Momente von Klarheit
Leaning into the Wind – der neue Film über Andy Goldsworthys Blick auf die Welt
Der Dokumentarfilm „Rivers and Tides" über den britischen Landart-Künstler Andy Goldsworthy war 2001 ein internationaler Überraschungserfolg in Kino und Fernsehen. Nun kommt mit „Leaning into the Wind" ein neues Meisterwerk von Thomas Riedelsheimer in die Kinos.
Wenige glaubten 2001 an einen kommentarlosen Film über einen wortkargen Einzelgänger, der in den Wäldern seiner schottischen Wahlheimat Steine zu Skulpturen aufeinandertürmte oder Farbverläufe in Blattlinien zauberte. Aber der deutsche Filmmacher Thomas Riedelsheimer zeigte Goldworthy und seine Kunst mit menschlicher Tiefe und visueller Poesie. 15 Jahre später findet die kongeniale Zusammenarbeit eine Fortsetzung. Fritz Lietsch befragte den Filmemacher zu den Hintergründen
Herr Riedelsheimer, warum ein zweiter Film über den gleichen Mann?
Andy und ich, wir hatten uns nach der Veröffentlichung von „Rivers and Tides" aus den Augen verloren. Er ist ja kein Typ, der oft anruft oder E-Mails schickt. Vor 3 Jahren habe ich ihn dann endlich mal wiedergesehen und seltsamerweise hat es sich angefühlt, als ob wir uns erst am Tag zuvor verabschiedet hätten. Alles war sofort sehr vertraut, sehr nah. Uns verbindet etwas Tiefes, vielleicht eine bestimmte Art, die Welt zu sehen – das Staunen, die Verwunderung und das „Verstehen wollen". Ihm ging es wohl genauso, denn einige Wochen später haben wir uns gegenseitig „gestanden", dass es toll wäre, nochmal einen Film zu machen. Dann haben wir erstmal Angst bekommen, denn ein „Remake" ist ja selten so gut wie das Original und es war gleich klar, dass ein neuer Film auch neue Inhalte haben muss.
Was sehen wir denn im neuen Film? Wie hat sich die Kunst von Andy Goldsworthy verändert?
Andy versucht immer noch „die Welt zu verstehen", das heißt auch, seinen Platz oder den Platz des Menschen allgemein in der Welt zu finden. In den letzten 15 Jahren ist auch privat viel bei ihm passiert, er hat großen Verlust erfahren, aber auch neues Lebensglück. Seine Kunst ist vielleicht tiefer geworden, zeigt einen gewissen Schmerz. Und vor allem ist jetzt sein Körper wichtiger Bestandteil seiner Arbeiten. „Natur ist überall, auch in mir", sagt er und die Auseinandersetzung seines eigenen Körpers mit der Natur spielt eine große Rolle. Er sucht Natur nicht mehr im Außen. Und die Kunst erlaubt ihm, die Dinge immer wieder aus einer anderen Perspektive zu sehen, und so erscheint es dann auch irgendwann ganz natürlich, ihn durch eine Straßenhecke kriechen zu sehen, während die Menschen auf dem Gehweg ihn fragend mustern. Diese Art von Performance spielt momentan eine große Rolle in seinen Arbeiten. Seine Kunstwerke laden aber auch immer wieder ein, uns aktiv in eine andere Perspektive zu begeben. „Passage" zum Beispiel ist eine Steinmauer, die der Länge nach in der Mitte gespalten ist. Eine Mauer – die ja immer auch eine Grenze ist – durch die man hindurchgeht. Irgendwann verschwindet man darin, es ist eng und kalt. Links und rechts blickt man auf die großen gespaltenen Steine. Eine fast politische, sehr zeitgemäße Arbeit.
Goldsworthy gilt ja vielen als Naturschamane und Umweltschützer No. 1. Wie sieht er seine Rolle?
Andy sieht die zunehmende Romantisierung der Natur und der Landschaft äußert skeptisch. Wir leben ja heute selten bewusst mit der Natur. Natur wird zum sonntäglichen Freizeitvergnügen, bei dem wir uns dann beschweren, wenn ein Lastwagen das Bild versperrt. Andy nennt das den „pastoral view", der für ihn nicht viel mit der Realität der Natur zu tun hat.
Seit fast 12 Jahren verfolgt er künstlerisch das Vergehen einer großen Ulme, die, vom Ulmensterben befallen, in einen kleinen Bach gestürzt ist. Woche für Woche geht er dort vorbei, hunderte von Arbeiten haben das langsame Vergehen des großen Baumes schon begleitet. Am Anfang hat er sich mit dem brutalen Riss im Stamm beschäftigt und mit roten oder gelben Blättern dessen Konturen nachgezeichnet. Später haben die Holzfäller die mächtigen Äste abgesägt und mitgenommen. Wie „amputiert" hat sich Andy danach gefühlt – ein Phantomschmerz an der eigenen Hand, deren Finger nicht mehr da sind und deren Abwesenheit Schmerzen verursacht. Andy trauert aber nicht um den Baum, sondern um das Potenzial an Arbeit und Erkenntnis, das ihm verloren ging. Mit dem „social use of the landscape" kommt er zurecht. Er versteht, dass Menschen Wohnraum brauchen und Holz zum Heizen und Straßen und dass sie auch fliegen müssen, um ihre Jobs zu erledigen. Auch er fliegt viel. Sein Hauptarbeitsfeld – neben seinem Wohnort in Schottland – sind die USA. Trotzdem will er natürlich mit der Natur leben und nicht gegen sie. Am besten vergleichbar vielleicht mit den Bauern, auf deren Feldern er arbeitet. Er sagt ja auch über seine Arbeit: „I didn’t learn this at the Art School, I learned it by working on farms". Die großen Themen des Lebens – Sterben, Vergehen und Erblühen – hat er dabei vor seiner Haustür.
Leaning into the Wind
ist ab 14.12.17 im Kino zu sehen. Termine und Infos unter: |
Was war der intimste oder spannendste Moment während der Dreharbeiten?
Da gab es natürlich viele. Eine herausragende Situation spielte sich für mich in Spanien ab. Um 5:00 Uhr
früh auf einem Hügel im ersten, fahlen Morgenlicht. Andy hatte eine Steinsäge dabei und wollte für einen seiner „sleeping rocks" in das Grundgestein sägen. Lange stand er da, und ich habe erst gar nicht verstanden, was denn das Problem ist, warum es nicht losgeht. „I can‘t do it," sagte er dann fast zu sich selbst. Immer wieder „I can‘t do it". Andy hat kein Problem, einen großen Felsbrocken martialisch zu spalten, aber der ist ja auch schon auf der Reise und hat das Grundgestein verlassen. Einfach so in ein intaktes Grundgestein, in die Haut der Erde zu schneiden, hat er nicht übers Herz gebracht. „It doesn‘t feel right," sagte er noch, drehte sich um und beendete die Szene mit dem Satz „Sorry, I made you get up so early". Er wusste, dass es schwierig für ihn werden würde und er wollte mich dabei haben. Das war einer der Momente, für die ich diesen Ausnahmekünstler wirklich liebe. Und verabredet haben wir uns auch schon. In 15 Jahren machen wir dann den dritten Film zusammen.
Thomas Riedelsheimerist einer der renommiertesten deutschen Dokumentarfilmemacher, der bei seinen Filmen auch selbst die Kamera führt. Vielfach wurde er im In- und Ausland ausgezeichnet, darunter bereits mehrfach mit dem Deutschen Filmpreis und dem Adolph-Grimme-Preis.
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