Versickern und Verdunsten
Das neue Wasser-Paradigma
Lokale Beispiele weltweit zeigen, wie ein anderer Umgang mit dem Wasser Wüstenbildung, Klimawandel und Kriege aufhalten könnte.
„Ich kenne die Ursache des Syrien-Krieges", sagt der Mann mit der weißen Kutte. Es ist Rajendra Singh, in seinem Land auch der „Wasser-Gandhi" genannt. In Rajasthan/Indien initiierte der Doktor der Medizin eine Volksbewegung, die durch mehrere tausend traditionelle, einfache, dezentrale Stauanlagen, so genannte Yohads, den Regenwasserabfluss verlangsamen konnte. Das Ergebnis dieser schlichten Technik ist beeindruckend: Ein Gebiet von 6.500 Quadratkilometern in der Nähe der Thar-Wüste wurde wieder fruchtbar, der Grundwasserspiegel stieg von 100 auf 13 Meter, 1.000 Dörfer haben wieder Wasser, fünf versiegte Flüsse fließen wieder ganzjährig. Die landwirtschaftliche Ernte hat sich verfünffacht, die Männer müssen nicht mehr weggehen, um Einkommen zu generieren, und um Wasser zu holen, müssen die Frauen nur noch bis zum Dorfbrunnen gehen. Die Einwohner schlossen sich zu Flussparlamenten zusammen und treffen alle Entscheidungen über Wasser und Abwasser gemeinsam. Bergbau und Abholzungsfirmen haben hier keine Chance mehr. Für seine Errungenschaften wurde Rajendra der renommierte Stockholm-Wasserpreis verliehen, und die britische Zeitung „Guardian" wählte ihn zu einem der fünfzig einflussreichsten Menschen der Erde. Seit Jahren bereist er die Welt und berät Menschen, Dörfer und Regionen in ähnlichen Situationen. Mit Blick auf Syrien ist er sicher: „Die Ursache des Krieges ist nicht Religion und nicht Terrorismus, es sind die Staudämme des Euphrat in der Türkei."
Kampf um das Wasser
Tatsächlich gibt es seit über vierzig Jahren Auseinandersetzungen um die Flüsse, die aus der Türkei nach Syrien und in den Irak fließen. In Trockenzeiten versiegen Euphrat und Tigris fast – mit dramatischen Folgen für die ältesten Agrarkulturen im Zweistromland. Die daraus folgende Not und Verunsicherung – so ist Rajendra sicher – führten zur zunehmenden Radikalisierung der Bevölkerung, zu Diktatur, Extremismus – und Krieg.
Medien berichten fast nie über die seit Jahren anhaltende Dürre im ehemals „fruchtbaren Halbmond", die den Ländern ihre ökonomische Stabilität entzieht. Sie ist dabei nicht das Ergebnis einer Naturkatastrophe, sondern menschengemacht: Folge eines falschen Wasser- und Landmanagements. Doch der geschieht weltweit. Syrien ist dafür nur ein Beispiel. Weltweit haben fast eine Milliarde Menschen nicht ausreichend Zugang zu sauberem Trinkwasser. Der ehemalige UN-Generalsekretär Ban KiMoon sagte: „Die Kriege des 21. Jahrhunderts werden um Wasser geführt." Die Weltbank teilt bereits die Länder der Erde in wasserarme und wasserreiche Länder ein, wobei die einen in Zukunft völlig von den anderen abhängig sein werden.
Wasserkreisläufe als Perpetuum Mobile
Falsch und unnötig, meint Rajendra Singh. „Jede Region hat die Möglichkeit, ihre Bewohner mit ausreichend Wasser zu versorgen." Rajendra ist Teil einer noch kleinen, aber global vernetzten Bewegung, die ein anderes Paradigma im Umgang mit Wasser propagiert und anwendet. Wasserbauingenieur Michal Kravcik aus der Slowakei bringt es auf den Punkt: „Es geht bei einem gesunden Wassermanagement nicht darum, Wasser zu speichern, sondern den Regen zurückzubringen."
Vor allem die kleinen oder lokalen Regenwasserkreisläufe sind wichtig: Das Wasser, das immer wieder abregnet, versickert, wird von Pflanzen aufgenommen und verdunstet. Kleine Regenwasserkreisläufe sind ein Perpetuum Mobile, sie erhalten und erneuern sich immer wieder selbst – vorausgesetzt, sie finden ausreichende Vegetation und offene Böden vor. Ursprünglich wurde diese „biotische Pumpe" durch Wälder in Gang gehalten. Heute, angesichts von Entwaldung und Flächenversiegelung, verlangt es einfache, aber vielfach wiederholte Maßnahmen, um sie wieder zu regenerieren: Wasser muss dort in den Boden eindringen können, wo es abregnet.
Der Meteorologe Prof. Millan Millan aus Valencia bestätigt durch jahrzehntelange meteorologische Datenerhebungen die Erkenntnisse des neuen Wasser-Paradigmas: Auf der Suche nach den Gründen für veränderte Regenmuster Südeuropas stieß er auf den Verlust der kleinen Wasserkreisläufe – durch Flächenversiegelung, Städtebau, Erosion, industrielle Landwirtschaft, Überweidung und Entwaldung. Geschieht dies in Schlüsselregionen wie etwa in Küstennähe, wird ein Regenwasserkreislauf, der zuvor sein Wasser viele hundert, sogar tausend Kilometer weit getragen hat, gleich an seiner Entstehung gehindert.
Spanien wird verwüstet …
"Entwaldung und betonierte Touristenburgen an den Küsten Spaniens und Portugals sind die Ursache dafür, dass der Regen nicht mehr gleichmäßig auf der Iberischen Halbinsel fällt, sondern die Wolken stattdessen zurück aufs Meer getrieben werden", sagt Prof. Millan. Damit sind sie auch eine der Ursachen für das Aufgeben von Tausenden von Kleinbauern im ganzen Land und damit für Arbeitslosigkeit aber auch für das Austrocknen von Quellen und Flüssen, das Ansteigen des Meeresspiegels im Mittelmeer und die Veränderung von Regenmustern bis hin nach England und Deutschland.
Die große Erkenntnis lautet: Um Wassersicherheit zu haben, nützt es nicht, das Wasser zu stauen, einzusperren und zu kontrollieren. Im Gegenteil: Die größte Wassersicherheit erhalten wir, wenn wir es freigeben, das heißt verdunsten und versickern lassen. Das regeneriert die kleinen Wasserkreisläufe und damit unsere wichtigste Versorgung mit dem Stoff, auf den kein Lebewesen verzichten kann.
Es ist kein Wunder, dass diese Erkenntnis bei Landbesitzern, Regierungen, Staudammbetreibern oder Wasserkonzernen auf Ablehnung stößt. Worte wie „loslassen" und „freigeben" gehören nun mal nicht ins Vokabular der üblichen Sicherheitskonzepte. Das Speichern von Wasser in immer größeren Einheiten, die Privatisierung von Flüssen und Wasserrechten und der Verkauf von Wasser an Industrie und industrialisierte Landwirtschaft ist dagegen ein global einträgliches Geschäft. Doch viele Millionen Menschen leiden darunter, große Regionen werden zur Wüste.
Es geht auch anders
Dabei gibt es viele Beispiele für gelungenes ganzheitliches Wassermanagement.
Michal Kravcik gelang es, ein großräumiges Beispielprojekt in der Slowakei zu initiieren: Mit der Bürgerinitiative „People and Water" bauten Tausende von Menschen in 18 Monaten in 488 Dörfern und Städten in einer degradierten Landschaft rund 100.000 kleine „Checkdams" aus Steinen und Holz. Die Aktion wurde von der damaligen Regierung finanziert und wurde als großer Erfolg verbucht. Die Wasserhaltekraft der Region wurde auf zehn Millionen Kubikmeter erhöht. Der geplante Großstaudamm musste nicht gebaut werden. Eine Fortsetzung des Programms auf landesweiter Ebene wurde allerdings von der neuen Regierung der Slowakei im Jahre 2007 verhindert: Immer noch scheint die Staudammlobby stärker.
Ein weiteres Beispiel stammt aus Australien, wo bereits in den 1950er Jahren der Bauer und Ingenieur P. A. Yeomans das Keyline-System erfand: Durch das Anlegen vieler kleiner, parallel verlaufender Gräben auf den Höhenlinien eines Geländes mit Hilfe eines Spezialpfluges (Yeomans-Pflug) kann dessen natürlicher Wasserhaushalt außerordentlich verbessert werden. Selbst Starkregen fließt nicht mehr vollständig ab, sondern wird vom Boden aufgenommen. Das verringert die Erosion erheblich, in den Gräben bildet sich darüber hinaus neue, wertvolle Muttererde. Das System wird heute von Permakultur-Aktivisten und Landbesitzern weltweit angewandt, vor allem in von Wüstenbildung bedrohten Gebieten verspricht es großen Erfolg.
Eine ganz andere, aber noch effektivere Idee kommt aus Afrika: Alan Savory, aufgewachsen in Zimbabwe, studierte die Weidemuster von durchziehenden Wildtierherden und ihren positiven Effekt auf die Wasserspeicherkraft von Grasland. Die vielen Nutztierherden hatten diesen Effekt nicht, im Gegenteil: Sie verhärten die Erde, und Regenwasser konnte nicht mehr eindringen. Savory entwickelte das Holistic Grazing Management (ganzheitliches Weidemanagement), ein durch flexible Zäune gesteuertes Weidesystem, das dem Weidemuster von Wildtierherden folgt: intensiv, aber kurzfristig. Da 40 Prozent der Landmasse des Planeten aus Grasland bestehen, könnte solch ein Weidemanagement eine äußerst effiziente und kostengünstige Art sein, die globale Wassersituation zu verbessern.
Regen für das Klima
Regen für das Klima
Strategie für den Wandel
Eine noch kleine, aber global vernetzte Gruppe von Praktikern und Wissenschaftlern propagiert ein neues Wasser-Paradigma: Nicht das Speichern von Wasser in großen Staudämmen und die Privatisierung von Waasserrechten, sondern einfachste, dezentrale Anlagen zur Verlangsamung und Versickerung des Regenwassers sind die beste Garantie für Wassersicherheit. Denn sie können die lokalen Regenwasserkreisläufe und damit die natürliche Wasserversorgung für Mensch, Tier und Natur wieder in Gang bringen. Zahlreiche erfolgreiche Fallbeispiele deuten darauf hin, dass das neue Wasser-Paradigma, weltweit angewendet, der wichtigste Beitrag für Friedenssicherung und den Klimaschutz wäre. Die Kernthesen lauten:
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Ingenieur Bernd Müller aus Tamera/Portugal berät Landbesitzer und Hilfsorganisationen in Krisengebieten wie Haiti, Bolivien oder Kenia, sein Bruder tut dasselbe im südlichen Portugal. Ihre Erfahrung zeigt: Durch Waldaufbau, Terrassierung, Seen, Teiche oder Gräben kann der Abfluss des Regenwassers verlangsamt werden und erhält damit Zeit, in den Erdboden einzusickern. Müller: „Wenn wir diese Erfahrung auf ein größeres Gebiet hochrechnen, werden wir erfahren, dass es sich auch auf die Regenentwicklung auswirken wird."
Genau das haben die Vertreter des neuen Wasser-Paradigmas vor. Sie arbeiten an einer „globalen Strategie für die Restaurierung der kleinen Wasserkreisläufe und des Klimas" und nennen sie kurz „Rain for Climate".
Bernd Müller: „Die Umsetzung eines ganzheitlichen Wasserkonzeptes mit Wasserretention und Mischwaldaufbau könnte auch krisengeschüttelten Regionen wieder Erleichterung bringen. Wenn Flüsse, Bäche und Quellen einer Region wieder fließen, wenn Regen wieder häufiger und gleichmäßiger fällt, dann wird sich auch die kleinbäuerliche Landwirtschaft wieder lohnen. Andere Produktionsbereiche leben auf und die Dörfer können sich wieder bevölkern."
Auch für Syrien wäre dieses Vorgehen eine Rettung, meint Bernd Müller, ein wirksames und natürliches Wassermanagement ist in seinen Augen die wirkungsvollste Weise, Fluchtursachen zu bekämpfen: „Der Wasserhaushalt des Landes ist nicht nur vom Flusslauf abhängig, sondern ebenso von der Landnutzung der Region, vom Wald, von der Landwirtschaft, vom Wassermanagement. Wenn die Menschen auf lokaler Ebene in Syrien ähnlich handeln wie die in Rajasthan, wenn sie an tausend Orten einfache Retentionsanlagen installieren und den Wald erneuern, dann kommt der kleine Wasserkreislauf wieder in Gang und der Wasserverlust des Euphrat kann ausgeglichen werden."
Von Leila Dregger
Umwelt | Wasser & Boden, 01.09.2018
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/03 2018 - Wasser - Grundlage des Lebens | Bildung erschienen.
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