Der Stoff, aus dem die Träume sind
Baumwolle und Hanf im Vergleich
Bei einem Blick in den Kleiderschrank dominiert die Baumwolle. Nicht schlecht, mag man sich denken, ist ja schließlich eine Naturfaser. Doch ihre Ökobilanz...? Hier kann die Hanffaser einiges bieten, wovon die konventionelle Baumwolle nur träumen kann.
Der Rohstoff Hanf überbietet mit seiner vorbildlichen Bilanz die der Baumwolle in fast allen Disziplinen: vom geringeren Verbrauch an Dünger, Pestizideinsatz und Wasserverbrauch beim Anbau, über die Vorteile für Umwelt und Gesundheit bis hin zu den vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten und der hohen Widerstandsfähigkeit. Dazu ein paar Fakten:
50 Prozent unserer Kleidungsstücke bestehen aus Baumwolle und damit steht dieser Rohstoff unangefochten auf Platz 1 der Naturfaserrangliste. Zusammen mit Polyester ist sie der Inbegriff der „modernen Textilindustrie". Gleichzeitig ist diese Branche der zweitgrößte Umweltverschmutzer weltweit und ein wichtiger Faktor der Globalisierung.
Hanf und Baumwolle in der Landwirtschaft
Im Baumwollanbau werden weltweit circa 25 Prozent der gesamten Insektizide und etwa 16 Prozent der Pestizide eingesetzt. Die Zahlen der Weltgesundheitsorganisation belegen, dass jedes Jahr 10.000 Todesfälle auf die Baumwollindustrie zurückzuführen sind, weil die Menschen, die auf den Baumwollfeldern arbeiten, nicht ausreichend geschützt mit den Pestiziden umgehen. Bio-Baumwolle ist eine Alternative, allerdings nur in puncto Pestizide und Insektizide. Das Problem des enorm hohen Wasserverbrauchs ist auch hier nicht gelöst, denn es werden bis zu 17.000 Liter Wasser pro Kilogramm Baumwolle verbraucht. Zum Vergleich: In eine Badewanne passen circa 150 Liter! Ein Beispiel für die verheerende Auswirkung des exzessiven Baumwollanbaus ist der bereits ausgetrocknete Aralsee in Zentralasien. Er war einst das viertgrößte Binnengewässer der Erde, mit einer Fläche von 67.000 Quadratkilometer fast so groß wie Bayern, und wurde für die Baumwollbewässerung innerhalb von wenigen Jahrzehnten leer gepumpt.
Dagegen ist Nutzhanf sehr genügsam, denn es bedarf nur 300 bis 500 Liter Wasser, um ein Kilogramm Hanffaser zu produzieren. Der Nutzhanf gedeiht durchaus in Regionen mit viel Niederschlag, übersteht aber auch trockenere Phasen, denn durch seine Eigenschaften als Tiefwurzler kommt er an tiefere Wasserreserven. Baumwolle jedoch wird fast ausschließlich in sehr warmen und trockenen Regionen angebaut, was dazu führt, dass die Pflanze in der industriellen Landwirtschaft zusätzlich stark bewässert werden muss. Ähnlich verhält es sich mit der Menge an Agrarfläche, die für die Produktion der Fasern benötigt wird. Auf einem Hektar Land kann zwei bis drei Mal mehr Hanffaser produziert werden als auf derselben Fläche Baumwolle.
Hanf in der Textil- und Bekleidungsproduktion
In den USA wurden Mitte des 19. Jahrhunderts widerstandsfähige Arbeitshosen gebraucht, woraufhin Levi & Strauss die erste Jeans aus Hanf produzierte. Die Belastbarkeit der Hanffaser ist bemerkenswert, die Scheuerbeständigkeit ist deutlich besser als die der Baumwolle – ein Grund, warum Hanf im Schiffsbau früher ein unabdingbarer Rohstoff für Segel und Seile war. Er war nicht nur besonders robust, sondern konnte auch in besonderem Maße Feuchtigkeit regulieren, bedingt durch die Hohlfaser. Somit nahmen die aus Hanf gewebten Segel zwar schneller Feuchtigkeit auf, gaben sie aber auch um ein Vielfaches schneller wieder ab. Die mit Hanfsegeln bestückten Schiffe lagen dadurch weit vorne, wenn es um Geschwindigkeit ging.
Diese Eigenschaft ist auch für die Textil- und Bekleidungsindustrie interessant, besonders im Bereich der Unterwäsche sowie der Funktions- und Sportbekleidung. Durch die Feuchtigkeitsregulierung kühlt die Hanffaser im Sommer und wärmt im Winter. Sie kann bis zu 30 Prozent der vom Körper abgegebenen Feuchtigkeit aufnehmen, die während des Tragens entsteht, und fühlt sich dennoch angenehm trocken auf der Haut an. Das, wie auch die glatte Oberflächenstruktur, trägt dazu bei, dass Bakterien und Pilze sich gar nicht erst oder nur sehr schlecht bilden und vermehren können, und wirkt somit auch der Geruchsbildung entgegen. Doch es geht noch mehr: Die spezifische mikroelektrische Spannung der Faser, die genau dem Spannungsklima der menschlichen Haut entspricht, verhindert die statische Aufladung von Bekleidungsstücken aus Hanf.
Warum also hat kaum jemand Hanfkleidung in seinem Kleiderschrank?
Obwohl Hanf durch seine vielen positiven Eigenschaften glänzt und er sich zunehmenden Interesses erfreut, besetzt Hanf gegenwärtig nur eine kleine Nische in der Bekleidungsindustrie. Und das hat Gründe:
„Fibres of Freedom"
Durch unser Konsumverhalten können wir technische Entwicklungen vorantreiben, regionale Produktionen fördern und für einen diversifizierten Markt sorgen, der nicht nur von Großkonzernen regiert wird. Baumwolle als Nutzpflanze zu verteufeln, ist hier nicht das Ziel, sondern Bewusstsein zu schaffen für die Auswirkung unserer Entscheidung, in welchen Stoff wir uns hüllen. Für viele Länder ist die Baumwolle ein entscheidender Wirtschaftsfaktor. Vandana Shiva, Wissenschaftlerin und Globalisierungskritikerin, unterstreicht nicht umsonst die Bedeutung der Baumwolle und sie bricht eine Lanze für Bio-Baumwollanbau, denn damit kann – nicht nur in Indien – viel bewirkt werden.
Doch der Hanf bietet noch ganz andere Möglichkeiten: Er kann verlassene Gegenden und zerstörte Böden regenerieren. In zahlreichen Regionen Europas machen sich Verbände, Vereine und Initiativen stark für den Nutzhanf, damit Landwirte und Produzenten von Hanfprodukten regional existenzgesichert sind. Einer davon ist „Allerhand am Alpenrand" – ein Verein, der seit ein paar Jahren durch die Unterstützung von lokalen Initiativen für eine nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsform einsteht. Deshalb entscheiden Sie sich für Fibres of Freedom! |
Mit der Aufhebung des Anbauverbots von Faserhanf Mitte der 1990er Jahre setzte sofort der Anbau von Nutzhanf in Deutschland ein. Ein ausufernder Subventionsanbau, vor allem in Spanien, veranlasste die Brüsseler Behörden dazu, die üppigen Beihilfen zu stoppen. Diese Entwicklung traf die sich im Aufbau befindliche deutsche Hanfverarbeitungsbranche empfindlich. Seitdem hat sich nicht mehr viel getan, was bedeutet, dass immer noch keine effiziente Weiterverarbeitungstechnik in Deutschland existiert, um die Hanffaser zu cottonisieren. Dabei wird die Hanffaser mit Hilfe einer aufwändigen chemisch-physikalischen Verfahrenstechnik verfeinert. Dies bewirkt, dass die Faser den technischen Eigenschaften der Baumwolle so gleicht, dass sie auf den hochproduktiven Baumwollspinnmaschinen weiterverarbeitet werden kann. Bei dem Vergleich der beiden Fasern darf man nicht außer Acht lassen, dass die Hanffaser bis zu dem Punkt der Weiterverarbeitung zwar mit wenig Aufwand und wenig schädlichen Auswirkungen kultiviert werden kann, aber der Einsatz von Chemikalien bei der Cottonisierung ist nicht gering.
Fazit: Es fehlt mehr als ein halbes Jahrhundert an Entwicklung, Forschung und Zucht, um eine Hanfkurzfaser so kostengünstig und regional zu erzeugen, dass sie preislich mit der Baumwolle mithalten kann.
Ein immer wiederkehrender Hype
Die Aufmerksamkeit für Nutzhanf bewegt sich in Wellen. Wir befinden uns gerade inmitten einer Aufwärtsbewegung der Welle und es gibt zunehmend Start-ups, die sich begeistert dem Thema widmen. Viele dieser aufstrebenden kleinen Textilfirmen wenden sich an Institutionen der Textilforschung, denn sie hadern mit der variierenden Qualität der Hanffaser, einer geringen Menge an regionalem Rohstoff und einer unzuverlässigen Infrastruktur.
Ein wirklicher Durchbruch ist nur möglich, wenn der Impuls aus der Industrie beziehungsweise aus der Nachfrage kommt und die Entwicklungen mit entsprechenden finanziellen Mitteln begleitet werden. Es bleibt also abzuwarten, ob die Welle dieses Mal groß genug ist, um den Hanf in der Textilbranche zu etablieren. Zum Glück gibt es ein paar hartgesottene Unternehmen, die den Glauben an diese Nutzpflanze nicht aufgeben und sich konstant am Markt halten. Sie begegnen dem Preisdruck in der Modebranche mit einem bewussten Verzicht auf kostspielige Marketingmaßnahmen und entziehen sich dem saisonalen Druck, indem sie zeitlose Schnitte mit zeitlosen Stoffdesigns kombinieren.
Sarah Ullmann studierte European Studies sowie Globalisation and Development. Danach zog es sie in die Textilbranche. Zuerst arbeitete Sie für einen britischen Corporate Wear Hersteller, anschließend in der Geschäftsführung eines Anbieters für Berufsbekleidung. Als forum-Redakteurin setzt sie sich für eine nachhaltige Textil- und Modewelt ein.
Zum Weiterlesen
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InoCottonGROW – der deutsche Wasserfußabdruck in Pakistan
Pakistan ist weltweit der viertgrößte Baumwollproduzent und ein wichtiger Textilexporteur für den deutschen Markt. Das Forschungsprojekt InoCottonGROW verfolgt das Ziel, in Pakistan zur nachhaltigen Wassernutzung entlang der Baumwoll-Textillieferkette „vom Baumwollfeld zum Bügel" beizutragen. Unter der Leitung des Forschungsinstituts für Wasser- und Abfallwirtschaft?an der RWTH Aachen (FiW) e. V. arbeiten vierzehn deutsche Forschungs- und Industriepartner mit dreizehn pakistanischen Partnern zusammen.
Sie wollen Wege zur Steigerung der Effizienz und Produktivität der Wassernutzung entlang der gesamten Baumwoll-Textil-Wertschöpfungskette in Pakistan aufzuzeigen, die vor Ort technisch, wirtschaftlich und institutionell umsetzbar sind. Das Konzept des Wasserfußabdrucks soll sich zu einem Steuerungsinstrument weiterentwickeln, um pakistanische Entscheidungsträger bei der Bewirtschaftung knapper Wasserressourcen zu unterstützen und deutschen Konsumenten Kriterien für bewusste Kaufentscheidungen an die Hand zu geben.
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Lifestyle | Mode & Kosmetik, 01.09.2018
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/03 2018 - Wasser - Grundlage des Lebens | Bildung erschienen.
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