BIOFACH 2025

Digitalisierung verantwortlich gestalten

Der Fortschritt und seine Folgen

Diesen Beitrag von Britta Oertel, IZT – Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung finden Sie im B.A.U.M.-Jahrbuch 2017 - Digitalisierung und Nachhaltigkeit.
 
Die Digitalisierung hat nicht nur die Globalisierung einen großen Schritt nach vorne getragen, sie wird auch die Welt, wie wir sie kennen, grundlegend verändern. © Weissblick/FotoliaSpätestens seit Ende der 1980er Jahre ist wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Wandel mit „Digitalisierung" verbunden. In den Blickpunkt rückte dieser Entwicklungspfad durch den Übergang von analogen hin zu digitalen Telekommunikationsnetzen, der Verbreitung und stärkeren Nutzung von
Computern und des digitalen Mobilfunks. Durch enorme Leistungssprünge verlaufen die zugehörigen Entwicklungen immer dynamischer. Der Fortschritt in der „Digitalisierung" wurde häufig durch den Zusatz 2.0 gekennzeichnet und immer schneller folgten 3.0 und 4.0 als Synonyme dafür. Die Politik fordert von Unternehmen aller Größenklassen, die mit der Digitalisierung verbundenen Veränderungsprozesse zügig zu vollziehen und dabei eine führende, innovationskräftige und gestaltende Rolle wahrzunehmen. Nicht nur das einzelne Unternehmen steht dabei im Fokus, sondern ganze Sektoren sollen durch digitale Prozesse und Geschäftsmodelle „intelligent" werden.

Der Fortschritt und seine Folgen
Der Rückblick in die jüngere „Geschichte" zeigt, dass Digitalisierung noch vor 25 Jahren nicht selbstverständlich war. In der damaligen Diskussion wurden die Chancen und Risiken in die Waagschale geworfen. Nachhaltigkeit in wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Hinsicht hatte hier früh einen Stellenwert. Aspekte wie Telearbeit mit der Einsparung von Fahrten zum Arbeitsplatz, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit ländlicher Räume weckten Hoffnungen auf neue Handlungsmöglichkeiten. Nicht alle Erwartungen an den Fortschritt haben sich erfüllt, häufig ist sogar das Gegenteil eingetreten. Trotzdem gilt: Bereits die erste intensive Phase der Digitalisierung war mit dem Nachhaltigkeitsgedanken verknüpft, die zugehörigen Kriterien flossen in Gestaltungs- und Umsetzungsprozesse ein. Der Fortschritt war gewollt, sollte jedoch proaktiv betrachtet sowie ökologisch und sozial verantwortbar gestaltet werden.
 
Digitale Geschäftsmodelle verändern die Welt
Diese Leitgedanken der Nachhaltigkeit sind auch heute noch präsent, die Reflexion über Veränderungsprozesse erfolgt in vielen Vereinigungen bereits partizipativ und im frühzeitigen Dialog mit Stakeholdern. Herausforderungen wie Klimawandel und Globalisierung werden mitgedacht, auf die Rechte zukünftiger Generationen wird Bezug genommen. Allerdings haben sich die zeitlichen Horizonte für Gestaltungs- und Umsetzungsprozesse verändert. Die von der Digitalisierung hervorgerufenen Veränderungen verlaufen nicht mehr kontinuierlich – radikale, disruptive Umbrüche haben gerade in den letzten Jahrzehnten zum Wegbrechen ganzer Märkte geführt. Dies gilt beispielsweise dann, wenn sich Güter in digitale Dienstleistungen wandeln, wie es in der Musik- oder Buchindustrie der Fall war. Oder durch neuartige Geschäftsmodelle wie:
  • „Cloud-Modell": Dienstleistungen beispielsweise zur Speicherung von Daten werden seit circa zehn Jahren vor allem von US-amerikanischen Unternehmen angeboten. Dateien können in die „Cloud" hochgeladen werden und sind dann digital und endgeräteunabhängig zugänglich. Sie können für Dritte freigegeben oder sogar gemeinsam bearbeitet werden. Ist das typischerweise kostenlose Speichervolumen ausgeschöpft, sind kostenpflichtige Zugangspakete nötig. Durch dieses Prinzip werden Verbraucher an die Dienstleistung gewöhnt und bleiben tendenziell auch bei Mehrbedarf und Kostenpflicht dem Anbieter treu. Teils haben die Anbieter des Cloud-Modells in ihren Geschäftsbedingungen spezifiziert, dass die hochgeladenen Daten von ihnen für Big-Data-Auswertungen genutzt und die Ergebnisse verkauft werden können.
  • „Informations-Modell": Verbraucher erhalten durch diese Dienstleistungen Informationen. Sie bezahlen jedoch indirekt, indem Werbung eingeblendet wird. Auch hier sind, wie beim Cloud-Modell, die Verbraucher Teil des Wertschöpfungsprozesses, indem sie durch ihre Recherchen selbst Daten erzeugen.
  • „Direkt-Modell": Früher waren Unternehmen auf Intermediäre angewiesen, um mit Kunden in Kontakt zu treten. Die Kundenkontakte waren auf dieser Zwischenhändler-Ebene verankert. Durch das Internet können die Leistungsanbieter heute „rund um die Uhr" direkt Kunden erreichen und so Vermittlungskosten senken. Intermediäre haben dann eine Bestandschance, wenn sie ihr Portfolio durch das Schaffen von Mehrwert auf Verbraucher und deren Zahlungsbereitschaft hin ausrichten.
  • „Marktmacht-Modell": Dieses Geschäftsmodell hat den stationären und den Online-Handel revolutionär verändert. Die durch ein umfassendes Waren- und Dienstleistungsangebot gegebene Marktmacht weniger Anbieter führt zu deren Vorreiterrolle bei der Ansprache von Kunden. Kleinere Anbieter stehen unter dem Druck, mit ihren Leistungen dort vertreten zu sein und sich den jeweiligen Rahmenbedingungen zu fügen.
  • „Abo-Modell": Hier werden Kunden häufig zuerst durch Einzelkäufe gewonnen, dann jedoch zum Abschluss eines langfristigen Abonnements motiviert.
  • „Peer-Sharing-Modell": Aus dem Car-Sharing-Prinzip ist dieses Geschäftsmodell des „Teilen-statt- Besitzens" am besten bekannt. Grundsätzlich ist es für viele Zwecke einsetzbar und eng mit dem Nachhaltigkeitsgedanken verbunden. Für Marktplatzbetreiber ist dieses Geschäftsmodell durch Provisionen attraktiv.
  • „Verschenken-oder-Weiter-Verkaufen-Modell": Hier werden Kunden untereinander vernetzt, um neuwertige oder gut erhaltene Waren einer weiteren Nutzung zuzuführen. Hier wird der Marktplatz durch Provisionen oder Werbung finanziert.
Die obigen digitalen Geschäftsmodelle sind nicht trennscharf, sondern werden in der Praxis häufig kombiniert. Digitale Prozesse gelten als effektiv und sind für Kunden oftmals bequemer. Verbraucher werden in ihrer Rolle gestärkt, indem sie die Phasen der Recherche und der Kaufentscheidung, aber auch der späteren Nutzung oder sogar Weiterveräußerung aktiv beeinflussen können. Allerdings sind die digitalen Dienstleistungen in den seltensten Fällen umsonst, auch bei vermeintlich kostenlosen Angeboten zahlen die Kunden in der Regel mit ihren Daten.
 
Nachhaltigkeit von Beginn an mitdenken
Die Digitalisierung zieht sich durch alle unsere Lebensbereiche und macht auch vor Gefühlen nicht Halt. Datenbanken helfen bei der Partnersuche und Roboter kümmern sich um Sicherheit und Seelenheil. © Weissblick/FotoliaDigitale Geschäftsmodelle beinhalten grundsätzlich das Potenzial zur Schonung von natürlichen Ressourcen, sofern Güter vollständig ersetzt werden oder Leistungen, beispielsweise bei der Warenlieferung, gebündelt werden. Sie können, wenn vom Anbieter im Entwicklungsprozess gewollt und mitgedacht, sozial verträglich gestaltet werden und einen Beitrag zur Lösung sozialer Herausforderungen leisten. Diese Kriterien sind jedoch keine Selbstverständlichkeit und, so die These, meist nicht Bestandteil der Geschäftsmodellentwicklung.
 
Die Empfehlung lautet folglich: Um Digitalisierung verantwortlich zu gestalten, sollten die ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekte der Nachhaltigkeit aktiv und kreativ von Beginn an mitgedacht werden. Anfängliche Versäumnisse können bei Innovationen, die sich einmal bei Verbrauchern durchgesetzt haben, im Nachhinein kaum korrigiert werden. Dies gilt nicht nur für Geschäftsmodelle zwischen Unternehmen und Privatpersonen, sondern auch für den Business-to-Business-Bereich. Vor diesem Hintergrund möchte dieser Beitrag zur frühzeitigen und proaktiven Auseinandersetzung mit den möglichen mittel- und langfristigen Folgen von Geschäftsmodellen aufrufen.
 
Britta Oertel leitet am Institut für Zukunftsforschung und Technologiebewertung (IZT) das Forschungscluster Technologie und Innovation sowie die Forschungsarbeiten im Rahmen der Konsortialmitgliedschaft des IZT beim Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag. Ende 2014 wurde sie in den Fachausschuss Wissenschaft der Deutschen UNESCO-Kommission berufen.

Quelle: B.A.U.M. e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften

Technik | Green IT, 01.01.2017

     
        
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