Geld und Achtsamkeit – zwei Dinge, die nicht zusammenzupassen scheinen. Das „Mindful Finance Institute" sieht das anders und hält zur Erläuterung – man höre und staune – einen Workshop im Kölner Zoo ab.
Die Beschreibung der allgemeinen Lage in der Finanzwirtschaft startet am Bärengehege: „Vieles ist schiefgelaufen im Banking. Nachhaltigkeit und Verantwortlichkeit gehörten lange Zeit nicht gerade zum Führungscredo der Bankmanager." Friedhelm Boschert beginnt mit diesen Worten seinen ungewöhnlichen „Mindful Finance Walk" nicht ohne Zufall hier. Bulle und Bär, die weltweit benutzten Symbole der Börsen, lassen grüßen. Sie sind Symbole einer Branche, die mit ihrem Gebaren die Welt an den Rand des Abgrundes zu manövrieren droht. Doch Friedhelm Boschert, Gründer des „Mindful Finance Institute", hält ein Zauberwort dagegen: Achtsamkeit. Diese ist aus seiner Sicht einer der wirksamste Transformationsansätze – im Finanzbereich und generell in der Wirtschaft.
Die Bären und Bullen in den Griff bekommen
Die Beschreibung eines Workshops, der im Rahmen der „8th Conference on Sustainability and Responsibility" der Cologne Business School in Köln stattfand, klang bereits vielversprechend. Die Ankündigung, dass er auch noch im Zoo durchgeführt wird, machte mich besonders neugierig. Also Jacke angezogen und hinaus in den benachbarten Zoo.
Ein kleiner Schwarzbär im Hintergrund klettert langsam in das Baumgeäst hinauf, während Boschert erklärt, dass sich die EU-Kommission schon vor dem Ausbruch der Finanzkrise die Frage gestellt habe, wie man das Verhalten von Finanzmanagern im Hinblick auf Corporate Social Responsibility verändern könne. Eine großangelegte Untersuchung, die man daraufhin in Auftrag gab, brachte ein erstaunliches Ergebnis: Vermittlungsformen, die auf Einsicht, und Introspektion beruhen, haben einen weit stärkeren Impact auf Denken und Verhalten der Manager, als wenn man ihnen Ethik und Werte auf abstrakt-kognitive Art vermittelt. Der Schlüssel zu mehr Verantwortung und zur Einsicht der Veränderungsnotwendigkeit sei die Achtsamkeit, so Boschert, der früher Bankier war und heute als Meditationstrainer arbeitet.
Bulle und Bär sind die starken Symbole für das Auf und Ab der Börse
„Mit Achtsamkeit lernen Sie, Ihre Aufmerksamkeit zu lenken, schaffen es damit aus alten Denkmustern und gewohnten Emotionen herauszutreten. Erst so sind Sie in der Lage, tief zu reflektieren, Werte zu erkennen und Veränderungen anzugehen." Genau darauf baue sein Mindful-Finance-Ansatz.
Ob denn der Finanzbereich für solche Veränderungen überhaupt offen und bereit sei, fragt eine Teilnehmerin kritisch. Boschert sagt, er sehe bei den Banken einen hohen Leidensdruck, hervorgerufen durch schlechtes Image, Ängste, hohe Mitarbeiterunzufriedenheit und Perspektivlosigkeit. Dieser Leidensdruck sei groß genug, dass sich auch die Banken an neue Lösungsansätze heranwagen.
Mitgefühl als Schlüssel
Nächste Station: das Affengehege. Dutzende von Pavianen sitzen ruhig auf sonnigen Felsen. Plötzlich jedoch gerät die ganze Affenbande in Aufregung, schreit wild durcheinander und rennt im Rudel um die Felsen herum. Futterzeit. Eine Steilvorlage für Boschert, der nun auf den „monkey-mind" eingeht und die Teilnehmer zu einer Achtsamkeitsübung einlädt. „Wenn in Ihrem Kopf die Gedanken wie die Affenbande hinter uns durch den Dschungel toben", erläutert er lachend, „dann kriegen Sie die einfach nicht gestoppt." Die Lösung? „Es bleibt Ihnen nichts anderes übrig – und das wussten schon die Taoisten vor 2.400 Jahren –, als zu beobachten und zuzusehen." Man nehme also die „Dritte-Person-Perspektive" ein und lasse die Gedanken erst einmal weiterlaufen, bis man seine Aufmerksamkeit wieder woanders hinwendet. Und genau das üben wir sogleich. Angeleitet durch Boscherts ruhige Stimme wenden wir uns erst einmal dem Atem zu, spüren dessen regelmäßigen Fluss und bringen unsere Aufmerksamkeit immer wieder dorthin zurück. Und in der Tat: Trotz der aufgeregten Affenhorde hinter uns und den noch viel wilderen Gedanken in uns schaffen wir es irgendwann, eine kleine Oase der Stille in uns zu erzeugen.
Von der Achtsamkeit zur Verantwortung
Auf dem weiteren Weg durch den Zoo lassen wir Heuschrecken, Geier und Haie hinter uns und machen Halt bei den Elefanten, Symbol für Weisheit und Stärke. „Was machen wir denn nun mit all dem? Wo liegen die konkreten Ansatzpunkte, damit angewandte Achtsamkeit zu einer transformativen Kraft im Finanzbereich, aber auch in unserem Umgang mit Geld werden kann?" Boschert bringt die wesentliche Fragestellung damit selbst auf den Punkt. Seine Antwort darauf: Auf mehreren Ebenen müsse man ansetzen. Das beginne zuerst einmal mit der persönlichen Ebene. Für viele Menschen seien Geld- und Finanzsachen im Grunde hoch-emotionale, oft stress- oder gierbehaftete Angelegenheiten. Statt diese jedoch nur negativ wertend wahrzunehmen und zu verdrängen, sei es besser, sie als wertvolle Informationsquelle dafür zu nutzen, was wir denn wirklich vom Geld halten und mit unserem Geld wollen. Dadurch komme man meist zu ganz neuen Erkenntnissen über sich selbst – und könne dann mit Geld bewusster, stressfreier und vor allem verantwortlicher umgehen. Als Beispiel für die finanz-professionelle Ebene nennt Boschert die internationale Vereinigung der Finanz-Analysten CFA. Diese hat in den USA bereits heute in ihrem Ausbildungsprogramm das Thema Achtsamkeit integriert und dafür den „Meditation Guide for Investment Professionals" geschaffen. „Und glauben Sie nicht, die machen das als Wellness-Angebot", so Boschert, „nein, die wollen damit die Qualität der Finanzentscheidungen verbessern." Nach seiner Ansicht empfiehlt sich der Meditation Guide auch für Privatpersonen, die mit ihren Geldanlagen und Finanzentscheidungen verantwortlicher umgehen wollen.
Achtsamkeit in Wirtschaft und Finanzen
Die Wirkungen von Achtsamkeit wurden bislang in mehr als 4.000 wissenschaftlichen Studien untersucht. Hier findet sich unter anderem der wissenschaftliche Nachweis, dass sich Achtsamkeitspraktiken auf Hirnregionen auswirken, die mit Wahrnehmung, Körperbewusstsein, Schmerztoleranz, Emotionsregulation, Introspektion, komplexen Denkprozessen und Selbstgefühl zusammenhängen. Dies bestätigt auch eine Auswertung von über 20 Studien, die von einem Team von Wissenschaftlern der University of British Columbia und der Technischen Universität Chemnitz im Februar 2015 im Harvard Business Manager veröffentlicht wurde.
Große Unternehmen wie BOSCH, AUDI, SAP, Thyssen u.a. haben inzwischen das Training von Achtsamkeit nicht nur in die Gesundheitsprogramme, sondern auch in die Personal- und Führungsentwicklung integriert. Nach einer Schulung von über 5.000 Mitarbeitern berichtete ein Unternehmen im Januar 2018: „Für SAP bringen achtsame Mitarbeiter konkrete Vorteile: Teamfähigkeit und Mitarbeiterzufriedenheit steigen, die Fehlzeiten sind zurückgegangen."
Die meisten Achtsamkeitsprogramme in Unternehmen basieren auf dem MBSR-Ansatz des Harvard-Molekular-Biologen Jon Kabat-Zinn. International führend in der arbeitsplatzbezogenen Achtsamkeitsforschung ist unter anderem das Oxford Mindfulness Center mit Prof. Mark Williams. In Deutschland forschen u.a. die Neurowissenschaftler Tanja Singer, Niko Kohls und Ulrich Ott an Meditation und deren Wirkungen auf Gehirn und Verhalten.
Einer der führenden europäischen Anbieter in unternehmensbezogenen Achtsamkeitsprogrammen ist die Kalapa Leadership Academy Köln/London, die die Wirkungen ihrer Programme in Unternehmen auch wissenschaftlich untersucht (u.a. in „Frontiers in Psychology", Februar 2018).
Beachtung findet inzwischen die Verbindung von Achtsamkeit und Entscheidungsfindung von Managern, vor allem in Hinblick auf CSR und verantwortliches Verhalten. Eine von der Europäischen Union in Auftrag gegebene Studie fand schon vor zehn Jahren, dass Meditation einen wesentlichen Einfluss auf ethisches Verhalten hat (siehe hierzu die sog. RESPONSE-Studie unter Führung der renommierten INSEAD Business School: „Auf Introspektion beruhende Lernmethoden veränderten das verantwortliche Verhalten gravierender als herkömmliche Lernmethoden, vor allem die Reflektion von Werten"). Die Neurowissenschaften beschäftigen sich auch mit der Verbindung von Geld und Gehirn. Siehe hierzu Studien, unter anderen des Zukunftsinstituts Frankfurt und Wien.
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Druck, Stress, Unsicherheit und die große Transformation
Trainingsprogramme in Achtsamkeit bringen laut Boschert in den meisten Fällen eine höhere Konzentrationsfähigkeit und einen deutlich verbesserten Umgang mit Stress und Teamarbeit. In den so genannten Hochzuverlässigkeitsorganisationen (High Reliability Organisations) – dazu gehören neben Luftfahrt- und Bahngesellschaften auch Kraftwerke und Chemieunternehmen, Branchen also, in denen nichts schiefgehen darf – ist Achtsamkeit schon länger ein Thema. „Schon vor mehr als zwanzig Jahren zeigte die Wissenschaft, dass Unternehmen, die eine achtsame Risikokultur pflegen, Risiken besser in den Griff bekommen. Besser als mit überbordenden Handbüchern, Regularien und Verordnungen. Das gilt heute aufgrund der Komplexität zunehmend für jedes Unternehmen, aber insbesondere für Banken", fasst Boschert die Ergebnisse der Achtsamkeitsforschung zusammen.
„Sie sehen also, Mindful Finance könnte zu einem echten Paradigmenwechsel in der Finanzindustrie beitragen." Und mit einem Blick auf die Elefanten, die gemächlich zwischen den Felsen dahinziehen, sagt Boschert zum Abschluss dieses ungewöhnlichen Workshops: „Mehr Weisheit und Gewahrsein bei Finanzentscheidungen wird uns alle sehr viel gelassener machen."
Nachdenklich schlendere ich zurück zur CSR-Konferenz und beschließe, dies in meine Podiumsdiskussion mit John Elkington einfließen zu lassen. Meine Fragen lauten: Reicht Achtsamkeit, um die systemimmanenten Probleme zum Beispiel der leistungslosen Geldvermehrung oder der Giralgeldschöpfung der Banken im Speziellen oder des Kapitalismus im Allgemeinen zu lösen? Ein bisschen mehr Achtsamkeit einiger Akteure wird dieses System als solches wohl nicht gleich verändern. Aber es ist mit Sicherheit ein wichtiger Anfang für eine Transformation.
von Fritz Lietsch
Friedhelm Boschert hat für genossenschaftliche Banken gearbeitet, zuletzt als Vorstandsvorsitzender eines Banken-Netzwerks in Osteuropa. Als ausgebildeter Lehrer in Achtsamkeit und Meditation gründete er gemeinsam mit Kollegen aus Deutschland und Amerika in Oxford das „Mindful Finance Institute". Heute versucht er, diese beiden unterschiedlichen Welten zu verbinden.