Nutztiere
Der große Strukturwandel greift um sich
Viehhaltung und Fleischproduktion in Deutschland ändern sich schnell. Fast überall geben Betriebe auf. Doch die Erzeugung steigt, und bei gleichbleibendem Verbrauch nehmen die Exporte zu. Wir fragen warum?
In Geld gemessen, ist die Landwirtschaft in Deutschland nur noch wenig bedeutend. Gemeinsam mit Fischerei und Forstwirtschaft macht sie weniger als ein Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung aus und beschäftigt gerade einmal 1,5 Prozent der Erwerbstätigen. Die Tierhaltung ist ihr wichtigster Produktionszweig. Von den über 50 Milliarden Euro, die die deutschen Landwirte und Landwirtinnen erwirtschaften, entfallen etwa 11 Milliarden Euro auf die Milch-erzeugung, 7,5 Milliarden Euro auf Schweinefleisch, 4 Milliarden Euro auf Rind- und Kalbfleisch und etwa 2,3 Milliarden Euro auf Geflügelfleisch. Die Erzeugung von Geflügel- und Schweinefleisch ist in den letzten zehn Jahren stark angestiegen.
Der deutliche Zuwachs der Erzeugung ging mit einem drastischen Strukturwandel einher. Mithilfe neuer Produktionsmethoden wie Melkmaschinen, automatisierter Fütterung oder Ställen mit Spaltenböden, die das Ausmisten unnötig machen, können mehr Tiere mit weniger Arbeitskräften versorgt werden. Gleichzeitig steigt die Fleischmenge pro Tier durch Züchtung und intensivere Fütterung. Nur so sehen viele Familienbetriebe, die immer noch den größten Teil der deutschen Landwirte stellen, eine Möglichkeit, ihre Produktion fortzuführen. Die neuen Methoden erfordern in der Regel beträchtliche Investitionen in Maschinen und Gebäude. Dies führt einerseits dazu, dass Betriebe, die sich das nicht leisten können, ausscheiden. Andererseits fördert es die Spezialisierung in der Landwirtschaft, da große Investitionen meist nicht in mehreren Betriebszweigen gleichzeitig möglich sind. Bauernhöfe, auf denen mehrere Tierarten gehalten werden, werden damit immer mehr zur Ausnahme.
Während die Erzeugung von Geflügelfleisch in Deutschland seit 1994 um mehr als drei Viertel gestiegen ist, ging nach Angaben des Statistischen Bundesamtes die Zahl der Betriebe, die Masthühner halten, um 95 Prozent von knapp 70.000 auf 4.500 zurück. Bei der Schweinefleischerzeugung ergibt sich ein ähnliches Bild: Nahm die Produktion in den letzten zwanzig Jahren um fast die Hälfte zu, sank die Zahl der Betriebe um fast 90 Prozent auf etwa 27.000. 1994 gab es noch mehr Schweinehalter als Milchviehbetriebe in Deutschland. Heute sind es fast dreimal mehr Milchbetriebe als Schweineerzeuger, obwohl auch fast zwei Drittel die Milcherzeugung aufgegeben haben.
Die Milcherzeugung nahm wegen der bis April 2015 geltenden Quotenregelung nur um etwa 15 Prozent zu. Die Milchquote wurde 1984 eingeführt, um Überproduktion, Preisverfall und Strukturwandel zu begrenzen. Jedem europäischen Mitgliedsland stand eine feste Produktionsquote für Milch zu. In Deutschland wurde diese Quote auf die einzelnen milcherzeugenden Betriebe verteilt. Wenn ein Betrieb mehr als die ihm zur Verfügung stehende Menge produzierte, musste er eine zusätzliche Abgabe zahlen. Am 31. März 2015 ist die Milchquote ausgelaufen, die Produktion steigt. Seitdem sinkt der Preis stetig.
Während die Erzeugung von Fleisch und Milch in den letzten zehn Jahren deutlich zugenommen hat, blieb der Verbrauch relativ konstant oder wuchs deutlich langsamer als zuvor. 1994 importierte Deutschland noch mehr Schweine- und Geflügelfleisch als es exportierte. Durch den Produktionsanstieg ist mittlerweile ein Exportüberschuss bei allen Fleischarten entstanden. Die Importe legten ebenfalls zu, allerdings langsamer als die Exporte. Bei Milch besteht seit Langem ein Ausfuhrüberschuss, der in den letzten Jahren leicht angestiegen ist, nachdem mit Blick auf das Ende der Milchquote die zulässige Produktionsmenge angehoben wurde.
Die Exporte in Länder außerhalb der EU finden überwiegend in Form von standardisierten Produkten wie Milchpulver, Schweinehälften und gefrorenen Hühnerteilen (Keulen oder Flügel) statt. Damit diese Waren wettbewerbsfähig sind, müssen die Erzeugerpreise auf dem Niveau des Weltmarktes liegen. Um dies zu erreichen, setzen die meisten Betriebe auf Größenwachstum, um durch Rationalisierung die Kosten zu senken. Dies ist ein weiterer Treiber des Strukturwandels und lässt den Betrieben kaum Spielraum, um in Tier- und Umweltschutz zu investieren.
Die europäischen Exporte sind dabei immer weniger von unmittelbarer staatlicher Unterstützung abhängig. Die EU zahlt seit einigen Jahren keine direkten Exportsubventionen mehr. Der Großteil der Hilfsgelder wird als von der Produktion unabhängige Flächenprämien in Höhe von etwa 300 Euro pro Hektar gezahlt. Sie ermöglichen es den Landwirten, zu Preisen zu verkaufen, die nicht die vollen Produktionskosten decken.
Sie sind für die verschiedenen Erzeugnisse aber unterschiedlich relevant. Die Hühnermast findet meist „flächenlos" statt. Die Betriebe bauen das Futter nicht mehr auf eigenen Flächen an, sondern kaufen es überwiegend zu. Von den Flächenprämien profitieren sie nur indirekt. Auch die Schweineerzeugung entwickelt sich in diese Richtung.
Die langen Wege von Fleisch und Futtermitteln
Der Zukauf von Futtermitteln hat bei der Zunahme der Fleischproduktion eine Schlüsselbedeutung. Sojaschrot als wichtige Futterkomponente für die intensive Fleischerzeugung ist das wichtigste Agrarimportprodukt für die EU und Deutschland. 80 bis 90 Prozent des in Deutschland verfütterten Sojaschrots geht in die Fleischerzeugung, der Rest in die Milchproduktion. Mit der zunehmenden Fleischerzeugung haben auch die Sojaschrotimporte zugenommen – in den letzten 20 Jahren um über ein Drittel auf über 4,5 Millionen Tonnen.
Die europäischen Sojaimporte kommen ganz überwiegend aus Südamerika, vor allem Brasilien und Argentinien sowie Paraguay. Dort werden jetzt vor allem die Savannen gerodet, um neue Flächen für den Sojaanbau zu schaffen. So steht der Fleischverzehr hier in einem direkten Gegensatz zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit in Lateinamerika. Dazu eine Anmerkung der Redaktion: Noch absurder wird es, wenn wir in Deutschland Fleisch produzieren, damit Böden und Grundwasser belasten, um anschließend Fleischerzeugnisse zu exportieren und dabei lokale Märkte bedrängen.
Dieser Artikel von Tobias Reichert sowie die Grafiken sind zuerst erschienen im FLEISCHATLAS 2016 – DEUTSCHLAND REGIONAL, einem Kooperationsprojekt der Landesstiftungen der Heinrich-Böll-Stiftung, des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschland und der Heinrich-Böll-Stiftung. Lizenz: CC BY-SA 3.0,
Lifestyle | Essen & Trinken, 10.04.2018
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2018 - Digital in die Zukunft? Tierische Geschäfte! erschienen.
Pioniere der Hoffnung
forum 01/2025 ist erschienen
- Bodendegradation
- ESG-Ratings
- Nachhaltige Awards
- Next-Gen Materialien
Kaufen...
Abonnieren...
03
JAN
2025
JAN
2025
48. Naturschutztage am Bodensee
Vorträge, Diskussionen, Exkursionen mit Fokus: Arten-, Klima- und Naturschutz
78315 Radolfzell
Vorträge, Diskussionen, Exkursionen mit Fokus: Arten-, Klima- und Naturschutz
78315 Radolfzell
17
JAN
2025
JAN
2025
Systemische Aufstellungen von Familienunternehmen und Unternehmerfamilien
Constellations machen Dynamiken sichtbar - Ticketrabatt für forum-Leser*innen!
online
Constellations machen Dynamiken sichtbar - Ticketrabatt für forum-Leser*innen!
online
06
FEB
2025
FEB
2025
Konferenz des guten Wirtschaftens 2025
Mission (Im)Possible: Wie Unternehmen das 1,5-Grad-Ziel erreichen
80737 München
Mission (Im)Possible: Wie Unternehmen das 1,5-Grad-Ziel erreichen
80737 München
Professionelle Klimabilanz, einfach selbst gemacht
Einfache Klimabilanzierung und glaubhafte Nachhaltigkeitskommunikation gemäß GHG-Protocol
Innovation
Warum ist Deutschland bei der Innovationskraft im weltweiten Vergleich zurückgefallen?Christoph Quarch im forum-Interview
Jetzt auf forum:
Profiküche 2025: Geräte-Innovation spart mehr als 50 Prozent Energie für Grill-Zubereitung ein
Sichere Abstellmöglichkeiten für Fahrräder:
Fotoausstellung Klimagerecht leben
Ohne Vertrauen ist alles nichts
The Custodian Plastic Race 2025
Niedriger Blutdruck: Wie bleibt man aktiv, ohne sich schwindlig zu fühlen?