Strategische Frühaufklärung

Management-Vordenker zeigt auf, wie dies konkret geschehen kann

Sind Ihre Unternehmensziele klar? Trend- und Zukunftsforschung zeigen Szenarien auf – wichtige Hinweise, um die eigene Firma langfristig erfolgreich auszurichten.
 
Trend- und Zukunftsforschung sind wichtig, entscheidender ist jedoch dass die daraus resultierenden strategischen Entscheidungen zum Unternehmen passen © Sergey Nivens, fotolia.comWenn Management-Präsentationen oder -Bücher lamentieren, dass das Umfeld von Unternehmen zunehmend komplex, dynamisch und vor allem ungewiss im Hinblick auf die Zukunft sei, dann ist das keine neue Beobachtung. Der Management-Vordenker Peter Drucker sprach bereits in den 1960er-Jahren von einem „Age of Discontinuity", einem Zeitalter, in dem Umbrüche zunehmen; und es lässt sich vermuten, dass dieses Zeitalter noch nicht zu Ende geht. Eher im Gegenteil. Das World Economic Forum beispielsweise weist in seinem jüngst erschienenen Global Risk-Report darauf hin, welche Relevanz es für Nationen und Organisationen hat, Veränderungen im Umfeld zu beobachten und Überlegungen über die Zukunft anzustellen. Doch für Unternehmen bleibt die Frage, wie dies konkret geschehen kann.

In diesem Zusammenhang fallen schnell Stichwörter wie Trend- und Zukunftsforschung, Strategische Frühaufklärung bzw. englisch: Strategic oder Corporate Foresight. Paradoxerweise muss ein Unternehmen, das sich mit der Zukunft beschäftigt, zunächst einmal die Gegenwart analysieren. Dieser Prozess wird mit dem Konzept der Strategischen Frühaufklärung beschrieben.

Dabei geht es auch um die Ableitung von strategischen Handlungsempfehlungen. Wesentliches Ziel der Strategischen Frühaufklärung ist es, Veränderungen im Unternehmensumfeld rechtzeitig wahrzunehmen, Ideen zur Zukunft zu entwickeln und dem Unternehmen die Möglichkeit zu geben, auf eben diese Veränderungen frühzeitig zu reagieren.

Aufklärung in drei Phasen
Der Prozess der Strategischen Frühaufklärung lässt sich grob in drei Phasen unterteilen: Informationsbeschaffung und Trendforschung, Diagnose und Zukunftsforschung und Strategie.

  1. Der Ausgangspunkt einer Trendforschung in Unternehmen muss sich zunächst mit der Frage beschäftigen, welche Zeithorizonte von Interesse sind: Plant das Unternehmen langfristig oder befindet es sich in einem Markt, der durch sehr kurzfristige Produktlebenszyklen geprägt ist? Es muss dann eine Trenddefinition gefunden werden, die für das Unternehmen zielführend ist. Grundsätzlich lassen sich Trends als Signale für Veränderung verstehen. Ein Trend entwickelt sich über die Zeit von einem schwachen zu einem stärkeren Signal. Allerdings entwickelt sich nicht jedes schwache Signal notwendigerweise zu einem starken Signal. Für ein Unternehmen bedeutet diese Logik, dass Trends in ihrer frühen Phase durch unvollständige Informationen gekennzeichnet sind. Das heißt aber auch, dass sich viele Trends nicht über Nacht, sondern über einen längeren Zeithorizont hinweg entwickeln und es somit wettbewerbsentscheidend ist, wann ein Trend wahrgenommen wird. Ein Trend sollte als etwas Neues konzeptualisiert werden, einen Neuheitswert besitzen.

    Im Anschluss gilt es, das Unternehmensumfeld möglichst ganzheitlich nach Trends abzusuchen bzw. zu scannen. Dabei nutzt man in der Regel Konzepte wie die PESTEL-Analyse (Political, Economic, Sociocultural, Technological, Environmental, Legal). Während man die Unternehmensumwelt scannt, sollte man gleichzeitig sinnvolle Quellen (zukunftsorientierte Zeitschriften oder Portale wie etwa shapingtomorrow.com) identifizieren und ein Netzwerk (Zukunfts- und Trendforscher in anderen Unternehmen oder Organisationen bzw. Experten für bestimme Fragestellungen) aufbauen.

    Um Veränderungen frühzeitig wahrzunehmen, darf der Suchfokus nicht zu eng gehalten sein. Im Kontext von Trend- und Zukunftsforschung gibt es drei Arten von Wissen: 1) Dinge, von denen ich weiß, dass ich sie weiß. 2) Dinge, von denen ich weiß, dass ich sie nicht weiß. 3) Die, von denen ich nicht einmal weiß, dass ich sie nicht kenne. Es geht also insbesondere darum, zu lernen, mit den letzteren umzugehen, also mit den blinden Flecken eines Unternehmens.

  2. Identifizierte Trends lassen sich anschließend analysieren. Wie könnten sie sich weiterentwicIdentifizierte Trends lassen sich anschließend analysieren. Wie könnten sie sich weiterentwickeln? Die Zukunftsforschung bietet eine Vielzahl von Tools. Zu den bekannteren zählt die Szenario-Technik, die insbesondere durch Royal Dutch/Shell zum so genannten Scenario Planning weiterentwickelt wurde. Das Scenario Planning verknüpft strategische Planung und Szenario Technik: Das Tool zählt dabei nicht alle Eventualitäten auf, sondern kombiniert die existierenden Trends und setzt diese in alternative Bilder der Zukunft um. Szenarien sind keine Vorhersagen der Zukunft, sondern sollen vielmehr zum Nachdenken anregen, wie man mit möglichen Veränderungen oder Ereignissen in der Zukunft umgehen könnte. 

  3. Natürlich gibt es noch weitere Methoden der Zukunftsforschung. Welche Methoden in einem Unternehmen Anwendung finden, hängt im Wesentlichen von der Fragestellung oder der Zielsetzung ab. Erst diese Verknüpfung der Strategischen Frühaufklärung mit der Unternehmensstrategie kann sicherstellen, dass die generierten Erkenntnisse sinnvoll genutzt werden können.

Beispiele aus der Praxis
Wie wird Strategische Frühaufklärung in Unternehmen organisiert? Zum einen finden sich solche Funktionen in Abteilungen wie etwa im Innovationsmanagement, Forschung und Entwicklung, Marketing oder in der Unternehmensentwicklung. Gerade in größeren Unternehmen gibt es aber auch dedizierte Teams, die diese Aufgaben wahrnehmen.

Es ist wettbewerbsentscheidend, wenn ein Trend wahrgenommen wird 

Das Mineralölunternehmen Royal Dutch/Shell plant seit den 1970ern in Szenarien. Das Scenario Planning-Team fokussiert sich auf die Erstellung und Überprüfung von Szenarien. Auf seiner Homepage bietet der Konzern Einblicke in diese Arbeitsweise. Beschrieben wird zum einen der partizipative Ansatz in der Erstellung der Szenarien. Zum anderen kann man sehen, wie Szenarien dargestellt und beschrieben werden. Der Logistikkonzern DHL informiert ebenfalls auf seiner Webpage nicht nur über Szenarien zur Logistik 2050, sondern auch über die Erstellung der Szenarien. Der Automobilkonzern Daimler verfolgt seit den späten 1970ern einen anderen Ansatz. In einem Think-Tank in Berlin arbeiten Mitarbeiter des Konzerns an verschiedenen Aspekten der Zukunft von Mobilität.

Zum Weiterlesen
 
Müller, A. W. & Müller-Stewens, G. 2009. Strategic Foresight: Trend- und Zukunftsforschung in Unternehmen – Instrumente, Prozesse, Fallstudien. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.
 
Rohrbeck, R. 2011. Corporate Foresight: Towards a Maturity Model for the Future Orientation of a Firm. Heidelberg: Physica-Verlag.
 
Schwarz, J. O. 2011. Quellcode der Zukunft: Literatur in der Strategischen Frühaufklärung. Berlin: Logos.

Während Shell bereits seit 40 Jahren Scenario Planning nutzt, gibt es auch jüngere Weiterentwicklungen in der Trend- und Zukunftsforschung. In dem Projekt Über Morgen des Chipherstellers Intel werden Szenarien von Science-Fiction Autoren genutzt, um die Fantasie anzuregen, in welchen Geräten in der Zukunft Intel-Chips verbaut sein könnten. Die Relevanz dieses Ansatzes unterstreicht beispielsweise der Roman Snow Crash von Neal Stephenson. Der Roman von 1992 begründete nicht nur den Begriff des Avatars, sondern gilt auch als Blaupause für die später entwickelten virtuellen Welten wie Second Life. Aber auch in anderen Kontexten schreitet die Etablierung und Verbreitung von Trend- und Zukunftsforschung voran. So kann beispielsweise an der FU Berlin in einem Masterstudiengang Zukunftsforschung studiert werden und an der RWTH Aachen wurde eine Professur für Zukunftsforschung vom Verein Deutscher Ingenieure gestiftet.

Während das Denken auf Vorrat mit Hilfe von Trend- und Zukunftsforschung auch im Sinne einer nachhaltigen Unternehmensführung an Bedeutung gewinnt, gibt es eine Vielzahl von Optionen, eine solche Funktion in Unternehmen zu betreiben. Wesentlich ist hierbei, einen Ansatz zu finden, der zu dem jeweiligen Unternehmen passt. Hilfestellung beim Design eines geeigneten Ansatzes können mittlerweile eine Vielzahl von Publikationen bieten, oder in diesem Feld spezialisierte Beratungen, aber auch wissenschaftliche Einrichtungen (siehe Übersicht in forum 4/2012) sowie unsere laufende Berichterstattung.

Prof. Dr. Jan Oliver Schwarz hat Wirtschaftswissenschaften und Zukunftsforschung studiert und ist heute als Forscher und Berater im Bereich Szenarien, Dynamischen Simulationen (Business Wargaming), Corporate Foresight und Strategieentwicklung tätig. Er lehrt und forscht als Professor für General Management im Fachbereich Design (AMD Akademie Mode und Design) der Hochschule Fresenius in München und als Research Associate an der Aarhus University, Dänemark.


Wirtschaft | CSR & Strategie, 10.04.2018
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2018 - Digital in die Zukunft? Tierische Geschäfte! erschienen.
     
        
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