Wird uns die Zukunft zu komplex?
Methoden für den Umgang mit Komplexität in Unternehmen
Gibt es bereits Menschen, die „ausgestiegen" sind ob der Komplexität unserer Gesellschaftsentwicklung?
Wenn Sie auf die seit einigen Jahren exponentiell wachsende Zahl an Burnouts in unserer Gesellschaft anspielen, so sind bekanntermaßen viele Menschen ob der Komplexität und Dynamik unserer gewinnorientierten Spaßgesellschaft „ausgestiegen". Gerade unter wachsendem Druck neigt der Mensch automatisch dazu, auf altbewährte Muster zurückzugreifen. Und genau hier können schnell fatale Fehler passieren, vor allem in einer immer dynamischeren, komplexen Arbeitswelt.
Deshalb muss man sowohl Mitarbeiter als auch Führungskräfte aufklären, welche Faktoren ihre Entscheidungen beeinflussen können, und sie entsprechend auch in der Selbststeuerung schulen. Dies kann beispielsweise schon mithilfe von Entspannungstechniken geschehen. Hierfür geeignete Pausen zuzulassen oder Ruheräume einzurichten, ist längst nicht mehr nur der Wunsch esoterischer Mitarbeiter. Vor allem aber muss sich etwas in den Unternehmensstrukturen und -kulturen verändern. Die so genannte „Fehlerkultur" sollte grundlegend umgestaltet werden. Fehler werden noch oft als rein negatives Ergebnis gesehen. Das erzeugt Angst und hemmt, denn man möchte bloß keine Fehler begehen. Fehler, oder besser: nicht funktionales Entscheiden oder Verhalten, sollten jedoch wertungsfrei analysiert und besprochen werden. Denn weniger Angst vor Fehlern ermöglicht mehr und schnellere Weiterentwicklung zu gewünschten Ergebnissen. Man könnte damit sehr viel Druck von den Mitarbeitern nehmen. Gewiss ist, dass sich etwas in der Unternehmenspolitik ändern muss, um der Überforderung der Menschen entgegenzuwirken!
Begünstigt die zunehmende Komplexität kleine oder große Unternehmen?
Die zunehmende Komplexität begünstigt vermutlich eher kleinere Unternehmen. Hier fehlen umfassende Studien. Wir haben einmal in direkter Befragung untersucht, wie reif deutsche Unternehmen im Komplexitätsmanagement sind. Das Ergebnis: Weniger als ein Zehntel der von uns befragten Unternehmen wissen um die Bedeutung von Komplexitätsmanagement und verfolgen entsprechende Ansätze zur Optimierung. Der größere Teil der Unternehmen beschäftigt sich gerade einmal mit Agilität oder anderen Teilaspekten des Komplexitätsmanagements. Kein Unternehmen ist im eigentlichen Sinne exzellent. Kein Management hat die gestalterischen Möglichkeiten eines Komplexitätsmanagements bislang ausgereizt.
Was raten Sie Unternehmen in Sachen Komplexitätsmanagement?
Ich empfehle für das Komplexitätsmanagement vor allem eine verhaltensorientierte Modellierung und Steuerung. Diese versucht neben anderen Faktoren das menschliche Denken und Verhalten im wirtschaftlichen Kontext messbar, bewertbar und letztlich auch steuerbar zu machen. Der Mensch reflektiert, er experimentiert und instrumentalisiert alles, was ihm vorgesetzt wird oder sonst in die Quere kommt, er täuscht, er lügt und betrügt, sprich: Der Mensch ist im System weitestgehend unberechenbar. Und das muss ich im Rahmen meiner Modellierung oder meiner Organisation berücksichtigen. Ergänzend zu bisherigen Prognosen über eine berechenbare Zukunft mit bekannten Mitteln des Risikomanagements und Controllings werden inzwischen besondere Methoden und Tools für einen quasi unvorhersehbaren Teil derselben Zukunft erforderlich. Denn auch diesen mit zunehmender Dynamik wachsenden Bereich der Ungewissheit gilt es künftig zu beobachten, einzuschätzen und zu kontrollieren.
Als Organisations- und Managementkonzept zielt Komplexitätsmanagement deshalb darauf ab, die Effektivität und Effizienz eines Unternehmens in einem Guss zu optimieren und damit seine Leistungsfähigkeit deutlich zu steigern. Dieses gelingt nur durch eine engere Zusammenarbeit aller Stakeholder sowie eine bessere Transparenz und Koordination der Wertschöpfungsprozesse. Komplexitätsmanagement umfasst dafür eine Fülle von Gestaltungsprinzipien und Methoden. Der Reifegrad im Komplexitätsmanagement ist deshalb ein Maß dafür, auf welchem Entwicklungsstand sich ein Unternehmen im Management von dynamisch-komplexen Herausforderungen befindet und wie zielgerichtet es seinen eigenen Methodenmix zur Steigerung seiner Leistungsfähigkeit verwendet.
Ist hoher Reifegrad = Erfolg?
Ein hoher Reifegrad im Komplexitätsmanagement ist nicht gleichbedeutend mit mehr Erfolg im Unternehmen. Mit zunehmendem Reifegrad steigt zwar tendenziell die Leistungsfähigkeit und es sinken die Kosten. Andererseits verschlechtert sich möglicherweise zugleich das Aufwand-Nutzen-Verhältnis der eingesetzten Maßnahmen. Entscheidend ist, dass ein Unternehmen unter Berücksichtigung der aktuellen Situation und der zu erwartenden Veränderungen im Marktumfeld realistische und sinnvolle Ziele definiert und diese nachhaltig kongruent und konsistent über die gesamte Organisation verfolgt. Grundsätzlich gilt: Exzellenz im Komplexitätsmanagement wird mehr und mehr zu einem zentralen Wettbewerbsfaktor und beschränkt sich nicht nur – wie bislang häufig in der Fertigungsindustrie zu beobachten – auf das Variantenmanagement.
Wie kann man sich für den Umgang mit Komplexität wappnen?
Unternehmen können vernetztes Denken durchaus implementieren und trainieren, aber eben nicht auf den vielen, verschiedenen konventionellen Wegen von Schulung, Training oder Coaching, sprich: in der Art und Weise, wie dies viele bislang mehr oder weniger erfolglos gegen die Erkenntnisse der Neurowissenschaften versuchen. Um menschliches Verhalten nachhaltig zu ändern, müssen wir als gewillkürte Inkubatoren selber umdenken. Das gelingt uns aber nur, wenn wir auch in der Lage sind selber „umzufühlen". Gefühl und Verstand gehen von Natur aus immer Hand in Hand, wie wir bereits wissen. Dabei regiert uns unser Gehirn solange mit den darin vorgehaltenen Automatismen und Routinen, bis wir zu „uns selber" finden, als ein von Körper und diesem Gehirn oder Geist losgelöstes „Ich". Unsere Vorstellungen und Überzeugungen sind eben nicht nur mit dem Gehirn verbunden, sondern auch tief in unserer Gefühls- und Seelenwelt verankert.
Welche Maßnahmen sollten Organisationen dafür ergreifen?
Spielen! „Spielen" weckt Begeisterung, vermittelt Werte, erschafft neue Gedankenräume und verwandelt Verhaltensmuster in aktives und bewusstes Handeln. „Theaterspielen im Team" bewirkt persönliches Wachstum und fördert ein interdisziplinäres und interkulturelles Rollenverständnis. Es verknüpft unter anderem Elemente der Transaktionsanalyse nach Eric Berne, der Kommunikationspsychologie nach Paul Watzlawick und dem „Inneren Team" nach F. Schulz von Thun. Das „Spielen ohne Absicht" löst die Teilnehmer von der Normalität, dem Alltäglichen, der routinierten Arbeitswelt.
Der Rollenwechsel vom Schauspieler auf der Bühne zum eigenen Zuschauer entwickelt soziale Kompetenzen wie Grenzziehung Respekt, Dialog oder Konfliktfähigkeit weiter. In einem solchen Prozess werden auch schwierige, belastende und komplexe Zusammenhänge und problematische Muster bewusst gemacht und im weiteren Verlauf gemeinsam bearbeitet. Dass sich dadurch auch unternehmensinterne Probleme lösen lassen, persönliche Potenziale auftun und sich die Mitarbeiter als Subjekte erleben, wirkt sich nachhaltig positiv auf die Unternehmenskultur und das Betriebsklima aus. Alle Beteiligten verstehen auf spielerische Weise nicht nur mit dem Kopf, sondern erleben und fühlen ganzheitlich „am eigenen Körper"..
Herr Fornefett, wir danken für das Gespräch und wünschen viel Erfolg mit dem neuen Magazin.
Andreas Fornefett ist Vorsitzender der Gesellschaft für Vernetztes Denken und Komplexitätsmanagement (GVDK e.V.) und Vorstand der EPOTECH AG. Er ist Referent und Moderator im Themenumfeld Komplexitätsmanagement sowie Autor einer Reihe wissenschaftlicher Veröffentlichungen über interdisziplinäre Ansätze zur Analyse und Steuerung dynamisch komplexer Systeme. www.komplex-magazin.com
Technik | Wissenschaft & Forschung, 10.04.2018
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2018 - Digital in die Zukunft? Tierische Geschäfte! erschienen.
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