Forschung sieht große Tierwanderungen der Serengeti in Gefahr

Steigender Siedlungsdruck treibt Tiere tiefer in Kernzonen

Millionen wandernder Gnus, Zebras und Thomson-Gazellen – diese atemberaubenden Bilder aus der Serengeti könnten bald Vergangenheit sein. Trotz Pufferzonen ist der Siedlungsdruck rund um das Schutzgebiet mittlerweile so groß, dass sich die Tiere immer weiter in die Kernzonen zurückziehen und diese oft nicht mehr verlassen. Das bestätigen statistische Daten aus über 40 Jahren, die Biostatistiker der Universität Hohenheim in Stuttgart zusammen mit 11 internationalen Kooperationspartnern jetzt auswerteten. Viel Zeit bleibt nicht mehr, warnen die Forscher. Die Folgen für das gesamte Ökosystem seien immens und bald nicht mehr umkehrbar. Doch jeder Lösungsansatz für das Problem müsse die Bevölkerung einbeziehen, so ihr Appell. Die Ergebnisse der Forscher sind jetzt im renommierten Wissenschaftsmagazin SCIENCE veröffentlicht.
 
Wandernde Gnus überqueren den Mara River – künftig wohl ein immer seltenerer Anblick © Universität Hohenheim / Joseph OgutuEs ist eines der bekanntesten Naturschutzgebiete der Welt: Das grenzübergreifende, 40.000 km² große Serengeti-Mara-Ökosystem, berühmt für seine Artenvielfalt und beeindruckenden Tierwanderungen.
 
Rund zwei Millionen Tiere, vor allem Gnus, Zebras und Thomson-Gazellen, folgen hier jedes Jahr dem Regen von der südlichen Serengeti in Tansania gen Norden in das kenianische Maasai Mara Reservat. Ein beeindruckendes Schauspiel, das dieses Ökosystem prägt – und das nun massiv bedroht ist.
 
Vor allem der hohe Siedlungsdruck an den Rändern der Schutzgebiete bereitet Probleme. „Menschliche Aktivitäten in den Randzonen treiben die Wildtiere immer tiefer in die Kernzonen hinein", so Dr. Joseph Ogutu, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet von Prof. Dr. Hans-Peter Piepho an der Universität Hohenheim. „Und dieser Druck von außen hat massive Folgen für das Ökosystem: Die Wanderungen der Tiere sind gestört, das Feuerregime verändert sich, und die Fruchtbarkeit der Böden geht zurück."
 
Auch die Zahlen der Tiere geben Anlass zur Sorge: Die Bestände der 15 häufigsten Wildtierarten in Maasai Mara sind in den 40 Jahren seit 1977 zwischen 40 und 93 Prozent zurückgegangen – und zwar gleichermaßen innerhalb und außerhalb des geschützten Naturreservats.
 
Nutztiere dringen weiter in Schutzgebiet vor
Die Hohenheimer Biostatistiker werten gemeinsam mit ihren internationalen Kooperationspartnern die Daten aus rund 40 Jahren Forschung aus: Erhebungen aus der Luft von 1977 bis 2016 für alle Wildtierarten mit einem Gewicht ab 15 kg, also Zebra, Büffel, Elefant, Strauß, Gnu, Giraffe, Warzenschwein, Thomson-Gazelle, Grant-Gazelle, Eland, Oryxantilope, Topi, Kongoni, Impala und Wasserbock.
 
Hinzu kommen GPS-Daten des Gnu-Bestands von 1999 bis 2017, Zahlen der Nutztierbestände von Rindern, Eseln, Schafen und Ziegen, Zeitreihen zu Niederschlag und Temperatur von 1965 bis 2016 sowie Daten bzw. Schätzungen zu Landnutzungsänderungen und zur Bevölkerungsdichte von 1962 bis 2016. Die Ergebnisse der Forscher lassen die Alarmglocken schrillen.
 
Das Schutzkonzept des Serengeti-Mara-Ökosystems setzt auf Pufferzonen rund um die Kernzonen. „Diese Zonen werden von Hirten und den Wildtieren gemeinsam genutzt", berichtet Dr. Ogutu. „Doch in den letzten Jahren war das Bevölkerungswachstum in diesen Zonen sehr hoch, zumal auch viele Menschen zugezogen sind – und damit stieg auch die Zahl der Schafe, Ziegen und Rinder an."
 
Weideland wird knapp, und die Hirten mit ihren Vieherden dringen immer weiter in die Schutzzonen vor. „Wir haben Luft- und Satellitenaufnahmen ausgewertet und erkannt, dass mittlerweile die Vegetation auf den äußersten sieben Kilometern der Schutzzonen weniger grün ist als früher. Außerdem erkennt man jetzt ein Netz von Trittpfaden der Weidetiere, das in die Schutzzonen führt."
 
Folgen für Feuerregime und Bodenfruchtbarkeit
Das bleibt nicht ohne Folgen: „Wenn das Gras zu stark abgeweidet wird, ist einem Feuer quasi die Nahrung entzogen. Feuer ist jedoch eines der prägenden Elemente dieses Ökosystems." Auch das patente Foodsharing, das die Tiere bisher betrieben haben, gerät aus dem Gleichgewicht. „Büffel zum Beispiel fressen hohes Gras, Ziegen und Schafe jedoch knabbern die Halme bis zum Grund ab. Gibt es zu viele Ziegen und Schafe auf einer Fläche, bleibt für die Büffel nicht genug Nahrung übrig."
 
Hinzu kommt, dass die Böden auf den stark beanspruchten Flächen verarmen: „Die Böden speichern weniger Kohlenstoff, ein Zeichen dafür, dass Humusgehalt und Bodenfruchtbarkeit zurückgehen." Die Produktivität des Weidelandes lässt dadurch nach.
 
Verstärkte menschliche Aktivität beeinträchtigt Tierwanderungen Umso höhere Bedeutung käme eigentlich den Wanderungen zu, damit die Wildtiere ausreichend Nahrung finden. Auf der größten Route ziehen Millionen von Tieren aus den Ebenen im Südosten der Serengeti in Tansania gen Norden in die Maasai Mara nach Kenia und wieder zurück.
 
Doch dieses alljährliche Naturspektakel funktioniert nicht mehr. Die Zahl der Gnus auf dieser Route beispielsweise ist seit den 1970er Jahren um 63,5 Prozent gesunken. Und die Tiere, die noch in die Maasai Mara wandern, verbringen dort weniger Zeit als früher. „Durch die verstärkten menschlichen Aktivitäten in der Randzone ziehen sich die Wildtiere weiter in die Kernzonen zurück, die sie dann kaum wieder verlassen. Sie meiden in den letzten Jahren verstärkt die Randzonen", erläutert Dr. Ogutu.
 
Keine gute Lösung: Zäune um die Schutzgebiete
Um diesen Prozess zu stoppen, bedarf es dringender Lösungen. Die nahliegende Idee, die Schutzgebiete komplett einzuzäunen, hat sich als wenig praktikabel erwiesen. „Die Gebiete sind für das Wild schlicht zu klein, sie müssen die Flächen auf ihren Wanderungen verlassen können", erklärt Dr. Ogutu. „Außerdem ist der Unterhalt solcher Zaunanlagen sehr teuer – und stößt auf wenig Akzeptanz bei der Bevölkerung." Die Menschen dort seien größtenteils Bauern und Pastoralisten, also Hirten, die ihr Vieh in der natürlichen Landschaft weiden lassen, erklärt der Experte.
 
Vieh sei daher auch ein Statussymbol. „Die Menschen verdienen durchaus Geld mit dem Tourismus. Etwa indem sie ihr Land für touristische Zwecke verpachten oder durch Arbeitsplätze in der Gastronomie", betont Dr. Ogutu. „Das Problem ist: Dieses Geld investieren sie oft wiederum in Nutztiere, die dann mit den Wildtieren um Platz, Wasser und Nahrung konkurrieren. Oder sie bauen Zäune um ihr Land, und diese Zäune behindern nicht nur die Bewegungsfreiheit der Wildtiere, sondern werden oft auch für diese zur tödlichen Falle. All dies untergräbt die Einkommensquelle aus dem Tourismus."
 
Sinnvoll sei es daher, die Viehzahl staatlich zu regulieren. „In Tansania ist jedes Tier gekennzeichnet und kann nur mit Erlaubnis der Regierung transportiert werden. So kann die Regierung regulierend wirken. Auch über Steuern kann man die Tierbestände kontrollieren, doch das wird in Kenia oder Tansania bisher noch nicht eingesetzt."
 
Doch ohne die Unterstützung der lokalen Bevölkerung, so Dr. Ogutu, lässt sich der Naturschutz schwer durchsetzen. „Die Situation ist bereits historisch gesehen nicht unproblematisch: Die Leute wurden in den 1960er Jahren zugunsten der Schutzgebiete ohne Kompensation enteignet. Und auch heute noch gibt es schwere Menschenrechtsverletzungen, wenn Menschen aus den Schutzgebieten vertrieben werden."
 
Sensible Landnutzungsplanung bezieht Bevölkerung ein Dass die Bevölkerung kooperiert, sei daher nicht selbstverständlich. „Landnutzungspläne müssen wohlüberlegt sein. Strategien haben nur Erfolg, wenn die Menschen die Ziele auch unterstützen" betont der Experte. Und das sei nur der Fall, wenn auch sie vom Naturschutz direkt profitieren. So könne etwa Gemeinschafts-Grasland Zäune verhindern, oder man könne einen Fonds etablieren, aus dem die Bauern und Pastoralisten Ausgleichszahlungen für Naturschutz-Leistungen erhalten.
 
Das Land müsse auch nicht unbedingt verkauft werden, denn dadurch würden nur die Bodenpreise steigen. „Wichtig ist nur, dass das Land nicht mehr landwirtschaftlich genutzt wird. Die staatlichen Organisationen sollten daher nicht das Land kaufen, sondern sogenannte ‚Development Rights‘. So bleibt das Land privat, und die Eigentümer haben mehr Nutzen vom Naturschutz."
 
Doch die Zeit wird knapp, warnt Dr. Ogutu. „Wir brauchen dringend Lösungen, sonst schreitet die Degradierung der Landschaft fort. Wenn die Regierung jetzt nicht handelt, wird es angesichts weiter steigender Bevölkerungszahlen immer schwieriger, eine Lanze für den Naturschutz zu brechen. Und das wäre letztlich auch für die Menschen vor Ort ein Verlust."
 
Hintergrund: Projekt AfricanBioServices
AfricanBioServices ist ein Netzwerk von afrikanischen und europäischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Seit 1.9.2015 forschen sie gemeinsam am Projekt „Linking biodiversity, ecosystem functions and services in the Serengeti-Mara Region, East Africa: Drivers of change, causalities and sustainable management strategies”. Die EU fördert das Projekt im Forschungsrahmenprogramm Horizont 2020.
 
Kontakt: Dr. Joseph O. Ogutu, Universität Hohenheim | jogutu2007@gmail.com

Umwelt | Biodiversität, 29.03.2019

     
        
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