Die Protestkultur verändert sich
Der Ansatz des „heiligen Widerstands“ erobert die Welt - Aktivisten treffen sich im Allgäu
Die Zeiten der tiefen Gräben zwischen politischen Aktivisten und spirituellen Menschen scheinen vorbei zu sein. Überall in der Welt tauchen neue Formen des Protests auf, die sich „sacred activism" nennen. Sie orientieren sich nicht an einer bestimmten politischen Ideologie, sondern sehen sich als „heiliger Widerstand" im Dienst des Lebens selbst, das gefährdet ist und unter allen Umständen bewahrt werden muss. Politisch-ökologischer Widerstand bekommt damit eine spirituelle Komponente, die auch die Form des Protestes verändert.

Das scheint dringend erforderlich, denn die Auseinandersetzung zwischen der Protestbewegung und der Politik nimmt an Schärfe zu. Klima-Aktivisten am Hambacher Forst sind enttäuscht über die auf Jahre verzögerten Ausstiegspläne aus der Braunkohle-Gewinnung im Tagebau. Aus der Frustration und Enttäuschung wird schnell Radikalität, die in Gewalt umschlagen kann. Zudem gehen überall Jugendliche in der Schulstreik-Bewegung zu Tausenden auf die Straße, weil sie um ihre Zukunft fürchten und sich von der Politik nicht wirklich vertreten fühlen.
Die Wiederentdeckung eines „heiligen Widerstands" ging von indianischen Aktivisten im US-Bundesstaat North Dakota aus. Sie protestierten gegen den Bau der Dakota Access Pipeline, einer unterirdischen Öl-Leitung auf Land, das den Lakota als heilig galt. Der Widerstand, an dem sich bald 200 nordamerikanische indigene Nationen beteiligten, wendete sich politisch zwar gegen die Ölindustrie und die Verschmutzung des Wassers, stand aber unter dem ganz unpolitischen Slogan „Defend the Sacred", um das Wasser als »heilig« zu verteidigen. Der indianische Widerstand wurde mit dem Amtsantritt von Donald Trump und der Räumung des Camps formal zwar beendet. Die Idee aber, politischen Aktivismus mit tiefsten ethischen und spirituellen Werten zu begründen, verbreitete sich von Standing Rock um den ganzen Globus.
Eine soziale Mystik
Es ist der Versuch, der Dynamik der globalen Zerstörung eine Kraft entgegenzusetzen, die größer ist als Politik, persönliche Überzeugung und nackte Rationalität: die Liebe zum Leben, die Verbundenheit mit der Mehr-als-menschlichen-Welt, das Wunder der Schöpfung, die Freude, kreativ eine zukunftsfähige Welt zu bauen, dem Größeren zu dienen.
Grundlage scheint eine andere Definition des Wortes heilig. Da geht es nicht um Religion. Eher schon um die Erinnerung an die innersten ethischen Werte der großen Religionen, denen ja eigentlich Ausbeutung, Naturzerstörung, Rassismus, Ungerechtigkeit und Menschenrechtsverletzungen zuwiderlaufen. Und die Orientierung an historischen Vorbildern wie Dietrich Bonhoeffer, Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Desmond Tutu, deren soziales und politisches Handeln im »Heiligen« wurzelte. Statt theologischen Winkelzügen rücken Verbundenheit und Zugehörigkeit in den Mittelpunkt: der Wunsch zu schützen, zu pflegen und zu hegen, was Menschen lieben. Es nicht wütend und voller Hass zu verteidigen, sondern in Liebe vorbildlich zu gestalten. Man könnte von einer sozialen Mystik sprechen, die in der Aktion entsteht.
Wenn es gelingt, diese tiefere Quelle anzuzapfen, dann entstehen oft ganz neue politischen Strategien. Dazu kann der Aufbau von alternativen Gemeinschaften gehören, die Entwicklung ökologischer Landwirtschaft, die Erfindung komplementärer regionaler Währungen, die Renaturierung von zerstörten Landschaften.
Aktionen ändern sich
Mittel, Formen, Strategien verändern sich, wenn sich die Quelle des Handelns verschiebt: Aus Sit-Ins können spontane Meditationen werden, Demonstrationen können zu Pilgerwegen zu Orten der Zerstörung werden, wie sie auch kirchliche Umweltgruppen praktizieren. Statt angemeldeter Kundgebungen können Flashmobs eingesetzt werden. Engagierte agieren in Tierkostümen, um sich mit der Mehr-als-menschlichen-Welt zu identifizieren und der Natur symbolisch ihre Stimme zu geben. Demonstranten skandieren Parolen nicht nur, sie verkörpern sie in riesigen Aufstellungen als symbolisches Kunstwerk.
Aber auch angesichts von Konfrontationen mit der Staatsmacht entdecken die Aktivisten der Gegenwart den Wert von Spiritualität und Achtsamkeit: In autonomen Zentren und Protestcamps wird mittlerweile immer öfter meditiert, in der Szene gründen sich Initiativen wie die Dharma- und Yoga-Punks, Protestler sitzen in Zen-Sesshins oder üben sich in Gewaltfreier Kommunikation. Die Erkenntnis macht sich breit, dass Achtsamkeits-Training dazu dient, in schwierigen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren, Gefühle wie Wut und Angst kontrollieren zu können, und den Frieden, für den man kämpft, erst einmal in sich zu finden.
Die Zeiten, in denen aktive „Change Maker" naserümpfend auf die „Spiris" herunterblickten und die innerlich Suchenden den Aktivisten mangelnde Tiefe und Visionskraft vorwarfen, scheinen vorbei. Man nähert sich an! Und immer öfter werden die tiefsten inneren Werthaltungen benannt und mutig vertreten. Damit wird die Politik weicher und die Spiritualität bekommt politische Konturen. Und mit dem neuen Ansatz des „Heiligem Widerstands" schwingt eine neue Tiefe und Visionskraft durch die globale Zivilgesellschaft.
In der ökologischen Gemeinschaft Sulzbrunn, südlich von Kempten im Allgäu, werden sich vom 13. bis 19. Mai dieses Jahres Aktivist(innen) und Interessierte aus aller Welt in diesem Sinne für eine Woche treffen, um als »Rebellen des Friedens« die ethisch-spirituellen Wurzeln zivilgesellschaftlichen Handeln zu vertiefen, Wissen über Protestkultur weiterzugeben und neue kreative und ans Herz gehenden Aktionsformen zu entwickeln. Pioniere der Öko- und Wildnisphilosophie wie Joanna Macy oder Andreas Weber werden ebenso vertreten sein wie indigene Aktivisten wie Ladonna „Brave Bull" Allard aus der Standing Rock Reservation oder Tom Porter vom Friedensbund der Irokesen-Konföderation. Ökonomen wie Christian Felber werden ebenso dort sein, wie der Pionier einer neuen Geldordnung Orland Bishop aus Französisch-Guayana oder die Gemeinschaftsgründerin Sabine Lichtenfels aus dem portugiesischen Tamera. Kommunikationsforscherin Gigi Coyle aus Kalifornien wird ebenso mitdiskutieren wie Friedensaktivisten aus Israel und Palästina oder Öko-Psychologen wie Rupert Marquez aus dem buddhistischen Zentrum „Eco Dharma" in den spanischen Pyrenäen. TänzerInnen, Theaterleute, Performance-KünstlerInnen, MusikerInnen, Geschichten-Erzählerinnen werden nach kulturellen Widerstandsformen suchen. Man darf wohl gespannt sein auf die Demos der Zukunft.
Kontakt: Gemeinschaft Sulzbrunn e.G.
kontakt@gemeinschaft-sulzbrunn.de | www.gemeinschaft-sulzbrunn.de
kontakt@gemeinschaft-sulzbrunn.de | www.gemeinschaft-sulzbrunn.de
Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 26.03.2019

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