Lebensqualität in der EU steigt auf Kosten von Umwelt und Klima
Bericht analysiert, inwieweit die EU Fortschritte hin zu den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen erzielt hat
Das diesjährige EU Monitoring der UN-Nachhaltigkeitsziele zeigt: Wirtschaftlicher Aufschwung in der EU brachte Verbesserungen bei Beschäftigung, Armut, Wohnqualität und Gesundheit, führte aber auch zu steigendem Material-, Energie- und Flächenverbrauch. Die EU könnte daher ihre Klima- und Energieziele für 2020 verfehlen, so der neueste Monitoring Bericht des europäischen Statistikamts Eurostat, der unter der Leitung des WU-Instituts für Nachhaltigkeitsmanagement erstellt wurde. Der Bericht analysiert, inwieweit die EU in den letzten 5 bis 15 Jahren Fortschritte hin zu den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen erzielt hat.
Bereits seit 2007 analysiert das Institut für Nachhaltigkeitsmanagement der Wirtschaftsuniversität Wien im Auftrag von Eurostat die Nachhaltige Entwicklung der EU und untersuchte den Fortschritt in Bezug auf ihre wirtschafts-, sozial- und umweltpolitischen Ziele. Der Monitoring-Bericht 2019 widmet sich den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen auf Basis offizieller europäischer Statistiken. Die Auswertung der Eurostat-Daten für die letzten fünf Jahre zeigt deutliche Fortschritte der EU in den Bereichen Wirtschaftswachstum, Beschäftigung, Armutsbekämpfung und Gesundheit, aber nur geringe bis keine Verbesserungen bei Umweltschutz und der Bekämpfung des Klimawandels.
Wirtschaftlicher Aufschwung bringt deutliche Verbesserungen am Arbeitsmarkt mit sich
Rund zehn Jahre nach der globalen Wirtschaftskrise scheinen deren Auswirkungen in der EU endgültig überwunden zu sein. „Seit 2013 ist das Pro-Kopf Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU kontinuierlich um rund 1,9 Prozent pro Jahr gewachsen, und dies zeigt nun auch deutliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. So ist im selben Zeitraum die EU Beschäftigungsquote von 68,4 Prozent auf einen neuen Rekordwert von 73,2 Prozent im Jahr 2018 gestiegen, wodurch nun auch das „Europa 2020" Ziel, diesen Wert auf 75 Prozent zu erhöhen, in Reichweite liegt", erklärt Markus Hametner, Projektleiter am Institut für Nachhaltigkeitsmanagement der WU und leitender Wissenschaftler bei der Erstellung des Eurostat-Berichtes. „Gleichzeitig ist die EU Langzeitarbeitslosigkeitsrate von 5,1 Prozent auf 2,9 Prozent gesunken, und der Anteil der 15- bis 29-jährigen, die sich weder in Ausbildung noch in Beschäftigung befinden ist von 15,9 Prozent auf 12,9 Prozent gefallen."
Verbesserungen bei Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung sowie Wohnqualität
Markante Verbesserungen gab es auch bei der Bekämpfung von Armut und deren Auswirkungen: die Anzahl der in der EU von Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung betroffenen Personen erreichte mit 113 Millionen in 2017 einen neuen Tiefstand. Diese Zahl liegt damit auch erstmals unter dem bisherigen Bestwert aus 2009 – dem Jahr in dem die Wirtschaftskrise ausbrach. Dennoch sind in der EU nach wie vor 22,4 Prozent – und damit mehr als ein Fünftel – der Bevölkerung von Armut oder sozialer Ausgrenzung gefährdet, und das „Europa 2020" Ziel, diesen Wert bis 2020 um 20 Millionen Personen zu verringern (im Vergleich zu 2008), wird voraussichtlich verfehlt werden. Die sinkende Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung führte jedoch auch zu deutlichen Reduktionen bei den Anteilen der von erheblicher materieller Deprivation betroffenen Bevölkerung bzw. von Haushalten, die mit Problemen bezüglich der Wohnsituation zu kämpfen haben.
Ansteigende Lebenserwartung, bessere Gesundheitsversorgung
Positive Tendenzen gibt es weiterhin auch im Gesundheitsbereich: die durchschnittliche Lebenserwartung von EU-BürgerInnen ist nach wie vor im Steigen und lag 2017 bei 80.9 Jahren (78,3 Jahre für Männer und 83,5 Jahre für Frauen). Der Anteil der Personen, die ihre Gesundheit als gut oder sehr gut bewerten, erreichte mit 69,7 Prozent in 2017 einen neuen Höchststand. Der Anteil von RaucherInnen bzw. von Personen, die durch Lärm oder schlechte Luftqualität beeinträchtigt sind, ist in den letzten fünf Jahren ebenso gesunken wie die Häufigkeit frühzeitiger Todesfälle aufgrund chronischer oder bestimmter infektiöser Krankheiten. Auch der Anteil an Personen, die aufgrund zu hoher Kosten, langer Warteliste oder der weiten Entfernung eine notwendige ärztliche Behandlung nicht an Anspruch nehmen konnten, ist deutlich zurückgegangen – 2017 waren nur 1,7 Prozent der EU Bevölkerung davon betroffen.
Klima- und Energieziele der EU für 2020 in Gefahr
Ein konträres Bild zu den positiven Entwicklungen der Wirtschafts- und Sozialindikatoren der EU zeigt sich bei den Themen Umwelt und Klimawandel. So sind der Material- und Energieverbrauch der EU seit 2014 kontinuierlich gestiegen, was auch zu einem neuen Höchstwert bei der Energieabhängigkeit der EU – vor allem von Russland – führte. Wurde 2003 weniger als die Hälfte des Energiebedarfs der EU importiert, so mussten 2017 bereits 55,1 Prozent durch Importe gedeckt werden, auch weil der Ausbau erneuerbarer Energien in der EU mit dem Anstieg des Energieverbrauches nur bedingt Schritt halten konnte. Insgesamt führte dies zu einer leichten Zunahme der EU Treibhausgasemissionen seit 2014. Zwar ist das Ziel einer Emissionsreduktion von 20 Prozent im Vergleich zu 1990 noch immer in Griffweite, ein weiterer Anstieg, z.B. im Verkehrssektor, der einer der Hauptverursacher von Treibhausgasemissionen in der EU ist, könnte die Zielerreichung allerdings gefährden. „Insgesamt hat sich das Bild der EU im Hinblick auf ihre Klima- und Energieziele in den letzten Jahren deutlich verschlechtert", so WU-Forscher Hametner. „Ohne eine Trendumkehr läuft die EU Gefahr, alle ihre Ziele für 2020 – neben der 20-prozentigen Verringerung der Treibhausgasemissionen eine 20-prozentige Erhöhung der Energieeffizienz sowie eine Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien auf 20 Prozent – zu verfehlen."
Nur geringe Fortschritte auch beim Umweltschutz
Insgesamt nur geringe Fortschritte über die letzten fünf Jahre zeigen sich auch beim Umweltschutz. So ist die Fläche terrestrischer Schutzgebiete im Natura 2000 Netzwerk 2018 leicht zurückgegangen, während die Flächenversiegelung weiter an Fahrt aufnimmt. 2015 waren in der EU pro Kopf 648 m² an Landfläche bebaut oder für anderweitige Nutzung umgewandelt, ca. 30 m² mehr pro Kopf als 2009. Mitverantwortlich für die insgesamt nur geringen Fortschritte beim Umweltschutz sind auch die in den letzten fünf Jahren wieder steigenden negativen Auswirkungen landwirtschaftlicher Produktion in der EU. So ist der Stickstoffeintrag in landwirtschaftlich genutzten Böden (z.B. durch Dünger) gestiegen, und mit ihm die Ammoniakemissionen der Landwirtschaft. Die fortschreitende Flächenversiegelung und die Intensivierung der Landwirtschaft zeigen u.a. deutliche Auswirkungen auf die Biodiversität in der EU: seit Anfang der 90er sind Populationen von Schmetterlingen und Feldvögeln in Europa um ein Drittel eingebrochen.
„Unsere Analysen der Entwicklungen der EU in Bezug auf nachhaltige Entwicklung in den letzten Jahren zeigen ein deutliches Bild: geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut – außer der Umwelt", fasst WU-Forscher Hametner die Analysen der Eurostat-Daten zusammen. „Das Wirtschaftssystem der EU schafft es offenbar weiterhin nicht, Sozial- und Umweltziele unter einen Hut zu bringen. Eine Verbesserung der Lebensqualität auf Kosten von Umwelt und Klima, so wie wir sie gerade erleben, ist keinesfalls im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsziele, und kann auf Dauer auch nicht gut gehen. Die neue EU Kommission, die im Herbst 2019 ihr Amt antreten wird, hat die Chance und auch die Pflicht, die Entwicklung der EU tatsächlich ‚nachhaltig‘ zu gestalten."
Kontakt: Mag. Anna Maria Schwendinger, Wirtschaftsuniversität Wien | anna.schwendinger@wu.ac.at
Gesellschaft | Globalisierung, 08.07.2019
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