Für die nächste Phase der Energiewende wird die Fähigkeit zur kurzfristigen Verhaltensänderung auf der Erzeugungs- und der Verbrauchsseite entscheidend sein

Interview mit Andreas Keil, Geschäftsführer der Energy2Market GmbH in Leipzig zum 14. Mitteldeutsches Energiegespräch am 19. April 2018 in Leipzig

Unter dem Titel „Energiewende – Lau oder mit Verve?" verfolgten in der vergangenen Woche um die 100 Gäste die Podiumsdiskussion zwischen Andreas Keil (Energy2market), Ewald Woste (Thüringer Energie AG), Michael Wübbels (VKU) und Thorsten Kasten (VNG). Im Rahmen dieser Veranstaltung ist ein informatives Interview des Veranstalters, Rainer Otto, mit dem Geschäftsführer der Energy2market, Andreas Keil entstanden.

Das 14. Mitteldeutsche Energiegespräch unternimmt eine Tour d'Horizon zum Stand der Energie-, Wärme- und Mobilitätswende anhand der politischen Notwendigkeiten des Koalitionsvertrages. Wie würden Sie bitte den gegenwärtigen Stand einschätzen?
Eine so generelle Frage lässt sich schwerlich kurz beantworten, ich werde es dennoch versuchen. Seit Beginn der Energiewende sind vor allem regenerative Erzeugungsanlagen in signifikantem Umfang in allen Größen und Technologien entstanden. Diese haben einen erstaunlichen Grad an Effizienz erreicht, der eine Förderung mehr und mehr überflüssig macht – das zeigen die letzten Auktionen.

Andreas Keil ist Geschäftsführer der Energy2market GmbH mit Sitz in Leipzig. © e2mSeit 2012 wurden diese Anlagen erfolgreich in die Energiemärkte integriert. Hier ist einerseits die Entstehung von Virtuellen Kraftwerken zu nennen, andererseits die Entwicklung exzellenter Prognosesysteme und eines funktionierenden und immer schneller reagierenden Intraday-Marktes. Daraus resultiert ein unglaublicher Zuwachs an Effizienz bei der Bewirtschaftung fluktuierender Portfolios sowie eine deutliche Dämpfung der Ausgleichsenergiepreise.

Zugleich stößt das Ungleichgewicht zwischen Angebotsleistung und benötigten Energiemengen immer stärker an die Kapazitätsgrenzen von Netzen, und die volle Flexibilität konventioneller Erzeuger wird benötigt, um die Versorgung sicherzustellen.

Dieser Zustand wird durch das Verhalten von Prosumern oder Entwicklungen wie der E-Mobilität noch verschärft. In dem Maße, wie die Konventionellen den Markt verlassen, stehen wir also vor der Herausforderung, dass die verbleibenden Erzeuger und Verbraucher flexibel auf das Angebot reagieren. Hierzu müssen sie ertüchtigt und angereizt sein.

Was müsste denn in den kommenden 3 bis 5 Jahren oder in der noch verbleibenden gegenwärtigen Legislaturperiode des Deutschen Bundestages parlamentarisch auf den Weg gebracht werden, um den Erfolg des Gesamtprojektes zu sichern?
Im Wesentlichen wird es darum gehen, die Flexibilität auf der Verbrauchsseite zu erhöhen und in diesem Zusammenhang alle Hemmnisse für diese Verhaltensänderung zu beseitigen. Hier geht es im Kern um alternative Modelle für den Umgang mit den Kosten aus Netznutzung sowie aus Steuern und Abgaben.

Politik, so heißt es, benötigt Macht, um zu gestalten, und Macht setzt auch im Energiebereich Fakten. Wie schätzen Sie dabei die Rolle der sogenannten Graswurzelbewegung ein, die infolge der Regionalisierung einzelner Prozesse der Energiewende teilweise an den Stellgrößen mitgestalten und damit Einfluss auf die Politik haben könnte?
Die vielzitierte Graswurzelbewegung beschreibt im Kern die systematische Auflösung klassischer Versorgungsstrukturen und Marktrollen, da praktisch jeder Verbraucher auch Energie erzeugen, speichern und weiterverkaufen kann. Basis dafür ist die Verfügbarkeit effizienter Technologien (Erzeugung, Steuerung, Kommunikation) in Verbindung mit einem materiellen Anreiz. Letzterer ist heute scheinbar objektiv durch die hohen Endverbraucherpreise gegeben.

Der Anreiz für die Graswurzelbewegung ist damit regulatorisch verursacht und jederzeit politisch gestaltbar. Dies könnte sich erst ab dem Moment ändern, an dem regenerative Erzeugung die kostengünstigste im Markt ist. Dann könnte die heute autonomiegetriebene Graswurzelbewegung in Verbindung mit Virtuellen Kraftwerken auch zunehmend nach Leistungen im Rahmen der Netz- und Versorgungssicherheit greifen.

Demgegenüber steht die Neuausrichtung der großen "Zwei” der deutschen Energiebranche. Sehen Sie hier gravierende Notwendigkeiten der Branche, ihre Strategien ebenfalls neu auszurichten?
Die von Ihnen liebevoll umschriebene Entstehung eines nationalen Champions mit internationalem Gewicht wird sicher Einfluss auf die künftige Energielandschaft in Deutschland haben. Die Notwendigkeit einer Neuausrichtung unserer Strategie leite ich daraus nicht ab, da diese sich ja auch heute nicht von der Strategie der genannten Unternehmen ableitet. Es wird vielmehr darauf ankommen, dass wir unsere Fähigkeit, schnell und effizient in Märkten zu agieren, weiter ausbauen. Hierin werden auch für den neuen Giganten die Herausforderungen nicht kleiner.

In diesen Tagen konnte man in den Medien (beispielsweise TAGESSPIEGEL – "Erneuerbare auf die Kette kriegen”) über die Zusammenarbeit von Energy2market mit der amerikanischen Energie-Blockchain-Plattform Swytch lesen. Was bedeutet für Sie Blockchain?
Blockchain ist zunächst einmal einfach eine Technologie, die es ermöglicht, Informationen in Echtzeit zu erfassen und allen Beteiligten sicher und unveränderbar zur Verfügung zu stellen. Das gibt uns die Möglichkeit, damit sensible Datenaustauschprozesse oder geschäftliche Transaktionen und Zahlungen unmittelbar, zuverlässig und zudem kostengünstig zu gestalten. In dem von Ihnen angesprochenen Projekt schaffen wir die Voraussetzungen für die unmittelbare und sichere Erfassung der Erzeugung grüner Energie. Dies lässt künftig beispielsweise eine direkte Belieferung von Verbrauchern aus grünen Erzeugungsanlagen zu.

Was ist dann mit Blockchain das Neue, was der herkömmliche Energiehandel so nicht leisten kann?
Alles und Nichts. Lassen Sie mich das an zwei Beispielen zeigen. Erstes Beispiel: der Energiehandel erfolgt heute zumeist über Börsen, die als die wesentlichen Marktplätze fungieren. Daneben ist es natürlich auch möglich, bilateral Energiegeschäfte abzuschließen. Über Blockchain kann nun zwischen allen beteiligten Partnern ein Marktplatz geschaffen werden, der die Transparenz und Sicherheit einer Börse hat – ohne institutionell zu existieren. Die daraus erwarteten Kosteneinsparungen auf Seiten der Akteure werden mit bis zu 90% gegenüber heute erwartet.

Zweites Beispiel: Auch heute ist es möglich, dass ein Erzeuger seine Energiemengen direkt an einen Verbraucher liefert. Über Blockchain sind Direktliefermodelle denkbar, in denen Franz Mustermann den Überschussstrom der PV-Anlage auf seinem Einfamilienhaus an die WG seines Sohnes in der Stadt liefern kann. Welches Potential es für solche Geschäftsmodelle gibt, ist sicher eine diskussionswürdige Frage. Die niedrigen Transaktionskosten von Blockchain machen sie aber möglich.

Wenn der Technologieansatz darin besteht, sehr schnell Informationen auszutauschen, wäre denn dann die Blockchain-Technologie in ihrer Anwendung nicht sehr interessant für Netzbetreiber?
Ja, das wäre sie und es gibt hierzu bereits tiefer gehende Überlegungen und erste Projekte im Markt, die wir natürlich mit großem Interesse verfolgen.

Und hier kommt wieder die Politik ins Spiel, wie sollte sich denn die Politik, allgemein wird immer die Notwendigkeit der Technologieoffenheit bei der Gestaltung der Energiewende unterstrichen, in Sachen Regel- und Grenzen-Setzung verhalten?
Das ist eine ausgesprochen schwierige Frage, weil die meisten Regeln und Grenzen aus politisch initiierten Förder- und Steuerungsmechanismen resultieren, so dass es bei einer Änderung immer Gewinner und Verlierer gibt. Ausgehend von meinem Eingangsstatement, nach dem für die nächste Phase der Energiewende die Fähigkeit zur kurzfristigen Verhaltensänderung auf der Erzeugungs- und der Verbrauchsseite entscheidend sein wird, sollten Anreize für eben diese Verhaltensänderung bestehen und nutzbar sein. Diese können aus dem Markt oder geschaffenen Anreizmechanismen kommen. In jedem Fall sollten sie frei von jeder Technologiebindung sein.

Abschließend erlauben Sie bitte noch die Frage, wo sehen Sie denn bei alledem die weitere Entwicklung von Energy2market?
Als Aggregator sehen wir unsere Rolle darin, die Energie, die Flexibilität und die Interessen so vieler dezentraler Akteure wie möglich zu bündeln und zu deren Vorteil zu nutzen. Hierzu entwickeln wir eine skalierbare und offene Plattform, die auch Dritten für die Umsetzung ihrer Geschäftsmodelle offensteht.

Andreas Keil begann seine berufliche Karriere mit Beginn der Strommarkt-Liberalisierung 1999. 2002 trat er in das international tätige Stromhandelshaus EGL (heute AXPO) ein und wurde 2003 zum Geschäftsführer der neugegründeten Tochter EGL Deutschland GmbH in Leipzig berufen. In dieser Funktion war er maßgeblich am Aufbau des Deutschlandgeschäfts der EGL mit dem Schwerpunkt Portfoliomanagement für Stadtwerke & Erzeuger beteiligt.
Mit dem Ziel, ein unabhängiges Handelshaus für erneuerbare Energie aufzubauen, gründete er 2009 die
Energy2market GmbH mit Sitz in Leipzig und steht ihr seither als Geschäftsführer vor.

Kontakt: e2m, Das Handelshaus für neue Energien, Anne Walter-Koschwitz | anne.Walter@e2m.energy


Technik | Energie, 26.04.2018

     
        
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