gebäuden ebenso. Kein Wunder dass Nachhaltigkeit zum Schlagwort der Bauwirtschaft wurde.
 
Dieses Gebäude erhielt als weltweit erstes die Auszeichnung ,DGNB Diamant': Das 50 Hertz Netzquartier in Berlin. Die Nutzung von Abwärme sowie Solar- und Windenergie sorgt dafür, dass der Primärenergiebedarf nur rund die Hälfte der EnEV-Anforderungen beträgt. © DGNBEs hat lange gedauert, bis der Bausektor das Thema Nachhaltigkeit für sich angenommen hat. Erste Aktivitäten gab es bereits in den 1970er Jahren, nachdem Erkenntnisse über Gesundheitsgefahren aus Holzschutzmitteln und Dämmstoffen die Bürger aufschreckten. Das Buch „Wohngifte" wurde zu einem Bestseller. Der Ruf „Zurück zur Natur" wurde laut. In der Folge entstanden in Deutschland Institute für Baubiologie, kreative Jungunternehmer entwickelten Alternativbaustoffe und neue Technologien. Der Hype um Wohngesundheit führte zu spannenden Innovationen, wie Dämmstoffen aus Zellulose, Wolle, Stroh und Hanf, aber auch zur Rückbesinnung auf Althergebrachtes wie konstruktiver Holzschutz, Lehmbaustoffe und passive Nutzung der Solarenergie. Die Alternativanbieter gewannen zwar immer mehr Kunden im Privatsektor und präsentierten sich selbstbewusst als Öko-Partie auf der BAU in München und der DEUBAU in Essen – doch die industrialisierte Bauindustrie ließ sich davon wenig beeindrucken und tat dies als Randnotiz ab.

Vom Öko-Bau zum Green Building
In den 1990er Jahren kam eine weitere Welle unter dem Motto „Green Building" aus dem angelsächsischen Bereich – stark zugeschnitten auf die Themen Ökologie und Energieeffizienz. In diesem Zuge wurden die ersten Zertifizierungssysteme für Gebäude entwickelt, zahlreiche Produkte mit dem Etikett „Green" versehen.

Die Systeme waren jedoch für den deutschen Markt wenig geeignet, weil hierzulande der Stand der Technik weiter war und die angelsächsischen Systeme auf anderen regulatorischen Grundlagen basierten. Darüber hinaus verfügten wir in den deutschsprachigen Ländern über eine ganz andere Baukultur. Dies erkannte Anfang des neuen Jahrtausends eine Reihe von Pionieren aus verschiedenen Bereichen der Bau- und Immobilienwirtschaft: Architekten und Hersteller, Forscher und andere Vordenker. Ihr gemeinsames Verständnis: Wenn wir wirklich etwas erreichen wollen, müssen wir anders ansetzen, ganzheitlich und weiter denken. Aus diesem Impuls heraus entstand 2007 die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) – eine Non-Profit-Organisation und NGO mit dem Ziel, nachhaltiges Bauen gezielt zu fördern und in die Breite zu bringen.

Schon bei der Gründung des Vereins standen zwei wesentliche Säulen, die bis heute die Arbeit der DGNB mitbestimmen, fest: Ein Zertifizierungssystem für nachhaltige Gebäude sowie eine Akademie. Denn ohne Experten, die das Wissen in die Praxis umsetzen können, bringt die beste Idee nichts.

Zertifizierung zur Umsetzung von Qualität
Was folgte, war eine Zeit geprägt von echtem Gründergeist. In drei großen Workshops beteiligte sich das Who-is-Who der deutschen Nachhaltigkeitsszene an der Entwicklung des Zertifizierungssystems. Dies erfolgte im Schulterschluss mit dem damaligen Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, das parallel dazu das Bewertungssystem für Nachhaltiges Bauen (BNB) für öffentliche Bauten erarbeitete. Das Besondere und in der Form vielleicht Einzigartige: Akteure aller relevanten Branchengruppen, die die gesamte Wertschöpfungskette im Bauen abbildeten, kamen gemeinsam an einen Tisch und machten das Ganze zu einem integral gedachten und umgesetzten Thema – aufbauend auf gemeinsamen Werten und einem konsensfähigen Verständnis für die Kriterien, die nachhaltigem Bauen bis heute eine Kontur geben. Die Zertifizierung sollte dabei nie einem reinen Selbstzweck, sondern als Planungstool zur Qualitätssicherung dienen, das den verschiedenen am Bau Beteiligten ein gemeinsames Verständnis bietet. Statt um eine reine Plakettensammlerei ging es der DGNB um nachweislich bessere Gebäude, die ökologisch, ökonomisch und im Hinblick auf den Menschen als Gebäudenutzer optimiert sind. Und das auf Grundlage von Messbarkeit und Bilanzierbarkeit – weg vom Behaupten, hin zum Verifizieren.

Das richtige Thema zur richtigen Zeit
Seit 2013 wird der DGNB Preis für Nachhaltiges Bauen im Rahmen des Deutschen Nachhaltigkeitspreises vergeben. Im Jahr 2016 wurde unter anderem die Plusenergieschule im bayerischen Diedorf ausgezeichnet. © DGNBAuf der Messe BAU 2009 in München noch als Randnotiz belächelt, wurden dort die ersten DGNB Zertifikate für nachhaltige Gebäude vergeben. Bewertet werden seitdem die Gebäude nach den Kriterien ökologische Qualität, ökonomische Qualität, soziokulturelle und funktionale Qualität, technische Qualität, Prozessqualität sowie Standortqualität. Je nachdem, wie gut ein Gebäude diese Punkte erfüllt, wird das DGNB Zertifikat in Bronze, Silber, Gold oder Platin verliehen. Auch die ersten Auditoren schlossen ihre Fortbildung ab. Damit wurde ein neuer Markt geschaffen, der heute aus der Wertschöpfung der deutschen Bau- und Immobilienwirtschaft nicht mehr wegzudenken ist. Die DGNB erlebte in der Folge Zuspruch aus allen Bereichen. So gab es einen großen Ansturm auf die Fortbildungsangebote, und die Mitgliederzahlen schnellten in die Höhe. Viele der Akteure, die damals die Initialzündung gegeben haben, sind heute noch dabei. Zum Beispiel Professor Alexander Rudolphi, der nicht nur aktueller Präsident der DGNB ist, sondern auch deren Gründungspräsident war. Mitinitiator Johannes Kreißig ist heute Geschäftsführer der DGNB GmbH. Auch der DGNB Vizepräsident Martin Haas zählt zu den Gründungsvätern.

Weltweites Interesse am deutschen Ansatz
Die DGNB in Zahlen
  • Bisherige Vergabe von mehr als 2.100 Auszeichnungen in über 20 Ländern.
  • Marktanteil bei der Zertifizierung von Gewerbeimmobilien 64 Prozent, im Neubaubereich 84 Prozent.
  • Marktführend in Europa bei der Zertifizierung von Quartieren
  • Seit 2013 werden herausragende Gebäude mit dem DGNB Preis „Nachhaltiges Bauen" Im Rahmen des Deutschen Nachhaltigkeitspreises prämiert. 
  • Die DGNB Geschäftsstelle in Stuttgart ist als Living Showroom für Nachhaltiges Bauen ausgebaut und zertifiziert.

Von vornherein mit angedacht war die Zielsetzung auch international zu wirken. Denn klar ist: Man kann vor der eigenen Haustür zwar im Kleinen etwas erreichen, doch die vor uns stehenden Herausforderungen sind globaler Art: Klimawandel, Ressourcenknappheit und vieles mehr. Daher schmiedete die DGNB schon früh wichtige strategische Allianzen, etwa mit dem World Green Building Council, der globalen Dachorganisation für nachhaltiges Bauen. Partner aus Ländern wie Österreich, der Schweiz oder Dänemark entschieden sich dazu, das Zertifizierungssystem der DGNB für ihre lokalen Märkte zu übernehmen.

Damit wurden auch Begehrlichkeiten aus dem weiteren Ausland geweckt, oft verbunden mit dem Wunsch nach einer schnellen, einfachen und billigen Lösung. In dieser Zeit blieb sich die DGNB treu und folgte diesen Lockrufen nicht. Nachhaltigkeit geht nicht von heute auf morgen. Auf Projektebene heißt das: Es braucht eine ernst gemeinte Motivation, Überzeugungskraft und langen Atem. Immer wieder kamen in diesem Zusammenhang auch fehlleitende Fragestellungen auf: „Ist nachhaltiges Bauen teuer?" zählt dazu. Die Frage ist: Womit vergleiche ich das? Was ist die Alternative? Billig kann sicher nicht die Antwort sein. „Qualität ist nicht verhandelbar", so das Credo der DGNB.

Nachhaltiges Bauen serienmäßig
In der Folge reflektierte die Organisation das selbst entwickelte System, überprüfte es auf die Anwendungsfreundlichkeit und ob die wichtigen und richtigen Themen aufgeführt sind. Daraus entstanden Weiterentwicklungen, etwa ein System für Quartiere und eines für den Gebäudebestand, denn der Neubau ist wichtig, aber eben auch nur ein Ausschnitt, eine Phase im Lebenszyklus der gebauten Umwelt.

Für eine größere Breitenwirkung und Skalierbarkeit wurde eine Mehrfach- oder Serienzertifizierung von baugleichen oder bauähnlichen Gebäuden entwickelt.

Diskurs zu gesellschaftlich relevanten Themen
Aufbauend auf dem in Deutschland marktführenden und weltweit anerkannten Zertifizierungssystem hat sich die DGNB in den vergangenen Jahren verstärkt ihrem originären Vereinsziel gewidmet und einen offenen Diskurs zu Themen wie dem Klimaschutz oder der Zukunft des Wohnens gestartet. Angestoßen wurden Initiativen, die den Stellenwert der Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt rücken und dieser eine Stimme im Markt und der politischen Diskussion geben. Sei es im Zuge der Verschärfung der Energieeinsparverordnung EnEV bis hin zur Frage, wie gestalterische und baukulturelle Qualität bewertbar ist.

Heute zählt die DGNB rund 1.200 Mitgliedsorganisationen, was sie zu Europas größtem Netzwerk für nachhaltiges Bauen macht. Das enorme Interesse an dem Ansatz der DGNB aus dem Ausland – wie beispielsweise China, wo die DGNB schon 300 Experten ausgebildet hat – scheint zu belegen, dass der eingeschlagene Weg der Richtige war. Auch die hohe Überstimmung der DGNB Kriterien mit den frisch veröffentlichten, freiwilligen Nachhaltigkeitsindikatoren der EU bestätigen das.

Wissenstransfer als Schlüssel für mehr Nachhaltigkeit
Für die DGNB ist das Motivation und Verpflichtung zugleich. Der Wissenstransfer in andere Länder, die noch am Anfang ihrer Nachhaltigkeitsroute sind, steht dabei genauso im Fokus wie die weitere Integration der DGNB-Inhalte in die universitäre Ausbildung. Mit fast 50 Hochschulen arbeitet die Non-Profit-Organisation mit Sitz in Stuttgart hier bereits zusammen. Das übergeordnete Ziel: Das Thema Nachhaltigkeit Schritt für Schritt in die Grundausbildung von Architekten, Bauingenieuren und anderen verwandten Disziplinen zu bringen.

Bei allem Erfolg ist auch klar, dass noch viel Überzeugungsarbeit vor der DGNB und all ihren Mitstreitern liegt. Vieles, was in den Köpfen angekommen ist, muss noch den Weg in die Umsetzung finden. Die DGNB will ihren Beitrag dazu leisten. Die pünktlich zum zehnjährigen Jubiläum der Organisation vorgestellte Version 2017 des Zertifizierungssystems ist hierfür das beste Beispiel.

forum gratuliert zu „Zehn Jahren DGNB" und ermutigt zum gemeinsamen Weitermachen mit Partnern aus der gesamten Bau- und Immobilienwirtschaft, der Hochschullandschaft sowie politischen Entscheidungsträgern – und das im weltweiten Verbund.
Von Fritz Lietsch

Quelle: DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen

Technik | Green Building, 30.09.2017
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2017 - Tierische Geschäfte erschienen.
     
        
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