Die Mutter der Regionalbewegung

Mit Herz und Verstand für die Heimat

Schon oft wurde Elsbeth Mickasch als Pionierin der Regionalbewegung geehrt: Zu ihren Auszeichnungen gehören das Bundesverdienstkreuz und die Bayerische Verfassungsmedaille. Nun kommt mit der Umwelt-­Nana der Umwelt-Akademie München ein weiterer Preis hinzu. Das Rampenlicht hat für Mickasch wenig Bedeutung – für sie zählt nur die Gemeinschaft.

Bei Fürstenfeldbruck begann mit dem Brucker Land Brot die Geschichte von Unser Land – und damit die der Regionalvermarktung in Deutschland. Elsbeth Mickasch (vorne links) und Ministerin Ilse Aigner (Mitte) strahlen um die ­Wette bei der Präsentation von Unser Land Produkten. © Unser LandDie Regionalbewegung hat in Deutschland Konjunktur. Regionalität hat Bio als Trend längst überholt – laut einer Studie der Unternehmensberatung A.T. Kearney fragen Verbraucher mittlerweile immer stärker regionale Lebensmittel nach. Maßgeblich daran beteiligt ist Elsbeth Mickasch, die schon vor beinahe 25 Jahren in Bayern den Grundstein für den heutigen Boom der regional erzeugten Lebensmittel legte.

Den Menschen die Region schmackhaft machen
Begonnen hat alles im Jahr 1994 mit einem Landkreis-Brot. Die gelernte Kauffrau Elsbeth Mickasch hat damals schon langjährige Erfahrungen im Unternehmertum gesammelt. Bereits im Alter von 40 Jahren verkauft sie erfolgreich ihren Vertrieb für Lastwagenteile und arbeitet von nun an hauptsächlich ehrenamtlich. Als Bildungsbeauftragte des christlichen Bildungswerkes „Brucker Forum" engagiert sie sich voller Überzeugung für die Region Fürstenfeldbruck in der Nähe von München und damit auch für bäuerliche Familienbetriebe und Handwerker – „um Verantwortung für die Schöpfung zu übernehmen", wie Mickasch sagt. Denn der Globalisierungstrend bringt Nachteile für lokal erzeugte Produkte, Mensch und Umwelt mit sich. Der Erhalt regionaler Wirtschaftskreisläufe hingegen ist nach ihrer Überzeugung das Fundament für das soziale Miteinander in der Region. Während ihres Engagements stößt Mickasch auf Gleichgesinnte, darunter auch einige Landwirte. Ihre Idee ist es, den Menschen durch lokal erzeugte Lebensmittel den Wert ihrer Region „schmackhaft" zu machen und ein Bewusstsein für die Mitgestaltungsmöglichkeiten von Verbrauchern zu schaffen. Gemeinsam gründen sie im Jahr 1994 die Solidargemeinschaft „Brucker Land e.V.". Das erste Produkt der Solidargemeinschaft, das Brucker Land Brot, verkörpert die Prinzipien der Regionalität: Das Getreide stammt von Äckern aus der Region, wird in Mühlen der Region gemahlen und anschließend von regionalen Bäckereien verarbeitet.

Zweigleisig für die Region
Mickasch ermutigt die Bauern zur Regionalvermarktung und bringt Städter auf dem Sonnenacker wieder in Kontakt mit Lebensmitteln. © Unser LandDas Modell macht schnell Schule und bis zum Jahr 2000 folgen weitere sieben Solidargemeinschaften in Bayern. Sie alle schließen sich im gleichen Jahr zum Dachverein Unser Land e.V. zusammen, parallel entsteht eine GmbH. Fortan arbeiten die Solidargemeinschaften nach einem dualen System: Unser Land e.V. erfüllt weiterhin vor allem eine Bildungsaufgabe und sorgt für eine Förderung des Bewusstseins für Umwelt und Region. So erfahren bei Aktionen wie „Schule beim Milchbauern" schon die Jüngsten die Zusammenhänge zwischen regionalem Konsum und dem Lebensumfeld der Produzenten. Bei allem sozialen und ökologischen Engagement steht immer auch die Vermarktung der regionalen Produkte im Vordergrund.

Für diese ist neben Erzeugung und Verarbeitung der Produkte die Unser Land GmbH zuständig – und die Produktpalette wächst stetig: Auf das Brot folgen Milch, Honig, Zucker und Mehl sowie Obst und Gemüse, später auch Käse, Joghurt und Getränke. Heute besteht Unser Land aus zehn Solidargemeinschaften in elf Landkreisen. Dort erzeugen und verarbeiten rund 270 überwiegend landwirtschaftliche Betriebe über 100 regionale Produkte. Mittlerweile beliefern die Solidargemeinschaften 750 Supermärkte und Geschäfte im Facheinzelhandel.

Regionalität bedeutet mehr als nur Lebensmittel
Der Königsweg: Bio – regional – fair!
© Unser LandElisabeth Mickasch war Mitbegründerin und bis zum Jahr 2010 Vorsitzende des Dachvereins Unser Land e.V. Für forum erinnert sie sich an die Wurzeln der Regio­nalbewegung zurück.
 
Was waren für Sie die Anfänge der Regionalbewegung?
Für mich waren die Anfänge in den Jahren 1989-1993, als ich in meiner ehrenamtlichen Aufgabe als Katholische Bildungsbeauftragte unserer Pfarrei Adelshofen eine intensive Bildungsreihe mit den Verantwortlichen aus Politik, Landwirtschaft, Handwerk, Kirche, Verbraucher sowie Umwelt/Naturschutz und natürlich Bürgerinnen und Bürgern zum Thema „Verantwortung für die Schöpfung" durchführte und dabei feststellte, wie weit wir uns alle schon im Globalisierungstrend befanden und Regionales so gut wie keinen Stellenwert mehr besaß.
 
Was unterscheidet Regional von Bio?
Regional unterscheidet sich nicht von Bio, weil es regionale Lebensmittel sowohl aus dem herkömmlichen Anbau, dem integrierten sowie dem Bio-Landbau gibt. Der Königsweg ist für mich Bio, regional und fair.
 
Woher kommt die neue Liebe zur Region?
Der Heimatbezug wurde im Zuge der steigenden Akzeptanz regionaler Lebensmittel für viele Verbraucherinnen und Verbraucher in der Zeit ab 1995 bis heute immer wichtiger. Wie der Bundesverband für Regionalbewegung treffend formuliert: Wurzeln in einer globalisierten Welt. Während der Slogan „Weil wir wissen, wo’s herkommt", bei Unser Land nahezu 20 Jahre lang verwendet wurde, wurde dieser ab 2017 insbesondere von unserer jungen Generation abgelöst durch „Weil uns Heimat verbindet".
 
Hätten Sie bei der Gründung von Brucker Land jemals gedacht einmal so erfolgreich zu werden?
Bei der Gründung von Brucker Land hatten wir im Entwicklungsteam bereits ein Haus mit vielen Zimmern geplant. Das 1. Zimmer wurde mit Brucker Land sehr gut eingerichtet. Die anderen Zimmer waren von Anfang an bereits für weitere angrenzende Landkreise und die Landeshauptstadt München vorgesehen. Es wurden aber auch Zimmer für die Wiedereinrichtung regionaler Infrastrukturen reserviert sowie insbesondere für Maßnahmen zur Energiewende. Es freut mich natürlich, dass dies gelungen ist und daraus das Netzwerk Unser Land entstanden ist.
 
Was können Sie unseren Lesern raten, um Regionalität zu unterstützen und zu leben?
Sie sollen sich mit hochwertigen Lebensmitteln aus der Region etwas Gutes tun, sich über deren Hintergründe informieren, durch den bewussten Einkauf täglich ein kleines Stück Verantwortung für die Erhaltung der Lebensgrundlagen in ihrer Heimat übernehmen und dabei ein gutes Gewissen haben nach dem Slogan „Mit gutem Gefühl genießen".
Die Grundlage für die Vermarktung der regionalen Lebensmittel ist ein fairer Preis für Erzeuger, Verarbeiter, Handel und Verbraucher. Und die Grundlage der Erzeugung sind eigene Richtlinien, die Partnerbetriebe sowie Verbraucher mit größtmöglicher Transparenz über die Anforderungen von Unser Land informieren. Nach dem Motto „Weil wir gemeinsam stärker sind" werden die einzelnen Solidargemeinschaften von den fünf Säulen Kirche, Verbraucher, Handwerk/Handel, Landwirtschaft sowie Umwelt- und Naturschutz getragen.

Denn auch über die Vermarktung der lokalen Produkte hinaus engagiert sich Unser Land für die Region: Schon 1997 wurde im Projekt Brucker Land Sonnenland der Ausbau regenerativer Energien gefördert. Aus dem Projekt ging im Jahr 2000 das Zentrum für innovative Energien im Landkreis Fürstenfeldbruck: Ziel 21 hervor. Und da die Lebensgrundlage auf unserer Erde die biologische und regionale Vielfalt ist, setzt sich Unser Land für Biodiversität ein, etwa durch den Schutz von Grün- und Ackerflächen sowie strengen Vorgaben für Düngemittel und Unkrautbekämpfung. Zum Erhalt der Biodiversität trägt auch der Anbau von ausschließlich gentechnikfreien Futtermitteln bei. Damit wird dafür gesorgt, dass die Tiere der Solidargemeinschaften auf nachhaltige Weise mit regional erzeugtem Futter versorgt werden. Schon seit zehn Jahren wird erfolgreich bayerisches Soja angebaut, um damit Hühner und Schweine gentechnikfrei füttern zu können.

Sonnenäcker für alle
Um die Identität in der Region zu stärken, haben die Solidargemeinschaften schon lange vor dem Prinzip des Urban Gardening und anderer Initiativen für Gemeinschaftsgärten die Sonnenäcker ins Leben gerufen. Dort können Hobbygärtner von April bis Oktober ein Stück Land pachten und werden dabei von Landwirten beim Anbau von Obst und Gemüse unterstützt – natürlich nach den Richtlinien der Solidar­gemeinschaft, das heißt: keine Pestizide, keine chemische Düngung und keine Gentechnik. In der Gemeinschaft wird Lebensmittelerzeugung in der Region in das soziale Gefüge zurückgebracht. Ein Zeichen für soziales Engagement setzen die Solidargemeinschaften auch durch die Unterstützung kleiner Handwerksbetriebe, die für qualifizierte Arbeitsplätze in der Region sorgen.

Aus der Region nach Deutschland
Eine umtriebige Unternehmerin wie Elsbeth Mickasch gibt sich jedoch nicht so schnell mit dem Erreichten zufrieden. Was lag da näher als die Regionalbewegung auf Bundesebene zu heben. Und so engagierte sie sich nach Kräften für einen Bundesverband Regionalbewegung, der schließlich im Jahr 2005 erfolgreich gegründet wurde, um bundesweit eine Lobby für regionale Wirtschaftskreisläufe zu schaffen. Selbstredend war Mickasch auch hier bereit, aktiv im Vorstand mitzuwirken.

Heute ist die Regionalbewegung längst aus ihren Kinderschuhen entwachsen. Ein starkes Netzwerk und mittlerweile über 1.000 Veranstaltungen in ganz Deutschland mit mehr als einer Millionen Teilnehmern zeigen deutlich, dass Regio­nalität als Bewegung auf dem Vormarsch ist.
Von Sebastian Henkes

Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 30.09.2017
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2017 - Tierische Geschäfte erschienen.
     
        
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