Endlich! Gutes!
Kulinarische Abenteuer in der Region
Der Begriff „regional" begegnet uns immer wieder, mittlerweile vor allem im Supermarktregal. Bei aller globalen Vernetzung – der Konsument sehnt sich scheinbar nach Ursprünglichkeit und regionaler Identität. Doch was ist das überhaupt? Der Blog Endlich! Gutes. begibt sich auf eine kulinarische Spurensuche.
Alles Gute ist endlich, denn sonst wäre es normal und nicht der Rede wert – eben nicht gut. Mit diesem Gedanken stellen Wolfgang Merkle, Michael Frank und Thomas Hobein im Mai 2015 vor rund einhundert Gästen ihr Projekt vor: den Blog Endlich! Gutes. Darauf geht es – mit kulinarischem Fokus – neben der Qualität, dem regionalen Bezug und der entsprechenden Verarbeitung von Lebensmitteln – um einen schonenden, wertschätzenden Umgang mit Ressourcen. Während regionale Produkte vermehrt im Trend und in den Supermarktregalen liegen, wollen die Blogger das Phänomen noch genauer unter die Lupe nehmen, indem sie Schritt für Schritt die regionale und nachhaltige Kulinarik der Region entdecken und der Welt davon berichten.
Die Gäste der Veranstaltung nehmen die Konzept-Präsentation gut auf, eine lebhafte Diskussion schließt sich an. Im Brennpunkt stehen dabei sofort die Themen, die sich fortan durch die Reportagen ziehen: Wie eng muss oder soll man den Begriff „regional" ziehen? Sind nur Lebensmittel nachhaltig produziert, die eines oder mehrere der vielen Bio-Siegel tragen? Ist „bio" überhaupt noch eine zeitgemäße Klassifizierung? Und wie geht man mit dem Spannungsfeld zwischen Stadt und Land um? Heißt „regional" automatisch auch „ländlich"? Odenwald und Bergstraße liegen ja mitten zwischen den Metropol-Regionen Rhein-Main und Rhein-Neckar.
Antworten werden an diesem Abend natürlich nicht gefunden. Aber das ist auch gar nicht das Ziel. Vielmehr wollen Metzger, Bäcker, Gastronomen, Landwirte, Winzer und andere in der Region besucht werden. Über die dabei gemachten eigenen Erfahrungen wollen die Blogger dann auf eine sehr persönliche Weise auf ihrer Website berichten.
Alles begann in der Werbung
Die Wurzeln des Projektes lassen sich wohl am ehesten in einer Frankfurter Werbeagentur verorten, deren Mitgründer und Kreativ-Geschäftsführer Thomas Hobein war und in der Michael Frank zu den Mitarbeitern zählte. Ausgangspunkt ist der Umstand, dass die Gründer der Website wahre Leckermäuler sind, selbst kochen und sich auch schon immer für gute Lebensmittel interessiert haben. Die Initialzündung war ein Weihnachtsgeschenk für Kunden: In der Kreativagentur wollte man nicht einfach eine beliebige Flasche Wein überreichen, sondern mit einem persönlicheren Bezug zum Geschenk punkten. Daraus entstand eine Partnerschaft mit dem Winzerverein Deidesheim und später mit dem Weingut Acham-Magin in Forst. Hier leisteten die Agenturmitarbeiter über das Jahr Feldarbeiten im „Wingert" oder anders ausgedrückt: Wenn im Weinberg Arbeit anstand, blieb die Agentur geschlossen. Das Weihnachtsgeschenk wurde auf diese Weise etwas wirklich Persönliches.
Vom Wein inspiriert entstand ein Buch zum Riesling und im hauseigenen Online-Magazin eine Sonder-Ausgabe zum Thema Wein. Es folgte ein Kochbuch (ausgezeichnet mit dem Red Dot Award und dem German Design Award) mit Gerichten, die mittags in der agentureigenen Küche gekocht wurden. Das Ganze führte so weit, dass im folgenden Jahr statt einer Weihnachtsfeier unter Anleitung ein Schwein geschlachtet und fachgerecht verarbeitet wurde. 2012 verließen Hobein und Frank das Unternehmen, aber ihr Appetit und ihre Neugier auf regionale Spezialitäten war geweckt.
Aus Lust am Echten in der Region
Endlich! Gutes sollte auf keinen Fall ein reiner Koch-Blog werden, sondern sich tiefgehender, wenn auch lustvoll, mit Essen und Trinken in der Region beschäftigen – mit der Natur, den Menschen und Tieren. Auch inhaltlich haben die Macher eine klare Abgrenzung zu den handelsüblichen Landleben-Träumereien im Kioskregal gezogen: Bei Ihnen steht vor dem Genuss die Arbeit und Deko-Tipps zum Weihnachtsfest sucht man vergebens.
Es geht um das Echte und das hat nicht nur Sonnenseiten. Indem die Blogger zeigen, welche Arbeit hinter hochwertigen, regionalen Produkten steckt, möchten sie diesen ihren Wert zurückgeben. Dabei überwiegt der positive Grundton in den Berichten und das Projekt versteht sich als inoffizieller Botschafter der Region. Und die hat das positive Image nötig. Dies bedeutet aber nicht, unkritisch zu sein oder ein allzu romantisiertes Bild des ländlichen Raums zu zeichnen. Selbstverständlich bleiben Überalterung der Landbevölkerung, Fachkräftemangel, Schließung von Bäckereien und Metzgereien, Nachfolgeproblematik in Gastronomie und Landwirtschaft ebenso wenig unbemerkt, wie Diskussionen über Windkraft oder Pflanzenschutz. Aber auch zwischen diesen Problemen des ländlichen Raums findet das Redaktionsteam Material für positive Berichte, wie etwa über ein solidarisches Gartenbauprojekt, das die Feldarbeit mit Pferden verrichtet oder die „Initiative Essbares Darmstadt", die sich dafür einsetzt, dass städtische Grünflächen zu öffentlichen Nutzgärten mit Gemüse und Obst werden. Und eine Reihe über Nachwuchs in Handwerk, Gastronomie und Landwirtschaft ist in Arbeit.
Wie eine Reise vor die Haustür
Ein Wingert entsteht
Um Ihrer Begeisterung auch in gedruckter Form Ausdruck zu geben, haben die Blogger von Endlich! Gutes ein Buch herausgebracht, der die Entstehung eines neuen Weinfeldes beschreibt: Zwei Brachen im Auerbacher Fürstenlager, der Weinlage oberhalb von Bensheim-Auerbach an der Bergstraße, sollen zukünftig Auxerrois und Syrah beheimaten. Die Regionalblogger begleiten Winzer Hanno Rothweiler und Reinhard Steinbacher über nahezu ein Jahr bei ihrer Arbeit und erzählen, wie „Ein Wingert entsteht".
DIN A5, quer, 64 Seiten, Hardcover,Limitierte Auflage 100 Exemplare,
Preis 15,- € |
Wolfgang Merkle hat das Projekt mittlerweile verlassen. Sein Nachfolger, der Spitzenkoch Chris Keylock unterstützt Endlich! Gutes. mit kulinarischer Kompetenz. Ein- oder zweimal pro Woche zieht es Keylock, Frank und Hobein nach draußen zu den Orten und Menschen, über die sie berichten. Oftmals vereinbaren sie vorab einen Termin, aber sie lassen sich auch treiben, entdecken zufällig Interessantes und nehmen dann spontan Kontakt auf. Und die Leute erzählen gerne über das, was sie tun. Über das Wie und das Warum. Sie freuen sich, dass sich jemand dafür interessiert, denn das ist bei Landwirten und kleinen regionalen Produktionsbetrieben gewiss nicht die Regel. Das war zu Anfang des Projekts nicht immer so einfach. Da mussten die kulinarischen Abenteurer erst jedes Mal gründlich erklären, wer sie sind und was sie wollen. Aber das Misstrauen hat sich längst gelegt.
Inzwischen hat die werbefreie Website zahlreiche Unterstützer gefunden, die den Wert der Arbeit dahinter erkannt haben. Und immer häufiger erreichen Anfragen nationaler und internationaler Produzenten die Redaktion – verbunden mit der Bitte um einen Beitrag. Doch da bleiben sich die Südhessen treu und lehnen höflich ab. Es ist wie eine Reise vor die eigene Haustür und so soll es auch bleiben.
Experimente in der Hexenküche
Manchmal treffen sich die Blogger auch einfach nur zu Hause, kochen zusammen oder probieren Dinge aus, um zu lernen und zu verstehen. Einige Experimente verlaufen erfolgreich, wie beispielsweise die Biersuppe mit Hopfenpudding, der Rumtopf oder das Sauerkraut aus eigener Herstellung (darüber demnächst mehr an dieser Stelle). Andere scheitern, was aber als Lernprozess begriffen wird, über den offen kommuniziert wird. Der Versuch, Schwarze Nüsse herzustellen, war im letzten Jahr ein solcher Fehlschlag, weil die Walnüsse schon viel zu reif waren, als die Idee entstand. Aber wichtig war nicht der Fehlversuch, sondern die Reaktion der Facebook-Fans. Statt Häme kamen gute Tipps, die dieses Jahr beim nächsten Versuch berücksichtigt werden sollen. Weiterhin auf der Agenda für die nächsten Monate stehen die Röstung eines eigenen Malzkaffees und vieles mehr. Man darf gespannt sein.
Bleibt die Frage an die Herausgeber des digitalen Magazins, ob sie sich denn nach mittlerweile einhundert Beiträgen dem Begriff „Regionalität" nähern konnten. Die Antwort gibt stellvertretend Thomas Hobein: „Regionalität hat etwas mit Identität und Vertrautheit zu tun, die es unbedingt zu erhalten gilt – durch nachhaltige Qualität, die mit oder ohne Bio-Siegel überzeugt und schmeckt. Aber nicht durch kompromisslose Abschottung, schließlich sind Kartoffeln oder Tomaten auch nur Gemüse mit Migrationshintergrund. Und wo wären wir ohne die."
Von Fritz Lietsch
Lifestyle | Essen & Trinken, 30.09.2017
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2017 - Tierische Geschäfte erschienen.
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