Hohe Emissionen bei Schiefergas-Fracking zu erwarten
Studie schätzt Emissionen bei der Förderung von Schiefergas in Europa
Bis erneuerbare Energien den Bedarf zu hundert Prozent decken, gilt Erdgas als Brückentechnologie, weil es weniger Emissionen freisetzt als andere fossile Brennstoffe. Am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) entstand eine Studie, welche erstmals die Emissionen bei der Förderung von Schiefergas in Deutschland und Großbritannien schätzt. Die real zu erwartenden CO2-Emissionen liegen der Studie nach höher als die geschätzten Emissionen aus dem derzeit in Deutschland geförderten Erdgas. Zugleich erfordern potenzielle Risiken das strikte Einhalten von Umweltvorschriften.
In den vergangenen zehn Jahren ist die Erdgasproduktion in den Vereinigten Staaten (USA) rapide gestiegen. Vor allem durch Schiefergas, das etwa 60 Prozent der derzeitigen Gesamtproduktion der USA ausmacht. Schiefer, ein feinkörniges, laminiertes, sedimentäres Gestein, weist eine geringe Durchlässigkeit (Permeabilität) auf, die in der Vergangenheit die Gewinnung dieser Gasart erschwert und damit unwirtschaftlich machte.
Die Fortschritte bei Horizontalbohrungen, beim Fracking, in den vergangenen Jahren haben jedoch bisher nicht erreichbare Schiefergasreserven für die großtechnische, kommerzielle Produktion erschlossen.
Da die Erdgasvorkommen schwinden und aufgrund der Erfahrungen in den USA steht die Debatte über das Fördern von Schiefergas seit einigen Jahren in vielen europäischen Ländern ebenfalls im Fokus. Vor allem, weil Schiefergas angeblich Klimavorteile gegenüber Kohle hat und sich positiv auf die heimische Energiesicherheit auswirken könnte.
Welche Emissionen sind bei der Schiefergasproduktion in Europa zu erwarten?
Lorenzo Cremonese vom IASS hat eine Studie geleitet, für welche die Treibhausgase- und Luftschadstoffe untersucht wurden, die bei der Schiefergasproduktion in Deutschland und in Großbritannien zu erwarten sind. Dies sind Stoffe wie Kohlendioxid, Methan, Kohlenmonoxid, Stickoxide, Feinstaubpartikel und andere flüchtige organische Verbindungen.
Das Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Uni Potsdam, der TNO Utrecht, der FU Berlin und des IASS hielt fest, wie viele dieser chemischen Verbindungen in die Atmosphäre frei gesetzt werden - basierend auf der geschätzten geothermischen Energiegewinnung (Reservoirproduktivität), der Praxisleistung und eingesetzten technologischen Lösungen. Das Ergebnis ihrer Untersuchung wurde im "International Journal Elementa - Science of the Anthropocene" veröffentlicht.
Das Autorenteam ordnete die Gasverluste jeder Stufe der vorgelagerten Gasproduktion zu, um die Gesamtemissionen bestimmen zu können und zwei plausible Hauptszenarien zu generieren: ein "realistisches" und ein "optimistisches" Szenario.
Während die Methanleckraten im "optimistischen Fall" mit den offiziellen Angaben der nationalen Regierungen vergleichbar sind, liegen die Ergebnisse für den "realistischen Fall" deutlich über den aktuellen nationalen Emissionsbilanzen in diesen Ländern. Beim Blick auf die CO2-Bilanz, ist die Emissionsintensität für die Stromerzeugung über Schiefergas weitaus höher als aktuelle Schätzungen für die konventionelle Gasförderung in Deutschland auflisten - und zwar um bis zu 35 Prozent. Die Studie lässt ernsthafte Bedenken entstehen hinsichtlich der Genauigkeit von Schätzungen der Methanleckage im Zusammenhang mit dem derzeitig konventionell geförderten Gas.
Umweltgefahr durch Erdgas sollte auf politische Agenda
Die Ergebnisse zeigten jedoch auch, dass die Freisetzung von Luftschadstoffen wie Kohlenmonoxid, Stickoxid und Feinstaub in allen wahrscheinlichen Szenarien im Vergleich zu den übrigen nationalen Emissionen dieser Stoffe vernachlässigbar ist. Allerdings haben die Luftschadstoffe im Gegensatz zu den Treibhausgasen direkte gesundheitliche Auswirkungen auf lokaler und regionaler Ebene, was zurzeit in einer weiteren Studie untersucht wird.
Die vorliegende Studie trägt dazu bei, eine Lücke in der wissenschaftlichen Debatte über die europäischen Schiefergasreserven und die Auswirkungen ihrer Nutzung zu schließen. "Falls Schiefergas in Europa Realität wird, wissen wir, dass die möglichen Risiken eine strenge Einhaltung von Umweltvorschriften erfordern, um unvermeidliche Mängel zu minimieren", erklärt Wissenschaftler Cremonese.
Darüber hinaus liefere die Studie wertvolle Erkenntnisse für eine Diskussion zwischen Öffentlichkeit und politischen Entscheidungsträgern über die Klimaauswirkungen einer neuen Gasindustrie. Und allgemeiner darüber, ob und wie Erdgas beim weltweiten Energiewandel eine Rolle spielen kann.
"Die großen Differenzen zwischen den realistischen und optimistischen Szenarien der Emissionen der Luft- und Klimaschadstoffe bestätigt einmal mehr, wie wichtig es ist, bestehende Technologien, Praktiken und Regulierungssysteme zur Emissionsminderung weiter zu verbessern", sagt Wissenschaftler Cremonese. "Angesichts der Klimakrise und um die negativen Auswirkungen einer europäischen Schiefergasindustrie so gering wie möglich zu halten, sollte das Thema Umweltgefahren durch Gasemissionen schnell in den Mittelpunkt der Regierungspolitik und der Verhandlungen mit Gasbetreibern rücken."
Das IASS forscht mit dem Ziel, Transformationsprozesse hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft aufzuzeigen, zu befördern und zu gestalten, in Deutschland wie global. Der Forschungsansatz des Instituts ist transdisziplinär, transformativ und ko-kreativ: Die Entwicklung des Problemverständnisses und der Lösungsoptionen erfolgen in Kooperationen zwischen den Wissenschaften, der Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft. Ein starkes nationales und internationales Partnernetzwerk unterstützt die Arbeit des Instituts. Zentrale Forschungsthemen sind u.a. die Energiewende, aufkommende Technologien, Klimawandel, Luftqualität, systemische Risiken, Governance und Partizipation sowie Kulturen der Transformation. Gefördert wird das Institut von den Forschungsministerien des Bundes und des Landes Brandenburg.
Kontakt:
Sabine Letz, Institute for Advanced Sustainability Studies e.V. (IASS) | sabine.letz@iass-potsdam.de
Umwelt | Ressourcen, 25.07.2019
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