Berufsleben 4.0
Digitalisierung verändert unsere Arbeit
Die Digitalisierung wird unser Berufsleben massiv verändern. Und das Erschreckende daran ist: Sie beschränkt sich nicht nur auf die vierte industrielle Revolution, bei der Fabrikarbeiter und Hilfskräfte um ihre Jobs bangen müssen, sondern sie betrifft nahezu jeden Berufszweig. Ein Blick in die Zukunft der wichtigsten technologischen Trends bis 2030 zeigt, wen es wieso am härtesten treffen wird.
Es braucht keinen Blick in die Glaskugel, um zu sehen, wie es die Autoindustrie treffen wird: Digital Natives kaufen keine Autos mehr, sie buchen Mobilität. Bereits heute ist Carsharing auf dem Vormarsch. Im Schnitt teilen sich dann bis zu zehn Fahrer ein Auto, was zu einem deutlichen Einbruch bei Neuzulassungen führen wird. Der Klimawandel zwingt uns auch zum Umstieg auf alternative Antriebe. Es ist fraglich, ob den deutschen Autobauern dieser Umstieg gelingt. Vieles deutet darauf hin, dass sich momentan die Fehler der deutschen Unterhaltungselektronik- und Telekommunikationsindustrie wiederholen.
Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt werden dramatisch sein. Über 800.000 Menschen sind hierzulande in der Automotive-Branche beschäftigt, hinzu kommen noch etwa eine Million Arbeitsplätze, die indirekt von der Autoproduktion abhängig sind. Wenn beispielsweise in den Werken in Wolfsburg oder Ingolstadt die Lichter ausgehen wird das auch Fitnessstudios, Shopping Malls, Theater und den gesamten Immobilienmarkt mit in die Tiefe reißen.
Weniger dramatisch werden die Auswirkungen durch vollautonome Fahrzeuge auf die Arbeitsplätze von Taxi-, Bus- und Trambahnfahrern sein. Technologisch könnten wir bis 2030 zwar komplett auf Fahrer verzichten, doch ist nicht zu erwarten, dass der Gesetzgeber schnell genug die nötigen Rahmenbedingungen schafft. Gleiches gilt für Passagierdrohnen, die zudem nicht als Alternative zum Auto taugen, da sie viel zu viel Energie benötigen, um sich in der Luft zu halten.
Simulation der Realität
Wurde einst bei Crashtests das ganze Produktportfolio eines Fahrzeugbauers an die Wand gefahren, müssen heutzutage nur noch einzelne Modelle physisch zerstört werden; Varianten beweisen per Computersimulationen ihre Sicherheit. Immer leistungsfähigere Computer erlauben in Zukunft die Simulation aller möglichen Prozesse. Egal ob dies nun chemische Prozesse, optimierte Fertigungsstraßen oder Eingriffe ins Erbgut sind. Bis Ende des nächsten Jahrzehnts ist davon auszugehen, dass Datenkraken wie Google und Facebook mithilfe hochparalleler Quantencomputer in der Lage sein werden, ganze Volkswirtschaften bis aufs Individuum herunter zu simulieren. Welche Auswirkungen dies haben wird, ist noch unklar. Sicher ist jedoch, dass Simulationen das übernehmen werden, was bisher Heerscharen von Laborkräften und Analysten erledigt haben.
Digitalisierung in Medizin und Gentechnik
In der SciFi-Serie Raumschiff Enterprise half ein nichtinvasives Analysegerät, der Tricorder, dem Bordarzt Pille bei der Diagnose von Erkrankungen. Heutige Systeme wie das DxtER Tricorder Sensor Kit werden die meisten Besuche beim Hausarzt überflüssig machen. Und auch chirurgische Eingriffe werden immer häufiger von OP-Robotern wie dem minimalinvasiven Da Vinci-Operationssystem übernommen. Aus einem Ärztenotstand kann so schnell eine Ärzteschwemme werden. Hinzu kommt, dass mittlerweile gentechnische Methoden wie z.B. das CRISPR-Verfahren Immuntherapien zur Heilung aussichtsloser Krebserkrankungen ermöglichen. Schlechte Zeiten für Pharmakonzerne, für die die dauerhafte Behandlung chronischer Erkrankungen ein zentrales Geschäftsmodell darstellt.
Augmented Reality (AR)
Die Überlagerung von virtuellen Welten mit der Realität via AR-Brille eröffnet ungeahnte Möglichkeiten. Auf diese Weise können Lagerarbeiter über eingeblendete Symbole, gänzlich ohne Sprach- und Textanweisungen, zum gewünschten Artikel geführt werden. Leuchtende Schrauben weisen Monteure drauf hin, wo sie als nächstes den Schraubenschlüssel ansetzen müssen und Notfallsanitäter bekommen vom Teledoktor erklärt, auf welche Weise sie ein Unfallopfer zu versorgen haben. So können Top-Experten angelernte Hilfskräfte an jedem Ort der Welt via AR-Brille anleiten, ohne dabei wie bisher den größten Teil ihrer Zeit mit An- und Abreise zu verschwenden. Wo früher Facharbeiter eine Festanstellung fanden, wird es zu einer „Uberisierung" von Wartungs- und Montagejobs kommen.
3D-Druck
3D-Druck wird sich auch in der nächsten Dekade nicht für Massenproduktion eignen, wenngleich schon Flugzeugteile und individuelle Sportschuhe in Serie gefertigt werden. Wer jedoch heute virtuelle Welten am Computer erzeugt, wird in Zukunft sicherlich auch Möbel und Accessoires selbst im Konfigurator gestalten und daheim oder bei einem Druckdienstleister ausdrucken lassen. Diese Verfahren schaffen eher neue Geschäftsmodelle und Jobs, als dass sie diese vernichten. Anders sieht das mit dem 3D-Druck am Bau aus. Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird es im Jahr 2030 möglich sein, auch Gebäude nach deutschen Baustandards in additiver Drucktechnik direkt aus der CAD-Software heraus auszudrucken. Dann wird auch am Bau mit über 100 Jahre Verzug eine vollautomatische Fertigung Einzug halten. So schön das für den Bauherrn ist, für einen Großteil der Handwerker und Bauarbeiter bedeutet das Arbeitslosigkeit.
Humanoide Roboter
Viele Arbeitskräfte fürchten sich davor, ihren Job an humanoide Roboter wie den saltoschlagenden Atlas oder den putzigen Serviceroboter Pepper zu verlieren. Doch es wird noch sehr lange dauern, bis sie tatsächlich die Bedienung im Café, die Putzfrau oder den Hausmeister ersetzen werden. Wer will schon seine Latte Macchiato von einem Blechhaufen serviert bekommen? Zudem stellen Roboter eine erhebliche Investition dar, die sich nur im Mehrschichtbetrieb rechnet. Bei unangenehmen und schweren Arbeiten werden sie uns jedoch bald schon entlasten können, wie z.B. der niedliche, aber bärenstarke Robear, der Altenpflegern rückenschonend beim Umbetten von Patienten hilft.
Künstliche Intelligenz
Ganz das Gegenteil ist von künstlicher Intelligenz zu erwarten. Im März dieses Jahres hat der Onlinehändler Zalando 250 Marketingmitarbeiter entlassen, sie wurden durch Algorithmen ersetzt. Ähnliches wird Mitarbeitern in der Finanzbranche blühen. Sprach- und Textassistenten können nicht nur wie Siri und Co. Musik, die Heizung oder das Licht ein- und ausschalten, sie werden in Kombination mit Expertensystemen die meisten Assistenz- und Sekretariatsaufgaben übernehmen. Kern des Ganzen ist das sogenannte Deep Learning, das Maschinen in die Lage versetzt, aus Fehlern zu lernen. Über die Cloud vernetzte Computer teilen sich zudem das Wissen und alle Lernerfahrungen ihrer „Kollegen". Ist einer Experte, sind sie alle Experten. Und genau diese Fähigkeiten bedrohen die Jobs vieler Bürokräfte und Sachbearbeiter.
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
In der Automotive-Branche stehen die Stellen von 1,8 Mio. direkt und indirekt Beschäftigten auf dem Spiel. Industrie 4.0 wird Fließband- und Fabrikarbeiter weitgehend überflüssig machen. KI bedroht Jobs in den Bereichen Sekretariat, Assistenz, Steuerberatung, Buchhaltung, Finanzwesen, Marketing und Werbung. Durch 3D-Druck werden viele Arbeitsplätze in der Baubranche verloren gehen. In der Chemie- und Pharmaindustrie werden Simulatoren die Arbeit von Laborassistenten, aber auch von Forschern übernehmen. In Summe sind über 50 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse bedroht. Doch Digitalisierung wird nicht nur Stellen vernichten, sondern es entstehen auch völlig neue Berufe. Dringend benötigt werden Experten in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Robotik, 3D-Druck, Virtual und Augmented Reality, alternative Antriebe und Batterietechnologien, Mobilitätsdienstleister, Big-Data Experten, Digital Influencer, Gentechniker und natürlich Informatiker und IT-Fachleute. Wie viele das wirklich sein werden, lässt sich heute nur schwer sagen. Beispielsweise konnte das Branchensterben von Unterhaltungselektronik und Telekommunikation mittelfristig durch neue Jobs in anderen Bereichen kompensiert werden. Am dramatischsten war der Wandel in der Landwirtschaft. 1950 waren dort 22 Prozent aller Deutschen beschäftigt, 1965 waren es nur noch 10 Prozent. Gleichzeitig ist die Arbeitslosenquote in diesen 15 Jahren von 11 auf 0,7 Prozent gefallen.
Grundeinkommen als Lösung?
Doch was soll mit all den Menschen geschehen, die Opfer der digitalen Revolution werden? Hierüber machen sich auch Wirtschaftsbosse wie Siemens-Chef Joe Kaeser Gedanken. Die nächste gewinnmaximierende Personalabbauwelle kommt bestimmt und da wäre es toll, wenn der Staat mit einem bedingungslosen Grundeinkommen die soziale Verantwortung übernehmen würde. Doch wer soll das alles bezahlen? Aufgrund der sinkenden Beschäftigungsquote ist die Finanzierung über sozialversicherungspflichtige Arbeit zum Scheitern verurteilt. Einzige Lösung ist es, in Zukunft jede Wertschöpfung zur Finanzierung einer möglichen Grundsicherung heranzuziehen.
Wer sind die Gewinner?
Gewinner der digitalen Revolution werden nicht die Informatiker und Ingenieure sein, die sie technologisch erst möglich machen. Wer eine selbstprogrammierende Software entwickelt, darf sich nicht wundern, wenn anschließend keine Programmierer mehr benötigt werden. Gewinner sind die Herren der Plattformen wie Amazon-Gründer Jeff Bezos, der bereits heute mehr Geld mit Cloud Computing verdient als mit Online-Handel. Der New-Economy Milliardär Mark Cuban bringt es auf den Punkt: „Der erste Billionär wird ein Unternehmer der Künstlichen Intelligenz sein."
Andreas Varesi ist Unternehmer, Autor, Trend- und Zukunftsforscher sowie als Hochschuldozent tätig. Er hat sowohl Erfahrung als Konzernstratege als auch als Gründer mehrerer Start-ups. Als Geschäftsführer der Softwareschmiede IntelliMess und Inhaber von Varesi Consulting berät er mittelständische Unternehmen hinsichtlich der Einführung von KI und Deep Learning.
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Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/03 2018 - Wasser - Grundlage des Lebens | Bildung erschienen.
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