EBS Executive School: Top-Weiterbildung in Sustainable Finance & Sustainable Business

Sozialstaat neu denken

Grundeinkommen als Lösung?

Diesen Beitrag von Prof. Dr. Thomas Straubhaar, Universität Hamburg finden Sie im B.A.U.M.-Jahrbuch 2017 - Digitalisierung und Nachhaltigkeit.
 
Zukünftig werden Roboter anstrengende oder gefährliche Arbeiten übernehmen. Daher sollte dann nicht mehr die Arbeit, sondern der Ressourcenverbrauch besteuert werden. © Cadmy/FotoliaZukünftig werden Roboter anstrengende oder gefährliche Arbeiten übernehmen. Daher sollte dann nicht mehr die Arbeit, sondern der Ressourcenverbrauch besteuert werden. © Cadmy/Fotolia
Die Schweizer sind nüchtern geblieben. Freibier für alle wollten sie dann doch nicht. Drei von vier Eidgenossen haben die Einführung eines Grundeinkommens für alle in einer Volksabstimmung Anfang Juni 2016 abgelehnt. Doch selbst nach dem Nein der Schweizer ist eine Neuausrichtung der Sozialsysteme unverzichtbar – gerade auch in Deutschland. Denn eines ist sicher: Digitalisierung und Individualisierung werden Megatrends bleiben. Sie zwingen zu fundamentalen Anpassungen, schaffen aber auch eine Menge neuer Chancen für den Sozialstaat des 21. Jahrhunderts.
 
Den Sozialstaat der Moderne anpassen
Die Fundamente des heutigen Sozialstaates wurden in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts gelegt. Es war eine Zeit des Wachstums von Wirtschaft, Beschäftigung und Bevölkerung. Die Rollen zwischen Mann und Frau waren klar verteilt: Er geht als Alleinverdiener einem Beruf nach. Sie bleibt als Kinder erziehende Hausfrau am Herd.
 
Die Gegenwart ist anders und zwar fundamental und unumkehrbar. Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum sind schwächer geworden, die demografische Alterung hat zur Folge, dass immer weniger Jüngere immer mehr Ältere unterstützen müssen. Digitalisierung und Individualisierung verändern den Alltag, das Zusammenleben und die Arbeitswelt rasend schnell und in jeder Beziehung. Da ist es unabdingbar, auch die Staatsaufgaben der Moderne anzupassen. Das gilt ganz besonders für den Sozialstaat. Ein Umbau genügt da nicht. Es bedarf eines Neubaus. Alles andere wird bestehende Probleme nicht lösen, sondern verschärfen und zusätzlich weitere schaffen.
 
Digitalisierung verändert die Arbeitswelt
Die Digitalisierung wird dazu führen, dass Automaten und Roboter den Menschen aus der Produktion verdrängen. Nicht nur standardisierte einfache Arbeiten am Fließband, an Supermarktkassen oder im Büro werden verschwinden. Auch bei qualifizierteren Tätigkeiten wie Lokomotivführer, Versicherungsmakler oder Buchhalter werden Menschen zunehmend überflüssig. Das ist vor allem dort ein Segen, wo bis dato Menschen gefährliche, schmutzige oder risikoreiche Jobs im Hoch- und Tiefbau, auf Dächern und in Tunnels, in Schlachtereien und Labors oder bei Kontroll- und Wachdiensten ausüben mussten. Hier schleppen Bauroboter in Zukunft Ziegel und montieren Fenster, Industrieroboter werden neue Materialien, Bau-, Wirk- und Werkstoffe anwenden, intelligente Automaten und selbstgesteuerte Kameras reagieren und kontrollieren automatisch und dreidimensional, einsatzfähige Polizeiroboter werden für die innere Sicherheit sorgen.
 
Die Digitalisierung macht offensichtlich, was immer schon gültig war: dass es zynisch, unmenschlich und auch wirtschaftlich unsinnig ist, Menschen wissentlich und willentlich zu versehren. Der Mensch ist ökonomisch zu wertvoll, um ihn gefährliche, riskante und gesundheitsschädigende Arbeiten machen zu lassen und ihn dann Jahrzehnte bis zum Lebensende krank durch den Sozialstaat versorgen zu lassen. Das bedeutet eine Privatisierung der Arbeitserträge und eine Sozialisierung der Folgekosten. Das kann ökonomisch nicht effizient sein.
 
Richtig ist, dass die Chancen der Digitalisierung – menschliche Arbeit durch Roboter und Maschinen zu ersetzen – das Ende eines Sozialstaates bedeuten, dessen Finanzierungsgrundlage das Arbeitseinkommen darstellt. Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert wurde „(Lohn-)Arbeit zum entscheidenden Faktor der Wertschöpfung, zum wichtigsten Kriterium für das Selbstwertgefühl des Menschen und zur vorrangigen Quelle für die Einnahmen des Staates" – so Konrad Paul Liessmann, Professor für Philosophie und Ethik an der Universität Wien. Wenig bis nichts mehr davon behält im Zeitalter der Digitalisierung seine Gültigkeit.
 
Zwar wird uns die Arbeit nicht ausgehen. Im Gegenteil: Die Digitalisierung wird Millionen von Jobs vernichten, sie wird jedoch auch Millionen von neuen Arbeitsplätzen schaffen – viele davon in Bereichen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Aber sicher ist, dass Arbeit mehr und mehr ein radikal anderes Gesicht, eine andere Bedeutung und auch einen neuen Stellenwert erhalten wird – gesellschaftlich und auch wirtschaftlich. Dem muss der Sozialstaat des 21. Jahrhunderts Rechnung tragen.
 
Der Sozialstaat der Zukunft ist „blind"
Ein bedingungsloses Grundeinkommen ermöglicht interessante Steuer- Transfer-Modelle und kann gerade in der Kombination mit der Digitalisierung enorme Vorteile für Staat und Gesellschaft bewirken. © thingamajiggs/FotoliaEin bedingungsloses Grundeinkommen ermöglicht interessante Steuer- Transfer-Modelle und kann gerade in der Kombination mit der Digitalisierung enorme Vorteile für Staat und Gesellschaft bewirken. © thingamajiggs/Fotolia
Die Zukunft erfordert einen „blinden" Sozialstaat. Er muss alle Einkommen – also Löhne, Zinsen, ausgeschüttete Gewinne, Dividenden, Tantiemen, Mieteinnahmen, Transaktions- und Spekulationsgewinne – gleichermaßen und mit dem gleichen Steuersatz in die Pflicht nehmen und nicht die eine gegenüber der anderen Einkommensform bevorzugen oder benachteiligen. Es gibt viele gute und wenige schlechte Gründe dafür – unbesehen, ob Menschen, Roboter oder Maschinen am Werk waren –, jede Wertschöpfung an der Quelle ihrer Entstehung vom ersten bis zum letzten Euro mit einem einheitlichen Steuersatz zur Finanzierung staatlicher Aufgaben zu belasten.
 
Ein soziales Sicherungssystem, das einseitig auf Beiträgen aus Lohneinkommen basiert, ist ein Anachronismus aus der Zeit der Industrialisierung – der Zeit der ungebrochenen, lebenslangen Erwerbsbiografien, als das Arbeitseinkommen des Mannes die wichtigste Quelle eines Familieneinkommens darstellte. Die Individualisierung hat das traditionelle Rollenverständnis und die Solidargemeinschaft der Familie in Frage gestellt und die Arbeitswelt von heute verursacht Brüche, die Auszeiten zur Neuorientierung erforderlich machen. Beiden Veränderungen muss ein modernes Sozialsystem gerecht werden. Dieser Forderung kommt ein Grundeinkommen genauso nach wie eine Verlagerung der Finanzierung der sozialen Sicherung von Lohnbeiträgen auf eine an der Wertschöpfung orientierte Steuer.
 
Kein Wunder, dass die alte Idee eines Grundeinkommens weltweit neue Unterstützung erhält. Kein anderes Modell trägt als integriertes Steuer-Transfer-Modell aus einem Guss sowohl den Folgen der Digitalisierung wie den Wirkungen der Individualisierung besser Rechnung.
 
Ein Grundeinkommen löst viele, aber nicht alle Probleme. Es beinhaltet manche Unbekannte und verursacht andere Kosten. Noch gefährlicher aber ist das verkrampfte Festhalten an einem veralteten System, das weder den Versprechungen von heute und noch weniger den Herausforderungen von morgen gerecht werden wird. Ein Systemwechsel mag kurzfristig teuer sein. Ein Verzicht auf ein Grundeinkommen jedoch dürfte langfristig teurer werden.
 
Prof. Dr. Thomas Straubhaar ist seit 1999 Professor der Universität Hamburg für Volkswirtschaftslehre, insbesondere internationale Wirtschaftsbeziehungen. Gleichzeitig ist er Direktor des Europa-Kollegs Hamburg. Seit September 2013 ist er non-resident Fellow der Transatlantic Academy in Washington DC. Im Februar 2017 erscheint sein Buch „Radikal gerecht: Wie das Bedingungslose Grundeinkommen den Sozialstaat revolutioniert", Hamburg, edition Körber-Stiftung.

Quelle: BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften

Gesellschaft | Politik, 01.01.2017

     
        
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