Das dramatische Ende der Vielfalt
Standards und Gütesiegel zum Schutz der Artenvielfalt auf dem Acker
Ohne Biodiversität auf dem Feld gibt es keine Vielfalt auf dem Teller. Jetzt sollen Standards und Gütesiegel dazu beitragen, die Artenvielfalt auf dem Acker zu schützen.
Spätestens seit internationale Wissenschaftler Ende 2017 eine umfassende Studie in der Fachzeitschrift PLOS One veröffentlichten, ist das „dramatische Insektensterben" weit oben auf der medialen und gesellschaftlichen Agenda angekommen. In den letzten 30 Jahren ist die Biomasse fliegender Insekten in Deutschland um durchschnittlich 76 Prozent zurückgegangen, schreiben die Forscher und liefern auch erste Beweise für ein globales Insektensterben. Sie benennen die Intensivierung der Landwirtschaft als plausible Ursache. Pestizide, Insektizide, Überdüngung, Monokulturen, Klimawandel. Die Liste der Gefahren für Bienen, Käfer und Co. ist lang. Keine Biodiversität auf dem Feld bedeutet jedoch auch weniger Vielfalt auf dem Teller der Verbraucher. Bis zu 75 Prozent unserer Nahrungsmittel weltweit sind auf die Bestäubungsleistung durch Bienen und andere Insekten, Vögel oder Fledermäuse zurückzuführen. Wenn diese auf den Feldern keinen Lebensraum mehr finden, sehen unsere Supermarktregale bald leer aus.
Standards für die Lebensmittelbranche
Die Landwirtschaft gefährdet mit ihrer derzeitigen Praxis ihre eigene wirtschaftliche Grundlage und die
gesamte Lebensmittelbranche, bestehend aus Lieferanten, Hersteller und Handel verschärft die Situation durch einen mörderischen Preiskampf. „Einige Lebensmittelhersteller haben nun begonnen, Maßnahmen zum Schutz der Artenvielfalt umzusetzen und Konsumenten zu sensibilisieren", sagt Stefan Hörmann, Leiter „Unternehmen und Biologische Vielfalt" beim Global Nature Fund (GNF).
Landwirte legen Hecken, Baumgruppen, Teiche oder Blühstreifen an, die als Lebensraum für Insekten dienen. „Wir begrüßen das steigende Engagement, eine echte Veränderung ist jedoch nur zu erreichen, wenn sich flächendeckend etwas tut", so Hörmann weiter. Er sieht die Arbeit auf der Siegel- und Standard-Ebene als wichtigen Hebel, um den Schutz der Artenvielfalt in der Lebensmittelwirtschaft zu verankern.
NGOs und Unternehmen arbeiten Hand in Hand Der Global Nature Fund (GNF) ist eine internationale Stiftung für Umwelt und Natur, die staatlich unabhängig ist und ausschließlich gemeinnützige Zwecke verfolgt. Gegründet wurde sie im Frühjahr 1998 mit dem Zweck der Förderung des Natur- und Umweltschutzes. Ein wichtiges Ziel ist es, den Schutz der Biologischen Vielfalt stärker in der Wirtschaft zu verankern. Für die Lebensmittelindustrie hat der GNF wichtige Hintergrundinformationen und Empfehlungen für den Biodiversitätsschutz zusammengestellt. Zu den Kooperationspartnern zählen Hersteller und Händler wie Nestlé und Kaufland. Förderer sind das LIFE Programm der EU und die Deutsche Bundesstiftung Umwelt. |
Neben gesetzlichen Vorgaben greift die Lebensmittelbranche nämlich auf zahlreiche Standards und Labels zurück, um eine bestimmte Qualität eines Produkts beziehungsweise einer Produktionsweise zu garantieren. Alleine für den deutschen Markt gibt es mehr als 100 Siegel, die Vorgaben für die Produktion der Lebensmittel vorschreiben, ob in Bezug auf Qualität oder Sicherheit. Doch was empfehlen Standards zum Schutz der Artenvielfalt?
Biodiversität stärker verankern
Eine umfangreiche Analyse von über 50 europäischen Standards und Beschaffungsrichtlinien durch den GNF und die Bodensee-Stiftung hat ergeben, dass Kriterien zum Schutz der Biodiversität in Standards und Gütesiegeln lückenhaft oder stark verbesserungsbedürftig sind. Würden die Biodiversitäts-Anforderungen der wichtigsten europäischen Standards der Lebensmittelbranche verbessert, hätte das direkte Auswirkungen auf die zertifizierten landwirtschaftlichen Betriebe. Im EU LIFE Projekt „Biodiversität in Standards für die Lebensmittelbranche" haben der GNF, die Bodensee-Stiftung und Partner in Spanien, Portugal und Frankreich deshalb gemeinsam mit Standardorganisationen und Unternehmen Empfehlungen für verbesserte Kriterien zum Schutz der Biologischen Vielfalt in landwirtschaftlichen Betrieben erarbeitet. Bei den Empfehlungen geht es nicht nur um den Schutz fliegender Insekten. Die Adressaten können aus über 50 Empfehlungen der Organisationen auswählen. So können Landwirte etwa durch die richtige Bodenbearbeitung und angemessene Düngung Mikroorganismen im Boden unterstützen, die maßgebend zur Ernte beitragen. Traditionelle Kultursorten und Viehrassen sind in der Lage, den Ertrag trotz Klimawandel stabil zu halten. Auch die Wasserführung und Bewirtschaftung nimmt wieder mehr Bedeutung ein und kann durch eine entsprechende Landschaftsgestaltung und Kompostwirtschaft verbessert werden.
„Die Maßnahmen kommen der Artenvielfalt nur dann zugute, wenn sie richtig umgesetzt werden", sagt Marion Hammerl, Präsidentin der Bodensee-Stiftung, „deshalb bieten wir ab 2018 Trainingsmodule für Berater und Zertifizierter sowie Produkt- und Qualitätsmanager von Unternehmen an." Bislang ist Biodiversität kein Thema bei Schulungen und in Leitfäden. Das soll sich ändern. Außerdem soll ein übergreifendes Monitoring in Zukunft Audit-Daten analysieren und zeigen, ob und wie sich die Artenvielfalt wieder erholt. Eine Branchen-Initiative für mehr Schutz der Biodiversität im Lebensmittelsektor will die Aktivitäten der Branche bündeln.
Den Schutz der Biodiversität weltweit voranbringen
Zahlreiche Standardorganisationen beteiligen sich bereits an dem europaweiten Projekt, darunter auch UTZ/Rainforest Alliance und GlobalGAP. Mit Fairtrade arbeitet der Global Nature Fund an einem Leitfaden für Berater und Zertifizierer zur Verbesserung des Schutzes der Biodiversität auf Fairtrade-zertifizierten Betrieben in Westafrika. Zudem sind auch mit diesem Partner Schulungen zu allen Biodiversitätsaspekten geplant.
„Natürlich hoffen wir, dass sich noch mehr Organisationen, die Nachhaltigkeits-, Qualitäts- oder Bio-Standards festgelegt haben, für mehr und effektiveren Schutz der Biodiversität engagieren. Auch die Verbände der Lebensmittelbranche – ebenso wie die Unternehmen – müssen in ihren Beschaffungsvorgaben angemessene Sozial- und Umweltstandards einfordern und überprüfen sowie die Wirkungen regelmäßig evaluieren. Nur wenn die Branche einen signifikanten und messbaren Beitrag leistet, kann sie helfen, den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen. Nicht nur in Europa, sondern weltweit", so Hörmann.
von Fritz Lietsch
Umwelt | Biodiversität, 30.01.2019
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