Der Mensch ist, was er isst (Teil 2)
Die fleischlichen Alternativen
Insekten: Die Delikatesse von Laos
Die Menschen in Schwellenländern wie Laos lieben es, wenn es zwischen den Zähnen knackt: Insektenfleisch wie Grillen, Hornissenlarven oder Käfer gelten dort als Delikatesse. Kein Wunder, denn das Land leidet am so genannten "hidden hunger". Die Bäuche werden zwar mit Klebreis gefüllt, aber an wesentlichen Nährstoffen fehlt es. Insektenfleisch schafft hier Abhilfe: In 100 Gramm Grillenfleisch findet sich 13 Gramm Eiweiß - etwa so viel wie in Hühnereiern. Wasserwanzen enthalten sogar 20 Gramm Eiweiß pro 100 Gramm. Laut der Welternährungsorganisation FAO genießen rund 95 Prozent der Laoten regelmäßig Insektenfleisch. Dieses enthält neben Proteinen auch wichtige Vitamine und Mineralien: Calcium in Sagowürmern, Vitamin B1 in Weberameisen. und Grillen versorgen den beherzten Esser mit dreimal mehr Eisen als Rindfleisch. Um den steigenden Bedarf zu decken, werden inzwischen riesige Zuchtstationen gebaut und Reisbauern bessern sich ihr Einkommen mit Grillenzüchten auf.
Umweltfreundlicher Nebeneffekt: Der entstehende Mist dient gleich noch als guter Dünger und Lieblingsfutter der im Mekong gezüchteten Buntbarsche.
Sollen wir auch umsteigen? Das Klima würde sich jedenfalls freuen. Viehzucht verursacht ein Fünftel der weltweiten Treibhausgasemissionen. Rindfleischfarmen emittieren 100 Mal so viel an Treibhausgasen wie Grillenzuchtstationen. Im Gegensatz zu den Säugetieren können die wechselwarmen Insekten ihr Futter direkt in die Gewichtszunahme stecken, während Schweine und Kühe zunächst damit beschäftigt sind, ihren Körper aufzuheizen. Die Natur bietet uns Lösungen, jetzt muss nur noch unsere Kultur ihren Ekel überwinden.
Koscher: "Im Blut wohnt die Seele"
Auch Religionen veranlassen Menschen weltweit zu einer bestimmten Ernährungsweise. Juden befolgen Speisegesetze, die Nahrungsmittel in "koscher" (erlaubt) und "treife" (nicht erlaubt) unterteilen. Derzeit gibt es weltweit mehr als 100.000 als koscher zertifizierte Produkte, die von über 10.000 Unternehmen hergestellt werden. Jährlich kommen etwa 3.000 Produkte neu dazu. Tiere sind zum Verzehr erlaubt, wenn sie zweigespaltene Hufe haben und Wiederkäuer sind - z.B. Rinder. Dagegen ist Schweinefleisch für einen Juden tabu. Fische kann man nicht an ihren Hufen unterscheiden. Als koscher gelten jedoch nur die Wasserbewohner mit Flossen und Schuppen. Die meisten Süßwasserfische fallen in diese Kategorie - doch Aal und Wels nicht, genauso wenig wie Hummer, Muscheln, Schnecken und Tintenfische. Sollte ein Jude Appetit auf frisches Krokodil oder knusprig geröstete Heuschrecke bekommen, muss er sich auch zusammenreißen: Reptilien und Insekten sind tabu. Dafür kann er sich - im Gegensatz zu Veganern - an Butter, Joghurt aus Kuhmilch und Ziegenkäse erfreuen. Hier gilt: Produkte von koscheren Tieren sind erlaubt. Ausnahmen bestätigen die Regel: Die Tora und die Bücher Mose, die die Grundlagen für die Speisegesetze bilden, erlauben Honiggenuss, obwohl Bienen nicht koscher sind.
"Im Blut wohnt die Seele", glauben die Juden. Es darf daher nicht verzehrt werden. Also bedienen jüdische Metzger sich des sogenannten "Schächtens". Ein koscheres Tier wird so geschlachtet, dass das Blut möglichst vollständig herausläuft. Das Fleisch wird zusätzlich noch durch wässern, salzen und spülen rituell gereinigt.
Um es noch etwas komplizierter zu machen, brauchen streng lebende Juden all ihr Geschirr, Besteck und am besten auch ihre Spülvorrichtungen in doppelter Ausstattung. Fleischhaltige Speisen ("basari") und milchhaltige Gerichte ("chalawi") müssen nämlich streng getrennt werden. Weder auf dem Teller noch im Magen sollten sie sich begegnen. Was sich nach strenger Trennkost anhört, wird zum Glück durch die neutralen Lebensmittel ("parve") gerettet: Obst, Gemüse, Getreide, Eier und Honig dürfen immer und zu allem gegessen werden. Wein ist OK - aber nur von koscheren Trauben. Diese dürfen nur von einem Juden produziert und zertifiziert sein. Traubensaft und Wein mit Schweine-Gelatine sind natürlich verboten.
Doch woher wissen, ob ein Lebensmittel koscher ist? In Israel und den USA weist eine Zertifizierung auf Verpackungen darauf hin, dass alle religiösen Vorschriften beachtet und von einem Rabbinat überwacht werden. In Ländern mit weniger Juden stehen meist nur koschere Bäcker und Metzger unter Aufsicht; eine Liste unbedenklicher Speisen für Juden (in Deutschland z.B. von der Orthodoxen Rabbinerkonferenz) ergänzt das Regelwerk.
Die Strenge nimmt der jüdischen Küche also keinesfalls die Würze. Im Gegenteil: Koschere Restaurants erfreuen sich zunehmender Beliebtheit - gerade bei Deutschen. "Rinderfilet mit Dijon-Kräuterkruste und Süßkartoffelgratin" verspricht eben bereits im Klang ein von Jahwe gesegnetes Mahl.
Halal: Für jedes Tier ein Gebet
Ganz unähnlich sind sich Muslime und Juden zumindest am Esstisch nicht. Das würde nicht nur Lessings "Nathan der Weise" unterschreiben: Muslimische Essvorschriften verbieten ebenso Schweinefleisch- und Blutverzehr. Frisch und geschächtet muss es sein: Bereits verendete Tiere oder Opfertiere anderer Religionen gehören nicht auf den Teller eines Allah-Gläubigen. Die Metzger töten die Tiere ohne Betäubung - aus Angst, dass diese die Narkose nicht überleben würden und damit entgegen den halal-Gesetzen eher als gewollt sterben. In Deutschland brauchen Metzger dafür aus Tierschutzgründen eine Ausnahmegenehmigung. Die ist leicht erhältlich - schließlich steht Art. 4 des Grundgesetzes (Religionsfreiheit) über dem Tierschutzgesetz. Auch die Religiösen selbst sollen sich nicht betäuben: Alkohol und andere Rauschmittel sind streng verboten.
Die religiösen Schriften Koran und Sonna regeln die Nahrungsaufnahme. Doch die Auslegung lässt viele Doppeldeutigkeiten zu, so dass die Muslime sich je nach Meinung des ihnen am nächsten stehenden Gelehrten sehr verschieden verhalten. Halal-Produkte sind ein ernstzunehmender Markt - allein in Westeuropa leben 20 Millionen Muslime nach den islamischen Speisevorschriften. Während die Gläubigen in muslimischen Ländern davon ausgehen können, dass alles "halal" hergestellt wird, sorgt in anderen Nationen eine Zertifizierung für Sicherheit. Beim Schlachten jedes Tieres muss jeweils der Name Allahs von einem Muslim ausgerufen werden. In der industrialisierten Fleischproduktion nimmt das groteske Züge an: "Allah" wird beim Startknopfdrücken erwähnt und das Tier maschinell geschlachtet.
Allein in Deutschland leben ca. vier Millionen Muslime. Weltweit liegt das Marktvolumen von Halal-Produkten bei etwa 635 Milliarden US-Dollar. Der Markt wächst und wächst: Rund 17 Prozent des globalen Nahrungsmittelumsatzes sind bereits halal.
Fleisch-Kult: Tierisch lecker, der Sonntagsbraten
Der weltweite Hunger auf Tiere wächst - bis 2050 soll sich der Fleischkonsum sogar verdoppeln. Doch schauen wir in unser Umfeld, nimmt er in der westlichen Welt "gefühlt" ab - immer mehr Menschen kennen Vegetarier oder bekennen sich selbst zur fleischlosen Kost. Der Sonntagsbraten wird für viele Deutsche wieder etwas Besonderes, gründlich Vorbereitetes, gemütlich Begangenes. Dieses neue Bedürfnis befriedigt beispielsweise "BEEF! - Für Männer mit Geschmack". In bildreichen Strecken zeigt das Magazin, wie man selber wurstet oder einen Heilbutt ausnimmt und schmackhaft füllt. Chefredakteur Jan Spielhagen isst nach eigenen Angaben selten Fleisch und setzt auf Qualität statt Quantität: "Wir raten dazu auf Massentierhaltungsprodukte zu verzichten, aus der Region zu kaufen und sich einen Metzger zu suchen, der wesentliche Fragen beantworten kann: Kommt das Fleisch aus der Region? Wo wird es geschlachtet? Sind Zucht und Schlachtort möglichst in der Nähe?". Das Konzept schlägt ein, schon im ersten Jahr gewann die Zeitschrift 10.000 Abonnenten. Die Leser gehören zu den Gutverdienern und stecken am Wochenende viel Zeit, Geld und Aufwand in ihr Hobby, das Kochen. Sie wissen längst, wofür Spielhagen appelliert: "Das Entscheidende ist: Wir essen alle viel zu viel Fleisch. Esst weniger! Esst das Gute selten!".
Meerestiere: Fischige Wahrheiten über den Zustand unserer Ozeane
Fleisch aus dem Wasser ist zu beliebt. Die Eigenproduktion der deutschen Seefischerei müsste drei Mal höher sein als derzeit möglich ist, um den Appetit der Deutschen zu stillen. Und so geht die Überfischung weiter - wenn nicht hier, dann eben in ausländischen Gewässern. Die Deutsche Umwelthilfe hat den "Fish Dependence Day" errechnet. Das ist der Tag im Jahr, an dem unsere eigenen Fischfangkapazitäten rechnerisch aufgebraucht sind und wir uns aus fremden Teichen bedienen. 2012 war dies am 20. April.
Verschiedene Umweltorganisationen setzen sich deshalb für eine strengere und europäische Fischereipolitik sowie nachhaltige Fangmethoden ein. Fischliebhaber können beim verantwortungsbewussten Einkauf einiges beachten: Zum einen sollten bestimmte Fischarten wie Kabeljau, Aal und Seeteufel gar nicht mehr auf dem Teller landen, bis sich die Bestände erholt haben. Hier hilft der kostenlose Fischführer von Greenpeace (im Internet downloadbar) oder auch vom WWF (etwas weniger streng). Stars wie der TV-Koch Steffen Henssler bekennen sich zum Schutz unserer Lebensgrundlagen: "Roter Thunfisch ist unglaublich lecker", sagt der WWF-Meeresanwalt. "Aber den wird es bei mir nicht mehr geben, weil er rücksichtslos geplündert wird. Als Fernsehkoch und in meinen Restaurants will ich den Menschen zeigen, dass man bei Fisch nicht nur auf Geschmack und Qualität, sondern auch auf die Umwelt achten muss". Außer den Fischführen geben auch Siegel Orientierung, ob die Leckerbissen aus nachhaltiger Fischerei stammen: Die Siegel von MSC (Marine Stewardship Council), Naturland sowie Friend of the sea gelten als vertrauenswürdig.
Von Tina Teucher
Lifestyle | Essen & Trinken, 01.01.2013
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2013 - 300 Jahre Nachhaltigkeit in Deutschland erschienen.
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